Zusammenfassung
Wenn Jean Baudrillard (1976, S. 28) in einem seiner frühen Essays über Watergate und damit über das Beispiel eines modernen politischen Skandals gleichermaßen beiläufig wie selbstverständlich behauptet: „Watergate ist kein Skandal – das gilt es auf jeden Fall festzuhalten“, dann liegt dem ein Skandalbegriff zugrunde, der mit der Offenlegung einer Verfehlung auch impliziert, dass die Verfehlung als Abweichung von der Norm eine Ausnahme darstellen muss. Und genau darum, weil Watergate in Baudrillards Beschreibung des westlichen Kapitalismus und seiner Institutionen, der Wissenschaft, der Justiz, der Medien und eben der Politik, keine Ausnahme darstellt, dürfe Watergate nicht als Skandal gelten. Vielmehr sei es mit dem ‚Watergate-Skandal‘ bloß „gelungen, den Eindruck zu erwecken, dass es tatsächlich einen Skandal gegeben“ habe, um damit „der Gesellschaft wieder eine ordentliche Dosis politische Moral“ zu verabreichen (1976, S. 27), eine politische Moral, die es in einer kapitalistischen Gesellschaft für Baudrillard nicht mehr gibt und die es für ihn nie gegeben hat: „Watergate war nur eine Falle, die das System seinen Gegnern gestellt hat – die Simulation eines Skandals“ (1976, S. 29).