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Open Access 2020 | OriginalPaper | Chapter

11. Das Potenzial von Smart Contracts an einem Beispiel aus der Finanzbranche – Smart Rating

Authors : Vincent Furrer, Klaus-Georg Deck

Published in: Digitale Transformation und Unternehmensführung

Publisher: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Dieser Beitrag stellt die Grundsätze von auf Smart Contracts und der Blockchain-Technologie basierenden Rating-Verfahren zur Bonitätsbewertung vor. Es werden die technologischen Grundlagen von Blockchain und Smart Contracts erläutert und diskutiert, inwieweit die Finanzbranche im Bereich des Ratings von dieser Technologie profitieren kann. Zunächst werden die Probleme traditioneller Ratingverfahren und deren Akteure thematisiert und anschließend Lösungsansätze aufgezeigt, um diese zu überwinden. Damit zeigt dieser außerhalb der traditionellen Bankdienstleistungen befindliche Anwendungsfall, dass mit der Blockchain-Technologie neue Potenziale für Geschäftsmodelle entstehen, die etablierte Prozesse grundlegend verändern und damit ein weiteres Mosaik zur Disruption der Finanzbranche darstellen können.

11.1 Einleitung

Die hohen Kursschwankungen der Kryptowährungen sind unverkennbar. Sie können als Symptom für eine indifferente und uneinheitliche Bewertung der zugrunde liegenden Blockchain-Technologie gewertet werden. Einige sehen in ihr ein außerordentlich hohes Innovationspotenzial, insbesondere bei der schnelleren Abwicklung von Prozessen bei gleichzeitig tiefen Transaktionskosten, andere dagegen warnen vor schwer kalkulierbaren Risiken und grundsätzlich vor zu hohen Erwartungen.
Ein sehr großes Potenzial wird in den sogenannten Smart Contracts gesehen (Jakob et al. 2018, S. 1). Diese „intelligenten Verträge“ werden auf einer Blockchain definiert und garantieren die Einhaltung ihrer Bedingungen sowie die Ausführung der hinterlegten Konsequenzen als Folgeprozesse. Aufgrund der automatisierten Verarbeitung werden Transaktionskosten reduziert und gleichzeitig die Vertragssicherheit erhöht. Auf der anderen Seite sind die Vertragsteilnehmer den in einer Software codierten Bedingungen ausgeliefert. Hier besteht die Gefahr einer technisch fehlerhaften Programmierung, aber auch, dass die Vertragsbedingungen nicht den Erwartungen der Beteiligten entsprechen.
Auf Smart Contracts basierende Anwendungsszenarien existieren mittlerweile für so gut wie alle Branchen, insbesondere in der Industrie, der Logistik und der Finanzbranche. Unternehmen schließen sich zu Konsortien zusammen, um auf eigenen Blockchain-Plattformen bestehende Prozesse abzubilden und neue vielversprechende Geschäftsmodelle zu etablieren.
Anhand eines auf Smart Contracts und der Blockchain-Technologie basierenden Rating-Verfahrens zur Bonitätsbewertung soll das Potenzial dieser Technologie veranschaulicht und auf die sich stellenden Herausforderungen aufmerksam gemacht werden. Es wird eine dezentrale autonome Organisation entwickelt, welche mithilfe von Smart Contracts ein automatisiertes Emittenten-Rating für ein multinationales Unternehmen generiert. Das dargestellte Verfahren beseitigt das mit dem Paradigma „der Emittent bezahlt“ bezeichnete Grundproblem des traditionellen Geschäftsmodells großer Rating-Agenturen, und damit auch die damit verbundenen Implikationen. Zudem zeigt sich an diesem Beispiel, wie in Zukunft ähnliche Geschäftsmodelle und Geschäftsprozesse gestaltet und implementiert werden können.
Im nächsten Kapitel werden die technologischen und begrifflichen Grundlagen zu Blockchain und Smart Contracts dargestellt und anschließend die traditionellen Ratingprozesse in der Finanzbranche sowie deren Bedeutung für die Wirtschaft und die Probleme dieses Geschäftsmodells beschrieben. Im Hauptteil wird das Smart-Rating-Szenario entwickelt und erläutert, wie eine dezentrale autonome Organisation mit verschiedenen Netzwerkteilnehmern strukturiert sein könnte und welche Rahmenbedingungen erfüllt sein müssen, um einen solchen Rating-Prozess zu realisieren. Abschließend folgen das Fazit und ein Ausblick in mögliche Szenarien von blockchain- und smart-contract-basierten Anwendungen im Finanzumfeld.

11.2 Technologische Grundlagen

In diesem Kapitel werden die technologischen Grundlagen dargestellt und einige Fachbegriffe expliziert, soweit sie zum Verständnis von smart-contract-basierten Szenarien benötigt werden.

11.2.1 Blockchain-Technologie

Bei einer Blockchain handelt es sich um eine dezentrale, verteilte Datenbank innerhalb eines Peer-to-Peer-Netzwerks, die von vielen gleichberechtigt genutzt werden kann. Informationen über mehrere Transaktionen werden in Einheiten (Blöcken) zusammengefasst, die unter anderem einen kryptografischen Schlüssel über die Daten des aktuellen Blocks und des Schlüssels des Vorgängerblocks enthalten. Da also jede Information eines Blocks über den Schlüssel in den nachfolgenden Block eingeht, entsteht dadurch eine unveränderliche, manipulationssichere Kette von Informationsblöcken (Blockchain). Sollte jemand eine Transaktion verändern wollen, müssten mit dem Block, der diese Transaktionsinformation enthält, alle Nachfolgerblöcke angepasst werden, was wegen der redundant im Netzwerk verteilten Information so gut wie unmöglich ist.
Eine Blockchain garantiert sowohl die Authentizität der Benutzer als auch die Unveränderbarkeit der Daten. Im Gegensatz zu klassischen Systemen (etwa einem Datenbank-System oder einem ERP-System) gibt es keine zentrale Instanz, die diese Eigenschaften als Intermediär sicherstellt, sondern die Teilnehmer der Blockchain agieren gleichzeitig als deren Betreiber. Die Übereinstimmung innerhalb des Netzwerkes und damit das Vertrauen unter den Teilnehmenden wird durch einen für jede einzelne Blockchain fest integrierten Konsensmechanismus festgestellt (Jakob et al. 2018, S. 2 ff.).
Je nach intendiertem Anwendungsszenario wird zwischen öffentlichen und privaten Blockchains unterschieden. Öffentliche Blockchains bilden häufig die technologische Basis für Kryptowährungen und sind grundsätzlich für jeden offen. Das unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto (Nakamoto 2008) als Reaktion auf die Bankenkrise veröffentlichte Dokument „Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System“ und die kurze Zeit später bereitgestellte öffentliche Bitcoin-Implementierung gelten als Ursprung aller Kryptowährungen und der Blockchain-Ideologie überhaupt.
Private Blockchains dagegen werden primär im unternehmerischen und industriellen Bereich verwendet, wobei der Kreis der Teilnehmenden von vornherein auf die am jeweiligen Geschäftsszenario beteiligten Akteure beschränkt wird. Typische Anwendungsfelder sind im Supply Chain Management genauso zu finden wie in der Versicherungsbranche oder im Kreditgeschäft.

11.2.2 Smart Contracts

Unter Smart Contracts versteht man in Software realisierte, ausführbare Programme oder Module, welche die Logik vertraglicher Bedingungen in einer Wenn-Dann-Struktur technisch realisieren und beim Eintreten der relevanten Ereignisse definierte Aktivitäten automatisiert auslösen.
Nick Szabos Beispiel eines Getränkeautomaten, der bei hinreichendem Geldbetrag die Wasserflasche unwiderruflich bereitstellt und einen eventuellen Restbetrag automatisiert ausbezahlt, verdeutlicht plakativ die Funktionsweise eines solchen Smart Contract (vgl. Diedrich 2016, S. 166; Jakob et al. 2018, S. 4). Denkbar sind aber auch umfassendere Szenarien, etwa in der Versicherungsbranche, wenn sich ein Kfz-Versicherungsnehmer einer vordefinierten Abhängigkeit zwischen Versicherungsprämie und Nutzungsdaten (Nutzungsdauer und Kilometerleistung) unterwirft. Einem in dieser Weise realisierten Smart Contract würden die erforderlichen Informationen über eine Schnittstelle verfügbar gemacht und die dynamisch ermittelte Prämie würde zwischen den Konten der Beteiligten automatisch verbucht, im Idealfall als Payment-Service innerhalb der gleichen Blockchain.
Werden Smart Contracts innerhalb einer Blockchain realisiert, entfällt auch die Rolle des Intermediärs (z. B. Banken, Notare), da das Vertrauen auf den Sicherheits- und Konsensmechanismen der Blockchain-Technologie basiert. Aufgrund der Automatisierung und der Reduktion des Verwaltungs- und Bearbeitungsaufwandes führt dies zu deutlich schnelleren Ausführungszeiten und kostengünstigeren Transaktionen. Notwendige Voraussetzung sind jedoch die digitale Repräsentierbarkeit der beteiligten Ereignisse sowie die Verfügbarkeit der entsprechenden Daten über Schnittstellen (Jakob et al. 2018, S. 6).

11.2.3 Blockchain Oracle

Smart Contracts sind vielfach auf Informationen über die reale Welt angewiesen, etwa über die Wettersituation bei Schadenereignissen, über Zugausfälle und Flugverspätungen, bis hin zu Marktdaten und Informationen über die Finanzwelt. Da eine Blockchain ein in sich geschlossenes System bildet und somit kein direkter Zugriff aus ihr auf externe Daten möglich ist, werden diese durch sogenannte Oracles verfügbar gemacht. Ziel und Aufgabe eines Oracles ist einerseits die Datenbeschaffung, -bewertung und -aggregation sowie deren Bereitstellung für eine Blockchain unter Wahrung von Datensicherheit und Datenauthentizität (Diedrich 2016, S. 187).

11.2.4 Dezentralisierte Automatische Organisation – DAO

Eine dezentralisierte autonome Organisation (DAO) ist eine selbstgesteuerte Organisation, die auf der Blockchain-Technologie und Smart Contracts beruht. Die Organisation wird durch die vorprogrammierten Regeln und Bedingungen der Smart Contracts gesteuert und bestimmt. Aktivitäten einer DAO können nicht gestoppt werden und es ist schwierig, eine bereits implementierte Funktionalität zu ändern. Ein bekanntes Beispiel einer selbstgesteuerten Organisation ist „The DAO“, welche auf der Ethereum-Blockchain beruht. An diesem Projekt zeigten sich eindrucksvoll die Schwachstellen eines DAO, indem Angreifer in kleinen Einheiten Beträge (der Kryptowährung Ether) entnommen haben. Auch wenn dies nicht unbeobachtet geschah, konnte niemand etwas dagegen tun; der Angreifer hatte sich einen Programmierfehler zunutze gemacht, welcher es ihm erlaubte, diese Beträge gemäß den formal – wenn auch nicht semantisch – korrekten – Regeln des DAO abzuziehen (Hertig 2018).

11.2.5 Dezentralisierte Applikation – DApp

Bei einer dezentralisierten Applikation (DApp) handelt es sich um eine verteilte Open-Source-Anwendung, die weder von einem Einzelnen entwickelt noch betrieben wird. Sie basiert auf einer Blockchain, über die verschlüsselte Token erzeugt und angeboten werden. Damit spiegeln DApps das Blockchain-Paradigma eines verteilten, dezentralen Systems ohne Intermediär wider (Diedrich 2016, S. 164 f.). DApps gelten als sehr vertrauenswürdig, da ihr Coding als Open-Source-Software in der Blockchain sicher verwahrt wird.

11.2.6 Initial Coin Offerings – ICO

Initial Coin Offering (ICO) stellt eine Methode der Kapitalaufnahme dar, mit der typischerweise Start-Ups oder Projekte im Blockchain-Umfeld finanziert werden. Investoren erhalten im Gegenzug digitale Coins oder Token, die später entweder zur Nutzung der neu entwickelten Softwarelösung verwendet werden können oder an einer digitalen Börse getauscht werden. Der Unterschied zwischen beiden liegt darin, dass Coins auf einer eigenen Blockchain basieren, wogegen sich Token auf eine andere, bereits bestehende Blockchain, beziehen. Im Jahr 2017 brachten 430 ICOs insgesamt 4,6 Mrd. US$ ein und haben sich damit zur beliebtesten Projekt- und Start-up-Finanzierungsmethode im Blockchain-Umfeld entwickelt (Torcasso 2018).

11.3 Rating-Prozesse in der Finanzbranche

Nachfolgend wird die Bedeutung von Ratings für die Wirtschaft erläutert. Ein möglicher Rating-Prozess einer Rating-Agentur wird dargestellt, Rating-Kriterien und die Einordnungen von Ratings in Rating-Klassen werden aufgezeigt. Anschließend erfolgt eine Beschreibung der Problemstellungen des traditionellen Geschäftsmodells von Rating-Agenturen und abschließend wird die Regulierung von Rating-Agenturen erläutert.

11.3.1 Bedeutung für die Wirtschaft

Anfang der 1970er-Jahre, als Kreditrisiken vermehrt wahrgenommen wurden, setzte das internationale Wachstum der drei großen Rating-Agenturen Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch Ratings ein, zudem entstanden seither zahlreiche neue Agenturen (Buschmeier 2011, S. 154 f.).
Ratings sollen einen Indikator für die Kreditwürdigkeit einer Institution darstellen und die Bonität des potenziellen Schuldners sowie das Ausfallrisiko eines Kredits repräsentieren. Ein potenzieller Kreditnehmer mit einem guten Rating wird zu besseren Bedingungen Fremdkapital beziehen können als ein Interessent mit schlechter Bonität. Viele Unternehmen, Institution und Staaten sind daher auf ein gutes Rating anerkannter Rating-Agenturen angewiesen, denn ohne oder mit eher schlechten Ratings werden sie von Kapitalgebern nicht oder kaum beachtet.
Kredit-Ratings werden wie folgt differenziert (vgl. Ott 2011, S. 5):
  • Beurteilungsgegenstand: Emission/Emittent
  • Zeitlicher Bezug: Langfristig/Kurzfristig
  • Währung: Landeswährung/Fremdwährung
  • Beauftragung: Beauftragtes Rating/Public-Information-Rating/Unsolicited Rating

11.3.2 Rating-Prozess

Die detaillierten Rating-Verfahren werden von den Rating-Agenturen als Geschäftsgeheimnis betrachtet und nicht offengelegt. Aus diesem Grund werden nachfolgend nur die Schritte eines beauftragten öffentlich einsehbaren Ratings aufgeführt.
In einer ersten Phase wird das auftraggebende Unternehmen über das anzuwendende Rating-Verfahren informiert. Danach sammeln Analysten aus einem zusammengestellten Team interne und externe Informationen. Die benötigten internen Informationen zu den Finanzen und zur allgemeinen Natur des Unternehmens müssen offengelegt werden. In weiteren Diskussionsrunden mit Unternehmensvertretern werden die Stärken und Schwächen des Unternehmens, die allgemeine Situation der entsprechenden Branche und diverse andere Aspekte thematisiert. Nach weiteren Abklärungen und der abgeschlossenen Informationssammlung erfolgt mithilfe einer branchenspezifischen Rating-Methodik eine Erstanalyse. In einem nächsten Schritt wird der führende Analyst dem Rating-Komitee eine Rating-Empfehlung abgeben. Den Entscheid über das Rating fällt die Mehrheit dieses Komitees. Das auftraggebende Unternehmen wird über den Entschluss des Rating-Komitees informiert und das Rating wird auf der Webseite der jeweiligen Rating-Agentur und in der Finanzpresse publiziert. Unternehmens-Ratings und Wertschriften-Ratings werden danach mindestens alle 12 Monate überprüft, Staats-Ratings alle 6 Monate (vgl. Moody’s 2018).

11.3.3 Rating-Kriterien

Gemäß Six Swiss Exchange (Six Swiss Exchange 2018) wird ein Rating in vier verschiedene Kategorien von Faktoren unterteilt. Dies sind quantitative, qualitative, Erfahrungs- und Umweltfaktoren. Je nach Branche oder Industrie werden andere Faktoren oder Kriterien zusätzlich berücksichtigt. Ebenfalls kann die Gewichtung dieser Faktoren und Kriterien unterschiedlich ausfallen. Buschmeier (2011, S. 150 ff.) führt als Beispiele von quantitativen Faktoren die Eigenkapitalquote, den Cashflow, die Kapitalstruktur, die Liquidität, die Eigenkapitalrendite und weitere auf. Als qualitative Faktoren werden dort unter anderen die Branchenstellung, die Produktstellung, die Marktstellung, das Management, die Strategie, die interne Wertschöpfung, die Planung, die Finanzpolitik genannt. Erfahrungsfaktoren können beispielsweise die Einhaltung von Verträgen, die termingerechte Zahlung von Zinsen oder die Lieferanten- und Kundenbeziehungen beinhalten. Schließlich können Faktoren wie die Branchenentwicklung oder die Standortbestimmung unter den Umweltfaktoren für die Ermittlung eines Ratings mit einbezogen werden.

11.3.4 Rating-Klassen

Die Tab. 11.1 zeigt die Rating-Klassen nach Standard & Poor’s und Moody’s und die Unterteilung dieser Klassen in Investment Grade und Speculative Grade Ratings.
Tab. 11.1
Rating-Klassen. (Eigene Darstellung in Anlehnung an Boerse Stuttgart GmbH 2018)
 
S&P
Moody’s
Klassenbeschreibung
Investment Grade
AAA
Aaa
Sehr gute Bonität
AA+; AA; AA−
Aa1; Aa2; Aa3
Sehr gute bis gute Bonität
A+; A; A−
A1; A2; A3
Gute bis befriedigende Bonität
BBB+; BBB; BBB−
Baa1; Baa2; Baa3
Befriedigende Bonität
Speculative Grade
BB+; BB; BB−
Ba1; Ba2; Ba3
Ausreichende Bonität
B+; B; B−
B1; B2; B3
Mangelhafte Bonität
CCC+; CCC; CCC−
Caa1; Caa2; Caa3
Ungenügende Bonität
D
D
Fehlende Bonität

11.3.5 Probleme des Geschäftsmodells

Fehlerhafte oder unangemessene Ratings können verheerende Folgen haben, wie etwa die Bankrotte von Enron und WorldCom zeigen. Enron ist von den drei großen Rating-Agenturen erst viel zu kurz vor dem Bankrott von einem „Investment Grade“ zu „Speculative Grade“ herabgestuft worden. Vor dem Ausbruch der Finanzkrise sind hypothekarisch gesicherte Wertpapiere zu gut bewertet worden. In diesen Fällen wogen sich viele Anleger aufgrund der zu guten Ratings in einer unangebrachten Sicherheit (Mathis et al. 2009, S. 657 ff.). Im prominenten Fall Lehman Brothers wurde dieses Unternehmen bis zum Tag der Eröffnung des Gläubigerschutzverfahrens hervorragend bewertet (Standard & Poor’s: A, Moody’s: A2, Fitch: A+), obwohl es schon einige Monate zuvor deutliche Anzeichen von Problemen im Unternehmen gab (Wildmoser et al. 2009, S. 660).
Ein weiteres Problem betrifft das Phänomen einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Wird ein Emittent schlecht bewertet, sinkt seine Reputation und es steigt seine Zinslast, was sich negativ auf sein Geschäftsergebnis und damit auf rating-relevante Kennzahlen auswirkt. Gärtner und Griesbach (2012) gehen sogar so weit, dass sie diesen Effekt als zentralen Auslöser der europäischen Schuldenkrise ausmachen.
Nachfolgend werden einige der in der Literatur aufgeführten Problemstellungen zum Geschäftsmodell der Ratingagenturen aufgeführt, die später bei der Ausarbeitung des auf Smart Contracts basierten Rating-Prozesses vermieden werden sollen.
Die Macht der Rating-Agenturen in der Wirtschaft
Das Rating einiger europäischer Staaten wurde in den letzten Jahren herabgestuft. Ein sogenanntes Downgrade impliziert eine gesunkene Kreditwürdigkeit, was dazu führt, dass dem Kreditgeber für das gestiegene Risiko mehr Zinsen bezahlt werden müssen. Ein weiterer Aspekt, welcher die Macht der Rating-Agenturen zu Auge führt, besteht darin, dass etwa Pensionskassen und institutionelle Anleger nur Papiere eines Schuldners mit einem Investmentgrade halten dürfen. Durch ein Downgrade einer Rating-Agentur können zahlreiche Anleger nahezu gleichzeitig gezwungen werden, bestimmte Wertpapiere verkaufen zu müssen, was auf dem Markt zu einem Überangebot führt (NZZ 2016). Es wird eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt, welche nur schwer aufzuhalten ist.
Oligopolistischer Markt
Zurzeit sind lediglich zehn Rating-Agenturen in den USA (SEC 2017) und fünf in der Schweiz national anerkannt (FINMA o. D.). In der EU sind 26 Rating-Agenturen anerkannt (ESMA 2017). Gemessen am Umsatz teilen sich die drei großen Rating-Agenturen, Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch Ratings, einen Marktanteil von 93 % in Europa. In Amerika beträgt der Marktanteil dieser Rating-Agenturen sogar 96 % gemessen an der Anzahl Ratings (SEC 2017).
Interessenskonflikte bei den beauftragten Ratings
Das verbreitetste Geschäftsmodell der Rating-Agenturen, „der Emittent bezahlt“, bringt Interessenskonflikte mit sich. Der Emittent wählt selber die Rating-Agentur aus, von der er geratet werden wird und bezahlt diese für das Rating. Nach White (2010) liegt der Interessenskonflikt bei einer Rating-Agentur darin, dass aus Reputationsgründen der Rating-Agentur ein qualitativ adäquates Rating ermittelt werden soll, aber gleichzeitig der Kunden zufrieden gestellt werden muss, der an einer hohen Bonität interessiert ist.
Asymmetrische Information
Dem Emittenten stehen mehr Informationen über sein Unternehmen zur Verfügung als dem Investor. Die Behebung dieser Informationsasymmetrie wird häufig als Argument gesehen, wieso es überhaupt Ratingagenturen gibt. Nach Rhee (2015) besteht die Aufgabe von Ratingagenturen jedoch weniger in der Beschaffung und Veröffentlichung neuer Informationen als in der Ordnung, Sortierung und Aggregation der großen Menge an bereits öffentlich zugänglichen Daten. Wenn Emittenten gegenüber der Rating-Agentur interne Informationen offen legen, dann – aus verständlichen Gründen – besonders solche, die zu einer guten Bewertung führen. Daher ist davon auszugehen, dass durch diese Bewertungspraxis die Informationsasymmetrie nicht beseitigt wird.
Reine Meinungsäußerung
Die Rating-Vergabe gilt als reine Meinungsäußerung. Alle drei großen Rating-Agenturen, Moody’s (2018), Standard und Poor’s (2018) und Fitch Ratings (2018) bekräftigen das auf ihren Webseiten. Aus diesem Grund müssen Rating-Agenturen nur bei extremen Fällen für fehlerhafte Ratings haften (Buschmeier 2011, S. 174). Nach Däubler (2012, S. 18) hat ein positives Rating auch für die US-Gerichtsbarkeit keine größere Bedeutung als die Würdigung einer Stadt oder Region in einem Reiseführer.
Mangelnde Transparenz
Die großen drei Rating-Agenturen haben keine detaillierten Angaben über ihre Rating-Prozesse veröffentlicht. Daher ist der Öffentlichkeit nicht bekannt, mithilfe welcher Methoden ein Rating zustande kommt. So verursachte etwa eine Herabstufung von Thyssen-Krupp durch Standard & Poor’s aufgrund einer nicht nachvollziehbaren Neubewertung von Pensionsverpflichtungen zusätzliche Zinskosten für das Unternehmen in Höhe von 30 Mio. EUR pro Jahr (Däubler 2012, S. 19).

11.3.6 Aufsicht und Regulierung

In diesem Abschnitt werden einige ausgewählte Regulatoren genannt und die wichtigsten Regelwerke für die Regulierung von Ratingagenturen vorgestellt. Dabei soll dargestellt werden, dass weltweit tätige Ratingagenturen mit unterschiedlichen Regulatoren und Regelwerken konfrontiert sind.
Bei der eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA 2018) und der U. S. Securities and Exchange Commission (SEC 2018) handelt es sich um nationale Aufsichtsbehörden, die Wertpapier- und Marktaufsichtbehörde (ESMA 2018) ist die Aufsichtsbehörde der EU. Die Anerkennung durch die jeweilige Aufsichtsbehörde ist für eine Rating-Agentur wichtig, denn Ratings von anerkannten Rating-Agenturen werden oft für regulatorische Zwecke verwendet (Buschmeier 2011, S. 181).
Der Verhaltenskodex der IOSCO (2015) stellt ein internationales Regelwerk und einen Leitfaden für die Rating-Agenturen dar, wobei es sich um einen freiwilligen Rahmen handelt und keine automatischen Sanktionen zu befürchten sind, sollte sich eine Rating-Agentur nicht daran halten (Buschmeier 2011, S. 183). Bei den Grundsätzen des Verhaltenskodex handelt es sich um folgende Aspekte:
  • Qualität und Integrität des Kreditrating-Prozesses
  • Unabhängigkeit und Freiheit von Interessenskonflikten
  • Transparenz und Offenlegung betreffend die Rating-Aktivität
  • Vertrauliche Behandlung der zur Verfügung gestellten Informationen
Das Financial Stability Board (FSB 2018), eingerichtet von den G20-Staaten, ist eine internationale Organisation, welche das globale Finanzsystem überwacht und Empfehlungen abgibt.
Die Regelwerke Basel II und III des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht (BIS 2018) sind ebenfalls relevant für Rating-Agenturen. Bei Basel II werden unter anderem die externen Ratings von Rating-Agenturen für die Bestimmung der Kreditrisiken berücksichtigt. Bei Basel III wird unter anderem festgehalten, dass man sich weniger auf externe Ratings abstützen will.

11.4 Smart Rating

11.4.1 Einführung

Bei Smart Rating handelt es sich um eine DAO, welche ein stark automatisiertes Rating-Verfahren ermöglicht. Es handelt sich um ein beauftragtes Emittenten-Rating für multinationale Unternehmen. Bei der Erläuterung des Beispiels wird das Potenzial von Smart Contracts und deren Rolle in diesem Anwendungsfall in den Vordergrund gestellt. Zudem wird auf die Ausgestaltung eines möglichen Netzwerkes Bezug genommen. Das erarbeitete Beispiel basiert auf einer tiefgreifenden Literaturrecherche und Gesprächen mit potenziellen Anspruchsgruppen. Einige Inputs aus den Gesprächen sind in das Beispiel eingeflossen, manch andere konnten dagegen nicht berücksichtigt werden. Bei der Ausgestaltung von Smart Rating sind verschiedenen Gruppen von Netzwerkteilnehmern und äußere Rahmenbedingungen definiert worden. Zudem wurde ein mögliches Anreizsystem beschrieben. Schließlich werden die Vorteile von Smart Rating gegenüber einem klassischen Emittenten-Rating aufgeführt sowie die Herausforderungen, welche sich bei einer Umsetzung ergeben würden.

11.4.2 Netzwerkteilnehmer

Nachfolgend werden die verschiedenen Gruppen von Netzwerkteilnehmern vorgestellt.
Experten
Eine Gruppe von Branchen- und Rating-Experten wird nach vordefinierten Kriterien ausgewählt und mit der Erarbeitung der Rating-Vorlage beauftragt. Diese natürlichen Personen bestimmen, welche quantitativen Kennzahlen, qualitative Kriterien, Erfahrungswerte oder Umweltfaktoren für ein Rating berücksichtigt und wie diese gewichtet werden sollen. Sie werden für die Mitarbeit entlohnt und können ein Rating gegen Bezahlung abonnieren.
Rater
Rater, natürliche Personen mit Branchenkenntnissen, werden nach vordefinierten Kriterien für die Beurteilung der qualitativen Faktoren ausgewählt. Die Netzwerkreputation eines Raters entscheidet über die Gewichtung einer Beurteilung und die Entschädigung für eine Abgabe einer Beurteilung. Diese Gruppe kann zudem Ratings entgeltlich abonnieren.
Emittent
Der Emittent ist eine juristische Person und der Auftraggeber eines Ratings. Bei der Auftragsabgabe, muss er die für das Rating relevanten Unternehmensdaten über seine blockchain-basierte digitale Unternehmens-ID freigeben und einen bestimmten Betrag an Rating-Coins hinterlegen. Nachdem ein Rating-Prozess durchgeführt werden konnte, wird das in Auftrag gegebene Rating automatisch dem Emittenten zugeordnet.
Reine Abonnenten
Die reinen Abonnenten abonnieren – wie der Name schon sagt – lediglich die Ratings. Sie sind natürliche oder juristische Personen, in der Regel private oder institutionelle Anleger

11.4.3 Rahmenbedingungen

In diesem Abschnitt werden die Rahmenbedingungen für eine mögliche Realisierung von Smart Rating festgelegt.
Smart Rating DApp
Die DApp ist die Schnittstelle zwischen den Netzwerkteilnehmern und dem Smart Rating DAO. Sie greift automatisch auf die notwendigen Informationen der Netzwerkteilnehmer zu, insbesondere auf Bilanzen, Erfolgsrechnungen, Geldflussrechnungen, Zahlungsverläufe, Umweltfaktoren, digitale Lebensläufe etc. Zudem können die Netzwerkteilnehmer über neue Aufträge und Änderungen bei abonnierten Ratings informiert werden. Um mit dem Smart-Rating-DAO interagieren zu können, muss jeder Netzwerkteilnehmer die DApp herunterladen.
Blockchain-basierte digitale Identität
Für die Erarbeitung von Smart Rating ist die blockchain-basierte digitale ID aus zwei Gründen essenziell. Zum einen muss jeder Emittent, der geratet werden soll, eine Unternehmens-ID hinterlegen, der die relevanten unternehmensspezifischen Kennzahlen (Bilanzen, Erfolgsrechnungen, Geldflussrechnungen etc.) hinzugefügt werden. Damit die Korrektheit dieser Finanzzahlen gewährleistet ist, muss eine anerkannte Institution, wie beispielsweise eine Revisionsstelle, dies mit ihrer digitalen Signatur bestätigen. Der zweite Grund liegt darin, dass mithilfe der blockchain-basierten digitalen ID passende Experten und Rater für ein Emittenten-Rating ermittelt werden können.
Oracle
Die Informationen zu den definierten Umweltfaktoren werden über geeignete Oracles gewonnen. Ein solches Oracle könnte beispielsweise Informationen über einen bestimmten Branchenindex beinhalten oder über die konjunkturelle Lage oder die Inflationsrate eines Landes.
ICO
Das Smart-Rating-DAO soll mithilfe eines ICO finanziert werden. Ein Teil der Rating-Coins würde im Rahmen des ICO öffentlich verteilt und ein anderer Teil würde dem DAO zugeschrieben werden. Die nötigen Werbeausgaben, um eine kritische Masse zu erreichen, sowie die Löhne der Programmierer, welche die Codes des Smart Rating-DAO schreiben, werden damit beglichen. Zudem benötigt der Emittent Rating-Coins, um einen Rating-Auftrag aufzugeben. Rater und Experten benötigen Rating-Coins, damit sie von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen können und eine Beurteilung zu den qualitativen Kriterien abgeben können.

11.4.4 Rating-Prozess

Die Abb. 11.1 und 11.2 stellen den Ratingprozess eines in Auftrag gegebenen Emittenten-Rating für ein multinationales Unternehmen dar.
Aktualisierungsprozess
Um die Aktualität eines Ratings sicherzustellen, ist das Verfahren regelmäßig, im Idealfall täglich, durchzuführen. Die Aktualisierung der quantitativen Faktoren sowie der Erfahrungsfaktoren erfolgt über die blockchain-basierte digitale Unternehmens-ID. Die Aktualisierung der Umweltfaktoren erfolgt ebenfalls täglich mithilfe branchenspezifischer Oracles. In einer späteren Ausbaustufe des Prozesses wäre auch eine automatisierte, ereignisgesteuerte Aktualisierung über digitale Agenten denkbar. Bei den qualitativen Faktoren kommt es in größeren Zeitperioden (etwa halbjährlich) zu einer Neubewertung. Indem die quantitativen sowie die Erfahrungs- und Umweltfaktoren täglich aktualisiert werden, verfügt ein Investor bereits früh über Indikatoren bezüglich einer möglichen Veränderung des Ratings.

11.4.5 Anreizsystem

Smart Rating benötigt ein Anreizsystem, bestehend aus einem Reputationssystem und einem Vergütungssystem, damit genügend Experten für die Erarbeitung einer Vorlage zur Verfügung stehen und genügend Rater bei der Bewertung der qualitativen Faktoren eines Emittenten teilnehmen.
Die Höhe der Vergütung ist abhängig vom Arbeitsaufwand und von der Netzwerkreputation. Zudem sind die Treiber der Netzwerkreputation bei der Vergütung relevant. Die Experten werden für die Erstellung einer Vorlage und für die Abstimmungsteilnahmen vergütet und die Rater für die Bewertungs- sowie für die Abstimmungsteilnahmen. Bei der Vergütung der Rater könnte die Anwendung einer Bonus-Malus-Regelung (Sicking 2011) sinnvoll sein, um absichtliche Fehlbewertungen zu vermeiden. Die Rater werden im Normalfall für ihre Bewertungsteilnahme belohnt. Erkennt Smart Rating allerdings, dass mehrere Bewertungen eines Raters stark von der Median-Bewertung abweichen, so wird dieser dafür bestraft. In diesem Fall wird ihm ein Teil oder der Gesamtbetrag seiner zuvor hinterlegten Rating-Coins abgezogen und er erhält keine Vergütung für die Bewertungsteilnahme.
Die Reputation eines Raters oder eines Experten misst den Einfluss, den ein Teilnehmer bei einer Abstimmung hat und weist auf die Aktivität im Netzwerk und die Qualität seiner Arbeit hin.
Veränderung der Netzwerkreputation des Experten
Die Netzwerkreputation des Experten steigt nach der Erstellung einer qualitativ guten Vorlage und mit der Teilnahme an Abstimmungen zur Freigabe von Vorlagen, an denen der Experte nicht gearbeitet hat. Die Reputation sinkt, falls der Experte über längere Zeit inaktiv ist.
Veränderung der Netzwerkreputation des Raters
Die Netzwerkreputation des Raters steigt mit der Teilnahme an Abstimmungen zur Freigabe von Vorlagen und mit einer genauen Bewertung der qualitativen Faktoren eines Emittenten-Ratings. Die Reputation sinkt, wenn die Bewertung der qualitativen Faktoren bei mehreren Punkten stark vom Median abweicht. Zudem sinkt die Reputation, wenn der Rater über längere Zeit inaktiv ist.

11.4.6 Vorteile gegenüber dem klassischen Rating-Verfahren

Das Rating-Verfahren von Smart Rating ist transparenter. Es ist klar, nach welchen Kriterien und mit welcher Gewichtung ein Rating zustande gekommen ist. Zudem stellt die tägliche Aktualisierung einzelner Faktoren des Ratings einen Vorteil dar, indem bereits früh Tendenzen sichtbar werden.
Der Interessenskonflikt beim Geschäftsmodell „der Emittent bezahlt“ wird mithilfe der Blockchain-Technologie und den Smart Contracts gelöst. Aufgrund der Tatsache, dass sich der Emittent niemals mit dem Experten oder den Ratern direkt trifft, wird eine Distanz zwischen dem Auftraggeber eines Ratings und den restlichen Netzwerkteilnehmern geschaffen. Zudem fließen viele Daten (quantitative, Erfahrungs- und Umweltdaten) automatisch in das Rating ein.
Ein Rating würde bei Smart Rating ebenfalls nur eine reine Meinungsäußerung darstellen. Da jedoch die Meinung vieler Teilnehmer berücksichtigt wird, ist anzunehmen, dass eine solches Rating ausgewogener ist als das eines einzelnen Akteurs.
Da die am Rating-Prozess und an dessen Ergebnis Beteiligten nicht direkt vom Emittenten bezahlt werden, entschärft dies deutlich die oben genannten Interessenskonflikte, was zu einer Objektivierung des Ratings beiträgt.
Das Problem der asymmetrischen Informationsverteilung könnte von Smart Rating zumindest teilweise gelöst werden. Unternehmensinterne für die Öffentlichkeit kritische Informationen könnten einem standardisierten und automatisierten Rating-Prozess verfügbar gemacht werden, ohne dass diese Daten direkt veröffentlicht werden müssten. Deren Korrektheit kann zwar nicht hundertprozentig garantiert werden, es wäre jedoch denkbar, diese etwa durch Vergleich zu anderen Kennzahlen (Bilanz, Umsatz etc.) automatisiert auf Plausibilität zu prüfen.
Die Beschaffung und Verarbeitung der Daten würde einen großen Vorteil zur heutigen Situation darstellen, da diese zum Großteil automatisiert stattfinden könnte. Damit sinkt nicht nur der Aufwand für einen Rating-Prozess, sondern es steigt auch die Qualität. Übertragungsfehler werden minimiert und die Homogenität der Daten über verschiedene Rating-Prozesse hinweg ist gewährleistet.

11.4.7 Herausforderungen

Damit ein Smart-Rating-DAO überhaupt funktionieren kann, müssen zunächst noch einige Hürden überwunden werden. Auf der technologischen Ebene sind weder die Blockchain-Technologie noch die Smart Contracts vollständig ausgereift. Viele Blockchains haben Probleme mit der Skalierbarkeit und können nur wenige Transaktionen pro Sekunden ausführen. Bei einem komplexen Smart Contract wie bei Smart Rating hat dies eine deutlich längere Ausführungszeit zur Folge. Ein weiterer Punkt sind die Kosten. Jede Ausführung einer Funktion eines Smart Contracts löst eine eigene Transaktion auf der Blockchain aus, was bei einer automatischen Organisation des kompletten Smart-Rating-DAO zu vielen Transaktionen und entsprechenden Kosten führt. Nicht zu vernachlässigen sind die softwaretechnischen Herausforderungen, die bei der Entwicklung und Implementierung einer hoch komplexen DAO entstehen. In diesem Bereich sind – im Gegensatz zu etablierten Szenarien wie etwa in der Software-Entwicklung von ERP-Systemen – wenig Erfahrungen vorhanden, auf die man sich stützen könnte.
Außerdem muss berücksichtigt werden, dass es Herausforderungen gibt, welche nichts mit der Technologie zu tun haben. Die Ausgestaltung des Anreizsystems wird als einer der kritischen Erfolgsfaktoren von Smart Rating erachtet. Damit Smart Rating die aufgeführten Vorteile gegenüber einem klassischen Rating erreichen kann, muss eine kritische Masse an Personen und Unternehmen für das Projekt begeistert werden. Netzwerkteilnehmer müssen in einem genügenden Maße für eine gute und ehrliche Arbeit entlohnt werden.
Ebenso wichtig wird es sein, die Regulatoren von diesem Beispiel überzeugen zu können. Viele der potenziellen Abonnenten sind darauf angewiesen, dass ihre Ratings von einer anerkannten Rating-Agentur stammen. Daher hängt die Akzeptanz von Smart Rating bei den Investoren stark davon ab, ob es von den globalen Regulatoren anerkannt wird. Bei einer internationalen Ausrichtung von Smart Rating würde man mit den drei großen Rating-Agenturen Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch Ratings konkurrieren. Daher müsste sich Smart Rating als eine günstigere, bessere und anerkannte Lösung etablieren. Bei einer internationalen Ausrichtung müssten zudem die quantitativen Daten der verschiedenen Buchführungsgrundsätze in eine einheitliche Form gebracht werden.

11.5 Fazit und Ausblick

Mithilfe des ausgearbeiteten Smart-Rating-Beispiels konnte dargelegt werden, dass zukünftig ganze Geschäftsmodelle und Organisationen auf Smart Contracts basieren könnten. Sowohl die Vorteile eines dezentralen und automatisierten Emittenten-Ratings gegenüber einem klassischen Rating sind aufgezeigt worden als auch die Grenzen der Smart Contracts und die Herausforderungen, welche Smart Rating zu bewältigen hat.
Die Erarbeitung des Beispiels erwies sich als eher schwierig, weil zwei komplexe Themen, Smart Contracts und Rating-Agenturen, kombiniert worden sind. Da es vor allem darum ging, das Potenzial von Smart Contracts aufzuzeigen, konnte nicht auf alle Details eingegangen werden. Unter Berücksichtigung vieler Aspekte, wie der blockchain-basierten digitalen ID, der Smart Rating DApp und der automatischen Generierung eines Ratings, konnte klar aufgezeigt werden, dass Smart Contracts in diversen Bereichen eingesetzt werden können.
Abschließend ist es wichtig, Smart Rating realistisch einzuordnen. Ein solcher Rating-Prozess könnte in der Tat zur Steigerung der Transparenz, zur Verringerung von Interessenskonflikten und zur Abstützung auf die Meinung einer breiteren Personengruppe beitragen. Es ist allerdings zu beachten, dass bislang noch kein annähernd komplexes Szenario realisiert wurde. Gründe dafür sind die Skalierbarkeit, die Latenzzeiten und die zurzeit noch hohen Transaktionskosten. Zudem muss erwähnt werden, dass man von einer Anerkennung durch die Regulatoren noch weit entfernt ist. Weiter werden sich DAOs, welche auf der Blockchain-Technologie beruhen, zunächst einmal in anderen Branchen beweisen müssen, bevor eine DAO in der stark regulierten Finanzbranche anerkannt wird. Schließlich wird es nicht einfach sein, die marktbeherrschende Position der etablierten Rating-Agenturen zu durchbrechen, zumal diese selbst das geringste Interesse haben, das aus ihrer Sicht gut funktionierende Geschäftsmodell aufzugeben.
Die Entwicklung der Blockchain-Technologie und der Smart Contracts wird weiterhin interessant zu beobachten sein. Die Unternehmen und Communities, welche sich zum Ziel gesetzt haben, Geschäftsprozesse und Geschäftsmodelle digitaler und effizienter zu gestalten, eine lückenlose Nachverfolgbarkeit von Verträgen zu gewährleisten und Mittelsmänner zu eliminieren, werden diese Technologie stetig weiterentwickeln. Vielleicht wird es einige der heute etablierten Unternehmen in naher Zukunft nicht mehr geben. Möglicherweise wird der Kern der Organisationen der Zukunft aus Programmcode bestehen und Geschäftsprozesse werden mithilfe definierter Regeln gesteuert und automatisiert ausgeführt.
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Metadata
Title
Das Potenzial von Smart Contracts an einem Beispiel aus der Finanzbranche – Smart Rating
Authors
Vincent Furrer
Klaus-Georg Deck
Copyright Year
2020
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-26960-9_11