Bei Bioenergie ist die Produktionsweise der Ausgangsstoffe und die Inanspruchnahme von Land entscheidend. Alexander Müller erklärt, welche Rolle Bioenergie für eine nachhaltige Entwicklung spielen kann.
Springer Professional: Wie stellt sich gegenwärtig die weltweite Entwicklung bei Bioenergie dar?
Alexander Müller: Zuerst einmal ganz klar: die eine Bioenergie gibt es nicht! Weltweit kann man grob zwei Bereiche voneinander unterscheiden: Die klassische Nutzung von Bioenergie, zum Beispiel Holz als Brennmaterial, wie es überwiegend in Entwicklungsländern in einer nicht nachhaltigen Form geschieht, stellt heute immer noch mit 80 Prozent den größten Anteil der Bioenergie dar. Hinzu kommt seit einigen Jahren die Nutzung von Biomasse in Biogasanlagen und zur Gewinnung von flüssigen Treibstoffen nach mehr oder weniger aufwändigen Umwandlungsprozessen. Die Annahme bei der modernen Nutzung ist, dass Bioenergie das Potential hat, ländliche Entwicklung zu fördern, ebenso wie Energieversorgung und -sicherheit zu verbessern, bei gleichzeitiger Reduktion der Treibhausgase. Moderne Biotreibstoffe haben heute weltweit einen Anteil von 6 bis 8 Prozent am weiterhin wachsenden Gesamtverbrauch der flüssigen Treibstoffe.
Auf welche Weise kann die Bioenergie zur Dekarbonisierung der Energieproduktion beitragen?
Damit Bioenergie ihren Beitrag zu Dekarbonisierung leisten kann, sind zwei Aspekte wesentlich: nachhaltige Anbauweise und effizienter Verbrauch. Die Forschung zeigt, dass im Falle nicht nachhaltigen Anbaus von Bioenergie der CO2 Ausstoß sogar größer ist als bei herkömmlichen fossilen Brennstoffen. Wird etwa Wald gerodet oder werden Sümpfe trocken gelegt, um Bioenergie zu produzieren, dann ist die Bilanz eindeutig negativ. Es kommt bei Bioenergie also immer genau auf die Produktionsweise der Ausgangsstoffe und hier insbesondere die Inanspruchnahme von Land an. Nachhaltig erzeugte Bioenergie kann insbesondere in ländlichen Regionen von Entwicklungsländern eine interessante Rolle bei der dezentralen Erzeugung von Energie spielen. Hier gilt es, angepasste Technologien zu entwickeln und einzusetzen. Und wir brauchen sehr klare und verlässliche Informationen über den gesamten Lebenszyklus, damit wir den Beitrag zur Dekarbonisierung belegen können.
Welche auf der Berliner Konferenz "Bioenergy and Development: the Investment Case for Sustainable Production Systems" vorgestellten Projekte sind für sie beispielgebend?
Zwei Beispiele sollen hier genannt werden: Zum einen ist die dezentrale Erzeugung von pflanzlichen Ölen in ländlichen Regionen Indiens auf degradierten Böden ein vielversprechender Ansatz. Das Anpflanzen von heimischen Ölbäumen, die Verarbeitung zu Öl in Kooperativen und damit die Möglichkeit, Traktoren zu betreiben und Lebensmittel zu erzeugen, trägt unmittelbar zur Verbesserung der Lebensverhältnisse von sehr armen bäuerlichen Familien bei. Sehr interessant ist bei diesem Beispiel auch, dass es eine enge Zusammenarbeit mit Universitäten gibt. Hier wird auch neues Wissen über die Produktion von Bioenergie erzeugt und direkt angewandt. Zum anderen hat Brasilien präsentiert, wie sich die so genannte zweite Generation von Anlagen zur Erzeugung von flüssigen Treibstoffen entwickelt. Hier scheinen die Ökobilanzen bei Anbau und Verarbeitung von Zuckerrohr und der Beitrag zur Reduzierung von klimaschädlichen Gasen wesentlich besser zu sein. Auch hier ist die Forschung ganz entscheidend beteiligt. Allerdings haben die Investitionen in solche Anlagen in den letzten Jahren stagniert.
Worin bestehen die größten Probleme bei der Umsetzung in den Entwicklungsländern?
Unter den richtigen Voraussetzungen können unterschiedliche Formen der Bioenergie einen Beitrag zum Ausbau eines alternativen Energiemixes leisten. Es ist ganz wichtig, dass der Auf- und Umbau der Energieversorgung als Beitrag zur Entwicklung verstanden wird, dass erneuerbare Energien – und das gilt verstärkt auch für Sonne und Wind – als Chance verstanden werden und nicht als Hindernis. Neben Finanzierung der Investitionen und Anpassungen der Technologien an die konkreten Verhältnisse vor Ort braucht es vor allem Know-how und Ausbildung. Benötigt werden Ingenieure und Handwerker, die diese Technologien installieren, betreiben und warten. Bioenergie spielt hier eine Rolle, muss aber in eine übergeordnete Planung eingebunden sein. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, dann wird die traditionelle Nutzung von in den ärmsten Haushalten weitergehen. Und dies ist nicht nachhaltig – sowohl in Hinblick auf die ineffiziente Nutzung, bei der viel Energie verloren geht; aber auch vor dem Hintergrund der ökologischen (Bsp. Abholzung) und gesundheitlichen Schäden. Technologische Alternativen, die sogenannten "clean cook stoves" gibt es seit vielen Jahren, aber bisher haben sie sich – aus vielerlei Gründen - nicht ausreichend durchgesetzt. Energieproduktion und Ernährungssicherheit sind in vielen Ländern zwei Seiten einer Medaille. Biomasse wird für beides gebraucht und die Knappheit von fruchtbarem Land und von Wasser müssen berücksichtigt werden. Dafür bedarf es integrierter Ansätze, was aber auf nationaler und lokaler Ebene oftmals leider nicht oder nicht ausreichend der Fall ist.
Wo sehen sie die strategischen Ansätze für nachhaltige Investitionen in Bioenergie und entsprechende wirtschaftliche Resultate?
Nachhaltige Bioenergie kann in den ländlichen Räumen der Entwicklungsländer eine wichtige Rolle spielen. Etwa 8 Prozent des globalen Energieverbrauchs wird in den Entwicklungsländern durch nicht nachhaltige Nutzung von Brennholz abgedeckt. Eine Umstellung dieses Verbrauchs ist aus vielen Gründen erforderlich. Energieerzeugung durch Bauern für den Eigenverbrauch und für Einkommen ist ein weiterer wesentlicher Schritt, um die vorherrschende Energiearmut zu bekämpfen und damit Entwicklung zu ermöglichen. Für den Export von Bioenergie kann Zertifizierung einen wichtigen Ansatzpunkt darstellen. Ein weiterer strategischer Ansatz für nachhaltige Investitionen in Bioenergie ist es, darauf zu achten, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen erfüllt sind. Nur so kann man sicherzustellen, dass der Anbau von Bioenergie profitabel ist, aber eben auch sozial-ökonomische und ökologische Ziele erfüllt. Für den Investor bedeutet dies auch eine wesentliche Reduktion der mit der Investition verbundenen Risiken.
Welche Herausforderungen bestehen an die Bioenergieproduktion im Zusammenhang mit den globalen Zielen nachhaltiger Entwicklung (SDGs) bis 2030?
Die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) geben die Richtung für die globale Entwicklungsagenda – auch für die industrialisierten Länder - bis 2030 vor. Wenn wir die globale Erwärmung auf 2 Grad begrenzen und die SDGs wirklich erreichen wollen, dann wird der Energiesektor vollkommen umstrukturiert werden müssen. Wir müssen weg von Öl und Kohle. Und wir brauchen den Umbau des Systems hin zu erneuerbaren Ressourcen. Die Energiewende in Deutschland ist das weltweit führende Beispiel der Integration von Erneuerbaren in ein bestehendes Stromversorgungssystem. Für die Bioenergieproduktion im Energiemix der Zukunft sind integrierte, inklusive und wirksame partizipative Ansätze unverzichtbar. Es liegt im eigenen Interesse der Produzenten von Biomasse, die Nachhaltigkeit in das Zentrum zu rücken und entsprechende Nachweise zu führen. Um die Gesamtziele zu erreichen, werden wir „good governance“ für die Biomasseproduktion benötigen, weit über den Bioenergiebereich hinaus! Zu den Anforderungen der sozio-ökonomischen und ökologischen Nachhaltigkeit gehören erstens, die Implementierung des Rechts auf Nahrung für alle, zweitens die Anwendung der Freiwilligen Leitlinien für den Zugang zu Land, und drittens ein gezieltes Monitoring der Biomasseproduktion auf nationaler und internationaler Ebene.
Vielen Dank für das Interview.