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25-04-2019 | Elektromobilität | Interview | Article

"Wir müssen bei der E-Mobilität mutiger werden"

Author: Michael Reichenbach

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Geht es um das Thema Elektromobilität, zieht David Gagliardi von Pininfarina junge Ingenieure den Betonköpfen vor und möchte Leichtbau auch im Interieur umsetzen. Wie, das erklärt er im Interview. 

ATZ/Springer Professional: Herr Gagliardi, elektrische SUVs wie I-Pace, EQC und E-tron kommen in breiter Front. Hat das kleine E-Auto den Wettbewerb verloren?

Gagliardi: Ein Kleinwagen mit Hochvoltantrieb ist heute und wird auch morgen zu teuer sein. Aber setzt man auf die 48-V-Technik, sieht das Kostenszenario erheblich besser aus. Für ein kleines Stadtfahrzeug etwa reichen 20 bis 25 Kilowatt Leistung in der Stadt schon aus. Oder man nimmt es als Hybrid: Zum konventionellen, mit Ottomotor angetriebenen Frontantrieb kommt eine elektrische Achse hinten hinzu, um Last-Mile-Konzepte für die Großstadt zu realisieren. Man braucht nämlich nicht immer 200 Kilometer Reichweite der Batterie am Tag, 20 Kilometer reichen dem Pendler schon aus. 

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Die Herausforderungen für den etablierten Automobilhersteller durch Elektromobilität und Implikationen für das Geschäftsmodell

Die Auswirkungen disruptiver Innovationen auf Organisationen können sehr vielfältig sein. Je nach Art der Innovation sowie dem Marktumfeld sind Organisationen unterschiedlich stark betroffen und haben unterschiedliche Möglichkeiten, auf disruptive Innovationen zu reagieren.

Große SUVs wie Cayenne, Q7 oder X5 sind Segen und Fluch der Automobilhersteller zugleich. Einerseits kann mit dieser beliebten Karosserieform beim Endkunden mehr Marge generiert werden, andererseits verhagelt sie das Ziel der CO2-Flottengrenzwerte. Wie kommt man aus dem Dilemma heraus?

Ein Weg, da herauszukommen, ist die Elektromobilität. Zu meinen Ricardo-Zeiten hatte ein Kollege eine Studie mit der Fragestellung angefertigt, wo die E-Mobilität Sinn macht. Dies ist bei den Fahrzeugen der Fall, die sehr leicht sind, also Pedelecs oder E-Bikes oder Leichtfahrzeuge. Je schwerer das Auto wird, umso weniger ist ein E-Antrieb sinnvoll. Aber die Industrie fängt mit diesen schweren SUVs an. Warum? Weil diese Technologie noch sehr teuer ist und daher zuerst für Premiumfahrzeuge eingesetzt wird. Dafür sind Käufer schneller bereit, mehr Geld auszugeben. Dazu ist ein SUV besonders für die Batterieintegration im Unterboden geeignet, weil das Fahrzeug höher ist und damit das Innenraumkonzept einfacher. Vom unteren Fahrzeugsegment her wäre eine Elektroeinführung deutlich schwieriger, da wenige Kunden bereit sind, einen kleinen Wagen mit Elektroantrieb beispielsweise für 20.000 Euro zu kaufen, wenn der als Benziner bisher weniger als die Hälfte gekostet hat.

Das eine ist die Fahrzeugtechnik, das andere die Organisation des städtischen Verkehrs. Die Infrastruktur mit Ladesäulen reicht bei weitem nicht aus, oder?

Korrekt. Denn die Entwicklungszyklen von Städten werden in 40 bis 50 Jahren gemessen. Zum Vergleich: Ein Handy kann man in einem Jahr entwickeln, ein Auto innerhalb von drei/vier Jahren. Wir müssen also heute anfangen, unsere Städte nachhaltig umzubauen, neue Häuser gleich mit E-Wallbox zu konzipieren, den Strommix zu verändern und die Verkehrsplanung neu aufzusetzen. Nur so können wir unseren Kindern und deren Kindern eine lebenswerte Welt weitergeben. Ich bin durchaus froh, dass ich mit dem Verbrennungsmotor noch viele Jahre leben werde. Aber das bedeutet nicht, dass wir mit der Elektromobilität nicht heute starten dürfen, ja müssen.

Was entgegnen Sie den ewigen Bedenkenträgern?

Ich habe eine Beobachtung gemacht. Je größer die Zahl der grauen Haare auf dem Kopf, desto stärker sind die Bedenken bei der E-Mobilität. Wir dürfen nicht nur auf die grauhaarigen, alten "Professoren" hören, sondern mehr auf die jungen Ingenieure. Sie sind begeistert von den Elektroautos, sie sind engagiert am Entwickeln. Natürlich nicht perfekt; man muss ihnen auch zugestehen, dass sie ihre Fehler machen dürfen. Wenn die grauen Eminenzen und Betonköpfe mit ihren Gegenargumenten Recht hätten, würden wir heute nicht Auto fahren. Warum? Vor 125 Jahren war das Pferd mit etwas Heu als Kraftstoff als Verkehrsmittel doch so perfekt. Wo sollte man für den neuen Benz-Motorwagen auch das kostbare Benzin herbekommen? Also, wir müssen wieder mutiger werden.

Elektroautos müssen auch leicht sein. Wie wird der Leichtbau im Interieur umgesetzt?

Ja, der Wunsch, Gewicht zu reduzieren, hat einen großen Einfluss auf das Interieur, zum Beispiel auf die Sitzsysteme. Denn elektrische Sitzverstellung, Belüftung, Heizung, Massagefunktion – all das wiegt eine Menge. Neben unsere Karosserie-Know-how passt – hier in München – unser Kompetenzzentrum für Leichtbau gut dazu. Bei einigen Elektrofahrzeugen konnten wir in der Vergangenheit erfolgreich das Gewicht reduzieren. Es gibt am Markt nur noch wenige Unternehmen, die so viel Kompetenz bei CFK haben wie wir. Selbst Wettbewerber kommen zu uns, um Prototypen aus Carbon zu entwickeln. Es besteht Handlungsbedarf, mit neuen Ideen, Konstruktionen, Werkstoffen und Composites das Fahrzeuggewicht zu verringern.

Welche Auswirkungen hat das automatisierte Fahren auf das Interieur von morgen?

Die Gestaltung des Interieurs wird wichtiger, mit vielen innovativen Lösungen, wenn der Innenraum zur Wohlfühloase umgewidmet wird. Der Fahrer will nun nicht bloß Lenken können, sondern auch arbeiten und vernetzt sein. Die immer größer werdenden Bildschirme bringen erhöhtes Gewicht rein, sie werden künftig teilweise so breit wie das Auto selbst sein. Und die nicht gerade leichten HUDs müssen optimiert werden, um leichter und kompakter zu sein.

Auf der Messe Auto Shanghai 2017 hatten Sie Ihre letzte Interieurstudie vorgestellt, für ein autonomes Fahrzeug der Zukunft. Haben Sie dafür auch mit Probanden in Car Clinics zusammengearbeitet?

Bei der Stufe 5, dem autonomen Fahren, braucht man kein Lenkrad mehr, die Sitze lassen sich drehen – man gewinnt sehr viel Platz für neue Ideen. Die heutigen Interieurstudien zeigen komplett neue Konzepte. Hierbei etwa werden für eine bessere Bedienbarkeit Schalter in der Mittelkonsole durch Sensorfelder ersetzt, die dann von Probanden getestet werden. Als weiteres werden ambiente Beleuchtungen und neue Oberflächenmaterialien (hinsichtlich Haptik und Optik) für das Wohlfühlklima im Fahrzeuginnenraum bewertet. Das Feedback aus diesen Tests fließt dann direkt wieder in die Entwicklung ein. Außerdem ist die richtige Integration von digitalen Medien die größte Herausforderung, will man den Innenraum der Zukunft gestalten.

Herr Gagliardi, vielen Dank für das interessante Gespräch.

Mehr vom Interview können Sie in der ATZ 5/2019 lesen, die am 26. April 2019 erscheinen wird.

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