2018 | OriginalPaper | Chapter
„Denn Armut ist ein großer Glanz aus Innen …“
Armut und Kunst
Author : Rainer Homann
Published in: Handbuch Armut und soziale Ausgrenzung
Publisher: Springer Fachmedien Wiesbaden
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Ein Armut präsentierendes Kunstwerk lässt sich beschreiben als künstlerisch gestaltete, sinnlich erfahrbare Objektivierung von Vorstellungen über das faktische Phänomen Armut. Dessen Rezeption findet gemeinhin im Rahmen der Kategorien des Ge- bzw. Missfallens statt. Die Analyse, wie der Künstler mit seinem Gegenstand verfahren ist, wie er also Armut in einen Kunstgegenstand transformiert, steht weniger im Mittelpunkt der Kunstbetrachtung. Im Kunstwerk schlagen sich Ansichten der Künstler über die Armut nieder, die als sinnliche Erscheinungen mehr dem Gefühl und weniger der Urteilskraft des Rezipienten anheimgestellt sind. Dass sich dessen gefühltes Gefallen wiederum nicht urteilslos auf das Kunstwerk bezieht, sondern im Kunstwerk existente Urteile als die seinen wieder- oder auch anerkennt, soll samt einer kurzen Darstellung von Struktur und Inhalt eben dieser Urteile aufgezeigt werden. Dabei werden Beispiele aus verschiedenen Kunstformen hinzugezogen, denn es kann hier nicht um eine stringente ‚Kunstgeschichte der Armutsdarstellungen‘ gehen, sondern darum, einige Grundzüge der künstlerischen Beschäftigung mit Armut aufzuzeigen. Dass Künstler reale Armut in einen ästhetischen Gegenstand transformieren, beweist die eines ästhetizistischen Zynismus eigentlich unverdächtige Käthe Kollwitz (1867–1945), wenn sie schreibt: „Daß eigentliche Motiv aber, warum ich von jetzt an zur Darstellung fast nur das Arbeiterleben wählte, war, weil die aus dieser Sphäre gewählten Motive mir einfach und bedingungslos das gaben, was ich als schön empfand.“ (Kollwitz 1983, S. 268) Und fortfahrend nennt sie auch Kriterien dafür, was ihr gefi el: „Ohne jeden Reiz waren mir Menschen aus dem bürgerlichen Leben. Das ganze bürgerliche Leben schien mir pedantisch. Dagegen einen großen Wurf hatte das Proletariat.“ (ebd.)Der ästhetische „Reiz“ besteht offensichtlich in der schlichten Unterschiedenheit des proletarischen vom bürgerlichen Leben. Käthe Kollwitz scheint in der Armut, mit der sie sich künstlerisch befasste, etwas ‚Bedeutendes‘ zu entdecken, das sie in der wohlgeordneten Belanglosigkeit des Bürgerlebens vermisste.