Einleitung
Aufgrund der Covid-19-Pandemie und der seit März 2020 wiederkehrenden Lockdown-Situationen ist die Arbeitswelt gezwungen, innerhalb kürzester Zeit von einer präsenzorientierten und analogen zu einer vollständig virtuellen Umgebung überzugehen. Beschäftigte sind daher mit virtuellen Werkzeugen konfrontiert worden, mithilfe derer sie zur Erfüllung ihrer beruflichen Tätigkeiten zusammenarbeiten [
1]. Ein Szenario für eine solche Zusammenarbeit sind digitale Workshops innerhalb von Organisationen, die vor der Pandemiesituation vor Ort durchgeführt wurden. Neben Vorteilen bringt virtuelle Zusammenarbeit auch neue Herausforderungen für Moderierende und Teilnehmende der Workshops mit sich. Im virtuellen Setting fehlt es etwa an nonverbaler Kommunikation und Interaktion, was zu einer anderen Teamatmosphäre führen kann. Darüber hinaus werden Moderierende und Teilnehmende mit mehreren verschiedenen Kommunikations- und Informationsströmen gleichzeitig über Sprache und Text konfrontiert. Auch vermeintlich kleine Interaktionen wie Zeigen, Hervorheben oder Organisieren erfordern stets eine Werkzeugfunktion und virtuellen Aufwand, was bei Workshops vor Ort weniger kompliziert ist. Diese können zu einer Überlastung führen und erfordern eine automatisierte Unterstützung von virtuellen Workshops.
Eine solche Unterstützung kann mit einem virtuellen Kollaborator (VK) gestaltet werden. Dieser basiert auf einem technologiebasierten Agenten, der in der Lage ist, seine Umgebung wahrzunehmen, Informationen zu verarbeiten, Entscheidungen zu treffen und zu lernen, auf sie einzuwirken und mit Menschen und anderen Maschinen zu interagieren, um ein gemeinsames Aufgabenziel mit mehr oder weniger Autonomie zu erreichen [
2]. Beispiele dafür sind Sprachassistenten wie Siri von Apple, Alexa von Amazon oder Cortana von Microsoft. Aufgrund ihrer konstanten und schnellen Entwicklung sowie ihrer Anpassbarkeit an die Bedürfnisse der Menschen wird die Zusammenarbeit mit technologiebasierten Agenten immer attraktiver [
3]. Ein VK geht dahingehend jedoch weiter: Er ist nicht nur auf Assistenzfunktionen beschränkt, sondern als ein gleichberechtigter virtueller Teamkollege in einer kollaborativen Arbeitsumgebung zu betrachten, der mit dem Benutzer agiert [
4].
Nass & Moon (2000) zeigten etwa in ihrer Social-Response-Theorie, dass Nutzer von Computern diese durchaus menschlich behandeln, etwa indem sie ihnen menschliche soziale Kategorien wie Geschlecht oder Ethnie zuteilen, höflich gegenüber dem Computer sind oder den Computer als „Spezialisten“ bezeichnen [
5]. Langer (1992) bezeichnete dieses Verhalten als „mindless behavior“, als unbedachtes Verhalten, bei dem Individuen auf zuvor erlernte Konzepte und Muster zurückgreifen, ohne sich des Gegenübers bewusst zu werden [
6,
7].
Eine große Anzahl von Forschungsartikeln befasst sich bereits mit der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Technologien wie künstlicher Intelligenz (KI), und zeigt ein großes Potenzial der KI für die Zukunft der Arbeit auf [
8‐
12]. Spezifische Faktoren wie Vertrauen und Skepsis gegenüber der KI [
13,
14] werden bereits erforscht. Es mangelt jedoch an einem ganzheitlichen Ansatz und besonders an Gestaltungswissen für KI-gestützte virtuelle Zusammenarbeit im Kreativitätsprozess. Insbesondere die organisationale Sichtweise ist noch nicht ausreichend erforscht, was bereits von Forschenden über Forschungsagenden [
15,
16] und Podiumsdiskussionen [
2] eingefordert wird.
An dieser Stelle positionieren wir unsere Forschung und untersuchen aus organisationaler Sicht, welchen Herausforderungen Moderierende und Teilnehmende in kreativen digitalen Workshops im Vergleich zu analogen Workshops gegenüberstehen und wie ein VK gestaltet werden kann, um den identifizierten Herausforderungen zu begegnen. Zu diesem Zweck stellen wir 2 Forschungsfragen auf.
F1: Wie unterscheiden sich die Designprinzipien eines VK für digitale Workshopsituationen von denen für analoge Workshopsituationen?
F2: Welche Designprinzipien lassen sich aus organisationaler Perspektive für einen VK explizit für digitale Kreativworkshops definieren?
Diese Forschungsfragen zielen auf Designprinzipien (DP) für einen VK in digitalen Workshopsituationen ab. Durch einen Vergleich zwischen DPs für digitale Workshopsituationen und denen für analoge werden spezifische Besonderheiten in der Gestaltung für virtuelle Settings herausgearbeitet. In diesem Zusammenhang wurde eine 2‑phasige Interviewstudie innerhalb einer Kreativeinheit eines Industrieunternehmens (KEI) durchgeführt, die im Nachfolgenden genauer erläutert wird. In einer ersten Iteration wurden analog durchgeführte Workshops mit verschiedenen Fachbereichen wie Logistik oder IT betrachtet, die in diesem Artikel als Referenz für die Veränderungsbedarfe dienen. Die zweite Iteration beleuchtet digital durchgeführte Workshops genauer. Im vorliegenden Artikel werden die Herausforderungen, Anforderungen und Designprinzipien in analog und digital durchgeführten Kreativworkshops miteinander verglichen.
Wir verfolgen einen explorativen qualitativen Ansatz, indem wir semistrukturierte Interviews mit Teilnehmenden und Moderierenden von Kreativitätsworkshops durchführten, die von einer KEI durchgeführt wurden. Zunächst wird die Forschungsumgebung – die digitale und analoge Durchführung von Workshops der KEI – an einem Beispiel vorgestellt. Anschließend präsentieren wir unsere Ergebnisse mit den identifizierten Anforderungen (AF) sowie den Designprinzipien bei analogen (aDP) und digitalen (dDP) Workshops für den VK. Wir setzen die Diskussion unserer Ergebnisse in Verbindung mit vorhandener Literatur fort und skizzieren die Grenzen unserer Forschung. Zum Schluss ziehen wir ein Fazit und stellen unseren Beitrag heraus.
Durchführung qualitativer Interviews und ihre Resultate
Wir erhoben Daten aus der Perspektive potenzieller Nutzer eines VK, indem wir 2 Interviewreihen mit jeweils 12 halbstrukturierten Interviews mit einer Dauer von 30–40 min durchführten [
30]. In den Interviews wurden zunächst Herausforderungen analoger und digitaler Workshops sowie Anforderungen an einen VK, bezogen auf diese, behandelt. Anschließend wurden Unterschiede zwischen der analogen und der digitalen Durchführung sowie den entsprechenden Anforderungen an einen VK für diese diskutiert.
Die Interviewpartner wurden nach ihrer Rolle als Moderierende (M) oder Teilnehmende (T) sowie nach der jeweiligen Workshoperfahrung ausgewählt, die zuvor als Kriterium definiert wurden (Tab.
1 und
2). Die Workshoperfahrung wurde für die Moderierenden anhand der Anzahl der durchgeführten digitalen Workshopmoderationen (Hoch > 50; Durchschnittlich < 50 Workshops) seit der Lockdown-Situation durch die Covid-19-Pandemie bemessen. Die Workshoperfahrung für Teilnehmende wurde anhand der Anzahl der teilgenommenen digitalen Workshops (Hoch > 10 Workshops; Durchschnittlich < 10 Workshops) seit der Lockdown-Situation durch die Covid-19-Pandemie bemessen.
Tab. 1
Kriterien und Merkmale der befragten Personen aus der Interviewreihe 1 zu analogen Workshops
aM1-aM3 | Hoch | Zertifizierter DT Expert |
aM4 | Hoch | Agile Coach |
aM5 | Durchschnittlich | Keine, Praxiserfahrung |
aT1 | Durchschnittlich | In Ausbildung zum DT Expert |
aT2 | Durchschnittlich | Keine |
aT3-aT7 | Durchschnittlich | Keine |
Tab. 2
Kriterien und Merkmale der befragten Personen aus der Interviewreihe 2 zu digitalen Workshops
dT1-dT2 | Hoch | Häufig teilgenommen |
dT3-dT5 | Durchschnittlich | Häufiger teilgenommen |
dM1-dM3 | Durchschnittlich | Keine, Praxiserfahrung |
dM4-dM5 | Hoch | In Ausbildung zum DT Expert |
dM6-dM7 | Hoch | Zertifizierter DT Expert |
Spezifische Designprinzipien für digitale Workshops
Im folgenden Abschnitt wird auf
F2 eingegangen und spezifische DPs für digitale Workshops entwickelt. Aus den Herausforderungen und Anforderungen wurden nach dem Design-Science-Research-Ansatz von Hevner et al. (2000) und Gregor et al. (2020) DPs abgeleitet [
45,
46].
Kommunikation und Vernetzung
Um Teilnehmende mit ähnlichen Interessen und Fähigkeiten zusammenzubringen (dAF1, dDP1), sollte der VK in der Lage sein, Informationen aus Datenbanken und Netzwerken aus dem Intra- und Internet zu sammeln und zusammenzubringen (dM2). Dies sollte ein Anreiz zur Vernetzung und zum Austausch sein. Im Vorfeld könnte auch ein workshopspezifisches Profil erstellt werden. Die Vernetzung sollte jedoch nicht zu aktiv, sondern eher unterschwellig und subtil erfolgen: „So etwas wie ‚Kennen Sie XY? Sie ist auch agiler Coach‘, basierend auf dem, was in meinem LinkedIn- oder Intranet-Profil steht“ – dM2. Weiterhin sollte der VK als Gastgeber verschiedene virtuelle Räume für unterschiedliche Situationen zur Verfügung stellen und mit einem Begrüßungstext und der Einleitung einer Vorstellungsrunde (dAF2, dDP1) ansprechend gestalten (dT1, dM4): „Der VK könnte durch die Räume gehen, er könnte sagen: ‚Hier ist, was auf der Tagesordnung steht‘, wie ein Chatbot“ (dT1).
Der VK könnte hinsichtlich der fehlenden Körpersprache und mangelnden Vernetzung der Teilnehmenden unterstützen, indem dieser anhand von Stimm- und Gesprächsanalysen Stimmungen erkennt und entsprechende Tipps an die Moderierenden gibt oder direkt steuernd auf die Teilnehmenden einwirken (dT1, dM6). Gleichzeitig könnte auch eine öffnende und inspirierende Grundhaltung vermittelt werden
(dAF3, dDP1), um den kreativen Prozess in den Workshops anzuregen: „Wenn die Leute offen sind, eine Art Coaching durch den VK zu bekommen, könnte das helfen“ (dM6). Tseng et al. (2019) zeigen, dass ein VK auch bei der Bildung von Teams helfen kann, indem die Mitgliederkandidaten auf psychologische Weise analysiert werden, um passende Profile zu identifizieren [
45]. Daneben zeigen Kocielnik et al. (2018) und Tseng et al. (2019), dass ein VK auch bei Reflektionsphasen unterstützen kann, was wiederum Coachingaktivitäten von Moderierenden unterstützen kann [
47,
48].
Allgemeine organisatorische Begleitung
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Arbeit mit digitalen Werkzeugen. Sowohl Moderierende als auch Teilnehmende nannten technische Fähigkeiten und den Umgang mit digitalen Medien als wichtige Faktoren für eine erfolgreiche digitale Durchführung
(dAF9, dAF10, dDP2). Der VK sollte in der Lage sein, Fragen über Text zu beantworten oder unbeantwortete Fragen an die Moderierenden am Ende des Workshops weiterzugeben (dT1, dM5, dM6). In Form eines Chatbot soll der VK Tipps und Tricks im Umgang mit virtuellen Schnittstellen aufzeigen, um die Kompetenzen der Teilnehmenden im Umgang mit den Medien zu erweitern (dT1, dM5, dM6). Außerdem sollte der VK die Teilnehmenden und Moderierenden während des gesamten Kollaborations- und Kreativitätsworkshops begleiten (dT1). Dabei sollte der VK organisatorisch und unterstützend auf die unmittelbare virtuelle Umgebung einwirken
(dAF11, dDP2) (dT1). Ein VK wird in der Literatur darüber hinaus ohne anthropomorphen Hintergrund vorgeschlagen, z. B. zum Zugriff auf Gebäudeinformationen [
49] oder zur Verbesserung der Zugänglichkeit von Unternehmensinformationen [
50]. Dies könnte entsprechend auf Informationen zum Umgang mit Medien übertragen werden.
Fazit, Beitrag und Grenzen
In dieser Studie stellen wir Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der analogen sowie digitalen Zusammenarbeit mit einem VK dar. Hinsichtlich F1 zeigen wir einerseits deutliche Unterschiede in den DPs auf. In digitalen Workshops liegt der Schwerpunkt auf der Vernetzung, der kreativen Arbeit sowie auf dem hohen Aufwand bei der Vorbereitung. Demgegenüber steht bei analogen Workshops eher im Fokus, eine ausbalancierte Diskussion zu erreichen, Einfluss auf die Gruppe insgesamt zu nehmen sowie den Aufwand in der Nachbereitung zu reduzieren. Gemeinsamkeiten bestehen in der Wissenserzeugung und der Informationsbereitstellung. Hinsichtlich F2 zeigen wir DPs auf, die spezifisch für einen VK in digitalen Workshops gelten. So soll ein VK in digitalen Workshops die fehlende Körpersprache durch Anreize zum Vernetzen der Teilnehmenden sowie zur Kommunikation miteinander überwinden, und Unterstützung im Umgang mit digitalen Werkzeugen und einer virtuellen Arbeitsumgebung bieten.
Besonders im Fokus steht in der Beantwortung von
F1 und
F2 der praktische Nutzen unserer Studien. Wir haben im vorliegenden Vergleich insbesondere die Unterstützung eines VK im organisationalen Kontext einer Kreativeinheit untersucht. Wir bringen dabei spezifische DPs im Hinblick auf ein soziotechnisches System ein, die als Grundlage für die weitere Forschung im Bereich der virtuellen Zusammenarbeit und der Unterstützung der Zusammenarbeit in einem organisatorischen Umfeld dienen kann, das zuvor meist an einem gemeinsamen Standort arbeitete [
2,
31,
51]. Wir spezifizieren Herausforderungen, die sich aus der digitalen Zusammenarbeit von Teilnehmenden ergeben, die von zu Hause aus arbeiten und versuchen, Lehren aus der physischen Zusammenarbeit in die digitale Durchführung von Kreativitätsworkshops zu übernehmen, dargestellt als Anforderungen.
Unsere Studien weisen einige Grenzen auf. Wir haben bisher nur eine KEI in nur einer Industrie betrachtet. Weitere Forschung könnte einen branchenübergreifenden Blick auf die Thematik geben. Dazu gehören auch unterschiedliche Herangehensweisen in den Kreativeinheiten. Zudem wurden in diesen Studien analoge und digitale Workshops getrennt voneinander betrachtet. In zukünftiger Forschung kann eine Verknüpfung von analogen Workshops mit digitaler Unterstützung diskutiert werden. Außerdem kann der Fokus verstärkt auf den DT-Prozess gelegt werden, indem untersucht wird, an welcher Stelle im DT-Prozess ein VK eine Entlastung für Moderierende darstellen kann. Aufbauend auf unseren Studien eignet sich abschließend eine empirische Untersuchung, um die qualitativ entwickelten Inhalte zu validieren.
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