Die Energiewende umfasst nicht nur die Umstellung der Strom- und Wärmeversorgung von Privathaushalten sowie öffentlichen Gebäuden auf erneuerbare Energien, sondern bringt auch erhebliche Veränderungen in der Industrie mit sich. Besonders energieintensive Industriebereiche, zu denen die Stahlindustrie zählt, planen zukünftig den Einsatz von grünem Wasserstoff. Grüner Wasserstoff wird unter Einsatz erneuerbarer Energien produziert und gilt daher als klimaneutral. Deutschland strebt den verstärkten Einsatz von grünem Wasserstoff in verschiedenen industriellen Prozessen an. Allerdings ist die Herstellung von grünem Wasserstoff sehr energieintensiv und erneuerbare Energien werden auch in anderen Sektoren benötigt. Gegenwärtig ist daher unklar, in welchem Umfang grüner Wasserstoff zu welchem Zeitpunkt global verfügbar sein wird. Dieser Beitrag stellt Ergebnisse eines Forschungsprojekts vor, dass sich auf die Wasserstofftransformation im Stahlwerk des Bundeslandes Bremen konzentriert. Die zentralen Erkenntnisse zeigen, dass die Wasserstofftransformation des Stahlwerkes generell mit erheblichen Unsicherheiten verbunden ist. In qualitativen Interviews mit Schlüsselakteur*innen der industriellen Bremer Wasserstofftransformation wurden die Akteur*innenlandschaft sowie deren Zielsetzungen und die Herausforderungen der Transformation im Stahlwerk identifiziert. Die Ergebnisse zeigen, dass die Akteur*innen mit einer Vielzahl von Herausforderungen und Unsicherheiten konfrontiert sind, die die Transformation blockieren.
Notes
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Einleitung
Zur Erreichung des Ziels der Klimaneutralität in Deutschland bis 2045 ist eine Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Quellen auch in energieintensiven Industriezweigen, wie beispielsweise der Chemie- oder Stahlindustrie, unerlässlich (Bundesregierung 2022). Die bisherige Ampelregierung plante in diesem Zusammenhang den verstärkten Einsatz von Wasserstoff als Energieträger. Wie auch andere europäische Länder schätzte Deutschland Wasserstoff als vielversprechend für die industrielle Transformation ein (Hollenhorst 2023). Allerdings ist momentan unklar, ob eine neue Bundesregierung nach den Bundestagswahlen im Februar 2025 weiterhin Wasserstoff als Energieträger priorisieren wird.
Wasserstoff kann auf unterschiedliche Arten hergestellt werden. Je nach eingesetztem Energieträger wird von unterschiedlichen „Wasserstofffarben“ gesprochen. Beispielsweise wird grauer Wasserstoff mittels Erdgas gewonnen, während bei der Produktion von blauem Wasserstoff zusätzlich eine CO2-Abscheidung erfolgt. Zum jetzigen Zeitpunkt gilt in Deutschland jedoch ausschließlich grüner Wasserstoff, der unter Verwendung erneuerbarer Energien hergestellt wird, als klimaneutral (Bundesregierung 2020, 2023a). Es gibt aber auch Überlegungen auf der nationalen und europäischen Ebene, blauen Wasserstoff und pinken (gewonnen aus Atomkraft) ebenfalls als klimaneutral einzustufen.
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Die Erzeugung von Wasserstoff ist ein energieintensiver Prozess, und die erneuerbaren Energien, die dafür benötigt werden, finden gleichzeitig in weiteren Sektoren der Energiewende sowie in der Mobilitätswende Verwendung. Derzeit stehen in Deutschland noch nicht ausreichend erneuerbare Energien zur Verfügung, um eine großflächige Produktion von grünem Wasserstoff zu ermöglichen. Die Ampelkoalition plante daher, in den kommenden Jahrzehnten verstärkt auf Importe von Wasserstoff zurückzugreifen. Bisher ist allerdings nicht absehbar, welche globalen Mengen an grünem Wasserstoff langfristig verfügbar sein werden. Das stellt den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft vor große Herausforderungen (Bundesregierung 2023a).
Die Umstellung auf eine klimaneutrale Energieversorgung von Industrieanlagen mit grünem Wasserstoff erfordert auch den Aufbau einer geeigneten Infrastruktur vor Ort. Das betrifft insbesondere die Raumplanung sowie die Nutzung und Anpassung vorhandener Flächen. Der Aufwand für den Infrastrukturaufbau ist erheblich: Bestehende Leitungen müssen auf ihre Eignung für den Wasserstofftransport überprüft, neue Leitungen verlegt und Transportlösungen für die Verteilung des Wasserstoffs in verschiedene Industrieregionen Deutschlands entwickelt werden (Schwerz et al. 2022). In diesen Bereichen sind bislang nur geringe Fortschritte zu verzeichnen (ZDF 2024). Aufgrund des genannten Aufwands kommt es wiederholt vor, dass bereits genehmigte Wasserstoffprojekte nicht realisiert werden. Dabei sind vor allem die während des Projektverlaufes gestiegenen Kosten ausschlaggebend gewesen (vgl. NDR 2023; Süddeutsche 2023; taz 2024).
Bisher kommt in Deutschland Wasserstoff in der industriellen Produktion nur in geringem Ausmaß zum Einsatz. Wenn Wasserstoff verwendet wird, dann handelt es sich häufig um grauen Wasserstoff (Bdew 2025).
Der vorliegende Beitrag stellt Ergebnisse aus dem Teilprojekt “Multiple justices in hydrogen transitions (hyBit:justice)” eines wissenschaftlichen Forschungsprojekts “hyBit: Hydrogen for Bremen´s industrial Transformation” vor. Als Hauptuntersuchungsgegenstand diente das Stahlwerk im Bundesland Bremen, für das in den kommenden Jahren eine Umstellung auf grünen Wasserstoff geplant ist. Da es noch keinerlei Umstellungen eines Industriebetriebs auf grünen Wasserstoff gibt, bietet dieses Fallbeispiel einen guten Einblick in die Voraussetzungen und Herausforderungen der industriellen Wasserstofftransformation. Meine Kolleg*innen und ich befragten dazu 21 Schlüsselakteur*innen der industriellen Bremer Wasserstofftransformation in Form von qualitativen Interviews. Konkrete Fragestellungen in den Interviews waren: Welche Akteur*innen sind in der Bremer Wasserstofftransformation aktiv? Mit welchen Zielen sind sie in die Transformation des Stahlwerks eingebunden? Welche Voraussetzungen müssen für eine erfolgreiche Wasserstofftransformation im Stahlwerk gegeben sein und wo gibt es Schwierigkeiten? Die Darstellung der Ergebnisse in den folgenden Abschnitten gliedert sich nach den Fragen: Welche Akteur*innen sind mit welchen Zielsetzungen in der Wasserstofftransformation im Stahlwerk Bremen eingebunden? Vor welchen Herausforderungen steht die Wasserstofftransformation im Stahlwerk Bremen?
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Industrielle Wasserstofftransformation im Stahlwerk Bremen
Das Bundesland Bremen umfasst die beiden Städte Bremen (569.396 Einwohner*innen im Jahr 2022; Statista 2024a) und Bremerhaven (115.468 Einwohner*innen im Jahr 2022; Statista 2024b). Im Jahr 2020 setzte die damalige Landesregierung eine Enquete-Kommission ein, um Maßnahmen zur Erreichung der Klimaneutralität des Bundeslandes bis 2038 zu erarbeiten. Die Enquete-Kommission befürwortete dafür, neben anderen Klimaschutzaspekten, den Einsatz von grünem Wasserstoff, insbesondere im industriellen Bereich (SWAE 2022). Bereits 2019 hatte die damalige Landesregierung die Entwicklung einer Wasserstoffstrategie in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Die Wasserstoffstrategie des Land Bremen wurde 2021 offiziell vorgestellt und in den folgenden Jahren weiter ausgearbeitet. Die Strategie betont, dass Bremen und Bremerhaven aufgrund ihrer geographischen Lage mit Zugang zur Nordsee, eigenen Häfen, regionaler Offshore- und Onshore-Windenergie sowie bestehenden Gaspipelines ideale Standorte für die Produktion, Verteilung, Nutzung und den Import von Wasserstoff darstellen. Zu den kurzfristigen Maßnahmen gehört unter anderem die Inbetriebnahme eines 10 MW-Elektrolyseur-Testfelds für grünen Wasserstoff in Bremerhaven bis 2025/26. Mittelfristig ist unter anderem die Inbetriebnahme eines emissionsfreien Antriebsschiffs für die Anlandung und den Weitertransport von Wasserstoff in Bremerhaven bis 2030 vorgesehen. Die Maßnahmen sollen den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur ermöglichen (SWAE 2022).
Das zentrale Element in der Bremer Wasserstoffstrategie ist aber das Bremer Stahlwerk, das auf Abb. 1 zu sehen ist. Das Bremer Stahlwerk stellt einen bedeutenden Industriebereich des Bundeslandes dar. Neben dem Stahlwerk sind vor allem Luft- und Raumfahrt sowie der Automobilsektor in der Bremer Industrie angesiedelt. Das Bremer Stahlwerk ist derzeit mit einem jährlichen Ausstoß von 4,6 Mio. t CO2 für rund die Hälfte der Bremer Emissionen verantwortlich (FHB 2023; WWF Germany 2023). Daher ist hier der Einsatz von grünem Wasserstoff besonders relevant. Abb. 2 verdeutlicht, wie das Bremer Stahlwerk in den gesamten Transformationsbereich des Bremer Industriehafens im Rahmen der Wasserstoffstrategie eingebunden werden soll. Ein kleiner Teil des benötigten Wasserstoffs für das Stahlwerk soll durch einen Elektrolyseur im Hafen selber hergestellt werden. Der größere Teil wird durch Importe abgedeckt. Bei der Stahlherstellung entstehendes CO2 kann für Vorgänge in der chemischen Industrie verwendet werden.
Das Land Bremen, insbesondere die aktuelle Landesregierung (erneut bestehend aus SPD, Bündnis90/Die Grünen und Die Linke) zeigt ein starkes Interesse am Erhalt des Stahlwerks. Als Arbeitgeber beschäftigt der Betreiber ArcelorMittal 3500 Menschen direkt im Stahlwerk. Weitere 7500 Arbeitsplätze sind bei Zulieferern vorhanden (FHBS 2024). Das Stahlwerk stellt damit neben den weiteren erwähnten großen Industriebereichen einen bedeutenden wirtschaftlichen Faktor für die Region dar. Die Wasserstofftransformation verursacht allein für den Umbau des Stahlwerks rund 2 Mrd. €, der laut ArcelorMittal in verschiedenen Umbaustufen bis Mitte/Ende der 2030er-Jahre abgeschlossen sein soll. Zu den 2 Mrd. € werden weitere Kosten für das Bundesland für den Ausbau der benötigten Infrastruktur im Landesgebiet kommen, die bisher noch nicht vollständig beziffert werden können. Im Februar 2024 wurden öffentliche Fördermittel für die Umbaumaßnahmen im Bremer Stahlwerk in Höhe von 840 Mio. € bewilligt, wovon 251 Mio. € vom Land Bremen und der Rest vom Bund mit Zustimmung der EU-Kommission bereitgestellt wurden (FHBS 2024). ArcelorMittal soll als Eigentümer die weiteren Umstellungskosten tragen. Trotz dieser Förderzusagen hat sich der Konzern bisher nicht endgültig zur Zukunft des Bremer Stahlwerks geäußert und eine Entscheidung zum Standorterhalt auf Mitte 2025 vertagt (ArcelorMittal Deutschland 2024). Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass ArcelorMittal Deutschland integraler Bestandteil des europäischen ArcelorMittal-Konzerns ist und somit nicht unabhängig Entscheidungen treffen kann. Geert van Poelvoorde, der ArcelorMittal-Europachef, äußerte Anfang letzten Jahres in einem Interview, dass eine Stahlproduktion in Europa aufgrund der hohen Transformationskosten eventuell nicht mehr wettbewerbsfähig sei (WK 2024; vgl. Samedi et al. 2023).
Akteur*innen in der Wasserstofftransformation des Bremer Stahlwerks und ihre Zielsetzungen
In einem ersten Schritt haben wir die Akteur*innenlandschaft der Wasserstofftransformation im Bremer Stahlwerk sowie deren jeweiligen Zielsetzungen und ihre Herausforderungen identifiziert. Dazu wurde eine qualitative, explorative Interviewstudie durchgeführt, in deren Verlauf 21 Schlüsselakteur*innen (siehe Auflistung in Tab. 1) befragt wurden.
Tab. 1
Liste der befragten Stakeholder
Stakeholdergruppen
Anzahl der Befragten
Öffentliche Akteur*innen
Wirtschaftsentwicklungsagenturen mit Schwerpunkt auf Wasserstoff
4
Energieversorger
4
Gewerkschaften (teilweise Vorstandsmitglieder)
3
Senatsverwaltung (Abteilung Klimaschutz)
3
Senatsverwaltung (Abteilung Wirtschaft)
1
Projektleiter eines Umsetzungsprojekts
1
Wirtschaftliche Akteur*innen
Stahlwerk (Ebene des Vorstands und der HR-Kommunikation)
2
Betriebsrat des Stahlwerks
1
Lobbyverein für Wasserstoff
1
Zivilgesellschaft
Umweltschutzorganisation
1
Aufgrund der geringen Größe des Bundeslandes sind vergleichsweise wenig Stakeholder in die Wasserstofftransformation eingebunden. Die Akteur*innen wurden durch projektinterne Kontakte und die lokalen Medien sowie Hinweise aus den Interviews ermittelt. Im Anschluss wurden die Interviews nach einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet (Mayring 2014).
Auch das Bundesland Bremen muss einen Anteil daran tragen, dass die EU bis 2050 klimaneutral wird (Bundesregierung 2023b). Die EU-Kommission erteilt die Genehmigung zur Vergabe von Fördergeldern an die Betreiber*innen von Wasserstoffprojekten, zu denen das Stahlwerk Bremen zählt. Diese Förderungsmittel wurden zuvor von der Bundesregierung ausgeschrieben. Somit haben die nationale und europäische Ebene Einfluss auf die lokalen Entwicklungen in der industriellen Wasserstofftransformation in Bremen. Die Bundesregierung verfolgt die Zielsetzung einer klimaneutralen Industrie und den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft.
Übereinstimmend unterstützten alle befragten Akteur*innen die Notwendigkeit der Transformation des Stahlwerks, um die Klimaneutralität des Bundeslandes zu erreichen. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedeutung des Stahlwerks für Bremen sind Unterschiede bei den Einschätzungen auszumachen. Während wirtschaftliche Akteure, Gewerkschaften sowie die wirtschaftspolitischen Abteilungen der Regierung den Erhalt der Arbeitsplätze im Stahlwerk als essenziell für die Region einschätzen, äußerten Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und anderer politischer Bereiche, dass die Bedeutung des Stahlwerks für den Wirtschaftsstandort Bremens nicht überschätzt werden sollte. Laut ihnen besitzt Bremen auch andere relevante Industriebereiche.
Vor allem wirtschaftliche und politische Akteur*innen verfolgen das Ziel, das Bundesland Bremen durch seine Wasserstoffstrategie in eine führende Position innerhalb der nationalen Wasserstofftransformation zu bringen. Sie erwarten, dass dadurch wirtschaftliches Potenzial in Form von Arbeitsplätzen und zusätzlicher Wertschöpfung erschlossen wird, das die Wettbewerbsfähigkeit des Landes und der ansässigen Unternehmen steigern könnte. Auch die wissenschaftlichen Einrichtungen, wie beispielsweise Hochschule und Universität, werden als zentrale Akteur*innen in diesem Prozess betrachtet, da ihre Forschung und Innovationen zur Entwicklung und Umsetzung der Wasserstofftechnologien beitragen können.
Ein Vertreter einer Umweltschutzorganisation betont, dass beim Infrastrukturausbau im Rahmen der Wasserstofftransformation der Naturschutz stets berücksichtigt werden muss. Insbesondere beim Ausbau erneuerbarer Energien und der für die Wasserstoffinfrastruktur erforderlichen Maßnahmen sei ein sorgsamer Umgang mit der Natur unverzichtbar. So habe das Stahlwerk beispielsweise teilweise Ausgleichsflächen finanziert, um die Eingriffe in die Natur zu kompensieren. Auf ungenutzten Flächen des Stahlwerks arbeitet die Umweltschutzorganisation in Kooperation mit dem Stahlwerkbetreiber daran, diese Flächen zu ökologischen Schutzzonen zu entwickeln.
Mehrere Akteur*innen betonen zudem, dass auch die Anwohner*innen von Industrieunternehmen zu den zentralen Akteur*innen der Wasserstofftransformation gehören. In ihren Wohngebieten können beispielsweise neue Leitungen verlegt oder Umspannwerke errichtet werden. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, die Anwohner*innen frühzeitig über geplante Maßnahmen zu informieren und die Bauprozesse transparent zu gestalten. Nur durch eine offene Kommunikation kann verhindert werden, dass Widerstand in der Bevölkerung entsteht: „Viele Menschen in Bremen beschweren sich jetzt schon über die Fernwärmeleitung, die gerade gebaut wird und rund 6km lang ist. Diese hat aber noch keinen großen Impact. Zukünftig wird es noch viel mehr Leitungen geben und es werden noch mehr Straßen gesperrt werden für den Bau. Das ist eine Zerreisprobe für die Gesellschaft“ (Energieversorger).
Das Thema der Wasserstoffgewinnung wird in diesem Beitrag nicht aufgegriffen. Da stellen sich Positionen der Akteur*innen teilweise anders dar (vgl. Baasch et al.2024).
Herausforderungen für die Wasserstofftransformation im Bremer Stahlwerk
In unserer Untersuchung haben wir drei große Herausforderungen identifiziert, die einen erheblichen Einfluss auf die Wasserstofftransformation im Stahlwerk haben: öffentliche Fördermittel, Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff und Infrastrukturausbau.
Die größte Herausforderung ist die Kostendeckung der Transformation durch öffentliche Fördermittel. Kosten fallen nicht nur im Stahlwerk selber, sondern auch für den dazugehörigen allumfassenden Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft im Bundesland an. Zu dieser Infrastruktur zählen neben der Produktion von grünem Wasserstoff auch Anlagen zur Anlandung von importierten Wasserstoff sowie die dazugehörigen Verteilungsnetze (vgl. Griffiths et al. 2021). In Deutschland und damit auch in Bremen ist der Zugang zu Fördermitteln stark umkämpft, da sich zahlreiche Regionen und Projekte auf die verschiedenen Ausschreibungen bewerben. Durch den Bruch der Ampelkoalition und die verfrühten Neuwahlen besteht zudem die Gefahr, dass bereits bewilligte Mittel gekürzt werden. So wird ein Regierungswechsel nach der diesjährigen Bundestagswahl voraussichtlich zu einer Neuausrichtung der politischen Schwerpunkte und Förderlandschaft führen.
Daran schließt sich die Herausforderung der begrenzten Verfügbarkeit grünen Wasserstoffs an. Es ist bereits absehbar, dass es zu einem Wettbewerb um den grünen Wasserstoff kommen wird. Länder des sogenannten Globalen Nordens versuchen daher bereits jetzt, Absichtserklärungen mit potenziell zukünftigen Exportländern abzuschließen, um sich einen Vorteil bei der Verteilung der künftigen Wasserstoffmengen zu sichern. Auch Deutschland hat bereits mehrere solcher Abkommen unterzeichnet. Verstärkt bemühen sich auch einige Länder eine Wasserstoffwirtschaft aufzubauen, die den Export von grünem Wasserstoff erlaubt. Im Zuge dessen hat Bremen als Bundesland 2023 selber eine Absichtserklärung mit Tasmanien (Australien) getroffen (FHBS 2023). Diese Erklärungen bieten jedoch keine Garantie dafür, dass tatsächlich genügend grüner Wasserstoff nach Bremen geliefert wird. Diese Unsicherheit versuchen die beteiligten Akteur*innen zu reduzieren, indem sie in der Übergangsphase vorsehen, zunächst Wasserstoff anderer Farben zu verwenden: „Nur grüner Wasserstoff erhält den Industriestandort. Entweder muss der grüne Wasserstoff vor Ort produziert werden oder er muss woanders herkommen. Für den Übergang muss auch Wasserstoff anderer Farbe genutzt werden“ (Projektleiter). Jedoch birgt dieses Vorgehen die Gefahr, dass die Übergangslösungen übermäßig lange beibehalten werden, was möglicherweise zu weiteren Verzögerungen im Einsatz von grünem Wasserstoff führen könnte. Mit der Unsicherheit der verfügbaren Mengen an grünem Wasserstoff hat nicht nur Bremen als Bundesland zu kämpfen, sie betrifft Deutschland als Land gleichermaßen.
Die dritte große Herausforderung ist der notwendige Infrastrukturausbau, der die kommunalen Netzbetreiber vor erhebliche zeitliche Herausforderungen stellt. Zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht absehbar, wann und ob global ausreichend grüner Wasserstoff verfügbar sein wird. Sobald jedoch grüner Wasserstoff für den deutschen Markt bereitsteht und dieser auch nach Bremen geliefert wird, muss er effizient zu den Abnehmer*innen wie dem Stahlwerk transportiert werden. Die Netzbetreiber sind jedoch nur in der Lage, Leitungen zu verlegen, wenn sicher ist, dass der Wasserstoff tatsächlich geliefert wird und verteilt werden muss. Obwohl die Planungen für das Wasserstoffnetz in Bremen bereits jetzt beginnen müssten, ist dies aufgrund der bestehenden Unsicherheiten für die Netzbetreiber derzeit nicht möglich: „Aber tatsächlich ist das ja nicht so einfach, eine Leitung zu bauen, nur weil man glaubt, da könnte irgendwann mal was gebraucht werden. Das kriegt man in der Kostenanerkennung niemals durch. Also deswegen ist das so ein bisschen auch Henne-Ei-Problem. Wenn kein reelles Vorhaben besteht, dann wird es nicht gebaut oder nicht geplant“ (Energieversorger). Es hat sich gezeigt, dass auch das Bundesland Bremen mit den Unsicherheiten des Infrastrukturausbaus zu kämpfen hat, obwohl das Bundesland flächenmäßig eines der kleinsten in Deutschland ist. Auch die geringe Größe bringt keine Vorteile für einen Infrastrukturausbau.
Fazit
Die industrielle Wasserstofftransformation in Deutschland ist ein vielschichtiger Prozess, der von erheblichen Unsicherheiten begleitet wird. Das Bremer Stahlwerk ist Teil dieses Transformationsprozesses. Zu den zentralen Einflussfaktoren gehören die vielfältigen Akteure, die an diesem Prozess beteiligt sind und teilweise unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen. Dazu zählen Akteur*innen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Diese Akteur*innengruppen sind nicht nur auf der nationalen Ebene, sondern im Hinblick auf geplante Wasserstoffimporte und öffentliche Gelder auch auf der internationalen Ebene relevant. Es ist seitens der Politik wichtig, die unterschiedlichen Gruppen bereits frühzeitig in die Transformation einzubeziehen und (möglichen) Konflikten zwischen den Gruppen beispielsweise mittels Mediator*innen rechtzeitig entgegen zu wirken.
Faktoren, die Unsicherheiten von industriellen Transformationsprojekten wie dem Bremer Stahlwerk verstärken, sind der notwendige Infrastrukturausbau und die Finanzierung sowie die Verteilung des potenziell verfügbaren grünen Wasserstoffs. Langfristige und vorausschauende Planungen sind in diesem Bereich von entscheidender Bedeutung. Es ist dabei unerlässlich, dass der eingeschlagene Transformationspfad zu einer wasserstoffbasierten Industrieversorgung konsequent umgesetzt wird, anstatt zusätzlich mit alternativen Szenarien zu planen. Auch bei einem Regierungswechsel sollten Förderungen für grüne Wasserstoffprojekte daher nicht gekürzt werden, um keine Planungsunsicherheiten bei den Betreibern aufkommen zu lassen. Ebenso ist absehbar, dass die Betreiber auch auf lange Sicht die Garantien seitens der Politik brauchen, dass der grüne Wasserstoff auch in den kommenden Jahrzehnten subventioniert wird.
Das Beispiel des Bremer Stahlwerkes verdeutlicht den erheblichen Einfluss der beschriebenen Unsicherheiten auf den Fortbestand eines industriellen Standorts. Trotz der finanziellen Unterstützung seitens der Politik durch staatliche Fördermittel und der breiten Zustimmung relevanter Akteur*innen im Bundesland hat der Betreiber des Stahlwerks bisher keine Garantie für den langfristigen Standorterhalt abgegeben. Für den Betreiber muss die Stahlproduktion im Zuge der Transformation weiterhin wirtschaftlich bleiben. Ohne ausreichende politische und vor allem finanzielle Unterstützung kann es dazu kommen, dass die Stahlproduktion in Zukunft in Ländern des sogenannten Globalen Südens aufgrund dort vorherrschender geringerer Umweltauflagen kostengünstiger ist: „Die Politik muss verlässliche Rahmenbedingungen schaffen: Lieferketten, CO2-Neutralität, Kreisläufe in der Region. Das zusammen schafft gute Standortbedingungen vor Ort. In anderen Regionen, beispielsweise in Asien, kann die Stahlproduktion günstiger sein“ (Projektleiter). Dann besteht das Risiko, dass Unternehmen aus Deutschland in diese Länder abwandern. Das könnte zum Verlust wichtiger Wirtschaftsstandorte und der Wettbewerbsfähigkeit des Landes führen.
Danksagung
Das Projekt “Multiple justices in hydrogen transitions (hyBit:justice)” wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 03SF0687A gefördert.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
J. Maschke gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Ethische Standards
Es wurden die COPE-Leitlinien für eine gute wissenschaftliche Praxis eingehalten.
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