Die großen US-Konzerne dringen mit ihren Services immer weiter in den Bankensektor vor. Weltweit fürchten Institute, weitere Marktanteile an Amazon oder Google zu verlieren, so eine Umfrage. Das Human Digital Banking bietet klassischen Instituten einen Ausweg.
Was Kunden bei der digitalen Customer Journey gefällt, beeinflussen vor allem die Bigtechs. An dieser Entwicklung muss die Bankbranche wachsen.
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Über Jahrzehnte hinweg sind in Deutschland die Banken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken einer Inside-out-Logik gefolgt. Die Branche hatte ihr eigenes Selbstverständnis und ihre Kunden hatten sich an dieses anzupassen. Mit dem Markteintritt von Paypal im Jahr 1998 begann ein neues Zeitalter. Die Verwundbarkeit der klassischen Finanzwelt wurde offensichtlich. Seitdem hat eine Vielzahl von Fintechs mit kreativen Ansätzen nachgelegt. Inzwischen bedrängen Bigtechs wie Amazon, Facebook, Apple und Google die Finanzinstitute", schreiben Ulrich Grothe und Thomas Barsch im Buch "Banking & Innovation 2020/2021" auf Seite 164.
Und wie groß die Angst nicht nur in Deutschland vor den US-Riesen ist, zeigen die Ergebnisse der Studie "Evolve or be extinct" der Cloud-Banking-Plattform Mambu und Financial Times Focus. Von den weltweit mehr als 500 im April 2021 befragten leitenden Bankmanagern sagen 67 Prozent, dass sie innerhalb der nächsten zwei Jahre Marktanteile verlieren werden, wenn sie sich nicht digital transformieren. In der EMEA-Region (Europa, Naher Osten & Afrika) liegt der Anteil sogar bei 69 Prozent.
Bankentscheider fürchten weitere Markterfolge der Bigtechs
Modernisieren die Institute ihre Geschäftsmodelle, Services und Produkte nicht in den kommenden fünf bis zehn Jahren, glauben 58 Prozent der Befragten sogar, dass ihr Geldhaus gänzlich vom Markt verschwinden könnte. In der EMEA-Region fürchten das sogar 60 Prozent der Umfrageteilnehmer. Dass sich Technologieriesen wie Amazon und Google in den folgenden fünf Jahren den größten Marktanteil in der Bankenbranche schnappen, glauben 74 Prozent der Bankentscheider weltweit und 71 Prozent in EMEA.
Dennoch sehen die Springer-Autoren Grothe und Barsch ein Licht am Ende des Tunnels und schreiben:
Covid-19 hat unsere Gesellschaft für immer verändert. Für Kunden ist der persönliche Kontakt wieder wichtiger geworden. Gleichzeitig nutzen immer mehr Menschen die digitalen Medien mit viel größerer Selbstverständlichkeit. Für die deutschen Institute eröffnen sich daraus neue Möglichkeiten. Viel besser als alle anderen Anbieter könnten sie persönlichen Austausch mit digitalen Technologien verbinden. Sie können zu Wegbereitern eines Human Digital Bankings werden. Darüber hinaus können sie so quirligen Neueinsteigern und den übermächtig erscheinenden US-amerikanischen Internetgiganten Paroli bieten."
Vorreiter der Bankenbranche als Business Case nutzen
Als Reaktion auf die Entwicklungen wollen der Umfrage zufolge auch 40 Prozent der Banken nach der Pandemie auf ein modernes plattformbasiertes System umsteigen und mit Drittanbietern kooperieren. Im Fokus stehen dabei Plug-and-Play-Bankdienstleistungen, die auf flexiblen, unabhängigen Systemen laufen. Dazu gehört auch die Umstellung auf eine moderne, plattformbasierte Struktur in Verbindung mit Investitionen in Datenkapazitäten, um sich digital vom Rest des Bankensektors abzuheben.
"Während das Privatkundengeschäft nur langsam auf die rasanten Veränderungen im Verbraucherverhalten reagiert hat, die durch die Pandemie ausgelöst wurden, gibt es eine aufstrebende Kohorte digitaler Vorreiter, die sich gegen diesen Trend stemmt", Anton Langbroek, Geschäftsführer der DACH-Region bei Mambu. Er rät den digitalen Nachzüglern dazu, sich die vorausschauenden Akteure als "Business Case für einen kundenzentrierten Ansatz" zum Vorbild zu nehmen, um ihre Transformation voranzutreiben. Als größtes Hindernis bezeichnet Langbroek veraltete Vorstellungen vom Bankwesen in einer Zeit, "in der ESG-Ziele (Environment, Social, Governance) und die Customer Experience zu den wichtigsten Wachstumsfaktoren der Zukunft gehören".
Sparkassen und VR-Banken hilft die Kundennähe
Ob es den klassischen Geldhäusern gelingen wird, die Hoheit über ihre Branche zurückzuerlangen, hängt laut Grothe und Barsch stark davon ab, wie sehr sie bereit sind, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. "Die Sparkassen und Genossenschaftsbanken könnten aufgrund ihrer großen Kundennähe am meisten profitieren, müssten sich aber auch am stärksten wandeln", mahnen die Springer-Autoren. Auch für sie liegt ein wesentlicher Faktor neuer Geschäftsmodelle in der Zusammenarbeit mit neuen Wettbewerbern:
Die Banken, die über Direktbanken als Tochtergesellschaften verfügen, sind hier am weitesten. So haben beispielsweise die Bayern LB mit der Deutsche Kreditbank AG (DKB) und die Commerzbank mit comdirect schon früh Fintechs integriert. Die DKB hat mittlerweile zehn, Commerzbank und comdirect verfügen in Summe über rund 20 Kooperationen. Inzwischen kommen aber auch viele andere Banken auf eine stattliche Anzahl von Kooperationspartnern aus dem Fintech-Bereich", so Grothe und Barsch (Seite 165).
Die Beratungsgesellschaft Pwc habe bereits im Oktober 2018 in Deutschland genau 562 Kooperationen von Banken mit Fintechs und 294 Kooperationen von Versicherern mit Fintechs gezählt.
Ertragssteigerungen nicht mehr oben auf den Bankenagenden
Zudem rutschen laut der aktuellen Umfrage die Gewinne auf der Prioritätenliste der Banken nach unten. Ertragssteigerungen stufen die Banktentscheider nur noch als fünfwichtigsten Nutzen bei einer Umstellung auf ein kundenorientiertes Geschäftsmodell ein. Doch obwohl die Institute im EMEA-Raum zum Beispiel mehr in den Bereichen Big Data (25 Prozent), Künstliche Intelligenz (36 Prozent) und Blockchain (19 Prozent) investieren wollen, sind sich 53 Prozent der Befragten nicht sicher, ob ihnen die digitale Transformation gelingt. Auch befinden sich die digitalen Strategien von einem Viertel (25 Prozent) der Banken noch in der Entstehungs- oder Testphase. Institute in Asien, den USA oder Lateinamerika seien hier bereits weiter, so die Befragung.
"Es ist kein Beispiel bekannt, wo sich die deutschen Privatbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken in den letzten 20 Jahren als Vorreiter positioniert hätten. Die intellektuelle Führerschaft haben sie an andere abgegeben", kritisieren auch Grothe und Barsch. Obwohl sie sich technologische Kompetenz über gute Headhunter und attraktive Gehälter ins Haus holen, "dringen die Chief Technology Officer (CTO) mit ihren Forderungen einfach nicht durch". Auch an einer grundsätzlichen Investitionsbereitschaft mangele es deutschen Banken nicht. Das zeigten Investments in Fintechs und den Aufbau digitaler Schnellboote. "Aber mit allem, was sie bislang getan haben, sind sie dem Markt hinterhergeeilt und zu kurz gesprungen."
Die persönliche Beratung ist nur einen Klick entfernt
Beim Ausbau ihrer digitalen Angebote hätten sich die deutschen Banken an der Tech-Konkurrenz orientiert. Auch der Ausbau telefonischer Betreuung sei dem Vorbild großer Callcenter gefolgt. "Die Angebote der Fintechs und Bigtechs sind zwar nutzerfreundlich und im besten Falle sogar individualisiert. Persönlich sind sie deshalb aber noch lange nicht", so die Springer-Autoren. "Die Institute verfügen in ihren Filialen und Standorten über kompetente Mitarbeiter mit einer tiefen Verankerung in ihren jeweiligen räumlichen und sozialen Umfeldern", schreiben Grothe und Barsch. Das sollten sie sich im Wege eines Human Digital Banking zunutze machen.
Das bedeute nicht, "dass jede Aktivität und jede Transaktion in Abstimmung zwischen Berater und Kunde erfolgt". Vieles könnten heutige Kunden autark erledigen. "Aber zu wissen, dass bei grundlegenden Problemen, komplizierten Geschäften sowie beim Eingehen langfristiger Verbindlichkeiten die vertraute Unterstützung immer nur einen Klick entfernt ist, macht den Unterschied", betonen die Springer-Autoren.
Hierzu gehöre etwa der Zugriff auf den Kalender des Beraters genauso wie Tools, die dem Bankmitarbeiter gestatten, auf den Bildschirm des Kunden zuzugreifen. Für Sicherheit sorgen dabei zum Beispiel Gesprächsmittschnitte, die die Unterhaltung "revisionsfest" gestalten. "Dies sichert Kunden weitaus besser ab als die Protokolle."
Langfristige digitale Betreuung von Bankkunden
Daneben können Banken und Sparkassen ihre Kunden auch digital begleiten, wenn es um langfristige Strategien zum Vermögensaufbau oder um dessen Absicherung geht. "Alle Dokumente würden dann in ihrer Human-Digital-Banking-Anwendung gespeichert, zu Stichtagen auf Wiedervorlage gelegt und Alerts würden Berater und Kunde über nicht erwartete Veränderungen von Rahmenbedingungen, wie beispielsweise neue gesetzliche Vorgaben, informieren und deren mögliche Implikationen auch gleich ausweisen", erläutern Grothe und Barsch. Für all diese Leistungen seien auch eigene Vergütungsmodelle denkbar.
"Die vielfältigen Überlegungen könnten aus dem Human Digital Banking ein eigenständiges Ökosystem werden lassen, das noch stärkere Zentripetalkräfte als das von Apple entfaltet", lautet das Fazit der Springer-Autoren.