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Open Access 18-11-2024 | Editorial

Digitale Transformation in Bau und Handwerk

Authors: Christoph Lattemann, Susanne Robra-Bissantz

Published in: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik | Issue 6/2024

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Notes

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Liebe Leserinnen und Leser,
mit diesem HMD-Heft richten wir uns an die bisher von der Wirtschaftsinformatik selten betrachtete Bau- und Handwerksbranche. Warum sollen das Handwerk und der Bau nicht auch von den Vorteilen der digitalen Transformation profitieren und sich somit nachhaltiger und wettbewerbsfähiger aufstellen? Digitalisierung bietet auch in Handwerk und Bau vielfältige Potenziale zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, neuer Dienstleistungen ebenso wie für Prozessverbesserungen. Jedoch liegen Handwerk und Bau in der digitalen Transformation im Vergleich zu anderen Industrien zurück. Umso wichtiger ist es, dieses Thema auf die Agenda in Betrieben, in Handwerksorganisationen und in der Politik zu setzen. Mit der BMBF-Ausschreibung „Handwerk 4.0 – digital und innovativ“ im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprogramms „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ aus dem Jahr 2020 hat sich die Bundesregierung diesem wichtigen Thema angenommen. In den vergangenen knapp vier Jahren haben im Rahmen dieses Programms Handwerksbetriebe in Zusammenarbeit mit der Wissenschaft Pilotprojekte zur Einführung neuer Technologien und Digitalisierungskonzepte erarbeitet. In diesem Heft werden unter anderem ausgewählte Ergebnisse aus diesen Projekten beschrieben.
Mit der Beschreibung dieser Projekte wollen wir nicht nur einen Beitrag für die Wissenschaft leisten, sondern auch Handwerksbetrieben praktische Methoden und Konzepte an die Hand geben, um ihre eigene digitale Transformation voranzutreiben. Hierzu geben die ersten zwei Artikel einen Überblick über die derzeitige Lage der Digitalisierung in Handwerk und Bau in Deutschland und zeigen, mit einem Fokus auf die dort arbeitenden Menschen, Herausforderungen und Treiber der Handwerksbranche auf. Noch heute ist das Handwerk gerne traditionell aufgestellt und es existieren viele Implementierungsbarrieren auf den Ebenen der Betriebsleitung sowie der Fachkräfte. Hierzu gehören ein Mangel an finanziellen Mitteln, Mitarbeitenden und Know-How, aber auch Respekt vor Veränderungen, insbesondere, wenn sie das eigene Arbeiten betreffen. Dies hat wiederum negative Folgen für die Gewinnung von Fachkräften und den Erfolg von Betriebsübernahmen durch den Nachwuchs.
Die dargestellte Methodik im dritten Artikel gibt Betrieben Aufschluss über den eigenen digitalen Status und Hindernisse, insbesondere auf Mitarbeiterebene. Für Sie, als Praktiker, eine Gelegenheit, mögliche eigene Chancen aber auch Schwächen zu erkennen. Für die Wissenschaft wird ein interessanter Ansatz für das Personal- und Changemanagement beschrieben.
Die folgenden vier Beiträge bieten vielfältige Anregungen für die Forschung und Praxis. Sie beschreiben verschiedene Konzepte und Methoden für Handwerk und Bau, die im Umfeld der eigentlichen digitalen Innovation dazu beitragen, Betriebe für eine digitale Transformation fit zu machen.
Die vier letzten Fachbeiträge in diesem Heft fokussieren für digitale Innovationen und Innovationsprojekte, wie Best-Practices und State-of-the-Art Implementierungen neuer Technologien in Handwerk und Bau gelingen, und welche Methoden die Gestaltung dieser begleiten.
Abgerundet wird der Schwerpunkt dieses Hefts mit einer Empfehlung vom Hauptgeschäftsführer beim Baden-Württembergischen Handwerkstag e. V., Peter Haas, für ein kurzweilig zu lesendes Buch von Oliver Oettgens Handwerksdenker und Influencer – Gemeinsam gegen den Fachkräftemangel“.

1 Status Quo und Entwicklungen im Handwerk

Im ersten Artikel mit dem passenden Titel „Handwerk – aus Tradition innovativ: Der Mensch im Mittelpunkt der Digitalisierung“ stellen Helms et al., gestützt auf eine im Frühjahr 2024 durchgeführte Status Quo Analyse, den aktuellen Stand der digitalen Transformation im Handwerk in Deutschland vor und zeigen die besonderen Herausforderungen und Treiber der Handwerksbranche auf. Die Analyse zeigt, dass eine Hinwendung zu digitalen Technologien und Konzepten im Handwerk dringend geboten ist, damit auch diese Branche von der Digitalisierung profitieren kann und Betriebe wettbewerbsfähig bleiben. Sie zeigt aber auch, dass Digitalisierung, mit ihrer möglichen Ausprägung zu einem Mehr an Service und Kooperation, sehr gut zur kundenorientierten und partnerschaftlichen Tradition des Handwerks passt.
Damit gilt im Handwerk, wie auch in anderen Wirtschaftszweigen, dass trotz oder gerade wegen der Digitalisierung der Mensch im Mittelpunkt steht, denn mehr Technik bedeutet nicht notwendigerweise weniger Mensch. Dieses Thema greift der zweite Beitrag von Bartelt-Ulrich auf. Die Autorin beschreibt die zukünftige Bedeutung menschlicher Arbeitskraft, jenseits der Digitalisierung. Basierend auf Ergebnissen Leitfaden-gestützter Interviews in Handwerksbetrieben wird dargestellt, dass Technik in naher Zukunft vor allem die menschliche Feinmotorik, die differenzierte Wahrnehmungsfähigkeit, sowie die soziale Intelligenz nicht ersetzen kann. Der Mensch wird also in absehbarer Zukunft nicht überflüssig.
Trotzdem kommt die Digitalisierung mit vielen Herausforderungen und Ängsten daher – nicht nur für das Management, sondern auch für Fachkräfte. Denn diese haben häufig Befürchtungen, dass sie durch die zunehmende Technologisierung ihren Arbeitsplatz verlieren, oder dass sich ihr Tätigkeitsfeld oder gar das gesamte Berufsfeld in eine Richtung wandelt, die nicht von ihnen gewünscht ist. Dies sind für Handwerksbetriebe kritische Situationen, denn der Erfolg der digitalen Transformation hängt entscheidend von der Akzeptanz der Mitarbeitenden ab. Deswegen ist es von zentraler Bedeutung auch den Menschen in dem von der digitalen Transformation induzierten Veränderungsprozess explizit zu berücksichtigen. Hierzu beschreiben Bosbach et al. neue, mitarbeiter-zentrierte Dimensionen für ein Reifegrademodell, mit denen Betriebe des Handwerks und Bau identifizieren können, wie Mitarbeitende durch die Digitalisierung beeinflusst werden (Situationsanalyse), um hierauf mit angemessenen Aktionen zu reagieren (Potenzialanalyse).

2 Methoden des Wissens- und Technologietransfers

Wie der erste Artikel von Helms et al. darstellt, sind das Handwerk und der Bau heute eher traditionell aufgestellt. Die Branche ist in der Regel durch kleine Betriebe, verteilte Leistungserbringung und schwere physische Arbeit geprägt und daher im Vergleich zum typischen Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen wenig von digitalen Technologien durchdrungen. Dies bedingt, dass Betriebe keine eigenen Ressourcen (Geld und Fachkräfte) für die Innovationsentwicklung bereithalten können. Doch wie sollen Betriebe auf neue Geschäftsideen kommen und neue technologische Entwicklungen voranbringen, wenn dafür die Ressourcen fehlen?
Auf diese Frage gehen die folgenden vier Beiträge ein und stellen Methoden für den erfolgreichen Wissens- und Technologietransfer im Handwerk und im Bau vor. Hierbei geht es um die Zusammenarbeit in Service-Ökosystemen, um interaktive Austauschformate und Transferkonzepte und -strategien, sowie um eine iterative Weiterbildung.
Thiem, Berger und Robra-Bissantz diskutieren die Umsetzung des in Neuseeland erfolgreichen Konzepts des Fractional CIO. Die Grundidee hinter diesem Ansatz ist, dass die in Deutschland prägenden Klein- und Kleinstbetriebe im Handwerk auch in naher Zukunft nicht über eine IT-Abteilung und insbesondere nicht über einen CIO verfügen werden. Es liegt daher nahe, für diese Funktion einen anteiligen Ersatz im Service-Ökosystem des Handwerks zu suchen.
In einem weiteren Artikel wirft Frau Thiem die Frage auf, wie Forschungsergebnisse für die Handwerksbranche leichter zugänglich gemacht werden können. Hier werden interaktive Austauschformate und passende Transferkonzepte für Führungskräfte von Handwerksbetrieben, für Beratende im Bereich Innovationen und Technologie, sowie für überbetriebliche Berufsbildungsstätten präsentiert.
Der Beitrag von Friesecke und Zurheiden richtet sich vor allem an Bildungsträger und Handwerksorganisationen. Dieser Beitrag zeigt auf, dass die Weiterbildung einen entscheidenden Faktor für die Förderung der digitalen Transformation im Handwerk darstellt. Friesecke und Zurheiden analysieren, welche Unterstützungsstrukturen Handwerksbetriebe benötigen, um sich erfolgreich mit KI auseinanderzusetzen und um KI-gestützte Lösungen zu implementieren. Das Autorenteam stellt Veranstaltungsformate dar, die sich in diesem Kontext bewährt haben.
In Bezug auf Ausbildungsformate präsentieren Friedrich et al. einen formativen Evaluationsprozess, der auf das Design-based Research und das User-centered Design aufbaut. Der Evaluationsansatz fördert sowohl die kollaborative Arbeit mit der Praxis als auch die Bedürfnisse der Lernenden im Handwerk durch einen iterativen Evaluationsprozess.
Im Kern zeigen alle diese Beiträge, dass in dem durch Klein- und Kleinstbetriebe geprägten Handwerk nur über kollaborative und co-kreative Lösungen der digitale Wandel erfolgreich geschafft werden kann. Hierzu wird in den letzten Jahren viel unter dem Thema Service-Ökosysteme diskutiert (siehe z. B. Lattemann, Robra-Bissantz 2022). In Service-Ökosystemen bauen Partner nachhaltige Innovationsstrukturen auf, um damit zu Geschäftsmodellen zu gelangen, die digitale Lösungen auch nachhaltig, dauerhaft und Erfolg versprechend in die Praxis tragen. Das Denken in Service-Ökosystemen fundiert damit eine mögliche Methode, um zu auch umwälzenden neuen digitalen Konzepten zu gelangen.

3 State-of-the-Art Methoden und Implementierungen

Die letzten vier Artikel dieses HMD-Hefts beschäftigen sich gleichsam mit der Vorgehensweise sowie den Ergebnissen der Implementierung von Best-Practices. Gutzmann et al. und Schütte et al. bedienen sich dabei des Gedankens der oben genannten Service-Ökosysteme, Schmalenbach et al. erweitern die entsprechende Methodik im Umfeld des Handwerks. Paulus et al. ergänzen bestehende Methoden und fokussieren sehr frühe Phasen der Ideenentwicklung in der Digitalisierung. Alle Beiträge zeigen zudem konkrete technische Implementierungen auf.
Gutzmann et al. stellen eine Lösung zur Verstetigung eines Innovationsprojekts aus den Bereichen Sanitär, Heizung, Klima, Elektrik und Maler- und Lackierarbeiten vor. Hierbei nimmt der Forschungspartner, wie von Thiem, Berger und Robra-Bissantz vorgeschlagen, die Rolle eines Fractional CIO ein, indem er die Innovationsleistung übernimmt. Die Realisierung erfolgte in einem Service-Ökosystem mit verteilt agierenden Partnern. Der Beitrag umfasst neben der Darstellung der organisatorischen Lösung auch, wie Technologien (AR und Chatbots) dazu beitragen Unabhängigkeit von Zeit und Raum zur erreichen, und so beispielsweise Kundenanfragen zu jeder Zeit zu beantworten, Beratungsgespräche zu verbessern und Aktivitäten vor Ort durch Fernunterstützung zu flexibilisieren (z. B. auf Baustellen).
Auch Schütte et al. greifen das Konzept des Service-Ökosystems auf. Sie stellen ein plattformbasiertes, service- und informationszentriertes Dienstleistungs-Ökosystem dar. Hierbei nimmt diesmal nicht der Forschungspartner, sondern ein Großhändler die Rolle des zentralen Intermediärs ein. Mit dieser Lösung gehen Probleme in der Koordination, Kommunikation und Integration einher. Die Autoren zeigen auf, dass diese Herausforderungen durch Standardisierung und intelligente IT-Systeme gelöst werden können, um damit Produktivitätsdefizite überwinden zu können und die Digitalisierung der Bauhandwerker zu stärken.
Schmallenbach et al. stellen die Probleme der Einführung neuer Technologien anhand von BIM (Building Information Modeling) in der Baubranche dar. Die Anwendungsrate von BIM in Deutschland ist mit 10 % aller Bauprojekte sehr gering. Grund hierfür sind die mit der Einführung von BIM auftretenden Herausforderungen wie Medienbrüche (siehe hierzu auch Schütte et al.) sowie eine fehlende Integration von BIM in die Geschäftsmodelle der ausführenden Gewerke. Es wird ein integrativer und damit nachhaltiger Ansatz vorgestellt, der einer Modellierung des Service-Ökosystems für Digitalisierungslösungen zunächst eine Betrachtung der Geschäftsmodelle der ausführenden Gewerke in der Baubranche vorschaltet und so schließlich zu Geschäftsmodellen für Softwarelösungen im Umfeld von BIM gelangt.
Im letzten Beitrag beschreiben Paulus et al. Ansätze, die Handwerksbetriebe befähigen, gemeinsam Ideen zu entwickeln, Empfehlungen zu erhalten oder erste Umsetzungen zu gestalten, um im Beispiel des Internet of Things Digitalisierung für innovative Services zu nutzen und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Als besonders erfolgreich zeigen sich hier Hackathons, bei welchen mit über 150 Teilnehmenden mehr als 200 Ideen für innovative IoT-Lösungen entstanden.
Wir wünschen allen Lesern und Leserinnen interessante Einblicke und vor allem Inspiration und Hilfe für die eigene digitale Transformation. In diesem Sinne: Bleiben Sie Mensch!
Christoph Lattemann und Susanne Robra-Bissantz
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Metadata
Title
Digitale Transformation in Bau und Handwerk
Authors
Christoph Lattemann
Susanne Robra-Bissantz
Publication date
18-11-2024
Publisher
Springer Fachmedien Wiesbaden
Published in
HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik / Issue 6/2024
Print ISSN: 1436-3011
Electronic ISSN: 2198-2775
DOI
https://doi.org/10.1365/s40702-024-01126-8

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