Bei Banken in Deutschland wird über Filialschließungen, Sparprogramme und Fusionsabsichten entschieden. Dabei geht es um viel mehr, meint Branchenexperte Martin Stolberg in seiner Kolumne. Der Systemwandel verlangt von der Branche einschneidene Entscheidungen.
Die Lage der Banken ist ähnlich komplex wie seinerzeit bei Neckermann. Allerdings ließen sich die Herausforderungen wie Demografie, Niedrigzins, Spannungen im internationalen Handel und neue Bezahl- und Finanzierungsformen wahrscheinlich mit überschaubaren Veränderungen bewältigen. Bleibt es bei dem derzeitigen politischen und wirtschaftlichen Umfeld, ist ein Szenario "Survival of the fittest" denkbar: Die Zahl der Kreditinstitute wird sich verringern, das Geschäft wird optimiert und technisch aufgewertet. So fiel seinerzeit auch die Bewertung im Tourismus aus.
Tech-Konzerne übernehmen Teile des Bankgeschäfts
Wahrscheinlicher ist es, dass es zu einem gravierenden Systemwandel kommt. Handelsfinanzierungen, private Kredite und Bezahlvorgänge finden dann außerhalb des aktuellen Banken-Ökosystems statt. Neobanken und Technologiekonzerne übernehmen Teile des aktuellen Bankgeschäfts. Oder es kommt noch dicker: Die Abgrenzung zwischen reiner Finanzdienstleistung und der monetären Bewertung von Informationen, Energie oder Gesundheit verschwimmt. Die Politik ermöglicht, dass aus branchenspezifischen und regionalen Gesetzen eine personenzentrierte Regulierung entsteht. Wenige Anbieter decken den Bedarf je Kontinent. Bargeld spielt in diesem Szenario so gut wie keine Rolle mehr.
In den Chefetagen der Banken geht es darum, nun die richtige Abzweigung in die Zukunft für das eigene Institut zu wählen. Dabei läuft das Spektrum an Möglichkeiten auf drei grobe Entscheidungscluster hinaus:
- Große Banken lassen parallel zum bisherigen Geschäft eine Neobank beziehungsweise Plattform wachsen, die Teile des klassischen Geschäfts kannibalisiert: Unklar ist, ob bei den Instituten in Deutschland Zeit und Kapitalbedarf reichen, um am Ziel anzukommen.
- Der Fokus auf ein im Kern gesundes Geschäft, das anschließend zukunftsfest gemacht wird, ist für mittelgroße Banken und Sparkassen erfolgversprechend. Diesen Weg in die profitable Nische müssen allerdings Eigentümer und Mitarbeiter mittragen.
- Für kleinere Häuser wie Privatbanken ist der naheliegende Abzweig die Teilung der Kosten: gemeinsam genutzte Filialen, gemeinsame IT, gemeinsames Personal, Differenzierung an der Schnittstelle zum Kunden.
Eine erfolgreiche Transformation verlangt den radikalen Umbau
Damit eine Transformation ähnlich wie bei Mannesmann gelingt, gibt es zahlreiche Weggabelungen: Geschäftsmodell, Mitarbeiterqualifizierung, Vertriebsweg oder IT-Transformation. Der entscheidende Abzweig für einen radikalen Umbau wird jedoch die exponentielle technologische Entwicklung sein: Produktion und Verfügbarkeit von Daten, vernetzte Dinge und Endgeräte sowie Quantensprünge in der Rechenleistung.
Übersetzt für Finanzdienstleister geht es künftig um die Steuerung von Kundeninteraktionen und Risiken in Echtzeit, vollständig faktenbasierte Entscheidungen durch Künstliche Intelligenz, dezentrale Informations- und Transaktionsmöglichkeiten über Cloud-Computing und Distributed-Ledger-Technologie.
Weniger Mitarbeiter, mehr Kundenerlebnis
So gravierend somit der Mitarbeiterrückgang in der Kerndienstleistung der Banken ausfallen wird, so chancenreich ist der Zusatzbedarf in den Bereichen Kundenerlebnis, Sicherheitsarchitekturen, Regulatorik und Datenanalysen. Exakt an dieser Stelle müssen Banken entscheiden, wie radikal sie Veränderung denken: in den Dimensionen von Mannesmann oder von Neckermann.