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2020 | OriginalPaper | Chapter

4. Eine Ethnographie des Raumes: Forschungsdesign und Methodenwahl

Author : Melanie Hartmann

Published in: Zwischen An- und Ent-Ordnung

Publisher: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Dieses Methodenkapitel ergänzt die in Abschnitt 1.2 erläuterte epistemologische Verortung dieser Arbeit um die Beschreibung des spezifischen Forschungsdesigns. Von der Darstellung der (Weiter-)Entwicklung der Forschungsfragen über eine Begründung der Wahl der Forschungswerkzeuge „Teilnehmende Beobachtung“ und „ero-epische Gespräche“ im Rahmen einer engaged anthropology (Erhebungsmethoden) bzw. „qualitative Inhaltsanlyse“ (Auswertungsmethode) bis hin zur Beschreibung der Verwendung dieser Methoden, wird der gesamte, qualitative Forschungsprozess intersubjektiv nachvollziehbar gemacht. Auch Grenzen der Methoden und Herausforderungen im Forschungsprozess werden betrachtet. Dieses Kapitel gibt außerdem wichtige Aufschlüsse über die Strukturierung des sich anschließenden Analyseteils. Mit der in Abschnitt 4.3.2 abgebildeten tabellarischen Darstellung des Kategoriensystems wird deshalb zum einen ein Überblick über das Verständnis der Kategorien und die entsprechenden Codierregeln vermittelt. Zum anderen wird der*dem Leser*in mit dieser Tabelle ein Leitfaden für die Orientierung im Analysekapitel 5 an die Hand gegeben.

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Footnotes
1
Die verwendeten Theorien bzw. die beiden zentralen Konzepte des Raums und des Politischen lieferten dabei also nicht „wahre“ oder „richtige“ Abbildungen der sozialen Welt, sondern „Versionen oder Perspektiven, in denen die Welt gesehen wird“ (Flick 2012, S. 127).
 
2
Zur Erinnerung: Das Wort “manifestieren” bedeutet gemäß Duden „sich als etwas Bestimmtes offenbaren, sich zu erkennen geben, sichtbar werden“ (Duden N/A) und verweist hinsichtlich der untersuchten Praktiken der alltäglichen (Re-)Konstitution der Räume der Sammelunterkünfte also auf beides: Sowohl auf die unterschiedlichen Ausprägungen der in sie eingeschriebenen Machtverhältnisse wie auch auf die vielfältigen Effekte dieser Verhältnisse auf die Bewohner*innen dieser Räume.
 
3
Als „Daten“ werden hierbei die standardisiert erhobenen Daten aus der teilnehmenden Beobachtung und den Interviews näher betrachtet (vgl. Reichertz 2016, S. 183). Nicht-standardisiert erhobene, im Feld „eingesammelte“ Daten wie bspw. Gesetzestexte, Hausregeln oder Medienberichte waren zwar durchaus für mein Verständnis der Lebensumstände der Bewohner*innen der Unterkünfte wichtig und erweiterten in dieser Hinsicht den Wissenspool dieser Arbeit. Dies gilt auch für die während meiner ehrenamtlichen Arbeit in einer Erstaufnahmeeinrichtung und in einem Welcome-Center gemachten Beobachtungen. Da sie aber ausschließlich der Logik des Feldes folgen und in meiner Arbeit keine wissenschaftlichen Standards in sie eingeschrieben wurden, also bspw. keine systematische Erhebung oder Analyse dieser Texte oder Beobachtungen angestrebt wurde, werden sie hier nicht als „Daten“ im engeren Sinne gehandelt (vgl. ibid.)
 
4
Ähnliche Erfahrungen machten auch die Autor*innen eines Projektes, das Flüchtlingsbauten aus der Perspektive von Architekturkritiker*innen beschreibt. Auch für sie stellte sich der Zugang zu Unterkünften als „schwieriger als erwartet heraus. Manch lokaler Flüchtlingsstab hatte in den vergangenen Monaten die eigene Informationspolitik überarbeitet, so dass wir ein Frankfurter Projekt sogar komplett streichen mussten. In Hannoveraner Flüchtlingsunterkünften sind mittlerweile keine Fotografen- und Journalistenbesuche mehr erlaubt“ (Schmal et al. 2017, S. 15).
 
5
Dennoch gab es einige, die Lebenssituation und die eigene Mobilität durchaus positiv beeinflussende, materielle Aspekte der Unterkunft, wie beispielsweise die relativ zentrale Lage, die relativ gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr oder die Spielmöglichkeiten für Kinder in dem begrünten Innenhof, die in vielen anderen Einrichtungen nicht gegeben sind. Auch diese Punkte werden in Kapitel 5 näher beleuchtet.
 
6
Anders als dies etwa William Foote Whyte bezüglich der zentralen Rolle von Doc für seinen Zugang zur „Street Corner Society“ beschreibt (vgl. Whyte 1993, 290 ff.) oder Roland Girtler für seinen Zugang zu den Wiener „Sandlern“ darstellt, gab es in den Unterkünften nicht die eine Kontaktperson, den einen „guten Mann“ oder die eine „gute Frau“, die mich mit relevanten Kontakten zu „wichtigen“ Personen oder Machtgruppierungen versorgen hätte können oder die mir als exklusiver Schlüssel zum verborgenen Wissen einer „Gemeinschaft“ (im soziologischen Wortsinne) hätte dienen können (vgl. Girtler 2001, S. 87).
 
7
Das heißt, ich habe während meiner Anwesenheit in den Unterkünften selbst am Handlungsverlauf teilgenommen und nicht versucht, eine quasi außenstehende Position zu beziehen. Ich habe mich in meiner wissenschaftlichen Tätigkeit zu erkennen gegeben und nicht etwa „verdeckt“ geforscht. Zudem folgte ich, obwohl ich meine Beobachtungen selbstverständlich im Sinne meiner Fragestellungen fokussierte und systematisierte, keinem vorher festgelegten Erhebungsplan o.ä., der bestimmt hätte was, wie lange und auf welche Weise zu beobachten ist.
 
8
Niemals aber war ich vollständig Teilnehmende, da ich diejenige war, die am Ende eines jeden Forschungstages die Sammelunterkunft wieder verließ und durch meine Forschungsagenda bewusst und unbewusst eine gewisse innere Distanz wahrte. Noch war ich als beständig mit den Bewohner*innen interagierende Forscherin ausschließlich Beobachtende (vgl. Gold, 217 ff.).
 
9
Da ich selbst zudem niemals die Folgen von Zwangsmigration oder Flucht am eigenen Leibe erlebt habe, ziehe ich trotz meines Versuchs, am Leben der Bewohner*innen ernsthaft teilzunehmen und trotz meiner Anteilnahme an ihrer Welt den Begriff „teilnehmende Beobachtung“ dem der „beobachtenden Teilnahme“ in dieser Arbeit vor (vgl. Reichertz 2016, S. 205). Im Gegensatz zur Situation der Bewohner*innen lagen Beginn, Ende, Intensität und Verlauf meiner Teilnahme an ihren Lebensumständen in den Sammelunterkünften vollkommen in meiner Hand. Mit dem Begriff der „teilnehmenden Beobachtung“ soll das Bewusstsein aufrechterhalten werden, dass ich es selbst bestimmen konnte, wann ich „das Feld“ mit all den dort vorzufindenden Schwierigkeiten wieder verlassen wollte.
 
10
Unter den Forscher*innen, die ihre Arbeiten innerhalb dieser Strömungen aktivistischer Forschung verorten, werden die Aspekte „Aktivismus“, „Partizipation“ oder „Kollaboration“ unterschiedlich ausbuchstabiert und es bestehen große Unterschiede im Verständnis, was genau unter engagement, advocacy oder collaboration verstanden wird. Traditionell standen häufig die Unterstützung von politischen Kämpfen und Bewegungen marginalisierter und benachteiligter Gruppen bspw. von indigenen Gemeinschaften im Rahmen einer solchen ethnographischen Forschung und anthropologischen Wissensproduktion im Vordergrund, wie in Charles Hales Definition von activist research deutlich wird: „By activist research, I mean a method through which we affirm a political alignment with an organized group of people in struggle and allow dialogue with them to shape each phase of the process, from conception of the research topic to data collection to verification and dissemination of the results“ (Hale 2006, S. 97; vgl. auch Juris und Khasnabish 2013; Kirsch 2018; Sillitoe 2015).
 
11
Meine Beobachtungen deckten sich diesbezüglich mit den Einschätzung der Studie des BICC zu Konflikten in den Unterkünften, die ebenfalls feststellt, dass sich die Menschen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht trauten, offen Kritik zu üben und sich deshalb mit Missständen in der Regel abfanden (Christ et al. 2017, S. 39).
 
12
Setha Low und Sally Merry beschreiben vor dem Hintergrund eines weiten, integrativen Verständnisses von engaged anthropology sechs verschiedene Formen von „Engagement“, die sich, wie sie selbst sagen, in der Praxis häufig überschneiden und nicht immer völlig trennscharf unterscheiden lassen: 1) sharing and support; 2) teaching and public education; 3) social critique, 4) collaboration, 5) advocacy und 6) activism (Low und Merry 2010, S. 207 ff.). Da advocacy und activism, wie eben beschrieben, nur sehr eingeschränkt möglich waren, stellte der erste von Low und Merry beschriebene Aspekt, sharing and support, in Alltagssituationen quasi den Grundpfeiler des „Engagements“ in meiner Forschung dar.
 
13
Obwohl mein Sample sicher nicht repräsentativ ist, war mein Eindruck, dass sich die Bewohner*innen, die selbst studiert oder sogar promoviert hatten, von der formalen Interviewsituation in meiner Forschung weniger einschüchtern ließen als andere, denen mein Tun eher unklar blieb. Auch äußere Bedingungen wie ein bereits erteilter oder noch unsicherer Aufenthaltsstatus spielten eine Rolle dafür, wie „vorsichtig“ die Menschen glaubten, mit der Äußerung von Kritik sein zu müssen. Da es also von einer Reihe von Faktoren abhängt, wie sinnvoll der Einsatz des formalen Interviews als Forschungsinstrument im Kontext von Zwangsmigration und Flucht ist, kann m. E. nur für jede*n Gesprächspartner*in individuell beantwortet werden, ob damit gearbeitet werden sollte oder nicht.
 
14
So wurde mir in einem, im Rahmen einer Evaluation durchgeführten Interview, zu dem ich eine Bewohnerin gebeten hatte, deutlich, dass diese sich psychisch-emotional kaum in der Verfassung befand, sich auf die Thematik der Interviewfragen einzulassen. Fragen nach der Ausstattung der Unterkunft spielten für sie ob des Kriegsgeschehens in ihrem Heimatort und einiger vermisster Angehöriger eine derart nachrangige Rolle, dass mir meine wiederholte Absicht, von ihr Antworten darüber zu bekommen, im Interviewverlauf zunehmend aufdringlich und unsensibel erschien.
 
15
Das Wort „Heim“ wurde von meinen Gesprächspartner*innen in der Regel als Bezeichnung für Gemeinschaftsunterkünfte verwendet, während das Wort „Lager“ eher als Bezeichnung für Erstaufnahmeeinrichtungen benutzt wurde.
 
16
Wie insbesondere auch in Ansätzen der Participatory Action Research (PAR) hervorgehoben, bedeutet Zusammenarbeit in kollaborativen Forschungsprojekten „the shared management and direction of a research project among the scholars and the subjects of the research“ (Low und Merry 2010, S. 209). Participatory Research zielt darauf ab, Forschungsteilnehmer*innen als Partner*innen in alle Stufen des Prozesses einzubinden: „PAR is a methodology in which researchers invite some members of the organization studied to participate with them in all phases of the process, from research design through data gathering and analysis, and on to the practical application of research findings“ (Whyte 1993, S. 364).
 
17
WhatsApp-Kommunikation vom 19.05.2018.
 
18
Aufgrund der nachrangigen Bedeutung der Interviews gegenüber der teilnehmenden Beobachtung in meiner Forschung konnte ich insgesamt nur eine kleine Anzahl an Personen befragen und es wurde mit der Erhebung der Interviewdaten keine theoretische Sättigung angestrebt (vgl. Flick 2012, 161 f.). Mit dem Begriff der theoretical saturation/theoretischen Sättigung beschreiben Glaser und Strauss, dass das theoretical sampling/theoretische Sampling, also die Auswahl weiterer Interviewpartner*innen oder -gruppen dann beendet werden kann, wenn durch die Erhebung weiterer Daten keine neuen Erkenntnisse für die Generierung der Theorie bzw. theoretischen Kategorien gewonnen werden können (vgl. Glaser und Strauss 1967, 61 ff.).
 
19
Da die „Weiterverteilung“ der Geflüchteten i. d. R. innerhalb desselben Bundeslandes erfolgt, waren fast alle meiner geflüchteten Gesprächspartner*innen vor ihrer Zuweisung an den Landkreis zu einem bestimmten Zeitpunkt (allerdings für durchaus stark variierende Zeitspannen) in dieser Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht.
 
20
Die Problemanalyse als erste Stufe des Prozesses des problemzentrierten Interviews hat deshalb zwei Facetten: „1. Vorläufiges Formulieren des Problemfeldes, das die Wahrnehmung des Forschers sensibilisiert. 2. Aber Offenhalten des Vorwissens gegenüber der Empirie, sich also ihr gegenüber in seinen theoretischen bzw. begrifflichen Bestimmungen kontrollieren zu lassen“ (Witzel 1985, S. 231).
 
21
In einem der Interviews war zufällig noch eine weitere Bewohnerin anwesend, die sich aber, außer an ein oder zwei Stellen, nicht in das Gespräch einbrachte.
 
22
Ich verzichte hier absichtlich auf nähere Angaben zur Sprache, um die Anonymisierung zu gewährleisten.
 
23
Bei einem unserer Besuche in der Unterkunft wurden wir beispielsweise von einer anderen Bewohnerin, die ich schon länger kannte, spontan zu Tee und Keksen auf ihr Zimmer eingeladen. Wir unterhielten uns auf Deutsch, das die Bewohnerin ein wenig beherrschte. Dabei kam die Übersetzerin immer wieder auf den toten Ehemann der Bewohnerin zu sprechen und stellte wiederholt Fragen zu ihm. Auch interpretierte sie den schlechten gesundheitlichen Zustand der Bewohnerin als Folge des Rauchens und ermahnte sie, doch damit aufzuhören. Weil die Stimmung aber trotz allem entspannt blieb und die Bewohnerin eher schmunzelnd auf die Nachfragen bzw. Ermahnungen reagierte, sah ich in dieser Situation davon ab, einzuschreiten (vgl. FTE64, Abs. 3 u. 5).
 
24
Darin enthaltene Kontaktinformationen wie Telefonnummern entfernte ich selbstverständlich im Zuge der Anonymisierung wieder und legte eine extra Tabelle dafür an, die niemandem zugänglich gemacht wurde.
 
25
Da die Verwendung von Aufnahme- oder Diktiergeräten als Erinnerungsstütze während meiner Teilnahme in den Handlungssituationen und sozialen Interaktionen sehr gestört hätte, sah ich von deren Nutzung ab (vgl. auch Girtler 2001, S. 141). Stattdessen tippte ich manchmal einzelne Stichworte bestimmter Gesprächsinhalte oder beobachteter Situationen, die ich auf keinen Fall vergessen wollte, in mein Handy. Da auch die Forschungsteilnehmer*innen ständig das Mobiltelefon in der Hand oder unmittelbar neben sich liegen hatten, fiel dies nicht weiter als störend auf. Um außerdem mit einigermaßen „frischen“ Erinnerungen arbeiten zu können, nahm ich eine Beschreibung meiner Beobachtungen in der Regel noch während der Heimfahrt im Auto als Audiodatei auf dem Handy auf und tippte sie dann am selben oder darauffolgenden Tag ab.
 
26
Eine kurze Einführung in den theoretischen Gehalt des Konzepts gibt die Einleitung des Kapitels 5.
 
27
Der Begriff „Schwarz“ wird hier mit großem „S“ geschrieben, um sichtbar zu machen „dass es sich nicht um das Adjektiv ‚schwarz‘ handelt und sich somit auch nicht auf die [Haut]Farbe bezieht, sondern um eine politische Selbstbezeichnung“ (Ogette 2019, S. 77). Der Begriff verweist auf die gemachten Rassismuserfahrungen, er bezeichnet also „Menschen, die Rassismuserfahrung machen“ (ibid.).
 
28
Man spricht deshalb auch vom „faktischen“ Anonymisieren: Hierbei „wird unterstellt, dass faktisch anonymisierte Daten lediglich mit einem unverhältnismäßigen Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft‘ (wieder) auf eine bestimmte Person bezogen werden können (vgl. § 3 Abs. 7 BDSG)“ (Häder 2009, S. 8).
 
29
Hier folgte ich also nicht bzw. nur in seltenen Fällen dem ansonsten eher üblichen Verfahren, den kulturellen Kontext aus dem ein Name stammt, beizubehalten und bspw. Mehmet mit Kamil oder Nadine mit Juliette zu pseudonymisieren (vgl. Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014, S. 170). Neben den Bedenken, dass eine solche „kulturbasierte“ Übersetzung der Namen die Anonymität der Personen zusätzlich gefährdet hätte, empfand ich auch die kulturalistischen, d. h. kulturelle oder gar nationalstaatliche Zugehörigkeiten reifizierenden Implikationen eines solchen Vorgehens als problematisch. Zudem lassen sich über die Familiennamen in manchen kulturellen Kontexten Familien- oder ethnische Zugehörigkeiten erkennen, die mir nicht ausreichend bekannt sind. Auch deshalb wollte ich vermeiden, Menschen über meine „Namensgebung“ bestimmten Gruppen ihrer Herkunftsländer zuzuordnen, in denen sie selbst sich nicht verorten wollen würden. Mit der hier gewählten Praxis, etliche der Namen mit „westlichen“ Namen zu anonymisieren, sollte keinesfalls eine eurozentristische Perspektive untermauert oder Forschungsteilnehmer*innen „verwestlicht“ werden. Vielmehr sollten gerade dadurch Ver-Ortungen und Zuschreibungen von „wir-sie“, „eigen-fremd“, „uns und die anderen“ irritiert werden.
 
30
Menschen, mit denen ich mich duzte und beim Vornamen nannte, wurden auch in dieser Arbeit mit Vornamen anonymisiert, formellere Beziehungen werden in der textlichen Darstellung entsprechend der tatsächlichen Forschungssituation mit „Herr X“ oder „Frau Y“ abgebildet. Dieses Vorgehen ermöglichte m. E. gerade für die autoethnographischen Elemente dieser Arbeit die aussagekräftigste Übersetzung der Qualität der Begegnungen aus den Forschungssituationen in den geschriebenen Text.
 
31
Die Audioaufnahmen der deutschen und englischen Interviews übersetzte ich in ihrer Ausgangssprache in Text, bei den fremdsprachigen Interview transkribierte ich jeweils nur die von der Sprachmittlerin ins Deutsche übertragenen Gesprächspassagen.
 
32
In der Literatur zu qualitativer Datenauswertung werden die Begriffe „Kategorie“ und „Code“ mitunter auf unterschiedlichste Art differenziert, oft aber auch synonym verwendet. Ich folge hier Kuckartz im synonymen Gebrauch beider Begriffe (vgl. Kuckartz 2018, 35 f.).
 
33
Die Verbindung zwischen Textstelle und Kategorie kann also zweierlei sein: „Zum einen kann man von der Kategorie auf die Stelle im Text blicken – diese ist dann ein codiertes Segment, das unter eine bestimmte Kategorie fällt. Zum anderen kann man ausgehend von der Textstelle, d. h. am Material, Konzepte und Kategorien entwickeln, das Material in einem erweiterten Sinne codieren“ (Kuckartz 2018, S. 41; Hervorh. i. Orig.).
 
34
Philipp Mayring, der als wohl bekanntester Repräsentant dieser Methode die Inhaltsanalyse als dezidiert qualitative Methode seit den 1980er Jahren weiterentwickelt hat (etwa Mayring 2015 [1982]; Mayring und Fenzl 2014), unterscheidet drei Grundformen qualitativer Inhaltsanalyse, die jeweils ein unterschiedliches Ziel verfolgen: Das Ziel der qualitativen Inhaltsanalyse als „Zusammenfassung“ ist es, „das Material so zu reduzieren, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben, durch Abstraktion ein überschaubares Korpus zu schaffen, das immer noch ein Abbild des Grundmaterials ist“ (Mayring 2002, S. 115). Die qualitative Inhaltsanalyse als „Explikation“ hat zum Ziel, „zu einzelnen fraglichen Textteilen (Begriffen, Sätze …) zusätzliches Material heranzutragen, das das Verständnis erweitert, das die Textstelle erläutert, erklärt, ausdeutet“ (ibid.). Die Explikation der zu analysierenden Textstelle mittels zusätzlicher Kontextinformation kann dabei entweder andere Textstellen zu Rate ziehen („enge Kontextanalyse“) oder Informationen außerhalb des Textes, bspw. aus der Theorie, aus Hintergrundinformationen über die Gesprächspartner*innen oder der Gesprächssituation etc. heranziehen („weite Kontextanalyse“) (vgl. Flick 2012, S. 414). Die qualitative Inhaltsanalyse als „Strukturierung“ schließlich zielt danach, „bestimmte Aspekte aus dem Material herauszufiltern, unter vorher festgelegten Ordnungskriterien einen Querschnitt durch das Material zu legen oder das Material auf Grund bestimmter Kriterien einzuschätzen“ (ibid).
 
35
Otto Kuckartz definiert ein Memo wie folgt: „Unter einem Memo versteht man die von den Forschenden während des Analyseprozesses festgehaltenen Gedanken, Ideen, Vermutungen und Hypothesen. Es kann sich bei Memos sowohl um kurze Notizen handeln (ähnlich wie Post-its, die man an eine Buchseite heftet) als auch um reflektierte inhaltliche Vermerke, die wichtige Bausteine auf dem Weg zum Forschungsbericht darstellen können. Das Schreiben von Memos sollte integraler Bestandteil des gesamten Forschungsprozesses sein“ (2018, S. 58).
 
36
Als Codiereinheit wählte ich i. d. R. Sinneinheiten, also kurze Absätze, da sich deren Bedeutung im Kontext der Kategorien beim erneuten Durchlesen besser erschloss, als dies für einzelne Sätze oder gar einzelne Wörter der Fall gewesen wäre. Da diese Textabschnitte häufig mehrere Themen enthielten, wurden große Teile davon mehreren Kategorien im Kategoriensystem gleichzeitig zugeordnet (vgl. Kuckartz 2018, 102).
 
37
Aus den in Kapitel 2 dargelegten Raumtheorien wurde deutlich, dass in der sozialen Produktion von Räumen immer relationale Prozesse eine Rolle spielen, wobei mit dem Begriff Relationalität i. d. R. sowohl Beziehungen und An-Ordnungen von Menschen untereinander als Beziehungen und An-Ordnungen von Menschen und Dingen gemeint sind (vgl. bspw. Löw 2001). Zur Strukturierung und Diskussion der beobachteten Phänomene erwies sich jedoch eine Aufteilung in „Beziehungen zwischen Menschen“ und „Materialität“ als hilfreich.
 
38
Dies bezieht sich wiederum auf die hier erfolgte, empirisch sinnvolle und das Material strukturierende Differenzierung dieser Kategorien. Auf theoretischer Ebene beinhaltet für einige Autor*innen der Aspekt der Relationalität von Räumen durchaus bereits die Dimensionen Zeit und Bewegung. So definiert Martina Löw beispielsweise den Raum als „a relational arrangement of bodies that are incessantly in motion so that the arrangement itself is constantly changing. That means that space is also constituted in time“ (Löw 2016, S. 106).
 
39
Der erweiterte Sicherheitsbegriff der human security und darauf aufbauende Literatur basieren u. a. auf dem UN Human Development Report 1994, in dem gefordert wird, „Sicherheit“ nicht mehr in erster Linie aus staats- oder gewaltzentrierter Perspektive zu betrachten, also hinsichtlich der (territorialen) Bedrohung durch staatliche oder Waffengewalt, sondern unterschiedlichste Dimensionen der Bedrohung individueller Sicherheit mitzudenken – bspw. durch die Verbreitung von Krankheiten (Gesundheitssicherheit), fehlendem Zugang zum Arbeitsmarkt (wirtschaftliche Sicherheit) usw. (vgl. UNDP 1994).
 
40
Das Konzept der ontologischen (Un-)Sicherheit hat eine, über den Begriff der human security hinausgehende, Bedeutung: Während (menschliche) Sicherheit generell eher mit dem Begriff der Furcht (engl. fear) vor konkreten Bedrohungslagen verknüpft ist, speist sich ein Zustand ontologischer Unsicherheit aus einer generelleren Form von Angst (engl. anxiety), die auf einem Mangel an Vertrauen in die Stabilität, Beständigkeit und Verlässlichkeit der eigenen Lebenswelt gründet. Wer sich in einem Zustand ontologischer Unsicherheit befindet, findet sich quasi auf der anderen Seite ontologischer Sicherheit wieder, den Belinda A. Hewitt beispielsweise wie folgt beschreibt: „Central to achieving a sense of ontological security is a belief in the continuity, reliability, and consistency of oneself, other people, and things. Therefore, a person must learn to trust, or develop a generalized sense of trust, in the nature and stability of the social and structural environments they inhabit“ (Hewitt 2010, S. 511). Ich werde in Kapitel 5 darauf zurückkommen.
 
41
Beispielsweise gliederte sich der Code menschliche Sicherheit also entsprechend seiner allgemein üblichen Konzeption auf in wirtschaftliche Sicherheit, Nahrungssicherheit, gesundheitliche Sicherheit, persönliche Sicherheit, Gemeinschaftssicherheit und politische Sicherheit.
 
42
Für die Subkategorie ‚Beziehungen mit Menschen innerhalb der Unterkünfte‘ ergab sich somit beispielsweise eine weitere inhaltliche Strukturierung in die Dimensionen ‚Beziehung zu anderen Bewohner*innen‘ sowie ‚Beziehungen zu anderen Akteur*innen in den Unterkünften‘. Hinsichtlich der Textstellen, die dem ersten Code entsprachen, zeigte sich anschließend, dass die konzeptionellen Dimensionen ‚erzwungene Nähe‘, ‚Partikularisierungstendenzen‘, ‚intersektionale und persönlichkeitsbasierte Machtlinien‘ die Aspekte der Beziehungen der Bewohner*innen untereinander gut erfassten und die Textstellen entsprechend zuordenbar machten. Und so weiter.
 
43
Mit dem Code ‚Intersektionalität‘ wurde auf die Problematik der Mehrfachdiskriminierung durch sich wechselseitig verstärkende Faktoren wie Klasse, race, Gender, sexuelle Orientierung, Behinderung, etc. verwiesen, die einige der Bewohner*innen im Vergleich zu anderen Geflüchteten ohne diese Merkmale zusätzlich benachteiligen (siehe detaillierter Kapitel 5). Unter dem Aspekt ‚Herausforderungen‘ wurden zudem Textstellen erfasst, die beschrieben, wie Geflüchtete intersektionale Faktoren auch zur Irritation oder Herausforderung von Machtverhältnissen in den alltäglichen (Re-)Produktionen der Räume der Sammelunterkünfte nutzbar machten.
 
44
Ich wählte statt „FN“ für „Feldnotiz“ das etwas umständlichere Kürzel „FTE“ für Forschungstagebucheintrag, da ich Verwechslungen mit Verweisen auf Fußnoten, „FN“ vermeiden wollte.
 
45
Die kalendarischen Daten der Forschungstage und Interviews hatte ich in einer Überblickstabelle abgebildet, sie werden aber hier nicht mitveröffentlicht.
 
Metadata
Title
Eine Ethnographie des Raumes: Forschungsdesign und Methodenwahl
Author
Melanie Hartmann
Copyright Year
2020
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-32157-4_4