2007 | OriginalPaper | Chapter
Die Etablierung des deutschen Sozialstaates
Published in: Neue Soziale Frage und Sozialpolitik
Publisher: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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Einer die brennenden sozialen Probleme des 19. Jahrhunderts angehenden staatlichen Initiative stand lange liberaler Widerstand gegen Eingriffe in die Wirtschafts- und Arbeitsstrukturen im Wege. Erst in den achtziger Jahren gelang es, mit Bismarcks Politik des „Zuckerbrots“, die die Wirkung der „Peitsche“ des Sozialistengesetzes
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mildern sollte, Sozialgesetze in nennenswertem Umfang auf den Weg zu bringen. Über die Motive für diesen Gesinnungswandel muss nicht spekuliert werden: Am Ende siegten nicht die Vertreter von Humanismus und Gerechtigkeit, die seit der Mitte des Jahrhunderts eine staatliche Verantwortung für die soziale Frage eingeklagt hatten, sondern politisches Kalkül. „Bismarck glaubte dadurch, daß er den Arbeiter zum Staatsrentner machte, ihn vom Sozialismus abzuziehen und ihm eine politisch zuverlässige Schwimmkraft zu geben.“ (Schmittmann 1926: 624) Auch wenn Berechnung die Sozialgesetzgebung motivierte und obwohl diese zunächst nur kleine Teile der Bevölkerung weitgehend unzureichend vor den Risiken des Arbeitsalltags schützen konnte, ist die deutsche Sozialgesetzgebung jener Zeit vorbildlich für Europa und in ihrer langfristigen Folgewirkung für den ausgebauten Sozialstaat in seiner heutigen Form kaum überschätzbar. Zudem bot sie, deutlich gegen die Intentionen des Wegbereiters, in Form der Hilfskassen der ihrer eigentlichen Organisationsformen durch das Sozialistengesetz ledig gewordenen Sozialdemokratie einen Ort des Überwinterns (vgl. Ritter 1991: 86).