Eigentlich soll der digitale Euro ein für alle offenes, kostenloses, sicheres Zahlungsmittel neben dem Bargeld werden. Eine aktuelle BVR-Studie bemängelt allerdings das Konzept der EZB als zu komplex und fordert mehr Beteiligung der Banken.
"Der EZB-Rat hat Mitte Oktober 2023 beschlossen, in die nächste Phase des Projekts digitaler Euro überzugehen: die sogenannte Vorbereitungsphase", so die Deutsche Bundesbank zum Stand der Dinge beim E-Euro. Mit ihr soll der Grundstein für das mögliche Digitalgeld gelegt werden. Nach der Vorstellung der Europäischen Zentralbank (EZB) soll der digitale Euro als "elektronisches Zahlungsmittel für Massenzahlungen" künftig neben dem Bargeld als gleichberechtigte Bezahlalternative bestehen, erläutert die EZB.
Digitalgeld in der Retail-Variante
Digitales Zentralbankengeld (Central Bank Digital Currency, kurz CBDC) erfährt weltweit eine hohe Aufmerksamkeit und wird laut Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB) zum Teil bereits genutzt. Das gilt vor allem für die auch von der EU anvisierte Retail-Variante, die von verschiedenen Einflüssen getrieben ist, wie nachstehendes Schaubild verdeutlicht:
Gedacht ist der digitale Euro von EZB und Europäischer Kommission als Zentralbankgeld, das allen Menschen im Euroraum kostenlos für digitale Zahlungen zur Verfügung steht. So soll er auch offline verfügbar sein, sowohl im stationären wie in Online-Handel akzeptiert werden, dabei ähnlich hohen Sicherheits- und Anonymitätsanforderungen wie Bargeld genügen und einen garantierten Wert haben.
Der digitale Euro im Realitätscheck
Nun hat das auf Payment spezialisierte Beratungshaus Paysys Consultancy im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) die vorliegenden Ideen der Europäischen Zentralbank (EZB) und den Regulierungsvorschlag der EU-Kommission zur Ausgestaltung den künftigen Digitalgeldes auf ihre Praxistauglichkeit hin untersucht.
Für ihre Studie haben Paysys-Geschäftsführer Hugo Godschalk, Malte Krüger, Professor an der Technischen Hochschule Aschaffenburg, und Franz Seitz, Professor an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden, im Wege eines systematischen Desk Research die bis Juni 2024 veröffentlichten Dokumente und Regulierungsvorschläge des Eurosystems und der EU-Kommission ausgewertet. Die Ergebnisse wurden dann auf Konsistenz sowie Umsetzbarkeit im europäischen Finanzmarkt, insbesondere aus Sicht des Handels und der Verbraucher, analysiert.
E-Geld zu komplex für Handel und Verbraucher
Die Wissenschaftler kommen dabei zum Schluss, dass der digitale Euro in Gestalt der aktuellen Vorschläge "kaum Mehrwerte für Verbraucher und Handel liefert". Zu komplex und unverständlich sei das Konstrukt für die Nutzer vor und hinter der Kasse.
Zum Beispiel würden sich die bislang am Zahlungsverkehr beteiligten Parteien von derzeit vier (Zahler, Zahlungsempfänger und deren jeweilige Payment Service Provider) auf dann bis zu acht Beteiligte erhöhen, was Abwicklungsprozesse verkomplizieren und verlangsamen würde", monieren die drei Experten.
Dabei seien die von EZB und EU-Politik angepeilten niedrigen Kosten nicht zu halten und stehen damit einer angestrebten höheren Wettbewerbsfähigkeit Europas entgegen.
Digitalgeld soll europäische Wettbewerbsfähigkeit stärken
Dabei ist es allerdings gerade das Ziel der Einführung eines einheitlichen paneuropäischen digitalen Zahlverfahrens, den Euro im internationalen Währungswettbewerb zu stärken. Gleichzeitig würde ein einheitliches europäisches digitales Zahlungssystem der EZB zufolge die digitale Souveränität der EU nach innen und nach außen stärken und wäre auch zeitgemäß für Verbraucher, deren Bargeldnutzung sukzessive am POI abnimmt und die zunehmend im E-Commerce bargeldlos online bezahlen wollen.
Gerade online, im E-Commerce, werden nach Ansicht der EZB viel zu häufig globale, nichteuropäische Anbieter genutzt. Der digitale Euro soll die Zahlung mit sicherem europäischen Zentralbankgeld daher auch im Internet/E-Commerce ermöglichen. [...] Dies wird als Ausweis der besonderen Resilienz des digitalen Euro gewertet", schreibt der VÖB in einem Schwerpunkt von Mai 2024.
Einführung mit technischen Hürden verbunden
Dennoch warnt die BVR-Studie vor den Herausforderungen der technischen Umstellung. Diese werde "Handel und Marktpartner massiv fordern", da diese keinerlei Einflussnahme auf das Ob und Wann der Umstellung haben. Darüber hinaus könnte das angedachte Vergütungsmodell mit Obergrenzen unterhalb von Marktpreisen für eine Verdrängung effizienter europäischer Zahlungssysteme sorgen. Dies könne die europäische Souveränität nachhaltig schwächen.
Noch viele Frage beim digitalen Euro offen
"Der digitale Euro in der bislang angedachten Ausgestaltung wäre eher ein Konkurrenzprodukt für existierende bargeldlose Zahlungsarten und weniger ein innovativer Ersatz für das herkömmliche Zentralbankprodukt Bargeld, dessen Nutzung derzeit rückläufig ist", umreißt der Aschaffenburger Studienautor Krüger das Problem. "Es sind derzeit noch viele Fragen offen und Widersprüche zwischen den einschlägigen Dokumenten des Eurosystems und dem Regulierungsvorschlag der EU-Kommission festzustellen." Offene Fragen gibt es insbesondere
- zur Ausgestaltung des Kompensationsmodells,
- der Regelung von Haftungsfragen,
- der Ausgestaltung des offline digitalen Euro,
- der Höhe der Haltelimits sowie
- der Gestaltung einer angedachten digitalen Euro-Karte.
Schließlich bewerten die Studienautoren auch die Fokussierung auf das Smartphone als Zahlungsmittel kritisch.
Keine "staatliche Parallelwelt" schaffen
"Die Studie legt offen, dass die bisherigen Vorschläge des Eurosystems und der EU-Kommission, eine staatlich betriebene Parallelwelt zum bestehenden und bewährten privatwirtschaftlichen Zahlungsverkehrssystem zu schaffen, der falsche Weg sind", urteilt BVR-Vorstandsmitglied Tanja Müller-Ziegler.
Auch in der Pro-und-Contra-Abwägung des VÖB überwiegen die Nachteile des aktuellen Konzepts: Einerseits würdigt der Verband unter anderem die Stärkung der europäischen Souveränität im digitalen Zahlungsverkehr, die Innovationskraft und die Resilienz des digitalen Euros. Auch die finanzielle digitale Inklusion des Digitalgeldes falle positiv ins Gewicht.
Gefahr technischer Abhängigkeit und Risiken
Dennoch sieht der Verband die Gefahr einer möglichen Instabilität der gesamten Finanzwirtschaft, durch mögliche "Veränderungen in den Geschäftsmodellen von Banken und Finanzinstituten infolge eines Liquiditätsabflusses in den digitalen Euro". Das könne die Funktion der Banken als Finanzintermediäre bedrohen, heißt es.
Aber auch in der Abhängigkeit von der technischen Infrastruktur sowie in Bedenken hinsichtlich dessen, wer was in den digitalen Euro, zum Beispiel als Smart Contract, einprogrammiert, sehen die VÖB-Experten Risiken. Zudem fehlten auch geeignete Schutzmechanismen für die Daten der Nutzer und ihrer Transaktionen sowie der unmittelbare Nutzwert für Verbraucher und Handel.
Banken stärker in Entwicklung einbinden
Im Mittelpunkt aller Überlegungen sollte der Nutzen für die Anwender liegen - einschließlich der Punkte Anonymität, Stabilität und Datenschutz, fordert deshalb der BVR. Deshalb fordert der Verband, Banken bei der Konzeption des digitalen Euro "deutlich stärker einzubeziehen".