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Open Access 2022 | OriginalPaper | Chapter

5. Diskussion

Author : Dr. Johann W. A. Röper

Published in: Kosten der hubschraubergestützten Notfallversorgung

Publisher: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Die Diskussion der Ergebnisse erfolgt in zwei Schritten. Der Erste Schritt diskutiert die vorgestellten Ergebnisse und bewertet die Innovationen, die durch die Szenarien und Szenariovariationen dargestellt werden. Den Ergebnissen dieser Arbeit werden zudem Kenntnisse aus Beiträgen über Kosten der Luftrettung gegenüber gestellt, die in den Recherchen des 2. Kapitels aufgeführt wurden.
Die Diskussion der Ergebnisse erfolgt in zwei Schritten. Der Erste Schritt diskutiert die vorgestellten Ergebnisse und bewertet die Innovationen, die durch die Szenarien und Szenariovariationen dargestellt werden. Den Ergebnissen dieser Arbeit werden zudem Kenntnisse aus Beiträgen über Kosten der Luftrettung gegenüber gestellt, die in den Recherchen des 2. Kapitels aufgeführt wurden.
Auf die Diskussion der Ergebnisse dieser Arbeit und die Einordnung der Kosten möglicher Innovationen folgt im zweiten Schritt die Formulierung von Handlungsempfehlungen für die Gestaltung des deutschen Luftrettungssystems. Die Handlungsempfehlungen basieren auf der vorherigen Ergebnisbewertung und setzen einerseits an, die Effizienz der Luftrettung im Status Quo zu verbessern. Andererseits werden auch anstehende Herausforderungen an die Notfallversorgung berücksichtigt und in die Gestaltungsansätze einbezogen. Alle Empfehlungen werden allgemein formuliert und schließlich explizit angewendet, bezugnehmend auf den Hubschrauber Christoph 47 in Greifswald, der als exemplarisches Erfahrungsobjekt dieser Arbeit dient.

5.1 Innovationsbewertung

5.1.1 Betriebszeiten

Ergebnisse
Das Ziel dieser Arbeit ist die Modellierung von Szenarien, mit denen vollkostenbasiert der Betrieb einer exemplarischen Luftrettungsstation für die Periode eines Jahres abgebildet werden soll. Dafür wurde als Erfahrungsobjekt Christoph 47 genutzt, ein Rettungstransporthubschrauber stationiert in Greifswald, im ländlichen Nord-Osten Deutschlands. Eine Übertragbarkeit auf andere Luftrettungsmittel wird angestrebt über die Definition von drei Szenarien mit je fünf Variationen. Die Auswahl der Szenarien erfolgt einerseits anhand des Innovationspotentials verschiedener Ausstattungen, andererseits, um Unsicherheiten in den modellierten Daten zu berücksichtigen. Alle Szenarien und Variationen wurden aus Recherchen zu internationalen Luftrettungsdiensten und der Betrachtung des deutschen Luftrettungssystems abgeleitet.1 Die Erkenntnisse über Kosten können somit als repräsentativ für Rettungsmittel der deutschen Luftrettung erachtet werden, lassen aber auch eine Vergleichbarkeit zu internationalen Luftrettungssystemen zu.
Für die deutsche Luftrettung stellt die zusätzliche Verfügbarkeit eines Rettungshubschraubers durch Ausweitung der Betriebszeiten eine mögliche Innovation dar. Sie impliziert bessere notfallmedizinische Versorgungsmöglichkeiten und Erreichbarkeiten von Patienten im Versorgungsgebiet, indem bestehende Ressourcen besser genutzt werden. Beim Vergleich internationaler Luftrettungssysteme konnte gezeigt werden, dass in einigen Ländern Luftrettungseinheiten standardmäßig auch in der Nacht zur Verfügung stehen, insbesondere in Nordeuropa.2 Hinsichtlich der geringen Zahl an deutschen Primärhubschraubern, die für nächtliche Einsätze genutzt werden, stellt sich deshalb die Frage, weshalb bereitstehende Ressourcen nicht über den gesamten nutzbaren Zeitraum den Notfallpatienten zur Verfügung gestellt werden.3
Eine Ausweitung der Betriebszeiten und somit die Erhöhung der Verfügbarkeit der Luftrettungsmittel impliziert somit eine erweiternde Innovation mit hervorgehobenem Nutzenpotential. Sie wird in den übergeordneten Szenarien 1, 2 und 3 abgebildet. Ausgehend vom Szenario des Tagflugbetriebes über 12 Stunden am Tag werden die Betriebszeiten auf 16 und 24 Stunden sukzessive gesteigert. Zudem können durch den Vergleich der Szenariovariationen I. und II. Auswirkungen der Betriebszeitenausweitung innerhalb der Implikationen hoher und niedriger Kostenannahmen eingeschätzt werden. I. und II. stellen damit repräsentativ einen Bereich möglicher Kostenverläufe für andere deutsche Rettungsmittel dar.
Es zeigt sich, dass die Ausweitung der Betriebszeiten nicht mit proportionalen Kostensteigerungen verbunden ist. Die Gesamtkostensteigerung bei 1500 Primär- und 92 Sekundäreinsätzen beträgt bei Betriebszeitenausweitung von 12 um 33,33 % auf 16 Stunden ca. 9,48 % in der Ausgansvariation I.4 Bei Verdopplung der Verfügbarkeit von 1.I. auf 3.I. in den Betrieb über 24-Stunden steigen die Gesamtkosten um ca. 45,43 %, wobei hier eine Ausweitung des Einsatzprofils berücksichtigt wird, durch das einsatzabhängige Kosten steigen.5
Unterproportionale Kostensteigerungen zeigen sich auch bei Annahme höherer Kosten in Szenariovariation II. Die Randzeitenausweitung führt gegenüber dem Tagflugbetrieb zu gesteigerten Kosten um ca. 8,8 %. Eine Verdopplung der Betriebszeiten in die Nacht ist hingegen mit einer Kostensteigerung um ca. 39,71 % verbunden.6 Die gegenüber dem Ausgangsszenario I. geringere Steigerung der Gesamtkosten in II. ist auf die höher modellierten, leistungsmengen-unabhängigen Kosten zurückzuführen, welche die relativen Kostenverhältnisse verschieben.
Benchmarks
Aus dem in Abschnitt 2.​3 beschriebenen Kenntnis- und Forschungsstand zu ökonomischen Analysen von Einsatzkosten der Luftrettung ergeben sich drei Beiträge, die unterschiedliche Zeiten der Vorhaltung annehmen und den Ergebnissen dieser Kostenanalyse vergleichend gegenübergestellt werden können. Diese entstammen der PrimAir Studie aus 2016, sowie den Veröffentlichungen von Fleßa et al. aus 2017 und Taylor et al. 2011. Sie werden nachfolgend mit den Ergebnissen dieser Analyse hinsichtlich der Szenariovariationen I. und II. diskutiert, wobei nach Bedarf auf die Szenarien 1., 2. oder 3. eingegangen wird.
PrimAir Studie (2016)
Einen Vergleichswert zu den Kosten des Betriebes eines Luftrettungsmittels für Primäreinsätze, das über 24 Stunden am Tag operiert, liefert die PrimAir Studie.7 Diese veröffentlichte Vollkosten eines Jahres mit 1000 Einsätzen, durchschnittlicher Einsatzdauer von 30 Minuten, Hubschrauber vom Typ H145 besetzt mit zwei Piloten in Höhe von 4.834.157 €. Der Anteil der einsatzabhängigen Kosten wird mit 25 % angegeben. PrimAir modelliert eine Situation, in der die Luftrettung die Bodenrettung substituiert.
Im korrespondierenden Szenario 3.I. mit Annahme geringer Kosten, 900 Primäreinsätzen und 92 Sekundäreinsätzen, berechnet dieses Kostenmodell Gesamtkosten für alle Einsätze in Höhe von 2.295.887,20 €. Szenario 3.II., das die Obergrenze möglicher Kostenausprägungen darstellen soll, enthält bei gleichem Einsatzprofil Gesamtkosten in Höhe von 2.913.937,20 €. Gemäß des Kostenmodells kommt den einsatzabhängigen, also variablen und semi-variablen Kosten mit zunehmender Fixkostendegression eine steigende Bedeutung zu. Diese ist bei 900 Primär- und 92 Sekundäreinsätzen jedoch vergleichsweise gering ausgeprägt ist. Der Anteil der einsatzunabhängigen fixen Kosten an den Gesamtkosten ist deshalb mit ca. 70 % in 3.I. und etwa 76 % in 3.II. bei geringer Einsatzzahl besonders hoch.8
Die Ergebnisse dieses Kostenmodells decken somit die Kostenverhältnisse, die in der PrimAir-Studie angegeben wurden. Jedoch liegen selbst die Gesamtkosten der kostenintensiven Szenariovariation 3.II. dieser Modellierung deutlich unter der jährlichen Kostenschätzung der PrimAir-Studie.
Fleßa et al. (2017)
In der Kostenanalyse zur Luftrettung von Fleßa et al. (2017) wurden die jährlichen Kosten als Fixkosten von 1,48 Mio. € und variable Kosten von 1180 € bei 1200 Einsätzen angegeben. Dies entspricht Gesamtkosten von 2.896.000 € bei einer täglichen Vorhaltung von 18 Stunden.
Vergleichend hierzu kann Szenariovariation 3.I. dieses Modells betrachtet werden, das den 24-Stunden Betrieb annimmt. Gesamtkosten in 3.I. liegen bei 1200 Primäreinsätzen und dem übrigen Einsatzprofil bei 2.446.467,20 €, in 3.II. bei 3.071.517,20 €.9 Die Kosten je Primäreinsatz betragen dann in 3.I. 751,41 €, in 3.II. 899,49 €. Aufgrund der hier modellierten Einsatzzeiträume lässt sich keine direkte Vergleichbarkeit zum angenommenen 18-Stunden Betrieb von Fleßa et al. ziehen. Ein Ausweichen auf 2.I. würde eine kürzere Rettungsmittelverfügbarkeit am Tag und damit einen geringeren Versorgungsumfang darstellen, auch liegen die Kosten von 2.I. noch unter denen von 3.I. Mithin wird der 16-Stunden-Betrieb nicht als Vergleichsgröße herangezogen.
Allerdings impliziert die modellierte geringere Kostenannahme der Szenariovariation I., die auf Daten von Luftrettungsbetreibern beruht, dass sich ein Luftrettungsbetrieb effizienter und mit geringeren Kosten durchführen lassen könnte, als von Fleßa et al. angenommen. Dies zeigt die um sechs Stunden längere Einsatzzeit am Tag, die in 3.I. mit geringeren Gesamtkosten verbunden ist, als das Betriebsszenario über 18 Stunden von Fleßa et al.
Taylor et al. (2011)
In ihrer Kostenrecherche zur australischen Luftrettung geben Taylor et al. jährliche Gesamtkosten für den 24/7-Luftrettungsbetrieb zwischen 2,7 Mio. und 19,1 Mio. AUS$ an, mit durchschnittlichen Kosten für Primäreinsätze zwischen 7204 AUS$ und 15.752 AUS$. Beim geltenden Austauschverhältnis von etwa 0,6 € / 1 AUS$ im Jahr der Veröffentlichung entspricht dies etwa 4400 € bis 9960 € je Primäreinsatz und Gesamtkosten zwischen 1,65 Mio. € und 11,8 Mio. €. Einsatzdauern sind nicht bekannt, sodass in dieser Hinsicht keine Aussage zur Vergleichbarkeit zu Szenario 3 dieser Kostenanalyse gemacht werden kann.
Durchschnittskosten für Primäreinsätze in Höhe von 4400 € entstehen bei jährlicher Betrachtung gemäß dieser Kostenanalyse jedoch nur bei unrealistisch geringen Einsatzzahlen mit unter 100 Primäreinsätzen, wie auch Abbildung 4.​2 Durchschnittskostenverläufe impliziert. Gesamtkosten ab 1,65 Mio. € für alle Einsätze können hingegen auch in dieser Analyse sehr wohl abgebildet werden. Bei 900 Primäreinsätzen sowie dem übrigen Einsatzprofil in 3.I. entstehen Gesamtkosten in Höhe von 2.295.887,20 €. Jedoch übersteigen jährliche Gesamtkosten von 11,8 Mio. €, wie Taylor et al. sie angeben, die Werte der hier vorgestellten Ergebnisse bei Weitem. Die höchste Gesamtkostenausprägung dieser Arbeit entsteht bei 1500 Primär- und weiteren Einsätzen in 3.II. und beträgt 3.233.097,20 €.

5.1.2 Betriebskostensteuerung

Ergebnisse
Die Bedeutung unterschiedlich hoher Betriebskosten wird durch die Szenariovariationen I. und II. für alle drei Szenarien aufgegriffen und beschrieben, mit dem Ziel, Aussagen über die einzel- und gesamtwirtschaftlichen Ressourcenallokationen treffen zu können. Der effiziente Betrieb von Luftrettungskapazitäten ist nicht nur im Sinne des einzelwirtschaftlichen Effizienzprinzips aus Sicht der Betreiber, sondern dient auch der gesamtwirtschaftlich nutzenmaximalen Mittelverwendung. Im engeren Sinne betrifft dies die Kostenträger der Luftrettung im Gesundheitssystem, im weiteren die Volkswirtschaft. Dennoch wurden hohe Betriebskosten der Luftrettung in der Vergangenheit vielfach kritisiert, darunter vom deutschen und österreichischen Rechnungshof.10
Variation II. stellt gegenüber I. auch die Obergrenze der Spanne vieler verschiedener Kostenausprägungen dar, die im Einzelnen nicht abgebildet werden können. Entsprechend des Erfahrungsobjektes Christoph 47 sind die modellierten Annahmen auf ein Luftrettungsmittel ohne Sondereinsatzkapazitäten und mit Schwerpunkt des Einsatzprofils auf Primäreinsätze ausgerichtet. Kostenstrukturen, die auf der einzelwirtschaftlichen Perspektive von Betreibern beruhen, greifen im Vergleich der Variationen I. und II. Inhalte der unter Abschnitt 2.​1.​3.​4 beschriebenen Marktentwicklung auf. Dies betrifft hinsichtlich der semi-variablen Wartungskosten etwa die Fähigkeit der Anbieter, Skalen- und Synergieeffekte im Luftrettungsbetrieb zu heben, indem Werftkapazitäten über ein einheitliches Flottenmanagement genutzt und ausgelastet werden. Die bereits in den Grundlagen beschriebene und im Rahmen der Ergebnisse bestätigte Fixkostenintensität der Luftrettung wird durch Variation der Personal- und sonstigen fixen Kosten in I. und II. dezidiert aufgegriffen. So wurde insbesondere Bau und Vorhaltung sehr teurer Infrastruktur, aber auch höhere Ausbildungskosten und ein hohes Lohnniveau abgebildet.
Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive wird besonders die Kritik an der Gestaltung des Luftrettungssystems durch die Szenariovariationen I. und II. beschrieben und dabei auch die Organisation vorgehaltener Infrastruktur aufgegriffen. Die Annahme sehr hoher Fixkosten in II. greift die Kritik des Bundesrechnungshofes11 auf und modelliert entsprechend die Inputdaten. Ein weiterer Kritikpunkt der deutschen und österreichischen Rechnungshöfe ist die Ineffizienz der fragmentierten, bundeslandspezifischen Standortplanung. Deren Auswirkung auf die Auslastung wird in dieser Arbeit mit dem Einsatzaufkommen und den entstehenden Kostenverläufen abgebildet.
Diese modellierten einzel- und gesamtwirtschaftlichen Einflussfaktoren resultieren schließlich in den Ergebnissen. Insbesondere die höheren angenommenen Fixkosten treiben die Gesamtkostensteigerungen zwischen 24,3 % und 29 %, die bei Vergleich der Szenariovariationen I. und II. im jeweiligen Szenario 1, 2 oder 3 für 1500 Primär- und sonstige Einsätze anfallen. Diese Gesamtkostenausprägungen zeigen die herausragende Bedeutung, die der rahmenlegenden Gestaltung und Organisation des Luftrettungssystems zukommt. Sie bedingt die Effizienz der Ressourcenallokation.
Kosten des deutschen Luftrettungssystems
In dieser Hinsicht kann die beschriebene Kostenspanne zwischen I. und II. bezüglich gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen von ineffizienten Standortplanungen sowie überdurchschnittlichen Baukosten für Einrichtungen der Infrastruktur am Boden interpretiert werden. So könnte ausgehend von der ineffizient „teuren“ Szenariovariation darauf geschlossen werden, dass bei Hebung von Kostenineffizienzen über 25 % für jedes vierte Luftrettungsmittel ein weiteres stationiert werden könnte. Bestehen ineffiziente Standortplanungen und weit überdurchschnittliche Baukosten, werden für die Luftrettung verwendete Ressourcen nicht im Sinne der Patienten eingesetzt.
Diese Ausprägungen der Vollkosten des Luftrettungsbetriebes sind von Bedeutung, um Rückschlüsse auf die gesellschaftlichen Gesamtkosten des Luftrettungssystems, welche von den Krankenkassen und Bundesländern getragen werden, ziehen zu können. Die tatsächliche Höhe der Systemkosten ist nicht bekannt, kann aber indikativ sowohl aus den verwendeten Inputdaten, wie auch aus den erarbeiteten Ergebnissen hergeleitet werden. Gemäß der RUN-Statistik aus 2004 betrug der Anteil der Länder an der Finanzierung der Luftrettung im Jahr 2002 ca. 22,3 %.12 Dies ist das einzige verfügbare Rechercheergebnis zu deren tatsächlichen Finanzierungsanteil und müsste 2021 erheblich niedriger liegen – Kritik am geringen Finanzierungsanteil der Länder an der Luftrettung wurde bereits wiederholt erörtert. Der gesunkene Beitrag der Länder an den Betriebskosten lässt sich in dieser Arbeit anhand des Wertes \(\delta\) ermitteln, der die Kosten für Infrastruktur am Boden wiedergibt. Für Szenariovariation 1.I. und 1500 Primär- sowie sonstigen Einsätzen beträgt der Anteil von \(\delta\) an den Gesamtkosten 2,74 %, bei Annahme hoher Kosten in 1.II. sind es 4,06 %.
Weitere und aktuellere Informationen zu gesellschaftlichen Ausgaben für die Luftrettung gibt es von den Krankenkassen, die im Jahr 2019 Nutzungsentgelte in Höhe von 240 Mio. € für die Finanzierung des laufenden Betriebes zahlten.13 Sofern die errechneten Finanzierungsanteile der Länder übertragbar sind, so liegen die gesellschaftlichen Ausgaben für die Luftrettung in Deutschland zwischen 246,67 Mio. € und 250,16 Mio. €, je nachdem, wie hoch der Finanzierungsanteil der Länder angenommen wird. Gemäß diesen Ergebnissen wäre dieser relative Anteil seit 2002 also erheblich gesunken, dieser Eindruck deckt sich mit den Aussagen im Bericht des Bundesrechnungshofes und ergänzt sie um die Quantifizierung.
Damit würden durchschnittlich auf jeden der 86 Hubschrauber der öffentlichen Luftrettung in Deutschland öffentliche Ausgaben in Höhe von 2,86 Mio. € bzw. 2,9 Mio. € anfallen. Bei Zugrundelegung der oben erläuterten Kostenspanne zwischen Szenariovariationen I. und II. von ca. 25 %, die eine ineffiziente Ressourcenallokation impliziert, würden sich Einsparpotentiale an der Obergrenze auf etwa 62,54 Mio. € im Jahr belaufen. Dieses Szenario ist hypothetisch, es ist nicht davon auszugehen, dass die modellierte Ineffizienz übergreifend auf alle Rettungsmittel des Luftrettungssystems zutrifft. Gleichwohl zeigt es jedoch, wie bedeutend Ansätze zur Gestaltung von Luftrettungssystemen sind, die Höhe potenziell einzusparender Ressourcen weist auf Prüfungsbedarf hin.
Ansätze zur Steuerung der Rahmenbedingungen von Luftrettungssystemen, mit dem Ziel der Senkung der Betriebskosten, könnten die bestehenden Kostenzusammenhänge sowie deren Ausprägungen verbessern und innovieren. Dabei müssten sowohl angrenzende Systeme, wie auch das Luftrettungssystem selbst weiterentwickelt werden, sodass es sich bei Restrukturierung der Rahmenbedingungen innerhalb bestehender Wertegerüste um eine Mesoinnovation handeln würde. Ansätze hierfür könnte erneut der Vergleich zu anderen europäischen Luftrettungssystemen zeigen.
Benchmarks
Der Vergleich zu anderen europäischen Luftrettungssystemen zeigt, dass gemäß den Rechercheergebnissen der Betrieb von Rettungshubschraubern zu noch geringeren Kosten möglich sein könnte. Einschränkend muss hier erwähnt werden, dass in den Quellen der aufgeführten Daten keine eindeutige Unterscheidung zwischen betrieblichen Vollkosten und den gesellschaftlichen Ausgaben im Sinne der Leistungsvergütung gemacht wird. Es handelt sich dabei um öffentliche, nicht-ökonomische und nicht wissenschaftliche Beiträge. Somit muss von öffentlichen Ausgaben für die Luftrettung ausgegangen werden, denn die Erfahrung aus Deutschland zeigt, dass Luftrettungsorganisationen ihre Kosten nicht freizügig offenlegen.14
Damit unterliegen die Vergleichsdaten einer Unsicherheit. Um diese zu reduzieren, werden nachfolgend internationale Kostendaten mit den Ergebnissen dieser Arbeit verglichen. Dabei wird sowohl auf die errechneten einzelwirtschaftlichen Betriebskosten, wie auch auf die gesellschaftlichen Kosten des Unterhalts der Leistungsvergütung eingegangen. So weisen die in Tabellen 5.1 und A.1 dargestellten Daten darauf hin, dass in Polen und England die durchschnittlichen Kosten einer Luftrettungsstation noch unter denen einer vergleichbaren Deutschen liegen.
Andererseits scheint die skandinavische Luftrettung mit deutlich höheren Betriebskosten zu operieren. Zumindest in Schweden könnte mit der umfangreicheren Ausstattung für besonders widrige Wetterbedingungen argumentiert werden. Dänemark weist hingegen seit 2012 stark steigende Kosten des Luftrettungssystems auf, für die in dieser Arbeit keine erklärenden Rechercheergebnisse vorliegen.
Im Gegensatz zu den anderen aufgeführten Ländern dieses Vergleichs operieren dänische und schwedische Rettungshubschrauber grundsätzlich rund um die Uhr. Dies bedingt, in übereinstimmender Systematik mit diesem Modell, höhere Fixkosten und könnte die hohen Kosten, welche die vorgestellten Rechercheergebnisse aufweisen, erklären. In den übrigen Ländern Polen, Tschechien und England sind nicht alle Rettungshubschrauber 24/7 im Einsatz, was wiederum die vergleichsweise geringeren Kosten erklären könnte.
Die These, dass neu aufgestellte Luftrettungssysteme durch effizientere Planungsmöglichkeiten und größeren Gestaltungsraum zu geringeren Kosten der Vorhaltung führen, kann anhand dieses Vergleichs nicht bestätigt werden. So scheint die junge polnische Luftrettung gemäß den Tabellen 5.1 und A.1 zu besonders niedrigen Kosten zu operieren, während die ebenfalls erst kürzlich etablierte dänische Luftrettung erheblich kostenintensiver ist. Andererseits scheint das über Jahre gewachsene englische Luftrettungssystem gegenüber anderen Ländern sehr effizient zu sein, während auch das sehr große und über Jahrzehnte gewachsene deutsche Luftrettungssystem hinsichtlich seiner Stations- uns Systemkosten im mittleren Bereich der Vergleichsländer liegt. Dies gilt insbesondere für die Anzahl der durchschnittlichen Einsätze je Luftrettungsstation.
Tabelle 5.1
Vergleich der Kosten von Luftrettungssystemen15
 
Vergleichsergebnisse Kostenmodell
 
Bekannte Kosten
Anzahl Hubschrauber
Betriebliche Vollkosten bei x = 1200
Gesellschaftliche Kosten durch Leistungsvergütung bei x = 1200
Dänemark
– Anstieg auf 18,1 Mio. € in 2018 für drei Standorte
– 2012: Durchschnittliche Kosten von 2,95 Mio. € je Station bei 826 Einsätzen im Jahr
– durchschnittliche Kosten 4.700 € je Einsatz
Erweitert auf 4 in 2019
1.I. 1,6 Mio. €
1.II. 2,12 Mio. €
1.I. 1,9 Mio. €
1.II. 1,96 Mio. €
Schweden
– Plankosten für 2021
– Fixkosten: zwischen 3,44 und 4,13 Mio. € je Luftrettungsstandort
– Variable Kosten: zwischen 0,8 Mio. und 1,4 Mio. € bei 800 Flugstunden
9
Polen
– Aufbau von neuem Luftrettungssystem für 19 Mio. €
– Entspricht 0,9 Mio. € je Standort
21 regulär, 1 saisonaler
2.I 1,8 Mio. €
2.II. 2,32 Mio. €
2.I. 1,9 Mio. €
2.II. 1,96 Mio. €
Tschechien
– Geschätzte Volkswirtschaftliche Kosten für Luftrettung von ca. 28,256 Mio. €
– Durchschnittliche jährliche Gesamtkosten eines Standorte 2,826 Mio. €
10 (Erweiterung auf 11 in 2021)
England
– Ca. 66 Mio. €
– Durchschnittlich ca. 1,538 Mio. € je Station
39
3.I. 2,39 Mio. €
3.II. 2,97 Mio. €
3.I. 2,5 Mio. €
3.II. 2,57 Mio. €
Deutschland
– Öffentliche Ausgaben für Luftrettungssystem
– Gemäß indikativem Wert dieser Arbeit zwischen 246,67 Mio. € und 250,16 Mio. für das Luftrettungssystem
– Damit abhängig vom Finanzierungsanteil der Länder durchschnittlich 2,86 Mio. € und 2,9 Mio. € je Rettungsmittel
81
Bei Gegenüberstellung der Ergebnisse dieses Kostenmodells zeigt sich, dass eine Übertragung der modellierten Kostensystematik durchaus zu Ergebnissen führt, die Daten über tatsächliche Kosten von verschiedenen Luftrettungssystemen bestätigen können. So finden sich vor allem die recherchierten Kostendaten zur tschechischen und englischen Luftrettung in den Ergebnissen der Szenariovariationen I. und II. wieder. Entsprechend der Informationen zu Dänemark lagen im Jahr 2012 auch dort die Kosten einer Luftrettungsstation im Ergebnisbereich dieses Modells, der registrierte Kostenanstieg in 2018 lässt sich jedoch nicht abbilden. Schweden und Dänemark hingegen scheinen gegenüber den anderen Luftrettungssystemen, wie auch diesem exemplarischen Kostenmodell, erheblich höhere Betriebs- bzw. Systemkosten für den Unterhalt ihrer Luftrettung finanzieren zu müssen.
Maßgeblich einschränkend bei diesem Vergleich sind die jährlichen Einsatzzahlen eines Standortes: Wie Tabelle A.1 zeigt, liegen diese in den verglichenen Ländern zwischen 562 und 826 Einsätzen, nur Dänemark weist mit über 1200 Einsätzen ein höheres Aufkommen auf. Dies weist auf höhere durchschnittliche Einsatzkosten und damit die Notwendigkeit einer höheren Einsatzvergütung hin. Bei hohen Fixkosten kann dies zu den hohen öffentlichen Ausgaben führen. Damit ist eine andere Kostenstruktur als im Modell angenommen nicht ausgeschlossen – grundsätzlich könnten hohe Benutzungsentgelte jedoch auch losgelöst von den tatsächlichen Betriebskosten in den jeweiligen Luftrettungssystemen stehen.

5.1.3 Einsatzprofile

Szenariovariation III. greift die Ausweitung des Einsatzprofils eines Primärhubschraubers hin zu einem Dual-Use Hubschrauber auf, sodass neben Primäreinsätzen auch sekundäre Transporte an Bedeutung gewinnen. Die Veränderung der Dispositionsmöglichkeiten des Hubschraubers impliziert somit grundsätzlich eine höhere Verfügbarkeit der Luftrettung für eine größere Breite an Einsätzen, insbesondere Nachts. Dabei muss der Trade-Off in Kauf genommen werden, dass die Gefahr von Einsatzduplizitäten zunimmt und das gebundene Rettungsmittel in einem anderen Einsatz dringender gebraucht würde.
Im überwiegenden Teil der Länder des zuvor durchgeführten Vergleichs europäischer Luftrettungssysteme zeigte sich, dass nur in Deutschland systematisch zwischen Primär-, Sekundär und Dual-Use-Rettungsmitteln unterschieden wird. Etwa in Skandinavien, Polen oder Tschechien findet ein faktischer Dual-Use Betrieb statt, sodass Luftrettungsmittel grundsätzlich für Notfälle und Verlegungen in den ländlichen Regionen genutzt werden. Für viele deutsche Primärhubschrauber wäre eine Veränderung der Einsatzprofile innovativ, sofern dadurch zusätzliche Wohlfahrtsgewinne bei verschiedenen Stakeholdern der Luftrettung entstehen würden.
Hinsichtlich der unter 2.​1.​1.​1.​3 beschriebenen gesundheitspolitischen Herausforderungen in Deutschland könnten luftgestützte Sekundärtransporte in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Dies gilt im Besonderen für dünn besiedelte Gebiete, in denen die stationären Versorgungsstrukturen von einer Zentren- und Schwerpunktbildung geprägt sind, die Verlegungen von Patienten zwischen Gesundheitseinrichtungen verschiedener Versorgungsstufen erfordern. Wird der Verlegungsbedarf auch durch Lufttransporte erfüllt, könnte dies bisherige Einsatzprofile verschieben und somit die klassische Rettungsmittelvorhaltung für eine bestimmte Einsatzart innovieren. Dieses Szenario trifft im Besonderen auch auf das exemplarische Erfahrungsobjekt aus Greifswald und dessen Versorgungsgebiet zu.16
Die Ergebnisse zeigen, dass das Einsatzprofil der Primärrettung grundsätzlich ohne erhebliche Fixkostensteigerungen in den Dual-Use Betrieb erweitert werden kann. Diese wären vor allem abhängig von der zu erweiternden Ausstattung für eine Sekundäreinsatzfähigkeit des Luftrettungsmittels.17 Kostentreibend sind dann gemäß dieser Kostenanalyse insbesondere die einsatzabhängigen Kosten. Zudem kommt es hinsichtlich der durchschnittlichen Kosten zu einer verstärkten Fixkostendegression. Dementsprechend ist bei 1500 Primäreinsätzen sowie den sonstigen angenommenen Einsatzzahlen bei der Ausweitung des Einsatzprofils von I. auf III. mit Gesamtkostensteigerungen zwischen 6 % und 15 % in Szenarien 1, 2 und 3 auszugehen.18

5.1.4 Seilbergung

Unabhängig vom betrachteten Szenario stellt die Rettungswinde in allen Ergebniskonstellationen gegenüber dem Fixtau die technisch erweiternde Innovation mit höherer Kostenintensität dar. Die Erweiterung der Ausgangsvariation I. um die Winde in Variation V. führt dabei zu Gesamtkostensteigerungen in Höhe von zwischen 13 % in Szenario 1 und ca. 12 % in Szenario 2 und 6 % in Szenario 3 bei einem Einsatzprofil mit 1500 Primäreinsätzen.
Fraglich ist für die Vorhaltung einer Rettungswinde, ob und in welcher Häufigkeit Windeneinsätze im jeweiligen Einsatzgebiet vorkommen. Das Kostenmodell geht von einem Einsatz der Winde in 10 % aller Primäreinsätze aus und beruht damit auf historischen Daten anderer Luftrettungsmittel, die in der Bergrettung eingesetzt werden.19 In der Kleinen Anfrage aus 2014 benennt die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns hingegen unbelegt durchschnittliche Windeneinsatzzahlen von 0,2 % des Gesamteinsatzaufkommens.20 Diese könnten exemplarisch für Küstenregionen der norddeutschen Tiefebene stehen. Bei Annahme einer geringeren Einsatzhäufigkeit würden die Gesamtkosten nur leicht verändert, durchschnittliche Einsatzkosten jedoch aufgrund geringerer Fixkostendegression steigen. In Folge würde zudem die Einsatzvergütung sinken.
Bei der Erweiterung der Einsatzfähigkeiten der Luftrettungsmittel zur Seilbergung durch Fixtau oder Rettungswinde ist zudem mit längeren Bindungszeiten im Rahmen der Sondereinsätze zu rechnen. Somit ergibt sich bei verlängerter Einsatzdauer auch die steigende Gefahr von Einsatzduplizitäten, die durch alternative Rettungsmittel gedeckt werden müssten. Aufgrund der Zwischenlandungen beim Fixtaueinsatz ist dabei zu vermuten, dass diese noch zeitintensiver als die Windeneinsätze sind.21
In der deutschen Luftrettung werden Systeme zur Seilbergung nicht regelmäßig mitgeführt. Diese Handhabung deckt sich mit anderen europäischen Luftrettungssystemen, in denen Fixtaue oder Winden nur an wenigen Stationen eingesetzt werden. Damit lässt sich eine allgemeine Nutzung von Seilsystemen nicht aus internationalen Luftrettungssystemen für die deutsche Luftrettung ableiten – andererseits stellt auch das deutsche Vorgehen offenbar keine Novität für andere Länder dar.

5.1.5 Leistungsvergütung

Ergebnisse
In der Break-Even Analyse wird mit einer Flugminutenvergütung von 70 € ein Bewertungsansatz gewählt, der gemäß der Rechercheergebnisse aus 2.​1.​3.​5 Finanzierung und Vergütung im mittleren Bereich gezahlter Preise in der deutschen Luftrettung liegt. Für die Ermittlung von Gewinnen und Verlusten um die Gewinnschwelle wird diese Flugminutenvergütung als angenommenes Benutzungsentgelt den Betriebskosten des Luftrettungsbetriebes gegenübergestellt. Die Gewinnkurven der Szenariovariationen ergeben sich aus einer einzelwirtschaftlichen Betrachtung, in der die Kosten, die ein Stationsbetreiber zu decken hat, nicht den volkswirtschaftliche Gesamtkosten entsprechen. Kosten für Infrastruktur am Boden wird im deutschen Luftrettungssystem de jure von den Ländern getragen. In der einzelwirtschaftlichen Betrachtung des Betriebs eines Standortes sind sie für den Betreiber somit nicht entscheidungsrelevant.22
Ebenfalls werden Erlöse aus Spenden- oder Förderbeiträgen nicht berücksichtigt, da aufgrund fehlender Kenntnisse ihr Beitrag zur Kostendeckung einzelner Stationen nicht eingeschätzt werden kann. Grundsätzlich sind diese quasi-fixen, nicht leistungsmengenabhängigen Erlöse jedoch dazu geeignet, die Gewinnschwelle früher zu erreichen, oder Gemeinkosten zentraler Verwaltungseinrichtungen zu decken, die in den Benutzungsentgelten nicht abgegolten werden.
Unter anderem der deutsche Bundesrechnungshof bemängelt, dass die Länder ihre Finanzierungsaufgabe für notwendige Infrastruktur besonders in der bodengebundenen Rettung de facto zunehmend auf die Krankenkassen übertragen.23 Werden Hubschrauber, die nicht in der öffentlichen Luftrettungsplanung aufgenommen sind, also bspw. Werkshubschrauber, subsidiär eingesetzt und ihre Leistung über die Krankenkassen vergütet, tragen diese somit zur Vollkostendeckung des nicht für öffentliche Zwecke vorgehaltenen Rettungsmittels bei. Sofern die Länder keine Subventionen für die entsprechenden Betreiber zahlen, liegt die Last der Finanzierung subsidiärer Rettungsleistungen vollständig bei den Krankenkassen. Beispielhaft hierfür kann der zwischen Oktober 2018 und September 2019 in Sembach stationierte, außerhalb der öffentlich-rechtlichen Luftrettung betriebene, Hubschrauber der Johanniter Luftrettung genannt werden.24
Wie aus den Ergebnissen, auch dargestellt in Abbildung 4.​4: Break-Even-Analyse., hervor geht, erreichen alle Szenariovariationen außer 2.II. und 3.II. innerhalb von 1350 Primäreinsätzen, unter Berücksichtigung des weiteren Einsatzprofils, einen nachhaltigen Break-Even Punkt. Bei weiter steigenden Einsatzzahlen entstehen unter gegebenen Annahmen der Variationen darüber hinaus Gewinne von 500.000 € oder mehr. Die Annahmen, welche die Gewinnschwellen der hier definierten Szenariovariationen bedingen, könnten schon bei leichter Variation die nötige Leistungsmenge für den Break-Even verschieben. Einflussgrößen sind nicht nur der Preis der Flugminute und zu deckende Kosten, sondern auch die abrechenbare Einsatzdauer, die den unterschiedlichen Gesamtkostenverläufen gegenübergestellt werden.
Die Ergebnisse dieser Break-Even-Analyse weisen darauf hin, dass viele deutsche Rettungsmittel, für die eine Übertragbarkeit der hier getroffenen Annahmen besteht, in der Gewinnzone betrieben werden könnten. Wie aus der Darstellung von Einsatzzahlen deutscher Luftrettungsmittel in Abschnitt 2.​1.​1.​2.​3 hervorgeht, leisten viele Standorte über 1100 Primäreinsätze, zuzüglich des weiteren Einsatzprofils. Gemäß Abbildung 4.​4 Break-Even-Analyse ist diese Einsatzzahl zur Kostendeckung oftmals ausreichend.
Jedoch zeigt sich auch, dass bei sehr hohen Kosten der Vorhaltung und gegebener Einsatzvergütung die Gewinnschwelle innerhalb des modellierten Einsatzprofils nicht erreicht wird. Dies gilt für die Szenariovariationen 2.II. und 3.II., deren nachhaltige Break-Even Punkte oberhalb von 1600 Primär- und sonstigen Einsätzen liegen. Die Verfehlung des kostendeckenden Betriebs bei 70 € je Flugminute für diese Szenariovariationen verdeutlicht erneut die implizite Ineffizienz teurer Rettungsmittelvorhaltung. Um die Gewinnschwelle innerhalb der Einsatzzahlen zu erreichen, die in den übrigen Szenariovariationen üblich sind, müsste die Leistungsvergütung oder das Leistungsvolumen deutlich steigen. Daraus ergibt sich eine Belastung für die Träger der Betriebskosten, in Deutschland somit den Krankenkassen.
Profitabilität
Mit den Ergebnissen dieser Arbeit kann die Bindung knapper Ressourcen verdeutlicht und quantifiziert werden. Entsprechend der getroffenen Annahmen ist eine Gewinnerzielung größeren Ausmaßes innerhalb bestimmter Szenariovariationen möglich. So erreichen viele der modellierten Spielarten Gewinne zwischen 169.000 € und 650.000 € innerhalb von 1500 Primäreinsätzen und dem weiteren Einsatzprofil,25 also jährlichen Einsatzzahlen, die in der deutschen Luftrettung üblich sind.26 Die entstehenden jährlichen entscheidungsrelevanten Vollkosten eines Betreibers liegen dabei zwischen ca. 1,7 Mio. € im Ausgangsszenario 1.I. und 2,7 Mio. € in 3.V.
Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht hingegen fallen den leistungsvergütenden Krankenkassen in 1.I. beispielsweise Ausgaben von 2.389.800 € bei 1500 Primär- und weiteren Einsätzen an. Von diesen werden 650.273,80 €, also ca. 27,21 % der gesamten Leistungsvergütung, nicht zur Deckung der entscheidungsrelevanten Betriebskosten benötigt und stellen die Bruttomarge für den Luftrettungsbetreiber dar. Selbst in der Gegenüberstellung sehr hoher Kosten in 1.II. beträgt die Bruttomarge bei 1500 Primär- und sonstigen Einsätzen noch rund 7 %. Variation 3.V. stellt das zweite oben genannte Beispiel dar, mit einer Bruttomarge von ca. 15,5 %. Damit übersteigen die gesellschaftlichen Kosten jene des tatsächlichen Betriebes der Luftrettung auch in einem Szenario mit 24/7-Betrieb sowie einer Sondereinsatz-Ausstattung.
Besonders Szenariovariation 1.I. dient hier als Extremfall. Die dargestellten Beispiele verdeutlichen dennoch, dass unter gegebenen Umständen dieser möglichst realitätsnahen Modellierung Luftrettungsmittel profitabel unterhalten werden können. Werden die präsentierten Bruttomargen von 7 % und 27,21 % auf die Ausgaben der kostentragenden Krankenkassen übertragen, bedeutet das, dass von den jährlich gezahlten Benutzungsentgelten über 240 Mio. € in 201927 zwischen 16,8 Mio. € und 65,3 Mio. € in einzelwirtschaftlichen Gewinnen gebunden sein könnten. Diese stehen somit der vom Rettungsdienst zu versorgenden Bevölkerung nicht zur Verfügung.
Benchmarks
Beispielhaft können zur Verdeutlichung der Übertragbarkeit der ermittelten Gewinnschwellen auf die in Abbildung 2.​9 aufgeführten deutschen Rettungstransporthubschrauber betrachtet werden. So liegt die Einsatzvergütung von 69 € je Flugminute von Christoph 33 ca. 10 % unter der von Christoph 64 mit 75 €, während beide etwa ein Aufkommen von 1600 Einsätzen bewältigen. Bei ähnlichen Einsatzvoraussetzungen, beide Rettungsmittel operieren am Tag als Primärhubschrauber und führen keine (bekannte) herausgehobene Sonderausstattung, stellt sich die Frage, wie es zu der unterschiedlichen Vergütung kommt. Christoph 39 und 49 hingegen erhalten bei 1180 bzw. 1236 Einsätzen je Flugminute 80 € bzw. 79 €. Die höhere Leistungsvergütung bei geringerem Einsatzaufkommen könnte mit dem Verhalten der Durchschnittskosten erklärt werden, die mit steigender Leistungsmenge sinken.
Alle vier Hubschrauber operieren als primäre Luftrettungsmittel im Tagflugbetrieb ohne Sonderausstattungen. Somit werden sie in dieser Kostenanalyse von den Szenariovariationen 1.I. und 1.II. repräsentiert, ihre Gewinnkurven sind in Abbildung 4.​4 dargestellt. Die Variationen stellen mögliche Ober- und Untergrenzen von Kostenstrukturen dar und geben Gewinnschwellen zwischen 799 und 1350 Primäreinsätzen aus. Die Gewinnschwellen werden in jeder Szenariovariation von Christoph 33 und 64 deutlich überschritten. Auch für Christoph 39 und 49 kann, sofern keine extrem hohen Betriebskosten vorliegen, ein kostendeckender, durch die erhöhte Leistungsvergütung sogar profitabler Betrieb bei 1180 bzw. 1236 Einsätzen angenommen werden.
In seinem Bericht zur Luftrettung 2012 geht der österreichische Rechnungshof28 von 1000 erforderlichen Flügen aus, um bei jährlichen Betriebskosten von 1,72 Mio. € kostendeckend operieren zu können. Über die in Abschnitt 2.​3.​2 geschilderte Kostenstruktur hinaus wird die Zusammensetzung der Leistungsvergütung jedoch nicht ausgeführt, sodass der detaillierte Vergleich zu den Ergebnissen dieser Arbeit erschwert wird.
Der Bereich der Einsatzzahlen, innerhalb derer die Break-Even Punkte in dieser Kostenanalyse erreicht werden, deckt sich jedoch näherungsweise mit den Angaben des österreichischen Rechnungshofes. Als korrespondierendes Szenario mit ähnlicher Gesamtkostenhöhe könnte Szenario 2.I. herangezogen werden, das bei 918 Primär- und 92 Sekundäreinsätzen bei entscheidungsrelevanten Gesamtkosten in Höhe von 1.574.325 € und einer Leistungsvergütung von 70 € je Flugminute die Gewinnschwelle erreicht. Die gesellschaftlichen Gesamtkosten liegen in diesem Fall bei 1.623.325 €. Somit ergibt sich hier ein Vergleichswert, dessen Höhe und zugrunde liegenden Voraussetzungen die Ergebnisse, und somit die Annahmen, der Szenariovariation 2.I. dieser Arbeit bestätigen können.

5.2 Handlungsempfehlungen für die Gestaltung von Luftrettungssystemen

5.2.1 Herausforderungen

5.2.1.1 Partikularinteressen

Erkenntnisse und Schlussfolgerungen für die Steuerung und Gestaltung von Luftrettungssystemen können aus den Ergebnissen dieses Kostenmodells gewonnen werden, sofern dessen Prämissen angenommen werden. Um Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, müssen besonders Wirkungsmechanismen und die Interessen verschiedener Stakeholdergruppen im Luftrettungssystem beachtet werden. Werden Spannungsfelder, die sich aus den Zielen und Partikularinteressen dieser Gruppen ergeben, nicht ausgesteuert und bestehen Zielkonflikte, droht eine ineffiziente Ausgestaltung von Luftrettungssystemen. Dies gilt auch für das deutsche Luftrettungssystem, das von verschiedenen Stellen für die praktizierten Planungs- und Finanzierungsmechanismen kritisiert wurde.29
Dabei ist die Schnittmenge aller Interessensgruppen der notfallmedizinischen Versorgung und der Luftrettung, dass bestehende Kapazitäten für die Aufgabenerfüllung ausgenutzt werden sollen. Die Art und Weise der angestrebten Ressourcennutzung jedoch hängt von den jeweiligen Partikularinteressen ab, deren Fokus und Zielvorstellung sich auf unterschiedlichen Ebenen bewegt. Wesentliche Stakeholdergruppen der deutschen Luftrettung sind die notfallmedizinischen Akteure, politische Vertreter auf kommunaler und föderaler Ebene, Patienten und ihre Versicherungen sowie die Betreiberorganisationen. Um Zielkonflikte für die effiziente Gestaltung von Luftrettungssystemen verstehen und aussteuern zu können, werden folgend die Partikularinteressen der verschiedenen Stakeholdergruppen gegenübergestellt. Die Schlussfolgerungen dieser Partikularinteressen und Zielkonflikte werden aus den grundlegenden Erkenntnissen von der Beschreibung von Luftrettungssystemen des zweiten Abschnitts dieser Arbeit gezogen.
Notfallmedizin
Die notfallmedizinische Versorgung entwickelt sich mit dem medizinischen Fortschritt. Sie befriedigt den Versorgungsbedarf der Patienten und setzt im Zuge dessen rahmengebende Ansprüche, die von den Ländern umgesetzt werden.30 In deren Rettungsdienstgesetzen werden Luftrettungsmittel als Ergänzung zur Bodenrettung geregelt. Somit lässt sich rückschließen, dass die Notfallmedizin bisher keine Ansprüche erhebt, das gesamte Einsatzaufkommen grundsätzlich luftgestützt versorgen zu wollen, bzw. diese als Versorgungsanforderung an politische Entscheidungsträger heranträgt.
Ein Paradigmenwechsel könnte eine allgemeine Ausweitung der Luftrettungsleistungen verlangen. Jedoch weist der Status Quo darauf hin, dass die Hubschrauber vor allem für besonders gefährdete Patienten vorgehalten werden, oder um zeitliche Vorgaben einzuhalten. Damit ist es im Interesse der notfallmedizinischen Akteure, Dispositionskriterien von Luftrettungsmitteln so zu steuern oder zu beeinflussen, dass Kapazitäten sparsam eingesetzt und Einsatzduplizitäten verhindert werden. Duplizitäten würden demnach auf die Fehlallokation verfügbarer Ressourcen hinweisen, wenn Hubschrauber nicht dem schwerer verletzten Patienten zur Verfügung stünden.
Darüber hinaus droht ein hohes Einsatzaufkommen in Verbindung mit freizügigem Dispositionsverhalten die Exposition des medizinischen Personals zu lebensbedrohlichen Einsätzen zu verringern. Dies weist auf einen geringeren Trainingsstand hin, der die Aufgabe der Luftrettung, besonders schwere Notfälle zu versorgen und damit die Versorgungsqualität zu erhöhen, erschweren kann. Aus Sicht der notfallmedizinischen Akteure ist eine zu hohe Bindung der Luftrettungsmittel somit zu vermeiden.
Neben dem praktischen notfallmedizinischen Nutzen der Luftrettung stellen die Hubschrauber ein prestigeträchtiges Rettungsmittel dar. Sie sind zumeist an Krankenhäusern als Zielort der notfallmedizinischen Versorgung stationiert und werden von diesen ärztlich besetzt. Damit erscheint es im Interesse der stationären Einrichtungen, von der Außenwirkung der Luftrettungsmittel zu profitieren und auch für die Personalgewinnung für sich zu nutzen.
Patienten
Interessen von potenziellen und tatsächlichen Patienten gehen in ihren Stellvertretern, den Sozialversicherungen sowie der politischen Vertretung auf. Allen Patienten liegt implizit zu Grunde, dass ihre Zielkonzeption eine möglichst gute und sichere Gesundheitsversorgung, das bestmögliche Outcome im Zuge von Notfällen und eine Bewahrung der Lebensqualität als besonders wichtig einschätzt. Für alle Einwohner und potenziellen Patienten ist die schnelle Verfügbarkeit von notfallmedizinischer Versorgung wesentlich. Im Notfall wäre ihre Zahlungsbereitschaft für Luftrettungsleistungen sehr hoch ausgeprägt, wenngleich diese Zahlungen von den Krankenversicherungen übernommen werden.31 Aus dem individuellen Sicherheitsprinzip, in Verbindung mit möglicherweise geringem Kenntnisstand, kann geschlussfolgert werden, dass gemäß subjektiver Präferenzen das schnellere und mutmaßlich bessere Luftrettungsmittel dem Transport am Boden vorgezogen wird. Diese Haltung wird, wie nachfolgend dargestellt, verstärkt durch die Suggestion anderer Akteure, darunter die politischen Vertreter sowie die Luftrettungsorganisationen, dass besonders die Luftrettung die Qualität der Notfallversorgung sicherstellt.
Politische Akteure
Im deutschen Luftrettungssystem liegt die Planungs- und Organisationskompetenz bei den Bundesländern. Als Kostenträger nehmen Sie ihre Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge wahr. Rahmengebend für die Organisation der notfallmedizinischen Versorgung durch die Länder sind medizinische Anforderungen, die in gesetzlichen Zielvorgaben, bspw. durch die Hilfsfrist, umgesetzt werden.32 Innerhalb dieser wird in Deutschland die Luftrettung ergänzend zur Bodenrettung eingesetzt und hilft unter anderem dabei, die gesetzlichen Hilfsfristen des Rettungsdienstes einzuhalten. Damit ist es allgemein im Interesse der Bundesländer, Luftrettungsmittel so zu stationieren, dass bestehende Rettungsdienststrukturen entsprechend des Ziels der Daseinsvorsorge ergänzt und verbessert werden. Die rechtlich festgelegte Kostenträgerschaft müsste auch zu einem Interesse an einer kostensparenden Gestaltung der Luftrettung bei den Ländern, mit einer versorgungsgerechten Standortpolitik und günstig vorgehaltener Infrastruktur, führen.
Obwohl dieser Finanzierungsanteil der Länder, wie gezeigt, verglichen mit den Vollkosten des Luftrettungsbetriebes eher gering ist, stellt er dennoch eine Belastung der Länderhaushalte dar. Deshalb könnte es im Sinne der Bundesländer sein, Hubschrauber außerhalb der öffentlichen Luftrettung subsidiär einzusetzen. Wenn dann die Leistungsvergütung durch die Krankenkassen erfolgt, und Infrastruktur nicht öffentlich vorgehalten werden muss, verschiebt sich die Finanzierung vollständig auf die Kassen.33
Die allein politische Planungs- und Entscheidungskompetenz ist auch den vertretenen Bürgern und potenziellen Patienten zugerichtet. So werden Luftrettungsmittel mitunter auch auf kommunaler Ebene im Wahlkampf als Garant für eine sichere Gesundheitsversorgung eingesetzt.34 Damit kommt der Luftrettung ein Prestigeeffekt zu. Gleichzeitig erscheint ein bereits im Rettungsdienstbereich stationiertes Luftrettungsmittel für die Landkreise als Möglichkeit, die Einhaltung von Hilfsfristen mit zu gewährleisten.35 Somit ist es im Sinne kommunaler Rettungsdienste, einmal gewonnene Luftrettungsstandorte nicht wieder abzugeben, was die Neuplanung bestehender Standorte erschwert.
Auf der anderen Seite stellen auch Bürgergruppen Ansprüche an ihre politischen Vertreter, bspw. in Form von Bürgerinitiativen, um in der Planung von Luftrettungsstandorten mehr berücksichtigt zu werden.36 Damit erweitert sich das Feld auszugleichender Interessen und Ziele, die auf politischer Ebene in die Gestaltung von Luftrettungssystemen eingehen müssen. Sie erhöhen auch die Komplexität der politischen Zielkonzeption zu einem Grad, der inkonsistente und ineffiziente Entscheidungen begünstigt.37
Versicherungen
Unter den Sozialversicherungen vertreten die Krankenkassen die gesundheitlichen Ansprüche ihrer Versicherten und möglichen Patienten. Sie sind maßgeblich in die Finanzierung von Luftrettungsleistungen eingebunden, indem sie über die Benutzungsentgelte alle Kosten des laufenden Betriebes zahlen. Dafür müssen sie mit knappen verfügbaren Ressourcen aus den Versicherungsbeiträgen wirtschaften.
Als de facto wesentlicher Kostenträger im deutschen Luftrettungssystem unterliegen die Krankenkassen deutlich stärker ökonomischen Interessen als die de jure kostentragenden, jedoch tatsächlich weniger belasteten Bundesländer. Diese übertragen ihre Finanzierungsaufgabe zunehmend auf die Kassenverbände, räumen ihnen jedoch keine Entscheidungsbefugnisse, sondern nur Beratungsfunktionen in Gestaltungsprozessen ein.38
Einerseits muss den kostentragenden und direkt an der Luftrettung beteiligten Krankenkassen daran gelegen sein, die gesundheitlichen Outcomes von Patienten möglichst positiv zu beeinflussen, indem die Luftrettung möglichst häufig zur Verfügung gestellt wird. Dies setzt voraus, dass das gesundheitliche Outcome von Patienten bei Versorgung durch die Luftrettung gegenüber anderen Alternativen besser ist. Allerdings profitieren auch die weiteren an Krankheitsfällen beteiligten Versicherungen von schnell verfügbarer Versorgung, wenn durch die medizinische Leistung dem Patienten der schnelle Wiedereintritt ins Erwerbsleben ermöglicht wird. Folgekosten etwa durch Erwerbsminderungsrenten oder Pflegebedürftigkeit können so vermieden werden.39
Andererseits müssen die Krankenversicherungen abwägen, wie hoch der Grad der Rettungsmittelauslastung aus eigener Perspektive sein darf. Zwar steigt mit hohem Einsatzaufkommen die Summe der Benutzungsentgelte. Jedoch sinken die durchschnittlichen Kosten einer Versorgung und somit auch die fallspezifischen Krankheitskosten, sofern die Fixkostendegression in der Leistungsvergütung der Luftrettung abgebildet werden kann. Gleichzeitig steigt die Gefahr extrem ausreißender Krankheitskosten, wenn die Rettungsmittelauslastung zu Duplizitäten führt.
Damit kann der Dispositionsstrategie und der flächendeckenden Standortplanung innerhalb der Zielkonzeption der Krankenkassen eine hohe Gewichtung unterstellt werden. Im Gegensatz zu ihren Versicherungsmitgliedern treten sie verhaltener in der Frage der Dispositionshäufigkeit auf. Die Nutzenbewertung der Versorgungsalternativen aus Luft- oder Bodenrettung erfolgt gemäß dem zuvor beschriebenen Forschungsstand bisher nicht.
Betreiber
Die Luftrettungsorganisationen bekommen den Auftrag der öffentlichen Daseinsvorsorge von den Bundesländern übertragen. Auch mit ihren gemeinnützigen Organisationsformen unterliegen sie dem ökonomischen Prinzip und müssen kostendeckend operieren. Sie befinden sich im Wettbewerb um Luftrettungsstandorte, können ihre Leistungsmenge jedoch nicht unmittelbar beeinflussen.40
Somit beinhaltet die Zielkonzeption von Luftrettungsbetreibern einerseits, möglichst viele Luftrettungsstandorte zu betreiben, um Synergie- und Skaleneffekte bspw. beim Personaleinsatz oder den Wartungseinrichtungen zu erreichen. Andererseits impliziert die in Deutschland übliche einsatz- bzw. flugzeitabhängige Leistungsvergütung das Ziel, möglichst viele Einsätze mit langer abrechenbarer Einsatzdauer zu erbringen, um durch Senkung der Durchschnittskosten die Profitabilität zu steigern.
Darüber hinaus ist es auffällig, wie Luftrettungsorganisationen die Zahlen geleisteter Einsätze, sowie ihre zunehmende Entwicklung im Berichtswesen gegenüber ihren Förderern als Qualitäts- und Leistungsindikator verwenden.41 Dies impliziert wiederum das Ziel sowie einen Leistungsdruck für Luftrettungsbetreiber, das Leistungsmengenwachstum als Erfolgsgröße zu erhalten.

5.2.1.2 Zielkonflikte

Aus den dargestellten Partikularinteressen ergeben sich Zielkonflikte, welche die Rahmenbedingungen des Luftrettungssystems sowie die leistungs- und mengenmäßige Nutzung von Kapazitäten betreffen.
I.
Betriebszeiten
Die zeitliche Ausnutzung vorhandener Kapazitäten müsste grundsätzlich im Interesse aller Stakeholdergruppen im Luftrettungssystem sein, zumal entsprechend der vorgestellten Ergebnisse die Ausweitung von Betriebszeiten von unterproportionalen Kostensteigerungen begleitet wird. Dennoch wird die überwiegende Zahl deutscher Rettungstransporthubschrauber nur tagsüber eingesetzt, während wenige rund um die Uhr operieren. Damit besteht eine ineffiziente zeitliche Nutzung von Versorgungsressourcen, für die es aufgrund der föderalen Organisationsstruktur keine systematischen Ansätze zur Auflösung gibt, und die durch fehlende Bewertungsansätze verschärft wird. Nachteile durch erweiterte Betriebszeiten könnten sich gegebenenfalls für die kostentragenden Krankenkassen ergeben, wenn Bodenrettungsmittel bei Einsätzen das günstigere Rettungsmittel darstellten, jedoch die Luftrettung disponiert würde.
 
II.
Steuerung der Kapazitätsauslastung
Die Sicherstellung der medizinischen Versorgung ist die originäre Aufgabe und somit das Primärziel eines Luftrettungssystems. Wesentlich ist dabei die Frage nach der mengenmäßigen Kapazitätsauslastung, also dem Dispositionsverhalten und der Bindungsquote der Rettungsmittel innerhalb gegebener Kapazitäten. Gemäß den dargelegten Partikularinteressen müsste die Steuerung der Kapazitätsauslastung medizinischen Ansprüchen folgen, jedoch auch die Partikularinteressen der anderen Shareholder in Einklang bringen.
So ergibt sich aus der gesundheitsökonomischen Perspektive und jener der Patienten die Auslastung der Luftrettungsmittel innerhalb der Standortplanung als Ziel für die effiziente Gestaltung des Luftrettungssystems. Wird dabei ausschließlich die Degression der durchschnittlichen Einsatzkosten im Sinne des ökonomischen Prinzips verfolgt, oder der Ansatz der Patienten, möglichst immer von Luftrettungsmitteln versorgt zu werden, ergeben sich jedoch erhebliche Spannungsfelder mit den medizinischen und sozio-politischen Umsystemen: Der Versorgungsvorteil der Luftrettung verschwindet dann, wenn das Rettungsmittel bei einem anderen, schwerwiegenderen Notfall gebraucht würde.
Dies verdeutlicht einen ethischen, aber auch ökonomischen Zielkonflikt, weil Rettungskapazitäten nicht dort eingesetzt werden, wo sie am dringendsten benötigt werden. Im schlimmsten Fall entstehen hohe Folgekosten im Krankheitsverlauf, die dem Ziel entgegenstehen, durch hohe Auslastung der Rettungsmittel die durchschnittlichen Versorgungskosten zu senken.
 
III.
Politische Entscheidungsprozesse
Aus dem internen Zielkonflikt politischer Stakeholder, Interessen von Bürgern, Patienten und Wählern zu vertreten, in Übereinstimmung mit politischen Interessen sowie gesetzlichen Zielvorgaben zu bringen und diese letztlich konsistent zu aggregieren, können sich ineffiziente Entscheidungen ergeben.
 
IV.
Planung und Organisation
Darüber hinaus wird das Fachwissen von wesentlichen im Luftrettungssystem eingebundenen Stakeholdern nur bedingt für Gestaltungsaufgaben genutzt: Die in erheblichem Maße kostentragenden Krankenkassen werden von politischen Institutionen nicht in Entscheidungs-, sondern nur in Beratungsprozesse integriert.42 Partikularinteressen können deshalb nur erschwert in einer gemeinsamen Zielfunktion überein gebracht werden, denn der politische Einfluss ist dominant. Dies trägt zu den fehlenden systematischen Ansätzen für die Planung von Luftrettungsstrukturen bei, die etwa in ineffizienter Standortplanung oder überhöhten Vorhaltungskosten resultieren, welche auch der Bundesrechnungshof kritisiert.
 
V.
Gewinnentstehung
Die Gestaltung und Höhe der Leistungsvergütung stellt einen weiteren Zielkonflikt dar. Luftrettungsorganisationen erstreben mindestens die Kostendeckung, darüber hinaus jedoch auch Gewinne, wenngleich diese in NPOs Verwendungsbeschränkungen unterliegen mögen. Stark ausgeprägte Gewinne stellen eine Bindung von Ressourcen dar, die nicht mehr für die Notfallversorgung zur Verfügung stehen. Sie stehen damit insbesondere den Interessen von Patienten, Krankenkassen und notfallmedizinischen Akteuren entgegen.
Dieser Zielkonflikt um den Grad bzw. das Ausmaß der Profitabilität wird nicht aktiv gesteuert. Einerseits gibt es keinen Diskurs über das gesellschaftlich akzeptable Maß der Gewinnentstehung bei Luftrettungsorganisationen, obwohl die dadurch gebundenen Ressourcen wie gezeigt erheblich sein könnten.43 Andererseits lässt sich eine möglicherweise geschehene Anpassung der Leistungsvergütung durch fehlende historische Daten nicht nachverfolgen. Ihre Betrachtung wäre jedoch angesichts konstant steigender Einsatzzahlen der Luftrettung möglicherweise nötig. Durch zunehmendes Einsatzaufkommen und konstanter Leistungsvergütung würden die Deckungsbeiträge und mithin die Profitabilität von Luftrettungsorganisationen steigen und so den beschriebenen Zielkonflikt weiter verschärfen.
 

5.2.1.3 Besonderheiten in Vorpommern-Rügen

Die beschriebenen allgemeinen Zielkonflikte in der Gestaltung von Luftrettungssystemen lassen sich auch spezifisch auf die Luftrettung in der Region Vorpommern-Rügen übertragen, die als exemplarisches Erfahrungsobjekt dieser Arbeit dient. Zu ihnen treten die notfallmedizinischen Herausforderungen des geo-demographischen Wandels im ländlichen Raum, die zusätzlich zu den Zielkonflikten aufgelöst werden müssen.
Als wesentliche Einflussgrößen auf den steigenden Bedarf an Luftrettungsleistungen in Vorpommern-Rügen können folgende Aspekte festgehalten werden:
  • Geringe Auslastung konventioneller, bodengebundener Rettungsmittel durch geo-demographischen Wandel mit Verschiebung regionaler Bevölkerungsprofile,
  • durch Alterung der Bevölkerung steigender notfallmedizinischer Versorgungsbedarf,
  • zentralisierung medizinischer Versorgungseinrichtungen in Greifswald und Stralsund, im Zuge der Schließung oder Verkleinerung von Einrichtungen der Grund- und Regelversorgung,44 mit in Folge steigendem interhospitalem Verlegungsbedarf,
  • starke saisonale Schwankung der zu versorgenden Bevölkerungsstrukturen in den Urlaubsregionen Usedom, Rügen, Darß und Zingst sowie steigende Übernachtungszahlen.
Folgend werden Handlungsempfehlungen für die Gestaltung von Luftrettungssystemen und die Auflösung von Zielkonflikten im Allgemeinen abgeleitet. Der allgemeinen Darstellung wird ein spezifischer Bezug auf die Region Vorpommern-Rügen gegenübergestellt.

5.2.2 Ausweitung von Betriebszeiten

Allgemeine Handlungsempfehlungen
Im deutschen Luftrettungssystem finden sich viele Möglichkeiten zur zeitlichen Ausweitung von Kapazitäten. Aus den zu Beginn dieser Arbeit vorgestellten Recherchen zeigt sich,45 dass für viele Hubschrauber der öffentlichen Notfallversorgung in Deutschland die Möglichkeit besteht, den überwiegend bei Tag stattfindenden Flugbetrieb auf die Nacht auszuweiten. Die faktische Verdopplung der Verfügbarkeit geht dabei mit unterproportional steigenden Kosten einher, bei exemplarischer Betrachtung der Szenariovariationen 1.I. und 3.I. beträgt der Gesamtkostenanstieg ca. 45,43 %. Dies spricht für die Prüfung und Implementierung dieser Innovation mit erweiterndem Charakter im Luftrettungs- und Rettungssystem.
Die Möglichkeit der nächtlichen Versorgung von Notfallpatienten durch die Luftrettung impliziert dabei grundsätzlich ein günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis durch die erhöhte Verfügbarkeit. Deshalb müsste diese Maßnahme unter bestimmten Voraussetzungen auch Unterstützung durch die unterschiedlichen Stakeholdergruppen finden: Nächtliche Luftrettungsleistungen sind insbesondere für ländliche Regionen mit schlechter Erreichbarkeit und geringer Bevölkerungsdichte von Relevanz. Hier kann der bodengebundene Rettungsdienst durch die Luftunterstützung erheblich bei der Erfüllung von Prähospitalzeiten gestärkt werden. Auch die zunehmende Spezialisierung und Zentrenbildung der stationären Versorgung kann zur Nutzbarkeit nächtlicher Luftrettungskapazitäten beitragen, sie aber auch erforderlich machen. In urbanen Regionen hingegen ist der Zeitvorteil der Luftrettung gegenüber der Bodenrettung mit kürzeren Transportwegen durch höhere Zentren- und Versorgungsdichte geringer.46 Die Zustellung von Patienten aus der Peripherie in städtische Versorgungszentren könnte die nächtliche luftgestützte Versorgung jedoch rechtfertigen.
Die praktische Umsetzung setzt dabei jedoch voraus, dass für luftgestützte Sekundärtransporte zwischen Krankenhäusern ein entsprechender Bedarf besteht. Inwiefern sich diese Entwicklung bereits niederschlägt, kann aufgrund bisher nicht verfügbarer Einsatzdaten nicht validiert werden. Zumindest weist der Status Quo mit wenigen Luftrettungsmitteln, die auch nachts eingesetzt werden, nicht darauf hin, dass deutschlandweiter Handlungsbedarf empfunden und von Stakeholdergruppen umgesetzt wird.
Potenzielle Nutzeneffekte lassen sich darüber hinaus nur heben, sofern die nächtliche Einsatzkapazität der Luftrettung auch genutzt werden kann. Eine Innovationsadoption der verlängerten Einsatzzeiten von Primärhubschraubern ist aus ökonomischer Sicht nur denkbar, wenn es kein alternatives Rettungsmittel gibt, das die Aufgabe der Luftrettung bei gleicher Ergebnisqualität günstiger ausführen könnte. Das betrifft insbesondere die Bodenrettung, die in nächtlichen Einsätzen möglicherweise durch geringeres Verkehrsaufkommen Hilfsfristen verkürzen kann, sodass die Luftrettung nicht benötigt wird. Ist dies der Fall, wäre die Unterstützung der Krankenkassen für eine Betriebszeitenausweitung in Frage zu stellen. Politische Akteure und Leistungserbringer hingegen könnten die ökonomisch unvorteilhafte Entscheidung unterstützen, um die mutmaßlich bessere Versorgung durch die Luftrettung den durch sie vertretenen Interessensgruppen zu vermitteln.
Aus einsatztaktischer Sicht bedürfen Hubschrauber bei nächtlichen Einsätzen sichere Landeplätze. Unbekannte Landeorte können nicht immer angeflogen werden, weshalb vor Ort Hilfe, etwa bei der Ausleuchtung, benötigt wird. Dies schränkt die nächtliche Einsatzfähigkeit der Luftrettung ein und führt zu einem zusätzlichen Bedarf an öffentlicher Infrastruktur, welche einschränkend auf den politischen Umsetzungswillen wirken könnte. Die grundsätzliche Übertragbarkeit des Nutzens nächtlicher Primäreinsätze eines Erfahrungsobjektes auf alle Luftrettungsmittel steht somit in Frage. Deshalb bedarf es für die Prüfung einer Ausweitung der Bereitschaftszeiten einer standortspezifischen und regionalen Betrachtungsweise.
Handlungsempfehlungen für Vorpommern
Für das Erfahrungsobjekt Christoph 47 in Greifswald und dessen Versorgungsgebiet stellt die Ausweitung des 12-Stunden auf 24-Stunden Betrieb eine Lösung mit abrufbarem Nutzenversprechen dar. Diese erweiternde Innovation wurde in der Mitte des Jahres 2020 umgesetzt.47 Damit ist Christoph 47 deutschlandweit einer der wenigen rund um die Uhr verfügbaren Rettungshubschrauber mit Schwerpunkt auf Primäreinsätzen.
Nächtliche Luftrettungsleistungen sind insbesondere für die Versorgung der Insel Hiddensee sowie abgelegener Orte im Nord-Osten Deutschlands von Relevanz. Dies wird auch angesichts der oftmals verfehlten Hilfsfristerfüllung der Bodenrettung in Mecklenburg-Vorpommern ersichtlich.48 Die Umsetzung nächtlicher Landungen kann vor allem auf Inseln durch festgelegte Orte sichergestellt werden, auch hinsichtlich der Annahme, dass der Rettungsdienst der Insel die Erstversorgung bereits geleistet hat. Die Dispositionsstrategie gemäß Abbildung 2.​4 betrifft somit besonders den Paralleleinsatz der Boden- und Luftrettung bei absehbaren oder die Nachforderung des Hubschraubers für nicht absehbare Zentrumszuweisungen des Patienten auf dem Luftweg. Die Alarmierung zusätzlicher Rettungsmittel führt zu erhöhten Kosten für den jeweiligen parallelen Rettungsmitteleinsatz, die in dieser Analyse jedoch unberücksichtigt bleiben.
Anhand der hier ermittelten Ergebnisse können die Kosten einer Verlängerung der Einsatzzeiten und Ausweitung der Einsatzprofils abgeschätzt werden. Ausgangsszenario 1.I. dieser Kostenanalyse orientiert sich an Christoph 47 als exemplarisches Erfahrungsobjekt. Bei Verdopplung der Einsatzzeiten von 12 auf 24 Stunden, dargestellt in 3.III. unter Berücksichtigung eines Einsatzprofils von 1200 Primär- sowie den weiteren beschriebenen Einsätzen im Dual-Use-Profil, kommt es demnach zu einer jährlichen Gesamtkostensteigerung um 44 % von 1,69 Mio. € auf 2,44 Mio. €. Die Kosten eines durchschnittlichen Primäreinsatzes am Tag liegen im 24/7-Betrieb dann bei 751 €.

5.2.3 Standortplanung und Gesamtkostensteuerung

Allgemeine Handlungsempfehlungen
Während die Ausweitung von Betriebszeiten eher die effiziente Nutzung vorhandener Ressourcen betrifft, können die gesamtwirtschaftlichen Kosten eines Luftrettungssystems durch Standortoptimierung und Stationsdichte grundlegend gesteuert werden. Dafür bedarf es auch der Festlegung rettungsmittelspezifischer Kapazitätsgrenzen, die im folgenden Abschnitt ausführlich dargelegt werden. Ein weiterer Aspekt ist die Festlegung wettbewerbsstimulierender Rahmenbedingungen unter der Bedingung, dass eine vorgegebene Versorgungsqualität als notwendige Bedingung eingehalten wird.
Die Konzeption des Standortsystems bedarf einer grundsätzlichen Entscheidung: Eine geringere Standortdichte impliziert geringere Gesamtkosten für Luftrettungsleistungen als ein dichtes Standortnetz. So fallen bei weniger Luftrettungsstandorten geringere Kosten für betriebsnotwendige Infrastruktur an, die von den Ländern getragen werden. Zudem ist die Auslastung der Stützpunkte höher, sodass die Fixkostendegression zu geringen Durchschnittskosten je Einsatz führt. Aus ökonomischer Perspektive erscheint das Standortnetz mit wenigen, jedoch stark ausgelasteten, rund um die Uhr verfügbaren Luftrettungsmitteln und somit geringen Durchschnittskosten je Einsatz gegenüber dem dichten Netz mit höheren Gesamtkosten die effiziente Ressourcenallokation. Dies ist im Sinne der politischen Akteure, wie auch der Krankenkassen.
Der hohen Rettungsmittelauslastung steht die Sicht der Notfallmedizin gegenüber, eine zu hohe Bindung der Rettungskapazitäten zu vermeiden. Es bedarf also auch eines Steuerungsmechanismus, mit dem eine strukturelle Kapazitätsüberlastung registriert werden kann und der eine Wiederherstellung der Versorgungsqualität vorsieht, bspw. durch zusätzliche Stationierung eines Rettungsmittels.
Zur Umsetzung einer einheitlichen und systematischen Standortplanung muss die Gefahr latent ineffizienter Entscheidungen der politischen Akteure gebannt werden, um Ergebnisse von Planungs- und Organisationsprozessen auch tatsächlich umsetzen zu können. Eine Handlungsmaßnahme wäre, die überwiegend kostentragenden Krankenkassen mit Entscheidungskompetenzen auszustatten, und über die beratende Funktion hinauszugehen. Dies entspricht auch dem Vorschlag des Bundesrechnungshofes.49 Damit würde das Entscheidungsverfahren zwar zunächst um eine Interessensgruppe erweitert, das Gremium jedoch durch die praktische Erfahrung der Kassen bereichert.
Darüber hinaus könnten die Krankenkassen als weiterer Entscheidungsträger ggf. auch ausgleichend auf interne politische Anspruchsgruppen und daraus drohende Zielkonflikte wirken, die zu erhöhten Kosten des Luftrettungssystems führen. Politische Zielkonflikte könnten außerdem auch durch zusätzlichen Druck auf die Bundesländer, ihre Planungs- und Entscheidungsprozesse stärker auf den effizienten Ressourceneinsatz auszurichten, beeinflusst werden. Dafür könnte der Finanzierungsanteil der Länder an den Gesamtkosten der Luftrettung erhöht werden, der sich den Ergebnissen dieser Arbeit zufolge zwischen 2,74 % und 4,06 % bewegt.
Den fragmentierten, föderalistischen deutschen Rettungsdienststrukturen steht in anderen europäischen Ländern eine zentrale, systematische und flächendeckende Standortplanung entgegen. Wenngleich diese für die Bundesrepublik nicht als umsetzbares Vorbild dienen kann, so empfiehlt sich die flächendeckende, bundesland-übergreifende Betrachtung der Luftrettungsstandorte, wofür wiederum ein beratendes Gremium eingesetzt werden könnte. Dieses könnte von Entscheidungsträgern mit Fachkenntnis der Luftrettung aus den jeweiligen Bundesländern besetzt werden.
Ein weiterer Ansatz zur Steuerung der Gesamtkosten der Luftrettungssystems ist die Stimulation von Wettbewerb, etwa anhand der Ausschreibungsverfahren für Luftrettungsstandorte. Aus einzelwirtschaftlicher Perspektive der Leistungserbringer interpretiert, verschärft Wettbewerb um Standorte das wirtschaftliche Effizienzprinzip und begünstigt mithin die Verringerung von Betriebskosten. Diese können beispielsweise durch Flotten- und Werftmanagement, Einkaufspreise und Wartungskosten gesenkt werden. Sofern Verringerungen von Betriebskosten in angepassten Nutzungsentgelten abgebildet werden, können knappe Ressourcen der Gesundheitsversorgung effizienter genutzt werden. Diese Überführung einzelwirtschaftlicher Aktivität in gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtssteigerung sollte in der Systemgestaltung und Vergabe von Luftrettungsleistungen genutzt werden. Dafür ist die Kenntnis von Kostenstrukturen und der mit den Nutzungsentgelten zusammenhängenden Profitabilität nötig. Die Gestaltung der Leistungsvergütung wird nachfolgend unter Abschnitt 5.2.6 aufgegriffen.
Mit der Unterscheidung der hohen und niedrigen Kostenannahmen in Szenariovariation I. und II. wird eine Spanne möglicher standortspezifischer, exemplarischer Kostenausprägungen vorgestellt. Diese liegt zwischen 24,3 % und 29 %. Bezogen auf die indikativen Gesamtkosten für die deutsche Luftrettung beliefe sich die Obergrenze reduzierbarer Kosten auf etwa 77 Mio. €.50 Wenngleich diese annahmegemäße Kostenspanne zwischen effizientem und ineffizientem Luftrettungsbetrieb nicht repräsentativ für das gesamte deutsche Luftrettungssystem sein mag und künftig stärker differenziert werden sollte, zeigt sich doch das Potential einer strategischen Gestaltung des Luftrettungssystems.
Handlungsempfehlungen für Vorpommern-Rügen
Während der Sommer- und Urlaubssaison verzeichnen insbesondere die Küstenregionen Vorpommern-Rügens aufgrund des Tourismus einen periodisch großen Anstieg der zu versorgenden Bevölkerungszahlen.51 Je nach Steuerungsanspruch an die Kapazitätsauslastung anhand der Rettungsmitteldisposition kommt es dabei zu einem deutlich höheren Einsatzaufkommen und somit zur Auslastung von Luftrettungskapazitäten. Wenn trotz Änderung des Dispositionsverhalten die Einsatzkapazität der Luftrettung überschritten wird, ist es erforderlich, ein weiteres Rettungsmittel zu stationieren. Neben der dauerhaften Vorhaltung eines weiteren Rettungsmittels kommt dann auch eine saisonale Stationierung in Frage, um die Auslastung der Einsatzkapazitäten flexibler steuern zu können.
Grundsätzlich können mehrere Luftrettungsmittel innerhalb eines Versorgungsgebietes entweder an einem gemeinsamen Standort oder getrennt stationiert werden. In Vorpommern könnte ein zweites Luftrettungsmittel möglicherweise auch die Infrastruktur der bestehenden Station an der Universitätsmedizin Greifswald mitnutzen. Dies könnte bei der Einsparung von Fixkosten helfen und entspräche auch dem Interesse politischer Akteure. Andererseits ließe sich eine bessere Erreichbarkeit des Versorgungsgebietes, entsprechend der Präferenzen von Patienten und gegebenenfalls auch Krankenkassen, durch unterschiedliche Standorte erreichen. Dies impliziert jedoch zusätzliche Fixkosten, da weitere Infrastruktur am Boden errichtet und vorgehalten werden muss.
Hinsichtlich der geographischen Lage der Station von Christoph 47, mit dem derzeit die Luftrettung in Vorpommern geleistet wird, ist dessen Standort am maximalversorgenden Universitätsklinikum Greifswald zentral gewählt. Jedoch liegen die Urlaubsinseln Nordost-Deutschlands am Rande des Einsatzradius von 70 km bzw. 20 Minuten Flugzeit. Ein zweiter, saisonal eingesetzter Hubschrauber könnte nordwestlich für die Versorgung von Rügen, Darß und Zingst, oder südöstlich von Greifswald für die bessere Erreichbarkeit von Usedom stationiert werden. Die Handlungsalternative der Beibehaltung des Greifswalder Standortes führt somit auch mit einem zweiten Rettungsmittel nur zu einer teilweisen Verbesserung der Erreichbarkeit der umliegenden Ostseeinseln.
Alternativ könnte auch der Greifswalder Standort verlegt werden, sodass zumindest saisonal je ein Luftrettungsmittel im nördlichen, und eines im südlichen Vorpommern stationiert wäre. Dies würde die Erreichbarkeit des Versorgungsgebietes erhöhen. Zudem könnte in der Grenzregion mit Polen, wo vergleichbare gesundheitspolitische Herausforderungen wie in Vorpommern bestehen, die grenzübergreifende Rettung weiter festigen und an bestehende Projekte anknüpfen.52 Damit könnte in den für die Rettungsdienste schwer zugänglichen Küstengewässern eine verbesserte notfallmedizinische Versorgung ermöglicht werden.
Jedoch entstehen durch die Vorhaltung von zwei zusätzlichen saisonalen Standorten o. g. zusätzliche Kosten für die Infrastruktur am Boden. Darüber hinaus müsste bei Saisonende und Rückkehr zum Status Quo eine Rückverlegung des verbleibenden Luftrettungsmittels nach Greifswald stattfinden, was wiederum eine flexible Anpassung der Dispositionsstrategien erfordert. Somit müssten insgesamt drei Einrichtungen gepflegt werden. Zudem ist die Bedeutung von fachlichen Synergien und anderen Vorteilen, die durch eine Hubschrauberstationierung an Krankenhäusern erreicht werden können, bisher nicht erfasst und lässt sich hier deshalb nicht abschätzen. Sie könnten jedoch von Bedeutung sein und gegen eine Verlegung des Greifswalder Standortes sprechen. Auch der gegenwärtige und künftige Einsatzbedarf, der diese Verlegungen rechtfertigen könnte, ist nicht bekannt. Dies spricht gegen eine kurzfristige Umsetzbarkeit, jedoch für die Prüfung einer Standortneuplanung.
Diese Überlegungen können im Rahmen der Kostensimulation abgebildet werden. Sie entsprechen einer Erweiterung des Ausgangsszenarios 3.I. auf den Dual-Use Betrieb in 3.III. Das zweite Luftrettungsmittel könnte im Tagflugbetrieb gemäß 1.I. vorgehalten werden und wird nachts nicht benötigt. Bei zugrunde gelegter mäßiger angebotsinduzierter Nachfrage, der durch eine einheitliche Dispositionsstrategie vorgebeugt wird, muss bei Stationierung eines zweiten Rettungsmittels von relativ geringen Primäreinsatzzahlen je Rettungsmittels ausgegangen werden. Dies liegt in der Aufteilung des Einsatzaufkommen begründet.
Bei 900 Primäreinsätzen entstehen demnach im Dual-Use Betrieb, dargestellt durch 3.III. Gesamtkosten des Betriebes von etwa 2,5 Mio. €, mit durchschnittlichen Kosten je Primäreinsatz von 757 €. Bei einem Benutzungsentgelt von 70 € wäre gemäß Abbildung 4.​4: Break-Even-Analyse. ein deutlich kostendeckender und profitabler Betrieb möglich. Der zweite für Primäreinsätze vorgehaltene Hubschrauber würde den Annahmen zufolge von 1.I., mit ebenfalls 900 Primäreinsätzen und eigenem Standort insgesamt ca. 1,43 Mio. € im Jahr kosten. Eine kostendeckende Leistungserstellung für den Betreiber wäre bei der betrachteten Leistungsmenge möglich – seine Gewinnschwelle liegt gemäß der Annahmen bei 737 Primär und 92 Sekundäreinsätzen.
Bei Beibehaltung eines Standortes unter der Bedingung, dass dessen Größe für zwei Luftrettungsmittel ausreicht, würden je nach Szenariovariation der Modellannahmen jährliche Fixkosten für Infrastruktur zwischen 100.000 € und 200.000 € eingespart werden können, da diese nicht zweifach vorgehalten werden muss. Jedoch ist zu beachten, dass Baukosten für einen zweiten Hubschrauberstandort auch durch Nutzung und Ausbau bestehender Rettungswachen reduziert werden könnten.
Während es fraglich ist, ob innerhalb der halbjährlichen saisonalen Stationierung dieses Einsatzaufkommen realistisch wäre, würde eine Verlegung an einen zweiten saisonalen Standort eine Erhöhung der jährlichen Leistungsmenge und somit eine Kapazitätsauslastung erleichtern, welche die durchschnittlichen Kosten einer luftgestützten Patientenversorgung rechtfertigt. Zudem ist auch zu berücksichtigen, dass die oben genannten Gesamtkosten von 1,43 Mio. € nur zum Teil in Greifswald anfallen würden. Alle Personal- und sonstigen fixen Kosten könnten auf die Standorte aufgeteilt werden. Insbesondere Kosten der Infrastruktur könnten auf sehr geringes Maß geregelt werden, wenn bestehende Einrichtungen genutzt werden.

5.2.4 Steuerung der Kapazitätsauslastung

Allgemeine Handlungsempfehlungen
Die Steuerung der Auslastung von Luftrettungskapazitäten steht in Wechselwirkung mit dem Einsatzbedarf und dem Ausmaß ihrer Vorhaltung. Um Standortsysteme strategisch planen zu können, müssen einerseits Leistungskapazitäten für die Luftrettungsmittel festgelegt werden, welche den Bedarf der Gesamtkapazität bestimmt. Gemäß der originären Aufgabe der Luftrettung, notfallmedizinische Leistungen zu erbringen, sollte der Anteil der Luftrettung am versorgten Gesamteinsatzaufkommen und mithin die durchschnittliche Fallschwere je Einsatz von medizinischen Akteuren maßgeblich definiert werden. So kann der Bedarf an Luftrettungskapazitäten analysiert werden.
Andererseits müssen innerhalb der gewählten Kapazitäten Mechanismen für die Steuerung der Auslastung und mithin der Rettungsmittelbindung ansetzen. Ausgehend hiervon könnte, abgeleitet aus dem angestrebten Einsatzaufkommen, für die Luftrettungsmittel eine Einsatz- oder Bindungsquote für die mengenmäßige Kapazitätsnutzung erarbeitet werden. Im bestehenden Luftrettungssystem Deutschlands sind systematische Ansätze zur Aussteuerung des Zielkonfliktes aus effizienter Rettungsmittelauslastung und Vermeidung von Einsatzduplizitäten nicht bekannt. Sie gehen auch aus Rettungsdienstgesetzen nicht hervor. Die stark differierenden Einsatzzahlen und -profile deutscher Luftrettungsmittel, deren Spanne in den vergangenen fünf Jahren zwischen 3838 und 917 jährlichen Einsätzen je Hubschrauber liegt, weisen auch nicht darauf hin, dass diese berücksichtigt oder eingehalten würden. Darüber hinaus zeigt auch die historische Fallschwere der Luftrettung ein offenbar freigiebiges Dispositionsverhalten: In 2017 wurden ca. 42 % aller versorgten Patienten der Luftrettung mit einem NACA-Score von 3 oder weniger versorgt.53
Dies mag unter anderem daran liegen, dass Informationen, welche die ökonomische und gesellschaftliche Bewertung unterschiedlicher Auslastungsgrade von Luftrettungskapazitäten ermöglichen könnten, nicht vorliegen. Wie bereits gezeigt54 sind Kosten-Nutzen-Analysen zur Luftrettung deshalb nicht oder nur sehr abstrakt möglich. Die hohe Bindung der Luftrettungsmittel in Einsätzen mit diskutabler Indikation und damit die Gefahr von Duplizitäten entspricht nicht dem Interesse notfallmedizinischer Akteure. Diese Werte sprechen von einer Unsicherheit und einem Vorsichtsprinzip im Dispositionsverhalten. Andererseits sind diese hohen Einsatzzahlen im Interesse von Luftrettungsorganisationen sowie möglicherweise einiger politischer Akteure, wenn jeweiligen Anspruchsgruppen in Form von Wählern, Spendern oder Förderern die Leistungsmenge als entscheidendes Qualitätsmerkmal der Luftrettung suggeriert wird.
Die aktive Steuerung der tatsächlichen Auslastung könnte über die durchschnittliche Fallschwere nach dem NACA-Score erfolgen. Eine sparsamere Disposition der Luftrettung mit dem Ziel, einen größeren Einsatzanteil mit Score von 4 oder mehr zu erreichen, könnte somit die Verfügbarkeit der Luftrettungsmittel für schwere Notfälle erhöhen. Mit der Definition eines medizinisch induzierten Auslastungsgrades von Luftrettungskapazitäten werden notfallmedizinische Interessen und Ziele den anderen Akteuren und Anspruchsgruppen im Luftrettungssystem vorgezogen. Das ökonomische Prinzip der effizienten Mittelverwendung muss dabei den medizinischen und dispositionsstrategischen Zielen untergeordnet, darf jedoch nicht vernachlässigt werden. Die Steuerung der Leistungsmenge innerhalb der medizinisch vorgegebenen Kapazitätsgrenze anhand von Kennzahlen könnte auch die einheitliche Ausrichtung der Partikularinteressen ermöglichen.
Andererseits ist auch eine Lockerung der Dispositionskriterien stationsabhängig denkbar, um die Zahl an Primäreinsätzen zu steuern. Zudem könnten gering ausgelastete Rettungsmittel auch vermehrt im Dual-Use Betrieb arbeiten. Eine Auslastung durch Verlängerung der Einsatzdauern kommt nicht in Frage, da dies die Verfügbarkeit der Rettungsmittel für alle Patienten reduziert. Gleichwohl kann die Verringerung der Einsatzdauern, bspw. durch Beschleunigung der Ausrückintervalle, die Rettungsmittelverfügbarkeit für neue Einsätze steigern.
Mit der Steuerung der Kapazitätsauslastung gilt es auch, Maßnahmen zum Erhalt von Leistungskapazitäten festzulegen, wenn Grenzen, die anhand der Kennzahlen gesetzt werden, überschritten werden. Sind die oben genannten Steuerungselemente zielgerecht genutzt, muss bei Überschreiten eines Grenzwertes die Luftrettungskapazität durch ein weiteres Rettungsmittel ausgeweitet werden. Dabei stellt sich erneut die Frage nach der Standortpolitik, und ob bestehende Infrastruktur genutzt werden kann.
Bei Erhöhung der Kapazitäten darf der mögliche Effekt angebotsinduzierter Nachfrage durch ein zusätzlich verfügbares Luftrettungsmittel nicht außer Acht gelassen werden, innerhalb dessen es zur zusätzlichen Disposition von Luftrettungsmitteln kommen könnte. Dies ist zwar maßgeblich abhängig von der zuvor angesprochenen Dispositionsstrategie. Jedoch ist denkbar, dass nach dem Vorsichtsprinzip handelnde Disponenten das mutmaßlich sicherere und schnellere Luftrettungsmittel, motiviert durch dessen Verfügbarkeit, auch häufiger einsetzen.
Beispielhaft könnten Kosteneffekte bei Überschreitung von Kapazitätsgrenzen anhand der Szenariovariation 1.I. dargestellt werden. Liegt eine angenommene Kapazitätsgrenze bei 1500 Primäreinsätzen des Luftrettungsmittels, müsste bei einem Überschreiten ein weiteres dem Versorgungssystems hinzugefügt werden. Bei Berücksichtigung erhöhter Einsatzzahlen durch bessere Verfügbarkeit der Rettungsmittel können diese durch das Einsatzprofil von 900 Primär- und den 92 modellierten Sekundäreinsätzen in 1.I. dargestellt werden. Die Gesamtkosten der Luftrettung steigen dann von jährlich 1,788 Mio. € auf 2,874 Mio. € für zwei Rettungsmittel, wenn im Sinne der Standortoptimierung ein zweiter Stützpunkt eröffnet wird. Einsparungen könnten hier durch Nutzung bestehender Infrastruktur, oder die Stationierung an einem gemeinsamen Standort erzielt werden.
Diese exemplarische Veränderung von Kostenstrukturen verdeutlicht die Auswirkungen von Entscheidungen über Rettungsmittelverwendungen und ermöglicht die Bewertung von Handlungsalternativen. Sie ergänzen die wichtige und erforderliche strategische Steuerung der Nutzung und Auslastung von Kapazitäten innerhalb von Luftrettungssystemen.
Handlungsempfehlungen für Vorpommern-Rügen
Weiterhin steigende Einsatzzahlen könnten die Erweiterung von Luftrettungskapazitäten nötig machen, um auf die beschriebenen Herausforderungen an die Notfallversorgung in Vorpommern-Rügen reagieren zu können. Dies betrifft besonders die Sommermonate mit starkem Tourismus. Die Maßnahme der sprunghaften Erweiterung von Luftrettungskapazitäten durch Vorhaltung weiterer Rettungsmittel stellt dabei zunächst eine Übersteuerung dar: Eine Verdopplung der Einsatzkapazitäten bei zumindest kurzfristig gleichem Aufkommen weist auf eine Halbierung der Einsatzzahlen je Rettungsmittel hin, sodass ihre Auslastung ineffizient gering sein könnte.
Es bedarf in diesem Fall also einer angepassten Dispositionsstrategie, die nicht nur die Auslastung eines einzelnen Rettungsmittels, sondern auch die periodisch sprunghafte Erweiterung oder Verringerung von Einsatzkapazitäten steuern kann. Ansätze sind wiederum das Dispositionsverhalten, die Erweiterung des Einsatzprofils hin zu Verlegungen oder die Schwerpunktbildung in rettungsmittelspezifischen Einsatzprofilen.55 Diese sind mitunter innovativer Art und könnten aus anderen Ländern übernommen werden. Dabei wird die Bedeutung der Standortentscheidung nochmals deutlich: Ein Hubschrauber kann aufgrund seines Standortes besonders geeignet sein, um Unfälle an den Küsten zu versorgen, während das andere Luftrettungsmittel an einem Krankenhaus stationiert ist und im Dual-Use Betrieb auch interhospitale Verlegungen übernimmt.
Auf diese Weise könnten im Rahmen der saisonalen Vorhaltung unterschiedliche Hubschraubertypen eingesetzt werden. Das bestehende größere Modell vom Typ H145 könnte in diesem Fall die Sekundärtransporte übernehmen, während ein kleineres vom Typ H135 und im Unterhalt günstigeres Modell im Schwerpunkt für Primäreinsätze genutzt wird.
Mit dem Ende der Sommersaison wird die Kapazität des saisonalen Luftrettungsmittels frei. Es könnte anschließend an einem anderen Ort eingesetzt werden, das ebenfalls saisonal stark schwankende Bedarfsveränderungen der Patientenversorgung hat. Besonders kommen also Urlaubsregionen der Winterzeit in Frage, etwa Wintersportregionen. Somit könnte der vorgehaltene Rettungshubschrauber über das ganze Jahr eingesetzt werden, Kapazitäten effizient genutzt und Belastungen der Notfallversorgung durch Tourismusströme gemindert werden. Dafür bedarf es partnerschaftlicher Abstimmungen zwischen den Bundesländern als Trägern der Luftrettung. Es ist auch festzuhalten, dass der Betrieb eines solchen, saisonal an verschiedenen Orten stationierten Rettungsmittels von einer einzelnen Luftrettungsorganisation koordiniert werden sollte.

5.2.5 Vorhaltung von Rettungswinden

Winden- und Fixtaueinsätze werden insbesondere in alpinen und Mittelgebirgs-Regionen durchgeführt. Dort scheint der Bedarf an Windeneinsätzen die Vorhaltung von Sondereinsatzkapazitäten zu rechtfertigen. Im Flachland hingegen werden weniger Hubschrauber mit Seilbergungsfähigkeiten vorgehalten. Als eines der wenigen Rettungsmittel der öffentlichen Luftrettung der nördlichen Küstenregionen der in Sanderbusch stationierte und für die ostfriesische Küstenregion zuständige RTH Christoph 26 mit einer Winde ausgestattet. Zudem sind an der Küste neben SAR-Hubschraubern der Bundeswehr auch Werkshubschrauber von Off-Shore Energieproduzenten mit Rettungswinden stationiert. Dies spricht für den geringeren Einsatzbedarf56 und die grundsätzlich leichtere Zugänglichkeit von Notfallorten im Flachland.
Somit muss der Frage, ob Hubschrauber der öffentlichen Notfallversorgung im Flachland mit Winde oder Fixtau ausgestattet werden sollten, kritisch gegenübergetreten werden. Dem geringen Einsatzbedarf stehen zusätzliche Kosten durch Mitführung einer Winde in Höhe von bis zu 13 % entgegen.57 Diese könnten vermieden werden, wenn im seltenen Einsatzfall auf private oder militärische Rettungsmittel subsidiär zurückgegriffen wird. Dies ist solange möglich, wie die Kosten für Subsidiäreinsätze die Kosten für eine bedarfsdeckende Windenvorhaltung nicht übersteigen. Gleiches Prinzip gilt auch für das Fixtau, wobei hier das Einsatzvorgehen mit mehreren Zwischenlandungen den potenziellen Einsatzbereich insbesondere in der Wasserrettung einschränkt, wenngleich dessen Vorhaltung wie gezeigt weniger kostenintensiv ist.
Handlungsempfehlungen für Vorpommern-Rügen
In Mecklenburg-Vorpommern ist die Vorhaltung von Seilbergungskapazität in der öffentlichen Luftrettung immer wieder Gegenstand politischer Diskussion.58 Im Falle des Erfahrungsobjektes Christoph 47 in Greifswald und der luftgestützten Notfallversorgung in Vorpommern-Rügen stellt sich dabei zunächst grundsätzlich die Frage der Vergleichbar- oder Übertragbarkeit des Nutzens einer Rettungswinde. Als Vergleichsgröße kann der Hubschrauber Christoph 26 herangezogen werden, welcher der einzige küstennahe Hubschrauber der deutschen öffentlichen Luftrettung mit Winde ist. Dieser versorgt unter anderem die ostfriesischen Inseln und ist geeignet, auch Evakuierungen von Sandbänken durchzuführen, auf denen Menschen von den Gezeiten eingeschlossen sind.
Die Versorgung von Ostseeinseln ist auch für Christoph 47 gegeben. Hiddensee ist beispielsweise nur über das Wasser oder den Luftweg erreichbar, während auf Rügen, Hiddensee und Usedom die Einhaltung von Hilfsfristen aufgrund überlasteter Straßen oftmals erschwert wird. Jedoch ist fraglich, ob die Erreichbarkeit von Notfallorten in diesen Regionen die Mitführung einer Rettungswinde rechtfertigt. Auch aus Einsatzdaten der Vergangenheit, die auf den Bedarf von Seilberungen hinweisen, lassen sich an dieser Stelle keine Aussagen treffen, da diese nicht bekannt oder verfügbar sind. Deshalb kann hier nur eine ökonomische Bewertung der Alternativen vorgenommen werden.
Die hier vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass das Fixtau gegenüber der Rettungswinde das deutlich günstigere Verfahren bei Seilbergungen darstellt. Für Christoph 47 würde die Erweiterung des Status Quo um ein Fixtau, wie in 3.I. und 3.IV. für 1200 Einsätze dargestellt, zu einer Gesamtkostensteigerung um rund 3 % von 2.446.467,2 € auf 2.524.843,2 € führen. Für die Rettungswinde gemäß 3.V. hingegen würden insgesamt 2.622.639,20 € anfallen und die Gesamtkosten des Rettungsbetriebes im Ausgangsszenario damit um ca. 7 % erhöhen. Möglicherweise würde das Fixtau mit deutlich geringerer Kostenintensität für die küstennahmen Einsätze den Einsatzanforderungen genügen. Damit wäre es im Kosten-Nutzen-Verhältnis der technisch komplexen Winde vorzuziehen.
Zudem stellt sich die Frage, ob andere, außerhalb des Rettungsdienstes betriebene Hubschrauber für seltenen Windeneinsatzbedarf subsidiär verfügbar sind. Im Versorgungsgebiet von Christoph 47 kommen dafür der in Güttin auf Rügen stationierte Hubschrauber „Northern Rescue 02“, der mit einer Rettungswinde ausgestattet ist, oder der Bundeswehrhubschrauber „SAR24“ in Warnemünde in Frage.
Ohne eine Kenntnis des Bedarfs potenzieller Windeneinsätze lassen sich mögliche Nutzen der Rettungswinde ihren hier modellierten Kosten nicht gegenüberstellen. Für die abschließende Innovationsbewertung sollte also der Einsatzbedarf für Seilbergungen im Versorgungsgebiet des Hubschrauber Christoph 47 weiter erhoben werden. Davon ausgehend bedarf es bei der abschließenden Innovations- und Investitionsbewertung hinsichtlich der Vorhaltung eines Luftrettungsmittels mit Rettungswinde der Bewertung von Alternativen, etwa dem Einkauf von Fremdleistungen durch subsidiäre Beauftragungen.

5.2.6 Gestaltung der Leistungsvergütung

Vorbehaltlich der Übertragbarkeit der Ergebnisse aus Abschnitt 5.1.5 zur Leistungsvergütung, in dem die Bindung öffentlicher Ressourcen in einzelwirtschaftlichen Gewinnen aufgezeigt wurde, ergibt sich die Anforderung an Akteure mit Organisationskompetenzen, die Gestaltung der Leistungsvergütung zu prüfen. Einheitliche Ansätze zur Bewertung von Luftrettungsleistungen konnten bei den Recherchen in dieser Arbeit weder bundeslandübergreifend noch -spezifisch erfasst werden. Für ihr Fehlen sprechen auch die sehr unterschiedlichen Leistungsbewertungen, die in Abschnitt 2.​1.​3.​5 Finanzierung und Vergütung dargestellt wurden. Eine effizientere Mittelverwendung bedarf einer besseren Vergleichbarkeit von Betriebskosten innerhalb des Luftrettungssystems durch leichteren und transparenteren Zugang zu Informationen. Daraus ließe sich schließlich ein Grad der Profitabilität ableiten, der hinsichtlich der Ressourcenverwendung innerhalb der Luftrettungsorganisation akzeptabel ist.
Für eine effiziente rahmengebende Gestaltung von Luftrettungssystemen ist es erforderlich, den Grad gesellschaftlich akzeptabler Profitabilität der Leistungserbringer in die Zielstrukturen aufzunehmen. Dafür müssen die Mechanismen der Gewinnentstehung verstanden werden. Dies gilt gleichermaßen für den allgemeinen Fall, wie auch die Beispielregion Vorpommern-Rügen, weshalb hier auf eine weitere Differenzierung der Betrachtung verzichtet werden kann.
Grundlegende Ansätze
Im deutschen Luftrettungssystem liegt das Auslastungsrisiko sowohl bei den Leistungserbringern, wie auch den Krankenkassen. Bei Unterdeckung von Kosten auf Seite der Leistungserbringer kommt es zu Ausgleichszahlungen, Gewinne müssen jedoch nicht zurückerstattet werden. Damit ist das unternehmerische Risiko deutlich reduziert, während die Gewinnerzielung möglich ist. Aus Sicht der öffentlichen Daseinsvorsorge impliziert jede Ausgabe, die von Luftrettungsbetreibern nicht zur Deckung von Betriebskosten, sondern zur Gewinnerzielung genutzt wird, eine ineffiziente Ressourcenallokation. Einzelwirtschaftliche Gewinne binden knappe Mittel, die im Gesundheitssystem für die Patientenversorgung fehlen. Die Mittelbindung betrifft die kostentragenden Krankenkassen, die ihrerseits einem Planungsrisiko unterliegen. Bei abweichender oder im Zeitverlauf steigender Auslastung steigen ihre Ausgaben.
Um die Profitabilität und Höhe der Gewinne von Leistungserbringern zu steuern, können verschiedene grundlegende Ansätze gewählt werden. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Leistungserbringer der öffentlichen Luftrettung ihre Absatzmenge nicht direkt beeinflussen können, sondern vom Dispositionsverhalten ihrer Leitstelle abhängen. Somit bietet sich als Maßnahme grundsätzlich die strategische Verringerung der Einsatzzahlen an, hier ergeben sich wichtige Schnittmengen zur Steuerung der Kapazitätsauslastung sowie die Anforderung einer systematischen Dispositionsstrategie.
Gleiches gilt für die durchschnittlichen Einsatzzeiten, welche die erwirtschafteten Erlöse bedingen und sensitiv auf Veränderungen reagieren.59 Jedoch trägt sie auch maßgeblich zur Bindungsquote der Rettungsmittel bei. Diese lässt sich in eingeschränktem Maße auch kurzfristiger steuern, Möglichkeiten ergeben sich hier möglicherweise durch Prozessoptimierungen. Bindungszeiten durch lange Reisezeiten sind hingegen wieder durch die Standortplanung beschränkt beeinflussbar.
Als weiterer grundlegender Ansatz könnte die Höhe der Leistungsvergütung im Status Quo angepasst werden, um das Maß der Gewinnentstehung zu regeln. Bei schwankenden Einsatzzahlen ergibt sich daraus jedoch die Gefahr, dass es periodisch auch zur Unterdeckung der Betriebskosten kommen kann und Nachschüsse zum Verlustausgleich nötig werden. Dies verringert auch die Planbarkeit für Kostenträger und Leistungserbringer. Gemäß der in Abschnitt 4.​3.​2.​2 präsentierten Ergebnisse zur Sensitivität der Break-Even-Punkte muss hier auch berücksichtigt werden, dass mit sinkender Einsatzvergütung die Intervalle zwischen den zusätzlich zur Kostendeckung benötigten Primäreinsätzen überproportional zunehmen. Damit ist der Spielraum, innerhalb dessen die externe Bewertung von Luftrettungsleistungen geschehen kann, eingeschränkt.60
Budgetierung
Ein weiterführender Ansatz zur Gestaltung der Leistungsvergütung wäre ihre methodische Neuausrichtung, mit der Möglichkeiten der Gewinnerzielung und Anreize besser gesteuert oder neu gesetzt werden könnten. Die Finanzierung könnte anhand externer Budgets für vergleichbare Luftrettungsmittel geschehen. Budgets bieten die Möglichkeit, bei Annahme ähnlicher Kosten von vergleichbaren Luftrettungsstationen gesellschaftliche Ausgaben besser zu steuern und die Ausprägung unterschiedlicher Kostenarten besser zu überblicken. Somit ermöglicht die Budgetierung als Koordinations- und Controllinginstrument61 die Vermeidung von stark in die Höhe abweichender Betriebskosten. Anhand genauer Planungsansätze kann zudem auch eine ökonomische Bewertbarkeit der zuvor vorgestellten Steuerungsansätze von Luftrettungssystemen ermöglicht werden.
Wie die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen, ist die Annahme ähnlicher Betriebskosten bei vergleichbaren Luftrettungsmitteln zulässig. Für die Unterscheidung von Kostenarten kann der in dieser Arbeit gewählte Ansatz übernommen werden. Dementsprechend können Budgets leistungsmengenabhängige und -unabhängige Kosten adressieren und zur externen Anreizsetzung festgelegt werden. Zwei Ansätze für die budgetierte Leistungsvergütung sind denkbar: Die leistungsbezogene Vergütung ausgehend von einem Masterbudget, das die vollständigen Betriebskosten deckt, oder die pauschale Erstattung eines Fixkostensockels mit Vergütung der einsatzabhängigen Kosten anhand von Teilbudgets.
Die Vergütung anhand des Masterbudgets mit konstanter leistungsmengenbezogener Vergütung hat den Effekt, dass bei einer Leistungsmenge oberhalb der erwarteten Gewinnschwelle nur noch variable Kosten vom Luftrettungsbetreiber gedeckt werden müssen. Da die vollkostenbasierte Leistungsvergütung an der Gewinnschwelle die Fixkosten deckt, entstehen mit jedem Einsatz oberhalb der Gewinnschwelle zusätzliche Gewinne in Höhe des budgetierten Fixkostenbeitrages. Eine Steuerung der Gewinnerzielung könnte anhand einer „geknickten“ Erlöskurve geschehen, welche oberhalb der Fixkostendeckung Abschläge der Leistungsvergütung vornimmt.
Gleichzeitig bedarf es aber auch eines Mechanismus, der zum Verlustausgleich eingreift, sofern die von der Leistungsmenge abhängigen Erlöse nicht zur Kostendeckung ausreichen. Die Höhe der Abschläge bei Erreichen der Gewinnzone ist dabei abhängig vom Maß der Gewinnentstehung, das von den Stakeholdern akzeptiert wird. Damit liegt das Auslastungsrisiko wie im Status Quo weiterhin beim Luftrettungsbetreiber. Jedoch wäre in diesem Ansatz nicht nur das unternehmerische Risiko von Verlusten durch Unterauslastung, das auch bisher ausgeglichen wird, aufgehoben. Vielmehr würde auch das gesellschaftliche Risiko von betrieblichen Gewinnen, die knappe Ressourcen bündeln, aufgrund der Abschlagszahlungen verringert.
Zwei unterschiedliche Budgets können bei der differenzierten Betrachtung von fixen und variablen Kosten gebildet werden: Eine pauschale Vergütung der fixen Kosten zur Bereitstellung der Luftrettung müsste Personal- und sonstige Fixkosten enthalten. Neben der pauschalen Deckung des Fixkostensockels könnten die variablen Kosten der Leistungserbringung ebenfalls budgetiert werden. Dieser Ansatz könnte dabei helfen, insbesondere die Kosten für Infrastruktur am Boden stärker zu steuern, die sich in der deutschen Luftrettung mitunter erheblich unterscheiden.62 Sofern fixe und variable Kosten exakt gedeckt werden, ist keine Gewinnerzielung für den Leistungserbringer mehr angelegt. Gewinnerzielung ist nur möglich, wenn eine Senkung der Betriebskosten unterhalb des Budgets erreicht wird. Bei regelmäßiger Neuplanung und Anpassung von Budgets schwinden diese Gewinnmöglichkeiten jedoch. Andererseits könnten Gewinne in einem oder den verschiedenen Budgets angelegt werden, um bspw. Mittel für Forschung und Entwicklung bereit zu stellen.
Budgetermittlung
Die Finanzierung der Luftrettung anhand einer externen Budgetierung erfordert Kenntnis der Betriebskosten aus einer möglichst große Stichprobe an Luftrettungsmitteln. Aufgrund des ausführlich dargelegten Informationsdefizites über die gesellschaftlichen und betrieblichen Kosten der Luftrettung ist dies bisher nicht möglich. Für eine budgetbasierte Finanzierung der Luftrettung würde es also einer höheren Transparenz bezüglich ihrer Betriebskosten bedürfen. Diese könnte erlangt werden, indem Luftrettungsbetreiber die Betriebskosten jeweiliger Luftrettungsstationen offenlegen.
Anhand offen gelegter Kosten können externe Budgets über verschiedene Ansätze für die Bereitstellung und die Leistungserbringung unterschieden, oder zusammengefasst werden. Dabei bietet sich als Bemessungsgröße im Rahmen des Plankostenansatzes unter anderem die Definition von Standardkosten63 an. Insbesondere Treibstoffkosten können für Hubschrauber gleichen Typs leicht standardisiert und geplant werden. Die Informationsvernichtung durch Abstraktion von Einzeleffekten muss bei Betrachtung einer größeren Leistungsmenge in Kauf genommen werden. Bei Kenntnis einer für eine Periode festgelegten und eingehaltenen Leistungsmenge können Standardkosten auch für die sprungfixen Wartungskosten formuliert werden. Die homogenen Flotten der Luftrettungsbetreiber erleichtern hier das Vorgehen.
Das Standardkostenverfahren ermöglicht es Leistungserbringern sowie Stakeholdergruppen mit Planungs- und Organisationskompetenz, unterschiedliche Anreize anhand der Finanzierung zu setzen. Standardkosten auf Basis von Durchschnittskosten stellen einen eher objektiven Ansatz ausgehend von betrieblichen Kosten des Status Quo dar. Die Orientierung an Best Practice-Beispielen hingegen ermöglicht die Hervorhebung von Aspekten, die für die Gestaltung von Luftrettungssystemen erwünscht sind. Denkbar sind hier Synergieeffekte, die zu geringeren Wartungskosten führen oder bestimmte Hubschraubermuster mit geringeren Wartungskosten oder Treibstoffverbräuchen.
Bei pauschaler Vergütung von Bereitstellungskosten ist der auf Leistungseinheiten bezogene Standardkostenansatz nicht anwendbar. Die Budgetfestlegung nach Normalkostenrechnung auf Vollkostenbasis anhand von Durchschnittskosten hingegen schon. Zudem könnten Best Practice-Beispiele als Bemessungsgröße angesetzt werden. Beide Ansätze könnten sich an Personalkosten und den in dieser Arbeit definierten sonstigen Fixkosten für betriebliche Infrastruktur orientieren.
Personalkosten sind für Luftrettungsmittel mit gleichen Voraussetzungen, wie die Recherchen dieser Arbeit zeigen, vergleichbar und deshalb beispielsweise über Durchschnittswerte leicht abzubilden. Um Anreize oder Druckmittel zu setzen, etwa zur Hebung von Synergien, bieten sich hingegen Best Practice-Beispiele an. Beispielhaft hierfür stehen geringe Personalkosten, die sich aus Offenlegung der Betriebskosten ergeben könnten. Zudem könnte stark ausreißenden Kosten für Infrastruktur über eine Budgetierung vorgebeugt werden, sofern die Budgetierung unter der Annahme erfolgt, dass sich Luftrettungswachen in ihrer Größe und Funktionalität nicht erheblich unterscheiden sollten. Lediglich regionale Unterschiede in den Kosten für die Bereitstellung von Nutzungsflächen wären zu berücksichtigen.
Werden Budgets für Bereitstellungs- und leistungsabhängige Kosten nicht unterschieden, sondern im Rahmen einer vollkostenbasierten Masterbudgetierung zusammengefasst, müsste eine geplante Leistungsmenge innerhalb des Planungszeitraumes festgelegt werden, um Fixkosten auf Leistungseinheiten verrechnen und Standardkosten definieren zu können. Dafür bedarf es die oben ausgeführten Mechanismen zur Steuerung der Leistungsmenge: Standortplanung und Dispositionsstrategie.
Gestaltung Kostenträgerschaft
Neben der Gestaltung der Vergütung von Luftrettungsleistungen ist auch die Frage der Kostenträgerschaft zu klären, die bei gleichbleibendem Wachstum der Benutzungsentgelte und damit steigender Belastung der Krankenkassen von zunehmender Bedeutung werden könnte.64 Einerseits könnten, wie zuvor angesprochen, die Länder mehr Finanzierungsanteile übernehmen und so mehr Anreize für eine effiziente Gestaltung der Luftrettungssystems gesetzt werden. Andererseits könnte bei weiterhin steigenden Ausgaben für die Luftrettung der Kreis der Kostenträger auch auf Interessensgruppen, die von Luftrettungsleistungen direkt profitieren, jedoch bisher nicht zu ihrer Finanzierung beitragen, ausgeweitet werden. Zu diesen gehören bspw. Berufsgenossenschaften, Unfallversicherungen, Lebensversicherungen oder Berufsunfähigkeitsversicherungen. Sie haben ein Interesse an der Vermeidung von auszahlungsbedingenden Krankheitsfällen und somit am Einsatz von möglichst schneller Notfallversorgung, die von der Luftrettung gewährleistet wird.
Diese Möglichkeiten zur Erweiterung der Kostenträgerschaft sind sowohl im aktuellen benutzungsentgelt-basierten System, wie auch für die stärkere Ausrichtung an Budgets relevant. Eine klare Aufteilung der vier vorgestellten Kostenkategorien und ihre Budgetierung bietet neben der Transparenz und Steuerbarkeit gesellschaftlicher Ausgaben gegenüber dem Status Quo den Vorteil, dass sich die Kostenträgerschaft klarer zuteilen lässt. Dies unterscheidet sich von der bisher eher diffusen und wenig transparenten Vergütung über Benutzungsentgelte, die Kosten der Bereitstellung und der Leistungserbringung nicht getrennt betrachtet. Eine deutlichere Zuteilung der Kostenträgerschaft hilft dabei, Entscheidungskompetenzen auszurichten und die vorgestellten zuvor Zielkonflikte effizienter auszusteuern. Somit kann die Strukturierung der Kostenträgerschaft dabei helfen, die Handlungsempfehlungen für die Gestaltung von Luftrettungssystemen umzusetzen.
Die Aussteuerung von Zielkonflikten betrifft erstens die Standortplanung im Luftrettungssystem. Sind die Kosten der Bereitstellung der Luftrettung abschätzbar, bekannt und budgetiert, können Alternativen zur Versorgung eines Gebietes, also bspw. die Gegenüberstellung von Boden- und Luftrettung durch Kostenträger bewertet werden. Die von Stakeholdern genutzten Bewertungsansätze lassen durch standardisierte Herangehensweise eine Vergleichbarkeit zu anderen Standorten zu. Sie können auch transparent gegenüber anderen nicht an der Planung beteiligten Anspruchsgruppen kommuniziert werden. Darüber hinaus kann eine striktere Budgetierung von Bereitschaftskosten gegenüber dem Status Quo der Selbstkontrolle dienen.
Zweitens ermöglichen standardisierte, also vergleichbare und bekannte Betriebskosten die Bewertung unterschiedlicher Kapazitätsauslastungen, die durch Dispositionskriterien für Luftrettungseinsätze erreicht werden sollen. Zudem ist die Gewinnerzielung bei Betreibern besser steuerbar, insbesondere wenn sie ausschließlich an die Vergütung von Leistungen geknüpft ist. Das Auslastungsrisiko für Betreiber und Kostenträger einzelner Luftrettungsmittel kann somit rettungsmittelabhängig sowohl auf Seite der Leistungserbringer, als auch Kostenträger abgewogen und gestaltet werden.
Drittens können weitere mögliche Kostenträger deutlich einfacher in die Kostenträgerschaft aufgenommen werden, wenn die Zuständigkeiten für die Finanzierung von Kosten der Bereitschaft und der Leistungserbringung bereits eindeutig zugeordnet sind. Mit auf dieser Weise etablierter Transparenz können Finanzierungsanteile durch neue Kostenträger, oder innerhalb der bestehenden Kostenträgerschaft deutlich klarer kommuniziert und verteilt werden.
Akzeptanz Status Quo
Ein Ergebnis der Prüfung der Leistungsvergütung könnte schließlich auch sein, dass die entstehenden Gewinne und dadurch gebundene Ressourcen akzeptabel sind. Gewinne könnten als Instrument zur Stimulation von Wettbewerb, Forschung und Entwicklung sowie zur Steigerung der Qualität der Versorgung angesehen werden. Das Ziel der Wettbewerbsstimulation kann dabei, wie in Abschnitt 2.​1.​3.​3 Wettbewerb und 2.​1.​3.​4 Marktdynamik ausführlich dargestellt, bereits als erfüllt angesehen werden. Dies weist auch auf die Gewinnverwendung der Luftrettungsorganisationen zum Erzielen von Wettbewerbsvorteilen hin, lässt sich anhand der Jahresabschlüsse jedoch nicht detailliert belegen.65 Hieraus ergibt sich weiterer Bedarf zur systematischen Erhebung weiterer Daten.

5.3 Limitationen

5.3.1 Forschungsstand

Im Zeitraum der Anfertigung dieser Arbeit gibt es keinen bekannten wissenschaftlichen Beitrag, der in ähnlicher Breite und Tiefe die Kosten eines Luftrettungsbetriebes analysiert. Diese fehlende Kostenkenntnis und der Mangel an theoretisch-konzeptionellen Beiträgen ermöglicht somit die Erweiterung des aktuellen Forschungsstandes durch grundlegende Erkenntnisse, die in dieser Arbeit geschaffen werden. Die ausführliche Recherche und Erhebung von Informationen in Kooperation mit der Johanniter Luftrettung ermöglichte dabei zwar die ausführliche Beschreibung von Inputdaten und der Definition von möglichen Variablen eines Kostenmodells. Im Rahmen der Modellierung wurde ihre Genauigkeit und auch ihre grundsätzliche Übertragbarkeit vorausgesetzt, jedoch konnte ihre Richtigkeit nicht durch Messung oder Erhebung tatsächlicher Kosten validiert werden.
Eine größere Sicherheit hinsichtlich genutzter Kostendaten hätte durch weitere Informationen von anderen Akteuren der Luftrettung geschehen können. Jedoch waren entsprechende Anfragen zur Forschungskooperation, die neben der Johanniter Luftrettung auch gleichlautend an die ADAC Luftrettung, die DRF Luftrettung sowie das Bundesamt für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz (BBK) gestellt wurden, nicht erfolgreich. Die privatrechtlichen Luftrettungsorganisationen lehnten mit der Begründung ab, durch Freigabe von Daten möglicherweise Nachteile im Wettbewerb zu erleiden. Das BBK begründete seine Absage mit grundsätzlichen Zweifeln an der Aussagekraft wissenschaftlicher Kostenanalysen zur Luftrettung.
Ansätze für die Beschreibung und Modellierung des deutschen Luftrettungssystems, welche für die Definition von Szenariovariationen sowie auf das exemplarische Erfahrungsobjekt angewendet wurden, ergaben sich auch aus den Recherchen mit Fokus auf Deutschland. Neben wissenschaftlichen Arbeiten wurden Berichte und Veröffentlichungen öffentlicher Einrichtungen genutzt, vielmals konnten und mussten jedoch auch Informationen aus Zeitungsberichten sowie dem Internet gewonnen werden. Dies schränkt die Qualität der Belege ein, war zum Fortkommen in diesem wenig erforschtem Feld jedoch unumgänglich. Abgesehen von den nutzbaren Quellen und Medien erscheint die Datenlage nun rückblickend hinreichend, um das System der deutschen Luftrettung in den Grundlagen aus gesundheitsökonomischer Perspektive aufzuarbeiten.
Darüber hinaus wurde durch die Betrachtung vergleichbarer europäischer Luftrettungssysteme weiterer Informations- und Kenntnisgewinn verfolgt, gemäß der Hypothese, dass sich für das exemplarische Erfahrungsobjekt potenzielle Innovationen und Verbesserungsmöglichkeiten erheben ließen. Auch wirkte die geringe bisherige Forschungstätigkeit auf diesem Gebiet einschränkend. Die Recherchen wurden erschwert durch Sprachbarrieren und oftmals im Vergleich zu Deutschland deutlich weniger verfügbaren Informationen aus den internationalen Luftrettungssystemen.
Es zeigte sich auch, dass in der internationalen, hubschraubergestützten Luftrettung, keine disruptiven Innovationen implementiert wurden, die es in Deutschland nicht gäbe. Vielmehr bemessen sich Unterschiede an den Graden der Innovationsadoption, oder liegen in der grundsätzlichen Gestaltung des Luftrettungssystems. Völlig neue Ansätze zur Gestaltung der Luftrettung in Vorpommern-Rügen konnten deshalb am exemplarischen Erfahrungsobjekt nicht modelliert werden – jedoch spricht ihre grundsätzliche Ähnlichkeit für die betrachteten Luftrettungssysteme, die sich offenbar an einem gemeinsamen State-of-the-art bewegen.

5.3.2 Modell

Das Fehlen vergleichbarer Ansätze und Kenntnisse aus dem Forschungsstand sowie der Zugriff auf umfassend verfügbare Datensätze erschwert die Einordnung der Ergebnisse dieser Arbeit, die sich aus den Annahmen der Kostensystematik ergeben. Es herrscht bereits bezüglich der Inputdaten und modellierten Kostensystematik somit auch strukturelle Unsicherheit, die sich konsequenterweise bis zu den erarbeiteten Ergebnissen durchzieht.
Um eben diese Unsicherheit zu reduzieren und um die Breite möglicher Ausprägungen von Ergebnissen überblicken zu können, wurde die Herangehensweise mit drei Szenarien und je fünf Variationen gewählt. Sie sollen die Modellierungsrisiken und Unsicherheiten dieser Arbeit verringern, die sich aus den ins Modell einfließenden Daten sowie der modellierten Kostensystematik ergeben. Die Szenariovariationen geben dabei unterschiedliche Umweltzustände wieder, die vom Modell dargestellt werden. So zeigen etwa die Variationen I. und II. eine Spanne möglicher Kostenhöhen dar, die in einem Luftrettungssystem ausgeprägt sein können, zudem wird das Einsatzprofil variiert und die Mitführung von Gerät zur Seilbergung modelliert.
Das Ausgangsszenario 1.I. wurde dabei mit möglichst hoher Nähe zur Realität mit erlangten und unter Abbildung 2.​10 Einsatzgebiete der dänischen Luftrettung dargestellten Daten definiert. Die weiteren Variationen basieren auf dieser Ausgangssituation, ergänzt um weitere spezifische Informationen. Dieses Vorgehen impliziert, dass mit der verstärkten Übernahme von Annahmen die Ergebnisqualität beeinträchtigt wird. Dennoch lassen sich die Ergebnisse, wie zuvor durchgeführt, zu einem gewissen Maße mit anderen Beiträgen wissenschaftlicher oder offizieller Natur vergleichen. Der Vergleich bestätigt meist die Spannweite möglicher Ausprägungen und ist damit geeignet, Unsicherheiten zu reduzieren.
Über die szenariobasierte Herangehensweise hinaus wurden Sensitivitätsanalysen durchgeführt, in denen die Auswirkungen von Veränderungen der Inputparameter des Modells auf die durchschnittlichen Primäreinsatzkosten sowie die Gewinnschwelle untersucht wurden. Sie wurden jeweils beispielhaft angewandt auf die Szenariovariation 1.I. Anhand der Untersuchung der Sensitivität konnten Aussagen über die Robustheit des Modells gemacht werden, die gleichzeitig auf dessen Limitationen hinweisen.
Bezogen auf die Durchschnittskosten für Primäreinsätze in 1.I., zeigt sich in der Sensitivitätsanalyse deren Reaktion auf die ceteris paribus Veränderung eines Inputparameters. Aus den Ergebnissen, die im Tornadodiagramm dargestellt sind, lassen sich auch Rückschlüsse auf Inputdaten und modellierte Kostenstrukturen legen, die bei einer Validierung und Spezifizierung der Ergebnisse dieser Arbeit besonders sorgfältig geprüft werden sollten.
Besonders hervorzuheben bei Betrachtung der Durchschnittskosten sind hier die Flächenschlüssel \(\upgamma\) und \(\upbeta\) zur Verrechnung von Fixkosten für Infrastruktur auf die Einsatzgebiete von Primär- und Sekundäreinsätzen, die Personalkosten p sowie die durchschnittliche abrechenbare Zeit für Primäreinsätze \({b}_{x}\). Der Einfluss einer 50 %-igen Veränderung der sonstigen Fixkosten, die keine Personalkosten beinhalten, auf die Durchschnittskosten eine Primäreinsatzes, stellt sich hingegen eher gering dar.
Im Besonderen ist der Ansatz der Personal- und sonstigen Fixkostenaufteilung für die Einsatzarten anhand der Fläche des zu versorgenden Einsatzgebietes zu betrachten. Ein Flächenschlüssel ermöglicht die deutschlandweite und auch internationale Vergleichbarkeit von Luftrettungsleistungen. Die Verrechnung nach Einwohnerzahlen bspw. würde zu starken Verzerrungen bei Betrachtung unterschiedlich dicht besiedelter Gebiete führen und so eine Vergleichbarkeit erschweren.
Jedoch ist auch der gewählte Ansatz diskutabel: Durch das erheblich größere Einsatzgebiet für Sekundärtransporte entfällt auf diese Einsatzart ein großer Anteil der Personal- und sonstigen Fixkosten. Dies bedeutet für den Primärhubschrauber, der als exemplarisches Erfahrungsobjekt zugrunde liegt und selten für Verlegungen disponiert wird, dass ein durchschnittlicher Primäreinsatz hinsichtlich der zugeordneten Fixkosten unterbewertet sein könnte. Somit erlangt er auch annahmebedingt eine frühzeitigere Kostendeckung in dieser Einsatzkategorie. Die Tatsache, dass das Erfahrungsobjekt jedoch für Sekundäreinsätze in ganz Mecklenburg-Vorpommern und sogar darüber hinaus genutzt wird,66 begründet in dieser Arbeit die gewählte Herangehensweise.
Aus den Inputdaten und Ergebnissen geht zudem die Fixkostenintensität der Luftrettung hervor, wobei der geringe Anteil der Kosten für die Infrastruktur am Boden, im Modell repräsentiert durch \(\delta\), hinsichtlich der Rechercheergebnisse etwas überraschend ist. Dieser ergibt sich aus den modellierten Inputdaten, die im Rahmen der Recherche zusammengetragen wurden und beträgt mit den getroffenen Annahmen in keiner Szenariovariation über 4 % der Gesamtkosten. Der geringere Finanzierungsanteil der Bundesländer zur Luftrettung ist zwar bekannt, dennoch stellt sich hier die Frage, ob der ermittelte Wert korrekt ist, oder aufgrund Unsicherheit der Datenlage zu gering ausfallen könnte. Grundsätzlich würde die Annahme höherer Fixkosten sich, wie in der Sensitivitätsanalyse unter 4.​2.​2.​2 gezeigt, nur gering auf die Kosten eines Primäreinsatzes auswirken.
Die Sensitivitätsanalyse der Durchschnittskosten zeigt auch, dass das startabhängige Wartungsintervall sehr kostentreibend auf die Primäreinsatzkosten wirkt, verglichen zu anderen unabhängigen Parametern. Somit wird die Bedeutung der Wartungskosten für den Luftrettungsbetrieb verdeutlicht. Erlangte Informationen aus den Verkaufsanzeigen zu älteren Hubschraubern weisen jedoch darauf hin, dass die Systematik der Wartungskosten deutlich komplexer und detaillierter sein könnte, als in dieser Arbeit angenommen.67 In der Vertiefung der Wartungskosten scheint sich weiteres Forschungspotential auf zu tun. Dieses könnte den höheren Abstraktionsgrad dieser Methodik, der in Rücksprache mit der Johanniter Luftrettung entwickelt und bestätigt wurde, vertiefen. Aufgrund der Sensibilität der Durchschnittskosten auf eine Änderung der Wartungskosten sollten diese validiert werden, um die Ergebnisqualität der Aussagen zu sichern.
Hier besteht zudem eine weitere wichtige Schnittmenge zu den angenommenen Flugrouten: In der Modellierung des exemplarischen Erfahrungsobjektes wurde angenommen, dass bei Primär- und Sekundäreinsätzen durchschnittlich zwei Starts durchgeführt werden müssen. Insbesondere für Sekundärtransporte erscheint diese Annahme sinnvoll, da die mittlere Transportstrecke des Christoph 47 nach der RUN-Statistik für 2017 mit etwa 47 Kilometern angegeben und vergleichsweise kurz ist.68 Der betrachtete Hubschrauber scheint insbesondere Patienten der kleineren Krankenhäuser des Umlandes in das maximalversorgende Universitätsklinikum Greifswald zu verlegen. Für andere Luftrettungsmittel könnte die Annahme eines ähnlichen Routenprofils nicht zutreffend sein. In diesem Fall müssten die Inputparameter angepasst werden. Gleiches gilt auch für Primärhubschrauber, die nicht an einem Krankenhaus stationiert sind, zu dem Notfallpatienten in der Regel geflogen werden. Dies gilt zum Beispiel für den RTH Christoph 12 in Ahrensbök-Siblin, für den sich durch seine dezentrale Lage ein Flugprofil mit drei Starts ergeben könnte, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Kostenstrukturen.
Von den Unsicherheiten über die Genauigkeit von Inputdaten sind auch die Ergebnisse der Break-Even-Analyse betroffen. Es ist möglich, dass Ungenauigkeiten der ermittelten Kosten die szenarioabhängige Gewinnschwellen verschieben. Hinsichtlich der Erlösstruktur bestehen andererseits geringere Unsicherheiten, ihre Systematik ist von keiner hohen Komplexität geprägt. Grundsätzlich zeigt sich jedoch, dass die Anzahl benötigter Primäreinsätze sich stark mit der Leistungsvergütung ändert, wobei mit steigender Vergütung die Intervalle zwischen den Break-Even-Punkten schrumpfen. Die Sensitivität der Gewinnschwelle wurde zusätzlich auf Änderungen der unabhängigen Parameter hin exemplarisch für 1.I. untersucht. Das zu erwartende Ergebnis zeigt den großen Einfluss der Kosten, sowie der Dauer und Höhe der Vergütung auf die Gewinnschwelle. Somit sind auch sie kritische Größen, deren Ausprägung bei künftigen Break-Even-Analysen für realitätsnahe Ergebnisse stärker evaluiert werden sollten.

5.3.3 Praktische Relevanz

Die vorgestellten Ergebnisse erscheinen im Vergleich zu bekannten Kostendaten der Luftrettung plausibel. Gleichwohl weisen die Szenariovariationen eine größere Ergebnisspanne auf, die sich aus den modellierten Inputdaten ergeben – diese Spanne möglicher Kostenausprägungen zeigt auch, dass der szenariobasierte Ansatz zur Vermeidung von Unsicherheit zu Recht gewählt wurde. Die vorgestellten Ergebnisse mögen als Richtwert und Orientierung für die Gestaltung von Luftrettungssystemen dienen können. Um anhand ihrer Entscheidungen treffen zu können, sollten die Annahmen und Daten jedoch verifiziert werden, also die Datenqualität verbessert werden. Sofern die vorgestellte Kostensystematik angenommen wird, bedarf es zur Validierung also weiterer Forschungstätigkeit und Erkenntnisgewinne hinsichtlich der Inputdaten.
Eine Übertragbarkeit der Ergebnisse ist wie von vornherein angestrebt möglich, um eine Orientierung über die Gesamt- und Durchschnittskosten sowie die mögliche Profitabilität, bzw. die gesellschaftlichen Ausgaben für Luftrettungsleistungen zu erlangen. Um explizite Annahmen und Aussagen zu einem spezifischen Luftrettungsmittel treffen zu können, sollten jedoch die jeweiligen Voraussetzungen in das Modell übernommen werden. Dies lässt sich etwa am zuvor beschriebenen Beispiel von Christoph 12 in Ahrensbök-Siblin und zu berücksichtigende Flugprofile verdeutlichen.
Werden die aufgestellten Prämissen und mit Ihnen die erlangten Ergebnisse angenommen, liefert dieses Modell zur Berechnung der Kosten der Luftrettung einen Beitrag für den wichtigen nächsten Schritt dieses Forschungsfeldes, der Evaluierung des gesellschaftlichen Nutzens der Luftrettung. Kostenvergleichsanalysen mit dem bodengebundenen Rettungsdienst sind nun von der Seite der Luftrettung aus möglich. Auch zum relevanten Thema einer Kosten-Nutzen-Analyse der Luftrettung, die es bisher nicht in hinreichender Form gibt, kann nun beigetragen werden. Von der medizinischen Seite bedarf es nun dafür einer noch genaueren Bewertung der Effekte auf das gesundheitliche Outcome, wenn verschiedene Rettungsmittel, darunter die Luftrettung, eingesetzt werden.69 Auf diese Weise ließe sich eine Aussage über die Effizienz der Ressourcenallokation für die luftgestützte Notfallversorgung treffen.

5.3.4 Handlungsempfehlungen

In 5.2 sind Handlungsempfehlungen aus der Bewertung möglicher Innovationen und aus Erkenntnissen über internationale Luftrettungssysteme abgeleitet. Die Handlungsempfehlungen sind ausgerichtet auf die Lösung von Herausforderungen, welche sich aus den Einflussgrößen eines Luftrettungssystems ergeben. Nach einer allgemeinen Ausführung werden die Handlungsempfehlungen spezifisch auf die Region Vorpommern-Rügen bezogen. Die vorgestellten Handlungsempfehlungen nehmen dabei grundsätzlich eine akademische Perspektive ein. Noch stärkerer Bezug und Anwendbarkeit könnte durch Einsicht in Entscheidungsprozesse erlangt werden, welche den wissenschaftlichen Ansatz bereichern. Ohne die Verbindung in die Praxis wird diesen wissenschaftlichen Ergebnissen immer der latente Vorwurf entgegenstehen, dass der Abstraktionsgrad eines Modells die Realität nicht darstellen kann.
Gleichwohl besteht die Einschätzung, dass die Implikationen dieser Arbeit geeignet sind, um grundsätzliche Entscheidungen über die Steuerung und Gestaltung eines gesamten Luftrettungssystems und damit einzelner Rettungsmittel treffen zu können. So gelten die hier getroffenen Aussagen etwa zur Standortplanung und Gesamtkostensteuerung, zur Kapazitätsauslastung oder zur Gestaltung der Leistungsvergütung durchaus auch unabhängig von einer einzelnen Ergebnisbetrachtung. Somit sind die hier aufgestellten Handlungsempfehlungen von praktischer Relevanz, sofern ihrem Abstraktionsgrad die richtige Entscheidungsebene gegenüber gestellt wird.
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Footnotes
1
Vgl. Abschnitt 3.​4 Innovationsbasierte Szenarioentwicklung.
 
2
Vgl. Abschnitt 2.​2.​3 zu Schlussfolgerungen über internationale Luftrettungssysteme.
 
3
Vgl. Abschnitt 2.​1.​1.​2 Einsatzprofile.
 
4
Vgl. Abschnitt 4.​1.​3 16-Stunden Betrieb mit Randzeitenausweitung.
 
5
Vgl. Abschnitt 4.​1.​4 Szenario 3: 24-Stunden Betrieb.
 
6
Vgl. Abschnitt 4.​1.​3 16-Stunden Betrieb mit Randzeitenausweitung, Abschnitt 4.​1.​4 Szenario 3: 24-Stunden Betrieb.
 
7
Vgl. Abschnitt 2.​3.​1 Ökonomische Forschungsbeiträge, sowie PrimAIR-Konsortium (2016).
 
8
Vgl. Tabelle 4.​3 Gesamtkosten, Szenario 3.
 
9
Vgl. Tabelle 4.​3 Gesamtkosten, Szenario 3.
 
10
Vgl. Abschnitte 2.​1.​5 Kritik und 2.​3 Kostenkenntnis zur Luftrettung.
 
11
Vgl. Bundesrechnungshof (2018), Abschnitt 2.​3 Kostenkenntnis zur Luftrettung.
 
12
Vgl. RUN-Statistik (2004), S. 250 f.
 
13
Vgl. Abschnitt 2.​1.​3.​5 Finanzierung und Vergütung sowie Bundesministerium für Gesundheit (2020).
 
14
Vgl. Abschnitt 2.​1.​3.​3 Wettbewerb.
 
15
Quelle: Eigene Darstellung.
 
16
Für weitere Ausführungen vgl. Abschnitt 5.2 Handlungsempfehlungen für die Gestaltung von Luftrettungssystemen.
 
17
Vgl. Abschnitte 2.​1.​1.​2.​1 Aufgabenbereich und 3.​5. Datengrundlage.
 
18
Vgl. Abschnitt 4.​1, Gesamtkosten sowie Tabellen 4.​1, 4.​2 und 4.​3.
 
19
Vgl. Abschnitt 2.​1.​1.​2.​3 Einsatzzahlen.
 
20
Vgl. Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern (2014), S. 3.
 
21
Vgl. Abschnitt 2.​1.​1.​2.​2 Einsatzarten.
 
22
Vgl. Bundesrechnungshof (2018), S. 4 f., Abschnitt 2.​1.​3.​5 Finanzierung und Vergütung.
 
23
Vgl. Bundesrechnungshof (2018), S. 9.
 
24
Vgl. Abschnitt 2.​1.​3.​4 Marktentwicklung.
 
25
Vgl. Abbildung 4.​4: Break-Even-Analyse.
 
26
Vgl. Abschnitt 2.​1.​1.​2.​3 Einsatzzahlen.
 
27
Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (2020), Abschnitt 2.​1.​3.​5 Finanzierung und Vergütung.
 
28
Vgl. Rechnungshof Österreich (2012).
 
29
Vgl. Abschnitt 2.​1.​5 Kritik.
 
30
Vgl. Abschnitt 2.​1.​1. Medizinische Elemente und Relationen.
 
31
Vgl. Fleßa (2013), S. 33 f.
 
32
Vgl. Abschnitt 2.​1.​1.​1.​2 Ansprüche.
 
33
Vgl. Abschnitt 5.1.5. Leistungsvergütung.
 
34
Vgl. Dirk Scheer (2018).
 
35
Vgl. § 1 Rettungsdienstgesetz Mecklenburg-Vorpommern.
 
36
Vgl. Permien (2012 & 2021).
 
37
Vgl. Arrow (1963).
 
38
Vgl. u. a. § 14 Rettungsdienstgesetz Mecklenburg-Vorpommern.
 
39
Vgl. Funder (2016), S. 7–13.
 
40
Vgl. Abschnitt 2.​1.​3 Betriebswirtschaftliche Dimensionen.
 
41
Vgl. dazu bspw. DRF e. V. (2018).
 
42
Vgl. u. a. § 14 Rettungsdienstgesetz Mecklenburg-Vorpommern.
 
43
Vgl. Abschnitt 5.1.5 Leistungsvergütung.
 
44
Vgl. etwa Kreiskrankenhaus Wolgast, Schließung der Geburtenstation, Fleßa (2020), insb. S. 59.
 
45
Vgl. Abschnitt 2.​1.​1.​2.​2 Einsatzarten.
 
46
Vgl. Kleber et al. (2013), S. 347.
 
47
Vgl. DRF Stiftung Luftrettung (2020).
 
48
Vgl. Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern (2019).
 
49
Vgl. Bundesrechnungshof (2018), S. 16.
 
50
Vgl. Abschnitt 5.1.2 Betriebskostensteuerung.
 
51
Vgl. Abschnitt 3.​4.​1 Erfahrungsobjekt „Christoph 47“, Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern (2020), S. 552.
 
52
Vgl. Forschungsprojekt InGRiP (o. J.).
 
53
Vgl. Tabelle 5 NACA-Scores deutscher Luftrettungseinsätze.
 
54
Vgl. Abschnitt 2.​3 Kostenkenntnis der Luftrettung.
 
55
Vgl. dazu auch Abschnitt 5.1.3 Einsatzprofile.
 
56
Vgl. Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern (2014).
 
57
Vgl. Abschnitt 5.1.4 Seilbergung.
 
58
Vgl. Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern (2014).
 
59
Vgl. Abbildung 4.​5 Sensitivität des Break-Even im Ausgangsszenario 1.I. (a).
 
60
Vgl. dazu auch Abbildung 4.​5 Sensitivität des Break-Even im Ausgangsszenario 1.I. (a), Abbildung 4.​6 Sensitivität des Break-Even im Ausgangsszenario 1.I. (b) sowie Tabelle 4.​8 Sensitivität des Break-Even im Ausgangsszenario 1.I.
 
61
Vgl. Fleßa (2018), S. 551.
 
62
Vgl. Abschnitte 2.​1.​5 Kritik und 2.​3 Kostenkenntnis zur Luftrettung.
 
63
Vgl. Gabler (2021), Bölscher & Riedel (2012), S. 54 f.
 
64
Vgl. Abbildung 2.​7 Entwicklung der GKV-Ausgaben für Fahrtkosten des Rettungsdienstes.
 
65
Vgl. DRF e. V. (2018), DRF Stiftung Luftrettung (2019).
 
66
Vgl. Abschnitt 3.​4.​1 Erfahrungsobjekt „Christoph 47“.
 
67
Vgl. ADAC Luftfahrt Technik GmbH (2017) (a & b).
 
68
Vgl. RUN-Statistik (2017).
 
69
Vgl. Abschnitt 2.​3.​1 Ökonomische Forschungsbeiträge für bisherige QALY-Analysen.
 
Metadata
Title
Diskussion
Author
Dr. Johann W. A. Röper
Copyright Year
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-38301-5_5