Unternehmen nutzen in der aktuellen Krise immer häufiger legale Spielräume, um ihre Bilanzen in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Das ermittelte das German Business Panel (GBP) in seinem September-Bericht. Im Vergleich zum Frühjahr 2022 hat sich ihre Zahl verdreifacht.
"Der wirtschaftliche Ausblick in Deutschland bleibt eingetrübt. Die September-Daten zeigen, dass den leicht verbesserten betriebswirtschaftlichen Kennzahlen eine wieder gestiegene Ausfallwahrscheinlichkeit gegenübersteht", heißt es im aktuellen Bericht des GBP. Die erwarteten Unternehmensausfälle klettern der Analyse zufolge auf 14,3 Prozent. "In energieintensiven Branchen wie dem Maschinenbau steigt die Rate auf 16 Prozent und in den von Corona betroffenen Krisenbranchen wie dem Gastgewerbe sogar auf 18,2 Prozent", so die GBP-Wissenschaftler. Die Ausfallwahrscheinlichkeit gibt Auskunft darüber, für wie wahrscheinlich es Firmenlenker halten, dass ein Unternehmen der eigenen Branche innerhalb der folgenden zwölf Monate aus der Geschäftstätigkeit ausscheidet.
Bessere Ergebnisse für die Kreditwürdigkeit
Allerdings wollen genau das viele Verantwortliche vermeiden und reizen deshalb bei den Bilanzkennzahlen ihren Ermessensspielraum stärker als üblich aus, um ihre Gewinne höher aussehen zu lassen. Knapp 85 Prozent der Betriebe geben an, ihre Ergebnisse aktiv zu steuern, heißt es im Report. Neben Kostensenkungsstrategien, die Einsparungen im Verbrauch vorsehen, und dem Personalabbau als zentralen Maßnahmen lassen sich den Forschern zufolge immer häufiger solche rein bilanziellen Maßnahmen beobachten - gerade bei großen Unternehmen.
"Es geht dabei nicht um Betrügereien oder Bilanzfälschungen", erläutert Jannis Bischof, Professor und Inhaber des Lehrstuhls für ABWL und Unternehmensrechnung an der Universität Mannheim und GBP-Leiter. "Dass die Unternehmen ihre Gewinne angesichts der dramatischen Energie- und Rohstoffkrise im Rahmen des Erlaubten nach oben schrauben, ist nicht verwunderlich. Sie tun das, um ihre Kreditwürdigkeit überzeugend darzustellen und die Investoren zu beruhigen." Von diesem legalen Mittel machen vor allem Firmen im Handel (21,5 Prozent) und im Baugewerbe (21,3 Prozent) Gebrauch.
Firmen nutzten legale Spielräume aus
"Bei Bilanzkosmetik werden die legalen Spielräume ausgeschöpft, um die wirtschaftliche Lage des Unternehmens in ein besseres Licht zu rücken als dies tatsächlich der Fall ist", schreiben Carola Rinker und Patrick Müller im Buch "Accounting Fraud" auf Seite 20. Dabei bewegen sich solche "kosmetischen" Maßnahmen im legalen Bereich im Gegensatz zu Bilanzmanipulationen.
Letztere grenzen sich den Springer-Autoren zufolge dadurch ab, "dass sie gegen die geltenden Rechnungslegungsvorschriften verstoßen". Es handelt sich also um eine "gezielte Gestaltung des Jahresabschlusses unter Einhaltung der zulässigen Maßnahmen des Bilanzrechts nach dem HGB oder den IFRS-Standards".
Bilanzkosmetik hilft nur kurzfristig
Diese legalen, auch als Window Dressing bezeichneten, Maßnahmen, peppen laut Rinker und Müller die Ergebnisse eines Unternehmens optisch auf. Allerdings hilft dieses Vorgehen nur vorübergehend, die Geschäftszahlen besser darzustellen. Langfristige Probleme wie beispielsweise ein veraltetes Geschäftsmodell ließen sich damit nicht lösen. "Bilanzkosmetische Maßnahmen sind für Außenstehende oftmals nicht auf den ersten Blick oder sogar sehr schwer erkennbar, sodass die gewünschte Zielsetzung oftmals - zumindest vorübergehend - erreicht wird", so die Bilanzexpertin und der forensische Datenanalyst.
Zu den typischen Maßnahmen zählt beispielsweise Sale-and-lease-back:
In diesem Fall wird zu einer Verbesserung der Liquiditätsgrade Vermögen veräußert und wieder zurückgemietet. Der Verkaufspreis übersteigt oftmals den Buchwert des Vermögens und führt somit sogar zu einem einmaligen Ertrag, der zusätzlich den Gewinn aufhübscht. Langfristig muss allerdings bedacht werden, dass nun monatliche Leasingzahlungen für das Mieten des Vermögenswertes bezahlt werden müssen", schreibt das Autoren-Duo auf Seite 32.
In guten Zeiten werden Gewinne oft niedrig gerechnet
Vor diesem Hintergrund lassen die weiteren Daten des GBP-Monitors aufhorchen: Denn der Anteil von Unternehmen, die ihre Gewinne in den Büchern auf diese oder ähnliche Wiese haben höher aussehen lassen, hat in den vergangenen Monaten deutlich zugenommen. "Zuletzt gaben 10,4 Prozent der Unternehmen an, Bilanzpolitik zur Gewinnsteigerung zu betreiben. Knapp dreimal so viel wie noch im Frühjahr", heißt es in dem Bericht. Im Frühjahr 2022 lag diese Zahl bei rund drei Prozent. In guten Zeiten neigten Unternehmen eher dazu, ihre Gewinne zu niedrig zu berechnen - auch, um Steuern zu minimieren. "So hat noch bis April 2022 die Mehrzahl der Unternehmen ihre Gewinne möglichst niedrig dargestellt."
Hintergrund: Das German Business Panel befragt monatlich mehr als 800 Unternehmen zur Unternehmenslage in Deutschland und erhebt dabei Daten zu erwarteten Umsatz-, Gewinn- und Investitionsänderungen, unternehmerischen Entscheidungen, der erwarteten Ausfallwahrscheinlichkeit in der Branche sowie der Zufriedenheit mit der Wirtschafspolitik. Jeden Monat gibt es zudem eine gesonderte Frage zu einem Thema. Für die aktuelle Erhebung beantworteten die Unternehmen, inwiefern sie Wahlrechte zur Ergebnissteuerung einsetzen und wie sich das Ausmaß solcher Bilanzpolitik im Zeitverlauf - auch unter dem Einfluss des Russland-Ukraine-Kriegs - entwickelt hat.