Car IT kompakt Reloaded

Es ist nicht unsere Absicht, ein umfassendes Kompendium zur Weltgeschichte des Automobils zu verfassen. Andere haben das bereits ausführlich getan, und zudem würde ein solches Unterfangen den Rahmen dieses Buches weit übersteigen. Jedoch möchten wir die nachfolgenden Kapitel im Kontext der Automobilindustrie platzieren. Unser Hauptziel ist es, ein vertieftes Verständnis für die aktuellen Herausforderungen dieser Branche zu schaffen. In den letzten Jahren hat der Automobilbau enorme technische Fortschritte gemacht. Diese Entwicklung war vielfältig und so tief, dass viele Einzelheiten leicht übersehen oder vergessen wurden. Daher möchten wir zuerst den historischen Hintergrund skizzieren: den Beginn, die signifikanten Höhepunkte und Rückschläge sowie den gegenwärtigen Stand, um in späteren Kapiteln auch zukunftsrelevante Themen behandeln zu können. Wir können nur einen Ausschnitt der automobilen Geschichte beleuchten, jedoch stehen unsere Beispiele stellvertretend für die gesamte Dynamik seit der Erfindung des Automobils. Amerikanische und europäische, insbesondere deutsche Geschichte liegt uns natürlich am nächsten. Dass wir einige wichtige Ereignisse aus anderen Ländern, zum Beispiel Frankreich, nicht akzentuieren, liegt an unserem geografischen Lebensschwerpunkt und soll in keiner Weise eine soziopolitische Aussage darstellen.

Das Thema autonomes Fahren ist heutzutage fast täglich in den Medien präsent und wird sowohl im beruflichen als auch im privaten Umfeld intensiv diskutiert – mit Meinungen, die von „Ich werde es immer nutzen“ bis hin zu „Das werde ich nie einsetzen“ reichen. Die einzelnen Fahrerassistenzsysteme aus der letzten Zeit wurden durch Weiterentwicklung der Vernetzung und Kooperation der Systeme auf eine neue Ebene gehoben. Die Fahrer werden nicht nur durch geeignete Bordsysteme unterstützt, sondern es kommen inzwischen Lösungen auf den Markt wie Autobahnpilot, welche die Verantwortung für das Fahrzeug übernehmen. Es handelt sich dabei nun nicht um akademische Lösungen, sondern Produkte, die man erwerben kann.

Ein weiteres, immer mehr an Popularität gewinnendes Thema dieses Buches ist die Vernetzung des Fahrzeugs. Dieses Vorhaben stellt neben dem autonomen Fahren und der Elektromobilität den dritten aktuellen Megatrend in der Automobilindustrie dar. Die Themen gestalten sich hier sehr vielseitig, was die Komplexität in der Entwicklung wie auch im Bereich der zugehörigen Absicherung deutlich steigert. Durch zahlreiche neue Funktionen und Möglichkeiten – sei es die Abgabe von Sendungen direkt in einem Fahrzeug oder die Optimierung bestehender Systeme wie beispielsweise der Sprachbedienung – wird dem Zusammenspiel von Fahrzeug, Kommunikationstechnik, Backend und Daten von Drittanbietern eine Rolle zuteil, die den Fokus auf die Aufgaben der gesamten Funktionskette unabdingbar macht. Denn nicht nur die Herausforderungen durch die Vielzahl an Stakeholdern stellen sich als verflochten und anspruchsvoll dar; auch die technischen Aspekte wie Datensicherheit und Datenschutz rücken mehr und mehr in den Vordergrund. Durch die große Zahl an einzelnen Inputs ist es noch ein weiter Weg zu einer einheitlichen Lösung über die verschiedenen Fahrzeughersteller hinweg. Doch in jedem Fall muss dieses Thema als große Chance zur Erweiterung der Fahrzeugfunktionalität durch interessante und nützliche Anwendungen – sowohl durch die Hersteller selbst als auch durch Drittanbieter – für den Fahrzeugführer gesehen werden.

In der Anfangszeit der Automobilindustrie lag der Fokus eher darauf, die erforderlichen Stückzahlen zu fertigen. Dies führte zur Produktion der ersten Großserien, wie zum Beispiel des Model T bei Ford, mit der Einführung der Fließbandarbeit. So mussten Eigenbrötler nach und nach der Massenfertigung weichen, in der weniger die individuelle Kreativität als Konformität erforderlich war. Somit waren Regeln, Normen und dann später Industriestandards eine logische Folge.

Durch seine lange Tradition und seine besondere Dynamik bedingt, ist der Automobilbau zu einer extraordinär diversen Industrie geworden, mit Mechanik, Elektronik und Software (und das ist nur eine sehr grobe Unterteilung). Dazu kommen noch betriebswirtschaftliche Aspekte wie Massenproduktion, Logistik, Umweltaspekte, gesellschaftspolitische Erwägungen bis hin zu volkswirtschaftlichen Herausforderungen, aber auch die relevante Grundforschung und Entwicklung.

Die Fähigkeit, auf Veränderungen im Umfeld der Automobilindustrie zu reagieren – oder noch besser: proaktiv zu agieren –, entscheidet über Erfolg oder Scheitern einer neuen Fahrzeugplattform. Vorbei sind die Zeiten, in denen man sich vier bis fünf Jahre Zeit lassen konnte. Die neue Konkurrenz – sei es Tesla oder chinesische Hersteller wie BYD – legt ein enormes Tempo vor. Zugleich besteht im traditionellen Fahrzeuggeschäft eine schwache Korrelation zwischen der herkömmlichen Entwicklungsprozessqualität und der Produktqualität. Oftmals werden sehr komplexe Prozesse entwickelt und es besteht die Meinung, dass jeder mit einem sehr detaillierten Prozess zum kreativen und hochqualitativen Entwickler wird. Traditionelle Modelle wie ASPICE werden in übertriebenem Maße angewandt und erscheinen oft zu komplex und aufgebläht. Die Zeit drängt, und Effizienz im Prozessmanagementbereich wird dringend erforderlich.

Unsere Industrie befindet sich an einem Scheideweg zwischen Tradition und einem mutigen Sprung in die Zukunft. Traditionelle Fahrzeughersteller sehen sich mit neuer, globaler Konkurrenz, gewandelter Geopolitik und neuen Technologien konfrontiert. In Deutschland schien die Diesel-Strategie einst eine sichere Wette zu sein. Die Elektrifizierung zwingt jedoch nun zu einem noch nie dagewesenen Strategiewechsel. In diesem Kapitel diskutieren wir die Schlüsselaspekte der neuen automobilen Geschäftsstrategien. Wir werden uns dabei hauptsächlich auf die deutschen OEMs konzentrieren. Neben einer Übersicht über die Aktivitäten der einzelnen OEMs werden wir eine vereinfachte SWOT-Analyse durchführen (Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threats (Bedrohungen)) [RM–077] – eine Methodik, die wir bereits im Kap. 5 im Bereich des Projektmanagements verwendet haben.

Die Riesen, auf deren Schultern wir hoffnungsfroh in die Zukunft blicken können, sind talentierte, passionierte Ingenieure, die ihre Profession bewusst gewählt haben, um die Zukunft der Mobilität zu gestalten. Diese brillanten Menschen benötigen keine fortwährenden Motivationsspritzen – sie sind bereits motiviert. Wahre Motivation ist intrinsisch und entspringt der humanistischen Vision, anderen helfen zu können und dafür vielleicht manchmal gelobt zu werden.