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25-02-2021 | Diversitätsmanagement | Interview | Article

"Mehr Diversität bedeutet: raus aus der Kuschelzone"

Author: Andrea Amerland

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Gemischte Teams sind kreativer und machen weniger Fehler, belegen Studien. Sie sind aber auch konfliktgeladener und schwieriger zu führen. Mit Arcadis-CEO Marcus Herrmann sprach Springer Professional darüber, warum Diversity auch in der Corona-Krise kein Lippenbekenntnis bleiben sollte.

Springer Professional: Was war für Sie entscheidend, um dem Diversity Management in Ihrem Unternehmen einen höheren Stellenwert einzuräumen?

Marcus Herrmann: Mein Schlüsselerlebnis ist meine Biografie. Ich bin im frankophonen Afrika aufgewachsen – da ist mir kulturelle Vielfalt sozusagen in die Wiege gelegt worden. In gemischten Teams zu arbeiten, ist für mich normal. Es macht die Arbeit, wie ich finde, auch deutlich interessanter. Und ich sehe auch, dass es bessere Ergebnisse hervorbringt, wenn möglichst viele Perspektiven zusammenkommen. Bei Arcadis nimmt die Diversität spürbar zu, vor allem bei den jungen, talentierten Nachwuchskräften. Das ist die eine Seite. 

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Dann nehme ich an einem Meeting mit unseren Führungskräften teil und merke, in welchen Bereichen wir wiederum noch ordentlich Nachholbedarf haben. Dass wir Diversität noch stärker fördern müssen, ist für mich klar. Regelmäßig werde ich von jungen Talenten – bei Arcadis, aber auch außerhalb – gefragt, was das Unternehmen für mehr Diversität tut. Das ist dem Fachkräftenachwuchs heute wichtiger als monetäre Anreize wie ein überdurchschnittliches Gehalt, Dienstwagen, Boni oder ähnliches.

Welche Maßnahmen würden Sie anderen Unternehmen empfehlen, um die Vielfalt in Unternehmen zu erhöhen?

Über Standardrezepte würden wir uns wahrscheinlich alle freuen. Jedes Unternehmen muss aus seiner Unternehmenskultur heraus einen Weg entwickeln. Wir sind überzeugt, dass Veränderung in den Köpfen nur durch erlebbare Erfahrungen herbeiführen lässt, also durch Trainings, Workshops und Veranstaltungen. Arcadis fördert Coachings zum Thema 'Unconscious Bias', also unbewusster Voreingenommenheit, und Cultural Awareness. Wir engagieren uns für Frauennetzwerke sowie internationale LGBTQ+ Netzwerke, um heteronormative Vorurteile abzubauen. Wir unterstützen die individuellen Lebens- und Familienmodelle unserer Beschäftigten, indem wir ihnen Freiheit bei der Ausgestaltung ihrer Arbeit bieten – durch maximal digitalisierte Arbeitsprozesse und Eigenverantwortlichkeit. Das fördert Offenheit für andere, wenn die persönlichen Bedürfnissen nicht beschnitten werden.

Bislang verzichten Sie auf eine Frauenquote und im Management Board für Deutschland sind von dreizehn Führungskräften nur zwei Frauen. Wie sieht Ihre Diversity-Strategie für das Executive Team aus?

Wir diskutieren die Quotenregelung für das Management nicht ideologisch, aber ich will sie nicht für alle Zeiten kategorisch ausschließen. Aktuell vielversprechender scheint mir ein substanzieller Bewusstseinswandel unter uns Führungskräften zu sein. Wir müssen unsere Angst vor Tabuzonen ablegen. Wir müssen über Führungspositionen in Teilzeit reden, das Dogma der 24/7-Erreichbarkeit. Wir müssen uns fragen, warum wir es immer noch als Normalzustand ansehen, wenn ein Manager Vater wird und trotzdem ununterbrochen Vollzeit arbeitet, während wir eine Frau, die kurz nach der Entbindung wieder voll durchstartet, schief anschauen. Wenn jemand im Management herablassend lächelt, weil ein Kollege oder eine Kollegin ein Meeting verlässt, um das kranke Kind aus der Kita abzuholen, dann haben wir ein Problem, das wir thematisieren müssen.

Heterogene Teams sind kreativer, aber auch konfliktgeladener. Wie verändert das die Rolle von Führungskräften und das Konfliktmanagement?

Ohne Konflikte gibt es keine Veränderung. Eine meiner wichtigsten Aufgaben als CEO ist es, eine Kommunikationskultur zu etablieren, in der konträre Positionen offen und angstfrei ausgetauscht werden können. Mehr Diversität bedeutet auch: raus aus der Kuschelzone, Abschied von Ressentiments, Vorurteilen und Wertvorstellungen, mehr Reibung, mehr Diskurs, mehr offene Kontroverse. Wenn wir dazu nicht den Mut haben, dann bleibt Diversity ein trendiges Schlagwort für die Webseite. Das können wir uns allerdings nicht leisten: Die Welt, für die Arcadis Lösungen erarbeitet, wird immer diverser und bunter. Wenn wir zukunftsfähige Lösungen für urbane Räume und Industrien mit hohem Diversitätsgrad entwickeln wollen, dann müssen wir diese Vielfalt in unserer Struktur abbilden.

Ist die Diversität in der Corona-Krise von Nutzen oder von Nachteil?

Ich sehe das Risiko, dass Unternehmen Diversity in der Großkrise hinten anstellen. Wer vorher schon damit gefremdelt hat, dem kommt die Pandemie als Ausrede womöglich ganz recht. Doch diese Bremser haben die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung von Vielfalt und Inklusion nicht verstanden. Ich sehe überhaupt keinen Grund, unser Engagement in diesem Bereich in der Corona-Krise herunterfahren. 

Im Gegenteil: Unternehmen, die divers aufgestellt sind, haben durchlässigere, flexiblere Strukturen, die in der Krise wichtig sind. Resilienz ist hier das Stichwort. Stellt ein Unternehmen seine Bemühungen ein, waren diese auch vorher nur halbherzig. Ich bin überzeugt, dass uns Diversität bei der Bewältigung hilft. Mit offener Kommunikation und Solidarität funktioniert das interne Krisenmanagement besser. Und die Vielfalt der Sichtweisen und Perspektiven ermöglicht es uns, für Kunden innovative und zukunftsweisende Lösungen zu entwickeln, die in der neuen Normalität standhalten.

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