"Die Gegenüberstellung von Bauwesen und Biologie führt zu vielerlei – manchmal verblüffenden – Analogien", schreiben Werner Nachtigall und Göran Pohl im Kapitel "Bau, Architektur und Bionik" des Springer-Fachbuchs "Bau-Bionik". So zeige sich zunächst, dass die Grundgesetzlichkeiten in beiden Disziplinen durchaus vergleichbar seien, weshalb sich ein Blick über den Zaun, und zwar in beide Richtungen, lohne.
Ein solcher "Blick über den Zaun" wird im DFG- Sonderforschungsbereich "Entwurfs- und Konstruktionsprinzipien in Biologie und Architektur" gefördert. Physiker, Chemiker, Mineralogen, Biologen und Paläontologen auf der einen Seite kommen darin mit Materialwissenschaftlern, Ingenieuren und Architekten auf der anderen Seite zusammen. In 15 interdisziplinären Teams von verschiedenen Universitäten und Instituten untersuchen sie biologische Konstruktionsprinzipien und übertragen die dabei gewonnenen Erkenntnisse in die Architektur und das Bauingenieurswesen.
Seeigel, Wanzen und Schlupfwesepen
Die in dem Vorhaben entwickelten Forschungsansätze sowie konkrete Ergebnisse zeigt derzeit das Naturkundemuseum Stuttgart – Schloss Rosenstein im Rahmen der Sonderausstellung "baubionik – biologie beflügelt architektur". Zu sehen ist zum Beispiel das Skelett des Seeigels, das unter anderem aus zahlreichen individuellen Platten besteht und schwerster Brandung standhält. Im Kapitel "Trag- und Hüllstrukturen in der Biologie als Ideengeber für Bauwerk" des bereits erwähnten Buchs "Bau-Bionik" heißt es dazu: "Seeigel formen sehr eigentümliche Gehäuse, die sowohl während der 'Bauzeit' als auch im fertigen Zustand statisch stabil sein müssen." Ihre Form habe für die Konzeption der Eissporthalle in Erfurt Anregungen gegeben. Die Autoren schreiben weiter: "Seeigelschalen werden neben der Zusammensetzung aus Platten durch Verstärkungsrippen räumlich gestützt. Derartige räumliche Verstärkungsstrukturen gaben die Anregung für die in Rippen aufgelöste schalenartige Konstruktionsweise der mit über 80 × 200 m sehr weitspannenden Halle."
Ein anderes in der Ausstellung gezeigtes Beispiel sind die Legebohrer der Schlupfwespen – denn Gelenke an technischen Konstruktionen sind immer Schwachstellen. Die Wespen sind auch im Kapitel "Bildtafeln über biologische Bauten, Baustrukturen und Bauprinzipien" aufgeführt. Die Flügel der Schlupfwespe werden im Kapitel "Haltung und Bewegung" des Springer-Fachbuchs "Biologisches Design" gezeigt. Darin sind auch Stechrüssel von Fliegen der Gattung Glossinazu zu sehen. Um den gelenklos beweglichen Stechrüssel von Wanzen und die Vorbildfunktion für die Architektur und den Bau geht es auch in der Stuttgarter Ausstellung.