In diesem Kapitel werden aus externer Perspektive die zentralen Erkenntnisse zu den Anforderungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden präsentiert. Mithilfe einer Inhaltsanalyse konnte die Bedeutung von Corporate-Governance-Themen für die gesellschaftspolitische und Kapitalmarktöffentlichkeit aufgezeigt werden. Mit qualitativen Experteninterviews mit relevanten Stakeholdern werden diese Erkenntnisse vertieft, um die konkreten Erwartungen an die Kommunikation zu erfassen.
Nachdem die theoretischen Vorüberlegungen zur Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden vorgestellt und das in dieser Arbeit gewählte methodische Vorgehen erläutert wurde, werden in diesem Kapitel zunächst die Ergebnisse der institutionellen Analyse zu den Anforderungen an die ARV-Kommunikation präsentiert. Die Ergebnisse, die die externe Perspektive auf die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden zeigen, werden anhand der Forschungsfragen strukturiert.
In Abschnitt 7.1 wird gezeigt, wie in deutschen Tages- und Wirtschaftsmedien und Analystenreports über Aufsichtsratsvorsitzende von DAX- und MDAX-Unternehmen in den Jahren 2016 bis 2017 berichtet wurde. Auf Basis einer Inhaltsanalyse hinsichtlich der Art der Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden sowie der Anlässe und Themen der Berichterstattung sollen die Diskurse in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit und Kapitalmarktöffentlichkeit aufgezeigt werden (Abschnitt 7.1.1). Damit soll die Bedeutung von Corporate-Governance-Themen für die Vermittler in den beiden Öffentlichkeitsarenen dargestellt werden, denn diese Themen liegen im Aufgabenbereich des Aufsichtsratsgremiums. Als Zwischenergebnis dieses ersten Analyseschritts werden fünf ereignisbezogene Typen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden präsentiert (Abschnitt 7.1.2). Sie bilden die Grundlage für die Auswahl der Unternehmen für die strategische Analyse. Darüber hinaus konnten auf Basis der Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung und Analystenreports konkrete Akteure für die Anspruchsgruppen der ARV-Kommunikation identifiziert werden.
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Mit diesen Akteuren wurden qualitativen Experteninterviews durchgeführt, dessen Ergebnisse in Abschnitt 7.2 präsentiert werden. Mit diesem methodischen Schritt sollen die Erkenntnisse aus der Inhaltsanalyse vertieft werden. Dabei galt es die Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden zu erfassen. Denn diese Erwartungen können zu (unerkannten) Handlungsbedingungen für die ARV-Kommunikation werden und damit einen Einfluss auf die Strukturen haben. Um die Erwartungen der verschiedenen Stakeholder darstellen zu können, sollen sie zunächst differenziert betrachtet werden (Abschnitt 7.2.1). Anschließend werden die Gründe für die Veränderung der Erwartungshaltung diskutiert (Abschnitt 7.2.2).
In Abschnitt 7.3 werden die Kernergebnisse der beiden methodischen Schritte der institutionellen Analyse und damit die Anforderungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden in einem Zwischenfazit zusammengefasst.
7.1 Berichterstattung von Medien und Analysten über Aufsichtsratsvorsitzende
Als Teil der institutionellen Analyse wurden die öffentlichen Diskurse der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit und der Kapitalmarktöffentlichkeit, die sich in Medienberichten und Analystenreports manifestieren, im Rahmen einer quantitativen und qualitativen Inhaltsanalyse untersucht (Abschnitt 6.2.1). Auf dieser Basis kann gezeigt werden, wie die öffentlichen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden von den wichtigen Vermittlern in diesen beiden Öffentlichkeitsarenen rezipiert werden. So wird deutlich, welche Bedeutung verschiedene Corporate-Governance-Themen für die Intermediäre haben, da diese Themen im Aufgabenbereich des Aufsichtsratsgremiums liegen und somit relevant für die ARV-Kommunikation sind.
In diesem Kapitel soll daher die erste Forschungsfrage beantwortet werden: Wie wurde zwischen 2016 und 2017 in deutschen Tages- und Wirtschaftsmedien und Analystenreports über Aufsichtsratsvorsitzende berichtet? Zunächst wird die deskriptive Auswertung der Daten vorgestellt.
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Wie in Abschnitt 6.2.1 beschrieben, wurden bei den 15 Medien zunächst 5.792 Treffer ermittelt, wovon 769 Artikel relevant für die Analyse sind. Bei den Analystenreports ergaben sich 4.602 Treffen in der Suche, wobei jedoch nur 20 Berichte relevant für die Analyse sind, da nur in diesen Berichten Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden thematisiert wurden. In den anderen Berichten wurde der Name der Aufsichtsratsvorsitzenden lediglich in einer Übersicht zu allgemeinen Unternehmensinformationen aufgeführt. Im Vergleich zur Medienberichterstattung handelt es sich also um eine geringe Anzahl an Analystenreports, diese Tatsache muss bei der Interpretation der Daten beachtet werden.
Die Berichterstattung im Zeitverlauf (Abbildung 7.1) verdeutlich, dass die mediale Berichterstattung in beiden Jahren rund um die Hauptversammlungssaison deutlich ansteigt. In den Monaten April und Mai finden die Hauptversammlungen derjenigen Unternehmen statt, bei denen das Geschäftsjahr dem Kalenderjahr entspricht. Bei der Kommunikation rund um die Hauptversammlung handelt es sich um die Regelkommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden, die auch mit verschiedenen Publizitätspflichten einhergeht. Darüber hinaus findet eine Berichterstattung über Aufsichtsratsvorsitzenden in jedem Monat statt. Die meisten Analystenreports sind aus dem September 2016: Hier handelt es sich um eine Übernahmesituation bei einem DAX-Unternehmen, zu der sich der Aufsichtsratsvorsitzende mehrere Male öffentlich äußerte, was von Analysten aufgenommen wurde.
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Die Berichterstattung nach Unternehmen (Abbildung 7.2) zeigt, dass der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank (109 Artikel) im Fokus der Berichterstattung steht, gefolgt von den Aufsichtsratsvorsitzenden von Linde (91 Artikel), Volkswagen (79 Artikel), Deutsche Börse (56 Artikel) und Stada Arzneimittel (45 Artikel). Bei den genannten Unternehmen ist es im Untersuchungszeitraum zu Sondersituationen im Geschäftsverlauf gekommen, wie z. B. Krisen oder Übernahmesituationen. Im Rahmen der Analystenreports wurde die Äußerungen des Aufsichtsratsvorsitzenden von Linde (4 Reports) am häufigsten aufgenommen, was im Zusammenhang mit einer Unternehmenstransaktion steht.
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In diesem Zusammenhang kann auch festgehalten werden, dass die Analyse der Berichterstattung nach Indizes zeigt, dass Aufsichtsratsvorsitzende von DAX-Unternehmen in der medialen Berichterstattung deutlich häufiger (81,4 % der Artikel; n = 626) thematisiert werden, während in den Analystenreports etwas häufiger Aufsichtsratsvorsitzende aus dem MDAX (60 % der Reports; n = 12) Beachtung finden.
Die Berichterstattung nach dem Medium zeigt, dass vor allem die finanznahen Tageszeitungen Börsen-Zeitung (188 Artikel) und Handelsblatt (143 Artikel) am häufigsten über Aufsichtsratsvorsitzende berichten. Bei den Analystenreports hebt sich aufgrund der geringen Anzahl keine der Banken als Herausgeber besonders hervor: J.P. Morgan, Kepler Cheuvreux, Jeffries und Warburg Research veröffentlichten jeweils drei Reports, in denen Aufsichtsratsvorsitzende thematisiert werden.
Bei der Analyse der Medienberichterstattung wurde zudem die mediale Darstellungsform differenziert (Abbildung 7.3). Bei den meisten Artikeln handelt es sich um eine Nachricht/Meldung (578 Artikel). Insgesamt erschienen im Untersuchungszeitraum 30 Interviews mit Aufsichtsratsvorsitzenden, davon 16 Interviews im Handelsblatt. Vier Gastbeiträge von Aufsichtsratsvorsitzenden wurden veröffentlicht, davon drei Gastbeiträge vom Aufsichtsratsvorsitzenden der BASF SE im manager magazin, ein Gastbeitrag erschien in der Zeit (ARV von E.ON). Dabei handelte es sich in allen Fällen um Äußerungen außerhalb des Unternehmenskontexts.
Zudem finden sich zahlreiche personalisierende Formate in der Medienberichterstattung: So handelt es sich bei 99 Artikeln um ein Porträt von Aufsichtsratsvorsitzenden. Aber auch Porträts von CEOs (15 Artikel) oder anderen Aufsichtsratsmitgliedern (7 Artikel) können einen Bezug zum Aufsichtsratsvorsitzenden herstellen. Kommentare, also Meinungsbeiträge von Journalisten, stellen 37 Artikel zu Aufsichtsratsvorsitzenden dar.
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Auf Basis dieser deskriptiven Ergebnisse zu den Medienberichten und Analystenreports sollen im folgenden Kapitel die Diskurse in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit und Kapitalmarktöffentlichkeit mithilfe einer Analyse hinsichtlich der Art der Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden sowie der Anlässe und Themen der Berichterstattung gezeigt werden.
7.1.1 Rezeption der öffentlichen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden
In diesem Kapitel sollen die Ergebnisse der Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung und Analystenreports vorgestellt werden, die sich auf die beiden Unterfragen der ersten Forschungsfrage beziehen:
Handelt es sich in den Berichten um Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden im Rahmen der Publizitätspflichten oder um eine freiwillige Kommunikation?
Zu welchen Anlässen und Themen wurde berichtet?
Art der Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden
Aus der Corporate-Governance-Forschung wurden die verschiedenen Publizitätspflichten des Aufsichtsrats vorgestellt (Abschnitt 5.1.2), die durch verschiedene Kommunikationsmaßnahmen im Rahmen der Regelkommunikation von Unternehmen umgesetzt werden. Darüber hinaus wurde aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive gezeigt, dass die Kommunikation mit der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit, und damit insbesondere den Medien als Vermittler, eine freiwillige Maßnahme der ARV-Kommunikation darstellt (Abschnitt 5.1.3). Daher soll zunächst gezeigt werden, in welcher Form sich die Aufsichtsratsvorsitzenden äußerten und über welche Kommunikationsmaßnahmen des Unternehmens dies erfolgte.
Bei der Art der Äußerung kann zunächst zwischen Äußerungen im Rahmen der Publizitätspflichten und einer freiwilligen Kommunikation unterschieden werden. Die Analystenreports nehmen überwiegend Äußerungen im Rahmen der Publizitätspflichten (85 %; n = 17) auf, die schwerpunktmäßig auf Ad-hoc-/Pressemitteilungen des Unternehmens (70 %; n = 14) sowie weiterer Publizitätspflichten, wie Directors Dealings (10 %; n = 2), basieren. Publizitätspflichten bei Sondersituationen, bspw. der gemeinsamen Stellungnahme von Vorstand und Aufsichtsrat während einer Übernahmesituation (5 %; n = 1) werden rezipiert. Seltener greifen Analystenreports eine freiwillige Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden auf (15 %; n = 3). Wenn dies der Fall ist, dann stammt diese freiwillige Kommunikation aus Medienberichten (10 %; n = 2) oder Interviews von Aufsichtsratsvorsitzenden (5 %; n = 1). Interessant dabei ist, dass die Aufnahme von Medienberichten durch Analysten die relevante Multiplikatoren-Rolle der Medien in der Kapitalmarktöffentlichkeit unterstreicht.
Die Medienberichterstattung basiert zu 42,3 Prozent (n = 325) auf Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden im Rahmen der Publizitätspflichten, die vor allem Ad-hoc-/Pressemitteilungen des Unternehmens (26,3 %; n = 202) sowie Äußerungen im Rahmen der Hauptversammlung (14,3 %; n = 110) entnommen werden (Abbildung 7.4). 16,1 Prozent der Artikel beziehen sich auf eine freiwillige Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden, die aus Interviews (8,3 %; n = 64) oder Gastbeiträgen (0,5 %, n = 4) stammen. Zudem agieren einige Aufsichtsratsvorsitzende als Zitatgeber zu unterschiedlichen Themen (3,9 %; n = 30). Darüber hinaus finden sich Äußerungen von öffentlichen Reden, z. B. bei Eröffnungen von Veranstaltungen (1,4 %; n = 11) in der Berichterstattung. In einigen Fällen werden die freiwilligen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden von Pressekonferenzen bzw. -calls des Unternehmens (0,9 %; n = 7) rezipiert. Aber auch Äußerungen aus eigentlich nichtöffentlichen Formaten wie internen Veranstaltungen (0,5 %; n = 4), Investorengesprächen (0,4 %; n = 3) oder Capital Market Days (0,1 %; n = 1) finden Einklang in der Berichterstattung.
Eine Besonderheit bei den Medien stellen zudem die Aussagen aus sog. unternehmensnahen Kreisen dar, also von Personen, die von Journalisten nicht namentlich zitiert werden möchten. In 43,3 Prozent der Fälle (40,3 %; n = 310) basieren Artikel auf diesen Äußerungen, wobei in 8 Prozent der Artikel (n = 26) Äußerungen rund um Aufsichtsratssitzungen herangezogen werden.
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Anlass der Berichterstattung
Die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats werden schon seit langem im Rahmen der Regelkommunikation des Unternehmens umgesetzt. Daher soll anschließend gezeigt werden, zu welchem Anlass eine Berichterstattung erfolgte, wobei zwischen der Regelkommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden (Abschnitt 5.1.2) und Sondersituationen, wie Krisen, Übernahmen etc. unterschieden werden muss.
In den Analystenreports bietet die Regelkommunikation in 65 Prozent (n = 13) der Fälle den Anlass des Reports und Sondersituationen nur zu 35 Prozent (n = 7). Anlass für die Medienberichterstattung ist zu 60,3 Prozent (n = 464) die Regelkommunikation von Aufsichtsräten und nur zu 16,8 Prozent (n = 129) Sondersituationen. Bei der Medienberichterstattung konnten jedoch noch weitere Anlässe identifiziert werden, um über Aufsichtsratsvorsitzende zu berichten: Dazu zählen bei 20,7 Prozent (n = 159) der Artikel sog. Personality-Stories, also eine personalisierte Berichterstattung über Aufsichtsratsvorsitzende, aber auch Anlässe außerhalb des Unternehmenskontexts (2,2 %; n = 17).
Themen der Berichterstattung
Bei der Analyse der Themen der Berichterstattung wurden klassische Themen der Überwachungs- und Kontrolltätigkeit des Aufsichtsrats aus der Theorie abgeleitet (Abschnitt 3.2) sowie weitere Themen induktiv im Rahmen der Inhaltsanalyse ergänzt. Dabei ist es interessant, welche Themen bei der Berichterstattung zu Aufsichtsratsvorsitzenden aufgegriffen wurden, da die kulturellen Werte einer Gesellschaft ebenso wie politische oder wirtschaftliche Interessen beeinflussen können, welche Themen öffentliche Aufmerksamkeit erhalten (Hilgartner & Bosk, 1988, S. 64).
Die Top-5-Themen der Berichterstattung zeigen, dass die Auswahl bzw. Bestellung des Vorstands, als eine zentrale Aufgabe des Aufsichtsrats, die im Rahmen der Regelkommunikation von Unternehmen umgesetzt wird, am häufigsten thematisiert wird (194 Medienartikel, 7 Analystenreports). Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats wird in den Medienartikeln (Platz 2; n = 153) und Analystenreports (Platz 3; n = 3) oft aufgegriffen, hier handelt es sich ebenfalls um eine zentrale Aufgabe des Aufsichtsrats, die, die zur Regelkommunikation des Unternehmens gehören.
Aufgrund der geringen Fallzahl sind in Tabelle 7.1 alle Themen der Analystenreports abgebildet, während bei der Medienberichterstattung noch Themen folgen. So werden in Analystenreports Sondersituationen, wie Übernahmesituationen und aktivistische Aktionäre, thematisiert, dies findet auch in der Medienberichterstattung Einklang, aber nicht innerhalb der Top-5-Themen. Weiterhin werden in den Medien vor allem die Hauptversammlung (n = 76) und Vergütung des Vorstands (n = 68), die ein Teil der Regelkommunikation sind, aufgegriffen. Interessanterweise wird auch die Unternehmensentwicklung bzw. -strategie häufig im Zusammenhang mit dem Aufsichtsrat thematisiert (85 Medienberichte, 2 Analystenreports), was keine klassische Regelkommunikation des Aufsichtsrats darstellt.
Tabelle 7.1
Top-5-Themen der Berichterstattung
Die Themen in Verbindung mit dem Anlass der Berichterstattung zeigen, dass in den Analystenreports über die klassischen Aufsichtsratsthemen (Auswahl/Bestellung des Vorstands, Zusammensetzung des Aufsichtsrats) berichtet wird, die im Rahmen der Regelkommunikation vom Unternehmen kommuniziert werden. Reports zu Übernahmen und aktivistischen Aktionären stehen im Zusammenhang mit Sondersituationen.
In der Medienberichterstattung ergibt sich aufgrund der Detaillierung der Anlässe ein differenziertes Bild (Abbildung 7.5). Die klassischen Aufgaben der Aufsichtsratstätigkeit (Auswahl/Bestellung des Vorstands, Zusammensetzung des Aufsichtsrats, Vergütung des Vorstands) stehen zwar schwerpunktmäßig in Zusammenhang mit der Regelkommunikation, diese Themen werden aber auch im Rahmen von personalisierter Berichterstattung (Personality-Stories) aufgegriffen. Ein großer Teil der Personality-Stories greift jedoch die Rolle von Aufsichtsratsvorsitzenden bei der Unternehmensentwicklung/-strategie (n = 54), der Zusammensetzung des Aufsichtsrats (n = 33), der Auswahl/Bestellung des Vorstands (n = 14) sowie Ermittlungen (n = 12) auf.
Wenn Sondersituationen den Anlass für die Berichterstattung sind, werden vor allem Übernahmesituationen (n = 47), Ermittlungen (n = 30), aktivistische Investoren (n = 23), aber auch die Unternehmensentwicklung/-strategie (n = 19) und die Zusammensetzung des Aufsichtsrats (n = 10) thematisiert. Themen, die unabhängig vom Unternehmen sind, werden von ihrem Anlass auch außerhalb des Unternehmenskontexts aufgegriffen, dabei handelt es sich um Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden zu politischen oder wirtschaftlichen Themen.
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In dem Zusammenhang ist auch die Betrachtung der Themen nach Art der Äußerung interessant. In den Analystenreports erfolgt ein Großteil der Äußerungen im Rahmen der Publizitätspflichten, wie in Tabelle 7.1 dargestellt, geht es dabei schwerpunktmäßig um die Aufgaben des Aufsichtsrats bei der Auswahl/Bestellung des Vorstands (n = 7) und die Zusammensetzung des Aufsichtsrats (n = 3). Freiwillige Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden werden in Analystenreports nur in Übernahmesituationen (n = 2) und in Bezug auf die Unternehmensentwicklung/-strategie (n = 1) aufgenommen.
In der Medienberichterstattung werden zu den primären Aufgaben des Aufsichtsrats (Auswahl/Bestellung des Vorstands (n = 128), Zusammensetzung des Aufsichtsrats (n = 75)) ebenfalls vor allem Äußerungen im Rahmen der Publizitätspflichten rezipiert. Eine freiwillige Kommunikation des ARV ist meist unabhängig vom Unternehmen (n = 30), zur Unternehmensentwicklung/-strategie (n = 26) oder in Übernahmesituationen (n = 3) der Fall.
7.1.2 Zwischenfazit: Fünf ereignisbezogene Typen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden
Wie in Abschnitt 6.2.1 beschrieben, wurden die Medienberichte und Analystenreports weitergehend mithilfe einer typisierenden Strukturierung analysiert. Bei der typisierenden Strukturierung wird die Suche in und Beschreibung des Materials anhand markanter Merkmale ausgerichtet. Diese Merkmale können „extreme Ausprägungen“ annehmen, von „besonderem theoretischen Interesse“ sein oder „häufig“ vorkommen (Mayring, 2015, S. 103).
Anhand der Theorie wurde dabei die Dichotomie vom Anlass der ARV-Kommunikation (Regelkommunikation oder Sondersituationen) und die Art der Äußerung von Aufsichtsratsvorsitzenden (Publizitätspflichten oder freiwillige Kommunikation) als typische Kriterien definiert, um die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden beschreiben zu können.
Für die typisierende Strukturierung wurde das Datenmaterial wie folgt untersucht: Zunächst wurden nur die Artikel ausgewählt, bei denen sich in Bezug auf die Art der Äußerung auch eine Äußerung von Aufsichtsratsvorsitzenden identifiziert werden konnte. Dies war notwendig, da im Sample der Medienberichterstattung auch Artikel aufgenommen wurden, bei denen keine eindeutige Äußerung eines Aufsichtsratsvorsitzenden identifiziert wurde, sondern stattdessen Informationen aus sog. unternehmensnahen Kreisen herangezogen wurden. Dabei handelt es sich um Personen, die von Journalisten nicht namentlich zitiert werden möchten. In diesem Schritt wurden 310 Artikel für die Analyse entfernt, sodass noch 459 Artikel zu analysieren waren.
Schließlich wurden in Bezug auf den „Anlass“ der ARV-Kommunikation nur die Artikel berücksichtigt, bei denen die Berichterstattung aufgrund einer Regelkommunikation oder Sondersituation basierte. Zudem wurden auch die Artikel und Reports analysiert, bei denen der Anlass keinen Unternehmensbezug hatte, aber eine Äußerung des ARV identifiziert werden konnte. In diesem Schritt wurden die 53 Artikel entfernt, deren Anlass eine sog. Personality-Story war, also eine von Journalisten angestoßene personalisierte Berichterstattung über Aufsichtsratsvorsitzende. Dadurch ergab sich ein neues Sample für die typisierende Inhaltsanalyse von 406 Medienartikel und 20 Analystenreports.
Im nächsten Schritt wurde das Material hinsichtlich dieser Ausprägungen gesichtet. Der im Datenmaterial sowohl bei den Medienberichten als auch den Analystenreports am häufigsten ermittelte Typ 1 lässt sich als Publizitätspflichten im Rahmen der Regelkommunikation beschreiben (Tabelle 7.2). Am seltensten findet sich der Typ 5, die freiwillige öffentliche Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden ohne Bezug zum Unternehmen.
Tabelle 7.2
Typisierende Merkmale der Inhaltsanalyse von Medienberichten (n = 406) und Analystenreports (n = 20)
Im Folgenden sollen die fünf ereignisbezogenen Typen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden beschrieben und an Beispielen am empirischen Material gezeigt werden (Tabelle 7.3).
Tabelle 7.3
Fünf ereignisbezogene Typen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden
Zudem bilden die Typen die Grundlage für die Fallauswahl der Unternehmen für die Expertengespräche der strategischen Analyse (Abschnitt 6.3). Es handelt sich dabei um typische Fälle der ARV-Kommunikation. Damit soll sichergestellt werden, dass eine maximale Breite an relevanten Informationen zur Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden erreicht werden kann.
Typ 1: Publizitätspflichten des Aufsichtsrats im Rahmen der Regelkommunikation
Der erste Typ kann als Klassiker der Aufsichtsratskommunikation beschrieben werden. Dieser Typ macht mit 65 Prozent der Analystenreports (n = 13) und 72,4 Prozent der Medienberichte (n = 294) den größten Anteil der Berichterstattung zu Aufsichtsratsvorsitzenden aus.
Aus der Aufsichtsratstätigkeit ergeben sich verschiedene Publizitätspflichten, die meist im Rahmen der Regelkommunikation des Unternehmens veröffentlicht werden. Im Gesetz finden sich diesbezüglich verschiedene Kommunikationsmaßnahmen, vor allem der Aufsichtsratsbericht, Corporate-Governance-Bericht, Entsprechenserklärung sowie Ad-hoc-Publizität (Abschnitt 5.1.2). Ob eine Information, die die Aufgaben des Aufsichtsrats betreffen, tatsächlich ad hoc relevant ist, bleibt dabei stets zu prüfen. In der Praxis zeigt sich, dass die kurzen normierten Ad-hoc-Mitteilungen häufig durch längere Pressemitteilungen ergänzt werden, die in vielen Fällen auch Zitate der Unternehmensführung enthalten. Pressemitteilungen zu aufsichtsratsrelevanten Themen enthalten demnach meist ein Zitat von den Aufsichtsratsvorsitzenden des Unternehmens.
Das erste Beispiel soll anhand einer zentralen Aufgabe des Aufsichtsrats, der Auswahl bzw. Bestellung des Vorstands, gezeigt werden: Die BASF SE veröffentlichte am 21. Dezember 2017 eine Pressemitteilung zum Wechsel des Vorstandsvorsitzenden, darin ist auch ein Zitat des Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. Jürgen Hambrecht enthalten:
„Der Wechsel im nächsten Jahr ist Teil der langfristigen Nachfolgeplanung für Aufsichtsrat und Vorstand der BASF. […] In den vergangenen sieben Jahren hat Kurt Bock als Vorsitzender des Vorstands das Unternehmen entscheidend geprägt und erfolgreich weiterentwickelt. Wir haben ihn gebeten, 2020 für den Aufsichtsrat der BASF zu kandidieren, damit das Unternehmen weiterhin von seinen Fähigkeiten und Erfahrungen profitieren kann. Mit Martin Brudermüller haben wir wieder einen überaus kompetenten und erfahrenen Nachfolger aus den eigenen Reihen“ (BASF SE, 2017, S. 1).
Diese Meldung sowie die Äußerung des ARV im Rahmen der Regelkommunikation finden sich schließlich in Analystenreports (Evercore ISI, 2017) und verschiedenen Medienberichten wieder. Dabei können Zitate indirekt übernommen werden (Dorstert, 2017), aber auch Bewertungen von Journalisten zur Situation sind möglich:
„So hat es der amtierende Aufsichtsratsvorsitzende und langjährige Konzernchef Jürgen Hambrecht entschieden. Hambrecht ist jetzt 71 Jahre alt, die Rochade trägt unmissverständlich seine Handschrift“ (Freytag, 2017, S. 24).
Zweitens können auch die Aktienkäufe von Aufsichtsratsmitgliedern, die im Rahmen von Directors Dealings auf der Website des Unternehmens veröffentlicht werden, zu einer Berichterstattung führen. Kurz nach der Benennung eines neuen CEOs kaufte der Aufsichtsratsvorsitzende von Hugo Boss Aktien des Unternehmens im Wert von 100.000 Euro. Dies wird sowohl in der Medienberichterstattung (Gomez, 2016) als auch in Analystenreports (Hauck & Aufhäuser, 2016) thematisiert und dabei als Vertrauensbekundung für den neuen Vorstandsvorsitzenden bewertet.
Drittens wird auch die Erläuterung des Aufsichtsratsberichts auf der Hauptversammlung immer wieder in der Medienberichterstattung aufgegriffen. Die Analyse der Berichterstattung im Zeitverlauf zeigt, dass in den Monaten April und Mai mehr Medienartikel zu Aufsichtsratsvorsitzenden erscheinen (Abbildung 7.1). Als Beispiel soll hier die Rede des SAP-Mitgründers und Aufsichtsratsvorsitzenden Hasso Plattner gezeigt werden, der auf der Hauptversammlung 2017 diese Erläuterung zum Anlass nahm, das neue Vergütungssystem des Vorstands zu verteidigen. Ausschnitte der Rede werden in mehreren Medien ausführlich wiedergegeben und von den Journalisten kommentiert:
„Hasso Plattner nimmt sich in seiner Rede mehr als 20 Minuten Zeit, um die SAP-Gehälter zu verteidigen. Dabei legt er seine demonstrativ gute Laune beiseite, erhebt die Stimme und zerteilt die Luft mit Handkantenschlägen. ‚In unserer Branche werden noch ganz andere Gehälter gezahlt‘, ruft er und beginnt aufzuzählen: IBM, Hewlett Packard, Salesforce, Oracle. All diese Konkurrenten zahlten den Vorstandschefs zwischen 30 und 41 Millionen Euro, sagt Plattner. Deshalb sei McDermotts Gehalt ‚angemessen, um SAP wettbewerbsfähig zu halten‘“ (Mayr, 2017, S. 20).
Nur 49,51 Prozent der Aktionäre der SAP entlasten den Aufsichtsrat von SAP auf dieser Hauptversammlung. Mittlerweile hat die Hauptversammlung nach der ARUG II-Änderung die Möglichkeit, alle vier Jahre über das Vergütungssystem abstimmen (Abschnitt 3.2).
Da es sich um die Publizitätspflichten im Rahmen der Regelkommunikation des Unternehmens handelt, ist davon auszugehen, dass die Kommunikationsfunktionen bei der Vorbereitung und Unterstützung dieser Kommunikation beteiligt sind. Die konkrete Umsetzung wird im Rahmen der Experteninterviews beleuchtet (Abschnitt 8.1.2).
Typ 2: Freiwillige öffentliche Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden im Rahmen der Regelkommunikation
Beim zweiten Typen handelt es sich um Situationen, bei denen sich Aufsichtsratsvorsitzende freiwillig öffentlich in Bezug auf Themen der Regelkommunikation äußern. Dieser Typ kommt deutlich seltener vor und konnte nur aus der Medienberichterstattung (7,5 %; n = 30) identifiziert werden, es finden sich keine Beispiele in den Analystenreports. Typ 2 soll anhand von drei exemplarischen Beispielen erläutert werden.
Erstens kann es vorkommen, dass die Regelkommunikation des Unternehmens, z. B. eine Pressemitteilung zu einem Vorstandswechsel, durch eine freiwillige Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden, z. B. ein Interview, im Nachgang begleitet wird. Hier kann folgendes Beispiel der Deutschen Börse AG herangezogen werden: Nachdem am 26. Oktober 2017 in einer Ad-hoc- und Pressemitteilung der Rücktritt des amtierenden Vorstandsvorsitzenden Carsten Kengeter mitgeteilt wurde (Deutsche Börse AG, 2017), finden sich einen Tag später einige Zitate vom Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. Joachim Faber zur Einordnung der Situation in Medienberichten:
„Wir bedauern den Rücktritt sehr. […] Herr Kengeter ist von sich aus zu uns gekommen. […] Die Deutsche Börse steht heute wesentlich besser da als vor seinem Amtsantritt“ (Mohr, 2017, S. 17).
Zusätzlich erschien wenige Tage später ein Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, in dem anhand von weiteren Zitaten des ARV das Anforderungsprofil sowie ein Zeitplan zur Auswahl des künftigen CEO beschrieben werden (Meck, 2017, S. 25).
Zweitens gibt es Beispiele, in denen Aufsichtsratsvorsitzende unterjährig Entwicklungen zu Aufsichtsratsthemen kommentieren, jedoch ohne direkten zeitlichen Zusammenhang mit einer Regelkommunikation des Unternehmens. So veränderte sich bei der Henkel AG & Co. KGaA im April 2016 die Zusammensetzung des Aufsichtsratsgremiums nach Wahlen auf der Hauptversammlung (Henkel, 2016). In einem Interview mit dem manager magazin im August äußerte sich die Aufsichtsratsvorsitzende Simone Bagel-Trah nach der Veröffentlichung der Studie Board Diversity Index, zum veränderten Frauenanteil im Aufsichtsrat sowie dem angestrebten Kompetenzprofil durch die neue Gremienzusammensetzung (Klusmann & Werle, 2016, S. 22). Frau Bagel-Trah war zu diesem Zeitpunkt die einzige weibliche Aufsichtsratsvorsitzende eines DAX-Unternehmens, zudem waren der Frauenanteil im Aufsichtsrat (37,5 %) und allgemein in Führungspositionen (33 %) bei Henkel im Vergleich höher als bei anderen DAX-Unternehmen (Klusmann & Werle, 2016, S. 22). Dieses Beispiel zeigt die Möglichkeit, dass bestimmte Themen zu einer Kommunikation bzw. Positionierung des Unternehmens bzw. von Aufsichtsratsvorsitzenden genutzt werden können.
Im dritten Beispiel geht es um öffentliche Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden ohne zeitlichen, aber inhaltlichen Bezug zur Regelkommunikation. Als Beispiel kann hier das Jahresauftaktinterview 2017 der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Bank AG, Paul Achleitner, herangezogen werden (Hank & Meck, 2017). Im Gespräch wurden sowohl die anstehenden Neuwahlen zum Aufsichtsrat, die Vorstandsvergütung, aber auch das operative Geschäft der Bank sowie politische Entwicklungen zur Regulierung der Branche thematisiert.
Inwiefern diese freiwilligen Äußerungen in Medien zur Regelkommunikation im Rahmen des Kommunikationsmanagements von der PR-Abteilung unterstützt bzw. sogar initiiert werden, soll im Rahmen der Experteninterviews untersucht werden (Abschnitt 8.2.3.4).
Typ 3: Publizitätspflichten des Aufsichtsrats in Sondersituationen
Beim dritten Typus handelt es sich um Publizitätspflichten des Aufsichtsrats in Sondersituationen. Sondersituationen werden in dieser Arbeit als Diskontinuitäten des Geschäfts verstanden, also z. B. Krisen, Übernahmen, Reorganisationen, aber auch der Umgang mit aktivistischen Aktionären. Eine Pflichtkommunikation wäre demnach u. a. die begründete Stellungnahme von Vorstand und Aufsichtsrat bei einer angestrebten Übernahme (Abschnitt 5.1.2). Dieser Typus findet sich häufiger in den Analystenreports (20 %; n = 4), tritt jedoch bei der Medienberichterstattung eher selten auf (5,4 %; n = 22). Eine Interpretationsmöglichkeit in Bezug auf die Medien könnte dabei sein, dass es in Sondersituationen meist um operative Themen der Geschäftstätigkeit geht, wozu es nur wenige Publizitätspflichten für Aufsichtsratsvorsitzende gibt.
Als Beispiel für diesen Typ soll hier die Kampagne von aktivistischen Aktionären gegenüber dem Aufsichtsrat der Stada Arzneimittel AG vorgestellt werden. Im Rahmen der ordentlichen Hauptversammlung des Unternehmens am 26. August 2016 wurden nach einem Ergänzungsantrag des aktivistischen Aktionärs Active Ownership Capital der amtierende Aufsichtsratsvorsitzende abgewählt sowie ein neuer Vorsitzender und weitere Aufsichtsratsmitglieder gewählt (Stada Arzneimittel AG, 2016). Dieses Ereignis und eine Vorstellung des neuen Aufsichtsratsvorsitzenden Carl Ferdinand Oetker wurden sowohl in Analystenreports (Kepler Cheuvreux, 2016) als auch in Medienberichten (Wadewitz, 2016) thematisiert.
Die Einbindung der Publizitätspflichten des Aufsichtsrats in Sondersituationen in das Kommunikationsmanagement soll in den Experteninterviews mit den Unternehmensakteuren beleuchtet werden (Abschnitt 8.1.2.1).
Typ 4: Freiwillige öffentliche Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden in Sondersituation
Im vierten Typ sind Ereignisse zusammengefasst, bei denen Aufsichtsratsvorsitzende in Sondersituationen freiwillig öffentlich Stellung beziehen. Insgesamt kommt dieser Typ in 15 Prozent der Analystenreports (n = 3) und 10,8 Prozent der Medienberichte (n = 44) vor. Dies soll an drei Beispielen verdeutlicht werden.
Erstens veröffentlichen, wie in Abschnitt 5.1.2 beschrieben, bei einer Übernahmesituation der Vorstand und Aufsichtsrat des Zielunternehmens gemeinsam eine begründete Stellungnahme nach § 27 Abs. 1 WpÜG. Zum Übernahmeangebot der Fortum Deutschland SE wählte die Uniper SE neben der Veröffentlichung der begründeten Stellungnahme (Uniper SE, 2017), deren Argumentation in Analystenreports (J.P. Morgan, 2017) aufgenommen wurde, auch eine freiwillige ergänzende Kommunikation. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz, die noch digital verfügbar ist, kommentierten sowohl der Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Bernhard Reutersberg als auch der CEO und CFO von Uniper das Angebot (Reutersberg, 2017). Diese freiwillige Kommunikation des Unternehmens und insbesondere des Aufsichtsratsvorsitzenden wurde umfangreich in den Medien aufgenommen (Bünder, 2017). Die gemeinsame Pressekonferenz von Vorstand und Aufsichtsrat lässt darauf schließen, dass die Kommunikationsfunktionen des Unternehmens eine relevante Rolle bei der Vorbereitung dieser Kommunikation des Aufsichtsratsvorsitzenden innehaben.
Zweitens konnten im Rahmen der Fusion von Linde und dem US-amerikanischen Unternehmen Praxair mehrfach freiwillige öffentliche Äußerungen des Aufsichtsratsvorsitzenden Wolfgang Reitzle identifiziert werden. Ein besonders markantes Beispiel ist ein Interview von Herrn Reitzle in der Financial Times, in dem er sagt, dass er bei einem Widerstand der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat gegen den Zusammenschluss, Gebrauch von seinem doppelten Stimmrecht als Aufsichtsratsvorsitzende machen würde. Dieses Zitat („Ja, ich bin bereit, das zu tun“) wird sowohl in deutschen Medien (Schauber, 2017, S. 1) aufgenommen als auch in Analystenreports (Kepler Cheuvreux, 2017). Hier zeigt sich, dass aufgrund der Internationalisierung der Kapitalmärkte (Abschnitt 4.1.2) auch Äußerungen in ausländischen Leitmedien in deutschen Medien und Analystenreports aufgegriffen werden können.
Drittens müssen die freiwilligen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden auch bei diesem Typus nicht einen unmittelbaren zeitlichen Bezug zur Kommunikation des Unternehmens in der Sondersituation haben. Als Beispiel kann hier das ganzseitige Interview mit dem Volkswagen-Aufsichtsratsvorsitzenden Hans-Dieter Pötsch gezeigt werden, in dem er sich u. a. zu den strafrechtlichen Konsequenzen der Diesel-Affäre in den USA sowie zu einer Neuausrichtung der Vorstandsvergütung äußert (Döring, Olsen & Steevens, 2016). Dieses Interview wird anschließend auch von Analystenreports aufgegriffen, um Implikationen einzuschätzen (Warburg Research, 2016).
Inwiefern diese freiwilligen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden in Sondersituationen von den Kommunikationsfunktionen unterstützt werden, soll im weiteren Verlauf der Arbeit untersucht werden (Abschnitt 8.1.2.3).
Typ 5: Freiwillige öffentliche Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden ohne Bezug zum Unternehmen
Neben der Dichotomie von Anlass der Kommunikation und Art der Äußerung konnte im Rahmen der Analyse der Medienberichterstattung noch ein fünfter Typ identifiziert werden: die öffentliche Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden ohne Bezug zum Unternehmen. Insgesamt macht dieser Typus 3,9 Prozent (n = 16) der Medienberichte aus.
Aufsichtsratsvorsitzende werden in diesem Typen zu einem individuellen Sprecher, die verschiedene Rollen einnehmen können (Neidhardt, 1994, S. 14; Peters, 1994, S. 57–59): Sie können als Repräsentant des Aufsichtsratsgremiums des Unternehmens (Typ 1 bis 4) sprechen, aber auch als Experte ihre fachliche Reputation einbringen oder sich als Intellektuelle sozialmoralischen Fragen annehmen. Für die Verdeutlichung des Typs werden drei Beispiele herangezogen:
Ein Interview im Handelsblatt mit Karl-Ludwig Kley, dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Lufthansa Group und E.ON SE, in dem er über mögliche Neuwahlen in Deutschland nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche der neuen Bundesregierung spricht (Brors, Flauger & Koenen, 2017).
Mehrere Gastbeiträge im manager magazin von Jürgen Hambrecht, Aufsichtsratsvorsitzender der BASF SE, u. a. zur Europapolitik der Bundesregierung (Hambrecht, 2016).
Ein Interview im Handelsblatt bei dem langjährigen Aufsichtsratsvorsitzenden der Siemens AG, Gerhard Cromme, in dem er kurz vor dem Ende seiner Amtszeit auf seine Zeit bei Siemens, politische Themen sowie auf sein zukünftiges Engagement blickt (Höpner & Thomas, 2017).
Bei diesem Typ stellt sich im besonderen Maße die Frage, ob und inwieweit die Kommunikationsfunktionen des Unternehmens die Person dabei unterstützen. Dies konnte mit einigen Experten im Rahmen der Interviews thematisiert werden (Abschnitt 8.1.2.3).
Die dargestellten fünf ereignisbezogenen Typen der ARV-Kommunikation bilden die Grundlage für die Fallauswahl für die strategische Analyse der Handlungen. Indem verschiedene Unternehmen identifiziert wurden, die diese fünf Typen repräsentieren, soll eine maximale Breite an relevanten Informationen zu den Strukturen, den Maßnahmen und dem Management der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden erreicht werden kann (Kapitel 8).
Die zentralen Ergebnisse der Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung und Analystenreports werden in Abschnitt 7.3 noch einmal rekapituliert. Im Folgenden sollen nun die Ergebnisse des zweiten methodischen Schritts der institutionellen Analyse dargestellt werden. Dabei sollen die Erkenntnisse der Inhaltsanalyse vertieft werden, um so u. a. die Informationsbedürfnisse der Journalisten als Vermittler konkreter beschreiben zu können. Dabei sollen die Erwartungen beschrieben werden, die von außen an die Unternehmen und ihre Aufsichtsratsvorsitzenden gestellt werden. Denn diese Erwartungen können zu (unerkannten) Handlungsbedingungen werden und damit zu einer Anforderung an die ARV-Kommunikation.
7.2 Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden
Um die Anforderungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden darstellen zu können, wurden im Rahmen der institutionellen Analyse zwei methodische Schritte vollzogen. Erstens wurde eine Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung sowie von Analystenreports über Aufsichtsratsvorsitzende von börsennotierten Unternehmen durchgeführt. Auf Basis der Analyse hinsichtlich der Art der Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden sowie der Anlässe und Themen der Berichterstattung konnten die Diskurse in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit sowie der Kapitalmarktöffentlichkeit aufgezeigt werden (Abschnitt 7.1). Insgesamt wurde damit deutlich, welche Bedeutung Corporate-Governance-Themen für die Vermittler in diesen beiden Öffentlichkeitsarenen haben, denn diese Themen liegen im Aufgabenbereich des Aufsichtsratsgremiums. Daraus folgenden ist davon auszugehen, dass ein Informationsbedürfnis hinsichtlich dieser Themen besteht, was zu einer (unerkannten) Handlungsbedingung für die ARV-Kommunikation werden kann.
Um diese Handlungsbedingungen tiefergehend verstehen zu können, wurden im zweiten Schritt der institutionellen Analyse qualitative Experteninterviews mit den Anspruchsgruppen der ARV-Kommunikation durchgeführt (Abschnitt 6.2.2), um deren Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden beschreiben zu können. Nachdem die Stakeholder aus der Theorie abgeleitet wurden, konnten die konkreten Experten mithilfe der Medienanalyse identifiziert werden. Dabei handelt es sich um Journalisten aus der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit und der Kapitalmarktöffentlichkeit, die über Aufsichtsratsvorsitzende berichtet hatten. Zudem wurden Akteure der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit und Kapitalmarktöffentlichkeit identifiziert, die sich in Artikeln, Kommentaren etc. zur Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden geäußert haben. Inwiefern sich die Erwartungen der Anspruchsgruppen differenzieren lassen, wird anhand der Erkenntnisse aus den Gesprächen in Abschnitt 7.2.1 gezeigt.
In diesem Kapitel soll die zweite Forschungsfrage beantwortet werden: Welche Erwartungen haben Stakeholder an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden? Dabei können die Erwartungen diskutiert werden, die von den Anspruchsgruppen von außen an die Unternehmen und die Aufsichtsratsvorsitzenden gestellt werden. Denn diese Erwartungen können ebenfalls zu (unerkannten) Handlungsbedingungen werden. Diese Handlungsbedingungen können wiederum einen Einfluss auf die unternehmensinternen Strukturen nehmen, insbesondere wenn die Erwartungen eine kritische Schwelle erreichen. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn sich die Erwartungen dynamisch verändern, wie nachfolgend aufgezeigt werden soll. Daher werden in Abschnitt 7.2.2 die Erkenntnisse zu Gründen für eine veränderte Erwartungshaltung an die ARV-Kommunikation gezeigt.
7.2.1 Differenzierung der Erwartungen
Zunächst sollen die inhaltlich strukturierten Ergebnisse der Expertengespräche mit den Anspruchsgruppen vorgestellt werden, die sich auf die erste Unterforschungsfrage beziehen: Wie lassen sich die Erwartungen der Stakeholder an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden differenzieren? Diese Erkenntnisse sollen im Rahmen des Kommunikationsmanagements dazu beitragen, bei der Ausgangsanalyse die Erwartungen der Stakeholder einordnen zu können. Nur wenn die Kommunikationsverantwortlichen sich bewusst sind, welche Anforderungen gestellt werden, können sie in den weiteren Prozessschritten die Kommunikation adäquat planen, umsetzen und evaluieren.
Die Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden sollen in dieser Arbeit anhand von zwei Merkmalen differenziert werden: (1) den Anspruchsgruppen und (2) der Situation des Unternehmens.
Die externen Anspruchsgruppen der ARV-Kommunikation wurden in dieser Arbeit anhand von zwei Öffentlichkeitsarenen theoretisch hergeleitet. Die Principal-Agent-Beziehung zwischen Aufsichtsrat und Aktionären konstituiert die Anforderungen hinsichtlich ihrer Funktion und daraus folgend auch hinsichtlich einer transparenten Kommunikation zu ihren Aufgaben (Abschnitt 5.2). Die Anregung zum Investorendialog nach dem DCGK stellt zudem eine neue Norm der ARV-Kommunikation dar (Abschnitt 5.1.2).
Daher sollen im Folgenden die Erwartungen an die ARV-Kommunikation von den institutionellen Investoren sowie den Aktionärsschützern, als Vertreter von privaten Aktionären, differenziert werden. Dazu kommen die Erwartungen der Stimmrechtsberater, die in der Kapitalmarktöffentlichkeit als Vermittler an Bedeutung gewonnen haben. Schließlich sollen die Erwartungen der Journalisten dargestellt werden, die als Vermittler sowohl in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit als auch der Kapitalmarktöffentlichkeit die Diskurse der Arenen mit bestimmen.
Das zweite zentrale Differenzierungsmerkmal in dieser Arbeit ist die Situation, in der sich das Unternehmen befindet. Hier wird einerseits eine normale Unternehmenssituation gewählt, um analysieren zu können, ob neben den Publizitätspflichten des Aufsichtsratsgremiums und dem (neuen) Investorendialog nach dem DCGK (Abschnitt 5.1.2) noch weitere Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden gestellt werden. Andererseits soll dargestellt werden, ob sich die Erwartungen die ARV-Kommunikation in Sondersituationen, in denen es eine Zuständigkeit des Aufsichtsrats gibt, ändern.
Abbildung 7.6 zeigt im Überblick die Differenzierung der Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden nach Stakeholdern und Situationen, die im Folgenden ausführlich beschrieben wird. Abhängig von der Situation werden die Aussagen der Experten in eine inhaltliche Erwartung an die ARV-Kommunikation sowie hinsichtlich der Kommunikationsmaßnahme synthetisiert.
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Bevor auf die Situationen eingegangen wird, soll zunächst hervorgehoben werden, dass aus der Analyse der Expertengespräche extrahiert wurde, dass von Aufsichtsratsvorsitzenden sowie den Kommunikationsverantwortlichen erwartet wird, dass diese die unterschiedlichen Interessenlagen der Stakeholder kennen und sie bei der ARV-Kommunikation entsprechend berücksichtigen:
InstitutionelleInvestoren und Aktionärsschützer: Aufsichtsratsvorsitzende sollen dialogbereit sein, da Investoren einen legitimen Anspruch auf den Austausch haben.
Stimmrechtsberater: Aufsichtsratsvorsitzende sollen kompetent Fragen beantworten können, obwohl die Arbeit der Stimmrechtsberater vor allem auf öffentlichen Informationen basiert.
Journalisten: Aufsichtsratsvorsitzende sollen offen für Gespräche mit Medien sein, dabei aber die Logik der Medien kennen.
Die befragten Investoren und Aktionärsschützer beschreiben ihre übergeordnete Erwartung, dass sich Aufsichtsratsvorsitzende für einen Dialog mit Investoren bereithalten sollten. Diese Erwartung habe eine hohe Legitimität, da der Aufsichtsrat von der Hauptversammlung aller Aktionäre gewählt werde und ihre Interessen vertrete. Zudem haben vor allem die institutionellen Investoren klare Vorstellungen bzw. Vorschriften zu gewissen Corporate-Governance-Themen und müssten sich gegenüber ihren Anlegern rechtfertigen:
„Wir wählen den Aufsichtsrat. Wir wissen, dass wir nicht das Unternehmen leiten, die Strategie setzen oder den Vorstandsvorsitzenden bestellen, aber wir müssen auch gegenüber unseren Kunden Rechenschaft ablegen und denen sagen können, ich kann nicht für Herrn X stimmen, wenn ich nicht ab und zu mal direkt mit ihm spreche“ (Investor_1).
Auch die Aktionärsschützer als Vertreter von privaten Investoren sehen einen Dialog als legitim an, um die Interessenlagen der Aktionäre bei Corporate-Governance-Entscheidungen mit einbeziehen zu können.
„Wie sieht es denn der Aufsichtsratsvorsitzende, wenn ein neues Vergütungssystem beschlossen wird oder ein neuer Aufsichtsrat gewählt wird. Beziehungsweise auch, wenn man auf der Suche nach einem Nachfolger für den Vorstandsvorsitz ist. Da ist es wichtig, dass man auch die Seite der Aktionäre hört […] und da auch die größeren Aktionärsvertreter einzubeziehen, das halte ich für richtig“ (Aktionärsschützer_1).
Für Stimmrechtsberater wiederum, ist der Dialog mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden zunächst weniger wichtig, da ihre Arbeit auf der Analyse von öffentlich verfügbaren Informationen des Unternehmens beruht. Die zentrale Erwartung im Rahmen eines Engagements liege darin, dass Aufsichtsratsvorsitzende kompetent die Fragen zur Corporate Governance beantworten. Gespräche mit Unternehmensvertretern könnten jedoch nicht öffentliche Informationen ersetzen und würden daher nur als Hintergrundinformation genutzt.
„Für unsere Arbeit geht es darum, dass wir die Information möglichst transparent, akkurat, verständlich dargestellt haben. Wenn ein Unternehmen hinsichtlich der Punkte, die es zu analysieren gibt, sehr gut erklärt im Geschäftsbericht oder vielleicht auch mit zusätzlichen Dokumenten auf der Internetseite oder vielleicht auch in der Tagesordnung, dann haben wir alle Informationen. Dann müssen wir theoretisch nicht noch einen Dialog führen. Wenn die Dinge klar sind, sind sie klar“ (Stimmrechtsberater_2).
Dem gegenüber ist den journalistischen Vertretern bewusst, dass sich die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden mit ihnen in einer rechtlichen Grauzone befindet. Trotzdem seien Aufsichtsratsvorsitzende Quellen für ihre Berichterstattung. Dementsprechend erwarten sie eine gewisse Offenheit zur Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Medien. Dabei wägen die Journalisten jedoch ab, wie Informationen von diesen Akteuren einzuordnen seien und welchen Zweck sie verfolgen würden. Eine Berichterstattung basiere vor allem auf der Logik des jeweiligen Mediums und allgemeingültigen Nachrichtenfaktoren (Abschnitt 4.1.1). Zudem würden sie erwarten, dass Aufsichtsratsvorsitzende die Spielregeln in Mediengespräche kennen und verstehen, wie Journalisten handeln.
„Da erwarte ich auch in solchen Situationen von Aufsichtsräten oder insbesondere auch Aufsichtsratsvorsitzenden, dass sie wissen, was sie sagen dürfen und was sie nicht sagen dürfen. Das sie auch im Kopf haben, dass auch Journalisten gerne mal aus einem Spatzen Elefanten machen, und dass sie das richtig einordnen müssen, mit wem sie reden und was sie demjenigen sagen“ (Journalist_1).
Hinsichtlich der übergeordneten Erwartungen der Anspruchsgruppen kann festgehalten werden, dass sich einige davon als Einflussfaktoren auch im Analyserahmen für die Strukturen der ARV-Kommunikation wieder finden. So beziehen sich die Vertreter der Investoren und Aktionärsschützer auf ihren legitimen Anspruch auf den Investorendialog nach dem DCGK, der eine zentrale Norm der ARV-Kommunikation darstellt. Die Nichtbefolgung dieser Norm kann von den Stakeholdern unterschiedlich stark sanktioniert werden. Die Legimität wird daher abgeleitet, dass die Investoren den Aufsichtsrat wählen. Die daraus resultierende Delegation der Aufgaben an den Aufsichtsrat stellt eine autoritative Ressource von Aufsichtsratsvorsitzenden hinsichtlich der Entscheidungskompetenz dar.
Für das Kommunikationsmanagement ist es wichtig, die unterschiedlichen Interessenlagen zu kennen, um diese in der Planungsphase bei Entscheidungen zu einer ARV-Kommunikation berücksichtigen zu können. Denn die Entscheidung mit welchen Anspruchsgruppen ein Aufsichtsratsvorsitzender in den Dialog treten soll, könnte Teil der Kommunikationsordnung des Aufsichtsrats sein (siehe analytische Herleitung in Abschnitt 5.2 sowie im empirischen Zwischenfazit in Abschnitt 8.2.4).
Normale Unternehmenssituation
In einer normalen Unternehmenssituation sind die Publizitätspflichten die zentralen Kommunikationsmaßnahmen der Aufsichtsratskommunikation (Abschnitt 5.1.2). Es wird demnach keine zusätzliche freiwillige Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden erwartet. In den Publizitätspflichten, insbesondere im Aufsichtsratsbericht, möchten die Anspruchsgruppen aktuelle und umfangreiche Informationen zur Tätigkeit des Aufsichtsratsgremiums erhalten. Hier zeigt sich die Verbindung zum definierten inhaltlichen Ziel der Aufsichtsratskommunikation, Transparenz hinsichtlich der Überwachungs- und Kontrollaufgaben des Aufsichtsrats herzustellen (Abschnitt 5.3).
Darüber hinaus erwarten die befragten Investoren auch in normalen Unternehmenssituationen einen Dialog mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden nach dem DCGK. Mit dem Dialog verfolgen die Investoren folgende zwei Interessen: Erstens möchten die Investoren sich ein besseres Bild von den handelnden Personen machen. Indem sie den Aufsichtsratsvorsitzenden persönlich treffen und einschätzen können, erhoffen sie sich Entscheidungen, insbesondere bei zukünftigen Entwicklungen, besser beurteilen und antizipieren zu können.
„Wenn der Aufsichtsratsvorsitzende vor Ideen sprüht, dann kann das echte Implikationen auf unsere Investitionsentscheidung haben. Aber 80 Prozent der Gespräche sind für mich ein rein normaler und zusätzlicher Kommunikationskanal. Das ist aber entscheidend, dass sie diese Informationen haben. Das heißt nicht, dass sie uninteressant ist, nur, weil sie diese heute noch nicht verwerten können. Wenn das Unternehmen in eine Schieflage oder unter Druck gerät und sie kennen die agierenden Personen, dann können sie in gewisser Weise antizipieren, wie die reagieren werden. Und sie wissen, wenn der Aufsichtsrat mir im Meeting schon gesagt hat, dass er mit dem Vorstand nicht allzu viel zu tun hat, und der Vorstand baut Mist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass er rausgeschmissen wird, größer, als hätte ich das Gespräch nicht geführt oder könnte es nicht so einschätzen. Da bekommt man ein besseres Fingerspitzengefühl“ (Investor_2).
Zweitens beabsichtigen Investoren, Aufsichtsratsvorsitzende ihre Meinungen bzw. spezifischen Regeln zu Corporate-Governance-Themen mitteilen können, damit diese bei Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden. Dies sei vor allem in der Vorbereitung der Hauptversammlung interessant, damit bspw. Anforderungen an Vergütungssysteme oder erwartete Kriterien für die Gremienbesetzung eingebracht werden könnten. Wenn dies bereits im Vorfeld geschehe, würde es aus ihrer Sicht zu weniger Auseinandersetzungen auf der Hauptversammlung kommen. Meist komme es erst zu einem Gespräch, wenn die Tagesordnung bereits stehe. Insgesamt kann festgehalten werden, dass es den befragten Investoren wichtig ist, vom Unternehmen bzw. den Aufsichtsratsvorsitzenden gehört zu werden. Dies ist vor dem Hintergrund interessant, dass die Beziehungspflege das zweite zentrale Ziel der Aufsichtsratskommunikation darstellt.
„Ich würde mir wünschen, dass der Aufsichtsrat im Vorfeld der Versammlung, so vielleicht fünf, sechs Monate bevor die Tagesordnung veröffentlicht wird, auch mal mit den wichtigsten Stakeholdern das Gespräch sucht. Nur um mal zu hören, was stellen sie sich denn vor? Welche Anforderungen haben sie? […] Da ist es wichtig, dass man auch die Seite der Aktionäre hört. Erfolgreich wäre es dann aus meiner Sicht, wenn man gehört wird. Das heißt nicht, wenn man dann ex post schimpfen darf, sondern wenn man ex ante auch sagen darf, das wären unsere Kriterien, da wollen wir hin. Was muss besser werden?“ (Aktionärsschützer_1).
Für das Kommunikationsmanagement ist in dem Zusammenhang auch relevant, welche konkreten Ansprüche an das Format des Investorendialogs gestellt werden. Zunächst lässt sich aus den Expertengesprächen identifizieren, dass der Dialog nicht nur von Investoren, sondern auch von den Unternehmen, insbesondere im DAX, angefragt werden. Diese Initiative wird durchgehend positiv eingestuft. Aus Sicht der Experten komme der IR-Abteilung die Rolle zu, den Austausch zu organisieren. Als favorisierte Konstellation beschreiben die Investoren daher ein Gespräch mit den Aufsichtsratsvorsitzenden und einem IR-Verantwortlichen, da so eventuell offene Fragen auch im Nachgang geklärt werden könnten. Gespräche mit Aufsichtsratsvorsitzenden und Vorstandsvorsitzenden oder Finanzvorstand werden unterschiedlich eingeschätzt: Einige Experten argumentieren, dass es zu einer Vermischung der Themen komme und die Zeit für Corporate-Governance-Fragen zu kurz sei, während andere Experten es interessant finden, das Zusammenspiel zwischen ARV und CEO zu beobachten und daraus eigene Bewertungen ziehen zu können. Die Teilnahme eines Vertreters aus der Rechtsabteilung wird eher negativ gesehen, da dadurch häufig die Gesprächsthemen eingeschränkt würden.
Auch für die Aktionärsschützer als Vertreter von privaten Investoren sind die gesetzlich vorgeschriebenen Publizitätspflichten die wichtigsten Kommunikationsmaßnahmen des Aufsichtsrats. Ob der jährliche Aufsichtsratsbericht als zentrale Maßnahme jedoch zukünftig die erhoffte Transparenz gewährleisten kann, wird in Frage gestellt. Da der Investorendialog mit Aufsichtsratsvorsitzenden unterjährig stattfinden würde, müsse zukünftig entsprechend darüber berichtet werden, z. B. auf der Website des Unternehmens. Die Experten haben jedoch keine genauen Vorstellungen, wie die Berichterstattung des Aufsichtsrats zukünftig angepasst werden sollte.
„Mit einmal gibt es unterjährig Gespräche zwischen Investoren und Aufsichtsrat. Durch die lange Dauer des Nichtkommunizierens des Aufsichtsrats nach außen haben wir automatisch unterjährig damit Neuigkeiten, die aber der Rest der Welt dann nicht kennt. […] Wie schaffen wir es, alle Investoren oder die Öffentlichkeit über den Inhalt dieser Gespräche zu informieren?“ (Aktionärsschützer_2).
Auf Nachfrage in den Expertengesprächen wird der Investorendialog nicht als Problem für die Gleichbehandlung von Investoren eingeschätzt. Dies sei der Fall, da der Vorstand ebenfalls mit den größten Vermögensverwaltern spreche – relevant sei daher vor allem, dass keine insiderrelevanten Informationen besprochen würden. Aufsichtsratsvorsitzende könnten zwar Insiderinformationen in Bezug auf Corporate-Governance-Themen haben, aber die Experten gehen davon aus, dass diese Themen nicht besprochen würden, sondern es vielmehr um Themen für die jeweils anstehenden Hauptversammlungen gehe.
„Der Aufsichtsrat kann Insider-Infos haben. Das ist klar, aber ich glaube, um die Themen geht es nicht. Ich glaube eher, dass es darum geht, was auf der Hauptversammlung beschlossen wird: Vorstandsvergütung, Aufsichtsratswahlen, Wirtschaftsabschlussprüferwahlen. Und da kann natürlich jeder Aktionär auf der Hauptversammlung auch noch seinen Senf zugeben. Und auf der HV steht der Aufsichtsratsvorsitzende jedem Aktionär zur Verfügung“ (Aktionärsschützer_1).
Diese Erkenntnisse zu den Erwartungen hinsichtlich einer unterjährigen Information der Aktionäre zum Investorendialog von Aufsichtsratsvorsitzenden sind relevant für die Investor-Relations-Abteilung. Denn solche Erwartungen können, wenn sie konkreter werden zu einer Anforderung an die ARV-Kommunikation werden.
Für die Stimmrechtsberater stellen die Publizitätspflichten ebenfalls die zentrale Kommunikationsmaßnahme des Aufsichtsrats dar, um umfangreiche Informationen zu erhalten – vor allem vor dem Hintergrund, da ihre Analysen nur auf öffentlich verfügbaren Informationen beruhen (dürfen). Darüber hinaus sei das primäre Ziel für ein Engagement mit Unternehmen, Fachfragen zu klären.
„Der primäre Zweck für Engagement, gerade innerhalb des Prozesses der Analysearbeit, ist eigentlich der, dass es uns darum geht faktisch richtig zu schreiben. […] Und wenn wir jetzt auf ein Unternehmen zugehen, dann geht es uns in erster Linie um diese Fragen“ (Stimmrechtsberater_2).
Für das Kommunikationsmanagement ist in diesem Zusammenhang relevant, dass die IR-Abteilung als zentraler Ansprechpartner angesehen wird. Sie solle Informationen bereitzustellen und eventuelle Fragen beantworten. Sofern die Themen in der Zuständigkeit des Aufsichtsrats liegen und ein Gespräch als sinnvoll erachtet werde, sei es Aufgabe der IR das Gespräch zu organisieren. Aus Sicht der befragten Stimmrechtsberater könnte es trotzdem relevant sein, mit Unternehmensvertretern grundsätzlich die Abstimmungskriterien zu Corporate-Governance-Themen zu erörtern. Zeitlich würden sie dafür den Herbst präferieren, da dann keine Analysearbeit hinsichtlich der Hauptversammlung anstehe. Abhängig von Unternehmen und Themenlage könnte dabei auch ein Gespräch mit Aufsichtsratsvorsitzenden erfolgen.
Die Journalisten erkennen an, dass eine Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Medien eine rechtliche Grauzone darstelle. Trotzdem seien Aufsichtsratsvorsitzende schon lange Quellen für die Unternehmensberichterstattung. Durch diesen Austausch erhoffen sie sich Informationen, die den Journalisten in die Lage versetzen, ein Ereignis richtig einzuordnen, da der Aufsichtsrat eine andere Perspektive als der Vorstand einbringe. Insbesondere bei Themen, die in der Entscheidungsbefugnis des Aufsichtsrats liegen, werde erwartet, dass Aufsichtsratsvorsitzende nicht schweigen: Schweigen sei aus Sicht der Journalisten nicht mehr zeitgemäß. Die in der Medienanalyse identifizierten Interviews von Aufsichtsratsvorsitzenden (Abschnitt 7.1) seien dabei jedoch nur
„die Spitze des Eisbergs. Wenn Sie eine ehrliche Zahl haben wollen: 10 Prozent der Gespräche sind on, 90 Prozent sind off-the-record“ (Journalist_2).
Hintergrundgespräche würden deutlich häufiger durchgeführt, die Erkenntnisse daraus würden sich dann in der Gesamteinschätzung einer Situation durch den Journalisten widerspiegeln. Die Initiierung solcher Gespräche erfolge auf unterschiedliche Weise: Hintergrundgespräche und Anfragen zu Zitaten würden eher von Journalisten angefragt, während Interviews vermehrt auch von den Kommunikationsabteilungen des Unternehmens angeboten würden. Die journalistischen Experten sehen die Rolle der Kommunikationsabteilung dabei kritischer als die Investoren. Die Kommunikationsabteilung werde zum „Diener zweier Herren, dem Management und demjenigen, der das Management kontrollieren soll“ (Journalist_2). Ein Gespräch finde dann meist mit einem Pressesprecher, aber auch häufiger allein statt. Diese Erkenntnisse sind interessant für das Kommunikationsmanagement, um die eigene Rolle aber auch den Prozess der Durchführung der ARV-Kommunikation zu evaluieren.
Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden vor allem auf den Publizitätspflichten beruhen, insbesondere die Investoren wünschen sich jedoch auch einen darüber hinausgehenden Dialog, abhängig von Unternehmen und Situation.
Sondersituationen
Auch in Sondersituationen werden die existierenden Publizitätspflichten als die zentralen Kommunikationsmaßnahmen der Aufsichtsratskommunikation angesehen. Die Vertreter aller Anspruchsgruppen erwarten in Sondersituationen, die die Zuständigkeit des Aufsichtsrats betreffen, jedoch darüber hinaus eine aktive(re) Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden. Der gewünschte Austausch von den verschiedenen Stakeholdern ist dabei analog zu den Formaten bei den zuvor beschriebenen normalen Unternehmenssituationen: Institutionelle Investoren und Aktionärsschützer erhoffen sich einen verstärkten Investorendialog, Stimmrechtsberater einen punktuell aktiveren Dialog und Medien eine aktive Kommunikation basierend auf Interviews oder Hintergrundgesprächen. Freiwillige mediale Äußerungen in Sondersituationen würden auch von den Kapitalmarktakteuren aufmerksam beobachtet. Die freiwillige Kommunikation sollte jedoch abhängig von der Situation sein und nur über einen begrenzten Zeitraum erfolgen.
„Bei Krisensituationen, z. B. bei Volkswagen, Diesel-Gate, da kann ich mir schon mal vorstellen, dass wenn jetzt der Herr Winterkorn gerade gegangen wurde, der Aufsichtsrat ein bisschen aktiver wird, ein Bild nach außen gibt und Aufklärung verspricht, mit der Politik redet, mit Vertretern von den Autohändlern. Die sind wichtig für die VW. Vielleicht mit Kunden, mit Verbraucherzentralen etc. Dass der dann auch mal das Gespräch sucht, aber wirklich nur sehr begrenzt, für einen begrenzten Zeitraum in so einer Situation. Alles andere, glaube ich, würde zu weit führen, dann würde das zu weit weg von seiner Aufgabe gehen“ (Aktionärsschützer_1).
Die Erwartungen der Experten hinsichtlich einer aktiveren, freiwilligen Kommunikation in Sondersituationen sind dabei gleich: Sie erhoffen sich davon, die Rolle und Perspektive des Aufsichtsrats in Bezug auf die spezifische Situation zu verstehen. Gerade bei personellen Veränderungen im Vorstand sei es wichtig, die Handlungsfähigkeit des Unternehmens zu erkennen. Dies sei bspw. möglich, indem die anstehenden, notwendigen Schritte aus Sicht des Aufsichtsratsgremiums erklärt würden. Insgesamt solle eine freiwillige Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden die Unsicherheit der verschiedenen Stakeholder eines Unternehmens reduzieren.
„Bei diesen außergewöhnlichen Anlässen, da reicht die Hauptversammlung nicht aus. Da sollte er in der Tat die Öffentlichkeit suchen, auf welchem Weg auch immer. Das kann in kritischen Phasen eine Erklärung sein. Das kann aber auch mal eben ein Interview in entsprechenden Medien sein. Jedenfalls so, dass er sich dazu äußert und das auch wahrgenommen wird“ (Journalist_1).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Erwartungen der Stakeholder an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden während der Regelkommunikation in normalen Unternehmenssituationen und in Sondersituationen nicht grundlegend unterscheiden. Die bestehenden Publizitätspflichten als zentrale Maßnahme der Aufsichtsratskommunikation sowie der Investorendialog decken einen Großteil des Informationsbedürfnisses ab. Stimmrechtsberater und Journalisten schätzen zwar den Dialog, aber sehen ihn eher als ergänzende Sichtweise für ihre Arbeit. Vor allem in Sondersituationen wird deutlich, dass die Anspruchsgruppen sich Orientierung wünschen.
Diese Erkenntnisse sind für das Kommunikationsmanagement der ARV-Kommunikation relevant. Die Erwartungen an die Kommunikation sollten bereits in der Analysephase systematisch erfasst werden und mit der internen Aufstellung der ARV-Kommunikation abgeglichen werden. Wenn aufsichtsratsrelevante Themen, wie z. B. die Vorstandsvergütung, auf der Hauptversammlung anstehen, so sollte dies auch in der Planungsphase des Kommunikationsmanagements Beachtung finden. Die IR- und PR-Abteilung stehen im stetigen Austausch mit den Stakeholdern und bilden eine Brücke für die Aufsichtsratsvorsitzenden, um die richtigen Maßnahmen zu erarbeiten.
Die Erwartungen von institutionellen Investoren, Aktionärsschützern und Journalisten sind dabei aufgrund der Funktion des Aufsichtsrats nachvollziehbar. Dass auch Stimmrechtsberater sich einen punktuellen Dialog wünschen, obwohl sie diesen nicht in ihre Analysearbeit mit einbeziehen, kann durchaus kritisch hinterfragt werden. Gleichzeitig nehmen sie eine an Bedeutung wachsende Vermittlerrolle ein, die entsprechend berücksichtigt werden sollte.
Nachdem die Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden hinsichtlich der Stakeholder sowie der Unternehmenssituation differenziert dargestellt wurden, soll nun geklärt werden, aus welchen Gründen es zu einer veränderten Erwartungshaltung an die ARV-Kommunikation ist.
7.2.2 Gründe für die veränderte Erwartungshaltung an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden
Als Nächstes werden die Ergebnisse aus den Expertengesprächen vorgestellt, die sich auf die zweite Unterfrage der zweiten Forschungsfrage der institutionellen Analyse beziehen: Inwiefern ist es zu einer veränderten Erwartungshaltung an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden gekommen? Daher soll gezeigt werden, dass es verschiedene kritische Schwellen gab, die zu einer Veränderung der Erwartungen geführt haben. Diese externen Veränderungen können wiederum einen Einfluss auf die unternehmensinternen Strukturen der ARV-Kommunikation haben, da sich dadurch Regeln verändern und Ressourcen verschieben können. Dabei kann ein einzelner Akteur die Veränderungen nicht erzwingen, sondern sie werden durch das Zusammenspiel verschiedener Akteure hervorgebracht. Wenn sich also die Erwartungen an Stakeholder an die ARV-Kommunikation ändern, dann können daraus intendierte und nichtintendierte Handlungsfolgen für die Unternehmen entstehen (Kapitel 2).
Aus den Expertengesprächen lassen sich vier Gründe für die Veränderung der Erwartungshaltung an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden identifizieren. Sie können auf einer Makro-Ebene, verstanden als übergeordnete Strukturen, in denen Unternehmen handeln, aber auch auf der Mikro-Ebene, der individuellen Handlungsebene des Akteurs, eingeordnet werden:
Makro-Ebene
Kapitalmarkt: Veränderung des Aktionariats der Unternehmen
Regulierung: Aufnahme des Investorendialogs in den DCGK
Öffentlichkeit: Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung des Aufsichtsratsgremiums
Mikro-Ebene
Neue Generation von Aufsichtsratsvorsitzenden
Im Folgenden wird kurz auf diese vier Gründe eingegangen, die mit ausgewählten Zitaten und Fakten untermauert werden.
Kapitalmarkt: Veränderung des Aktionariats der Unternehmen
Aufgrund der Liberalisierung und Internationalisierung des Kapitalmarkts (Abschnitt 4.1.2) ist es zu einer deutlichen Veränderung des Aktionariats der börsennotierten Unternehmen in Deutschland gekommen. Während die sog. Deutschland AG lange Zeit durch ein Netzwerk aus sich gegenseitig kontrollierenden Großunternehmen mit Banken und Versicherungen in ihrem Zentrum gekennzeichnet war (Gerke et al., 2009, S. 506 f.), setzen deutsche Unternehmen seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre verstärkt auf eine Finanzierung durch Aktien, Unternehmensanleihen oder die Privatplatzierung von Schuldscheindarlehen (Metten, 2010, S. 206). Dadurch ist es zu einer deutlichen Veränderung der Aktionärsstruktur gekommen. Institutionelle Investoren bilden bei den meisten deutschen Aktiengesellschaften die größte Aktionärsgruppe (~ 63 %), wobei 55 Prozent der Aktien von ausländischen Aktionären gehalten werden (EY, 2019, S. 4, 9).
Diese internationalen Investoren sind mehrheitlich das monistische Corporate-Governance-System gewohnt, da dies weltweit, insbesondere im angelsächsischen Raum, überwiegend zu finden ist (Böckli, 2009, S. 263). In diesem einstufigen System der Unternehmensführung sei es üblich, dass sowohl der CEO als auch der Chairman, die zudem häufig in Personalunion auftreten können, mit Investoren sprechen würden (Abschnitt 3.1).
„Wir haben natürlich deutlich mehr angelsächsische Investoren als vor 20 Jahren. Und dann werden die Vorstellungen der Corporate-Governance-Systeme der Investoren automatisch übergestülpt auf das Corporate-Governance-System, was wir in Deutschland haben. Und in den anderen Jurisdiktionen ist es einfach so, dass der Chairman redet. Ich glaube, da treffen sich zwei Welten“ (Aktionärsschützer_2).
Der Aufsichtsrat ist aus Sicht der Investoren der natürliche Ansprechpartner für Aktionäre, da diese das Gremium auf der Hauptversammlung wählen würden.
„Das Ganze kann man an einem einfachen Beispiel erklären. Der Vorstandsvorsitzende sollte nicht selbst über sein Vergütungssystem reden und es erklären. Dafür ist der Aufsichtsrat zuständig, noch zumindest. Und da ist es einfach richtig, dass wenn Investoren da viele Fragen haben, dass dann auch der Aufsichtsrat da Rede und Antwort steht und nicht der Vorstand. Weil, er ist schlichtweg der falsche Ansprechpartner“ (Aktionärsschützer_2).
Die Anzahl sowie Investitionsstile von Investoren seien bei größeren Unternehmen naturgemäß breiter, sodass sich die Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden zunächst an die DAX-Unternehmen gerichtet hätten. Bei Unternehmen in den darunterliegenden Indizes hänge es insbesondere von der (Corporate-Governance-)Situation ab.
„Durch die Veränderung im Aktionariat von deutschen Unternehmen. Der Großteil der meisten DAX-Unternehmen gehört institutionellen Investoren, den nichtdeutschen institutionellen Investoren, die den Dialog schätzen, kennen aus ihren Heimatmärkten. Die erwarten einfach, wenn man ein halbes Prozent oder 1 Prozent oder sogar noch mehr investiert hat, dass man da die Möglichkeit hat, zumindest mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden zu sprechen“ (Investor_1).
Internationale Investoren übertragen also ihre Erwartungen und Gewohnheiten auf das dualistische System der Unternehmensführung. Das deutsche Aktiengesetz stellt zwar eine maßgeblich strukturierende Norm für die ARV-Kommunikation dar, durch die Erwartungen hinsichtlich einer Kommunikation werden diese Regeln jedoch hinterfragt.
Gleichzeitig verändern sich auch die Anlagestrategien und damit das Selbstverständnis der Aktionäre. Einerseits haben die Bedeutung und das Volumen von Exchange Traded Funds (ETF), börsengehandelten Indexfonds die sowohl passive als auch aktive Investitionsstrategien verfolgen können, als Anlagevehikel im internationalen Finanzsystem in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen (Bundesbank, 2018). Die Ausbreitung von passiven ETFs wird u. a. kritisch betrachtet, da diese die Stimmrechte auf den Hauptversammlungen meist nicht wahrnehmen würden (Rottwilm, 2017).
Andererseits können aktive und aktivistische Aktionäre mittlerweile zu einem festen Bestandteil des Kapitalmarktgeschehens gezählt werden. So wurden im Jahr 2019 weltweit 187 aktivistische Kampagnen gestartet, wobei 43 Investoren erstmalig als Aktivisten auftraten (Lazard, 2020, S. 1). Aktivistische Aktionäre würden im Rahmen ihrer Kampagnen auch immer wieder Stellungnahmen bzw. Entscheidungen des Aufsichtsrats einfordern. Daraus resultiere sowohl eine Veränderung in der Kommunikation der Unternehmensgremien als auch ein Kommunikationsbedürfnis anderer Investoren. Zudem lässt sich festhalten, dass die im Rahmen der Arbeit befragten institutionellen Investoren ein aktives Selbstverständnis artikulieren: So seien sie ihren Anlegern gegenüber verpflichtet, die Unternehmen und Unternehmensführung ihrer Investitionen genau zu prüfen. Andererseits müssten sie im Falle einer aktivistischen Kampagne darauf reagieren und sich eine Meinung bilden. Beides führe zu einem verstärkten Wunsch nach Dialog mit dem Unternehmen insgesamt und bei bestimmten Themen auch im speziellen mit Aufsichtsratsvorsitzenden.
„Es gibt natürlich sehr viele aggressive Investoren, die die Investorengemeinschaft sehr aufmischen. Selbst wenn sie normaler Investor sind, der überhaupt gar kein Interesse hat, das irgendwie es laut wird oder so, da kommen sie nicht drum rum sich zu positionieren, wenn dann ein aktivistischer Investor aufs Tabellett kommt. Und da müssen sie sich irgendwie positionieren, und das können sie eigentlich nur, wenn sie dann auch kommunizieren mit dem Unternehmen und dann eben auch meistens über Corporate-Governance-Themen, die den Aufsichtsrat betreffen. Und da werden die meisten Investoren, die jetzt sich vielleicht noch zurückhalten, auch deutlich aktiver und näher ran rücken ans Unternehmen. Und da haben sie automatisch dann nicht nur eben jetzt die Möglichkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden zu kommunizieren, sondern sie haben noch mehr den verstärkten Wunsch, auch der nicht sehr aktiven und aktivistischen Investoren, dann Informationen zu erhalten“ (Aktionärsschützer_2).
Diese Erkenntnisse zu den Gründen einer veränderten Erwartungshaltung an die ARV-Kommunikation aus Sicht des Kapitalmarkts sind aus zwei Gründen für das Kommunikationsmanagement relevant: Erstens stellen die Investoren die zentrale Anspruchsgruppe der ARV-Kommunikation dar, daher sollten ihre Erwartungen an eine (aktivere) Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden von den Unternehmen sorgfältig beobachtet werden. Wenn zahlreiche Akteure eine Veränderung in der bisherigen sozialen Praxis der ARV-Kommunikation erwarten, entstehen daraus intendierte Handlungsfolgen für die Unternehmen. Zudem zeigen die Entwicklungen in Bezug auf ETFs sowie aktive bzw. aktivistische Aktionäre, dass die Erwartungen an die ARV-Kommunikation sich weiterhin dynamisch entwickeln (können), sodass diese auch zukünftig einen Einfluss auf die Strukturen der ARV-Kommunikation nehmen können.
Zweitens ist für die IR-Funktion zentral, die Entwicklungen am Kapitalmarkt im Rahmen des Kommunikationsmanagements zu beobachten, um Rückschlüsse für die Planung und Umsetzung der Kapitalmarktkommunikation des Unternehmens sowie der ARV-Kommunikation ziehen zu können. Durch eine regelmäßige Analyse der eigenen Aktionärsstruktur aber auch der Entwicklungen im Umfeld könnte bspw. frühzeitig erkannt werden, ob sich die Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden verändern.
Regulierung: Aufnahme des Investorendialogs in den DCGK
Die verschiedenen Anpassungen im Aktiengesetz und Deutschen Corporate Governance Kodex haben im Laufe der vergangenen Jahre zu mehr Zuständigkeiten und Haftung des Aufsichtsratsgremiums geführt. Damit einher geht die in Abschnitt 3.2 beschriebene Veränderung des Aufgabenprofils.
In Bezug auf den Untersuchungsgegenstand wird die Anregung zum Investorendialog im DCGK (Abschnitt 5.1.2) von den Experten als positive, aber längst überfällige Entwicklung wahrgenommen. Aufgrund der Tatsache, dass es sich um eine Anregung und keine Empfehlung handele, könne man den Entsprechenserklärungen zwar nicht entnehmen, inwiefern dieser tatsächlich stattfinde. Alle Experten aus der Kapitalmarktöffentlichkeit bestätigen aber, dass ihnen bekannt sei, dass seit der Aufnahme im DCGK vermehrt Gespräche stattgefunden hätten. Investoren seien demnach auf die Aufsichtsratsvorsitzenden zugegangen und diese hätten entsprechend darauf reagiert. Investoren werden dabei als treibende Kraft hinter der Kodex-Änderung wahrgenommen.
„Das war überfällig! Ich fand es positiv, aber es ist eine Entwicklung der letzten drei bis fünf Jahren, dass da ein aktiverer Dialog zwischen der Gesellschaft und den Investoren und Stakeholdern stattfindet. Ende 2007 kann ich mich an das erste Mal erinnern, dass ich ein solches Gespräch hatte mit einem Aufsichtsratsvorsitzenden, ganz explizit über Corporate-Governance-Themen. Ob es in Deutschland gelebte Praxis ist, ist jedoch abhängig vom Unternehmen und seinen Investoren“ (Stimmrechtsberater_1).
Rückblickend wird berichtet, dass bereits vor der Anregung einige Aufsichtsratsvorsitzende mit Investoren gesprochen hätten. Dies habe jedoch in einem rechtlich diffusen Rahmen stattgefunden. Die Legitimation des Investorendialogs im soft-law-Rahmen des DCGK werde daher als angemessen angesehen. Es wird argumentiert, dass es bestimmte Themen gebe, wie etwa die Vorstandsvergütung, über die nur der Aufsichtsrat Auskunft geben könne. Aus diesem Grund werden Aufsichtsratsvorsitzende als wichtige Ansprechpartner für Investoren eingestuft.
„Das Ganze kann man an einem einfachen Beispiel erklären: Der Vorstandsvorsitzende sollte nicht selbst über sein Vergütungssystem reden und es erklären. Dafür ist der Aufsichtsrat zuständig. Und es ist richtig, wenn Investoren da Fragen haben, dass dann der Aufsichtsrat da Rede und Antwort steht und nicht der Vorstand. Weil, er ist schlichtweg der falsche Ansprechpartner“ (Aktionärsschutzer_2).
Die befragten Experten der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit haben die Aufnahme des Investorendialogs im DCGK ebenfalls beobachtet, argumentieren aber, dass dadurch ein Ungleichgewicht auf die Interessen der Investoren entstehen könne. Die Unternehmensführung sollte demnach nicht nur auf Anteilseigner, sondern auf alle Stakeholder ausgerichtet sein.
„Damit wird die Perspektive der Unternehmenskontrolle zu sehr verengt, denn dort ist die Rede von den Shareholdern, also Investoren. Und das ist ja nur ein Teil der Stakeholder. Von Arbeitnehmervertretern und so steht da nichts. Aber wir haben in Deutschland in den letzten 20, 25 Jahren ja durchaus eine etwas andere Unternehmensphilosophie als die rein shareholderorientierte entwickelt, nämlich die stakeholderorientierte, die auch ausdrücklich z. B. im Kodex, aber auch im Gesetz, im Aktienrecht inzwischen drinsteht. Und den Aufsichtsrat nun ganz gezielt darauf, na ja, zu verpflichten oder zu ermuntern, mit Shareholdern zu reden, finde ich etwas einseitig. Genauso gut könnte man ihn rein theoretisch auffordern, das Gespräch mit Gewerkschaftsbossen zu suchen. Vorsichtig formuliert, da könnte ein Ungleichgewicht entstehen“ (Journalist_2).
Die Entwicklungen im Bereich Regulierung können als strukturbildende Normen der ARV-Kommunikation zugeordnet werden. Investoren können sich in ihren Erwartungen auf den Investorendialog im DCGK beziehen. Der tatsächlich geführte Investorendialog ist für die Anspruchsgruppen zwar aufgrund von fehlenden Veröffentlichungspflichten schwer nachvollziehbar, trotzdem können die Akteure das für sie wahrnehmbare (Nicht-)Handeln der Unternehmen bewerten.
Für das Kommunikationsmanagement bedeuten die Erkenntnisse, dass die Anpassung von gesetzlichen Vorschriften und Normen sowie die damit zusammenhängenden Erwartungen der Stakeholder ebenfalls Teil der Umfeldanalyse sein sollte. In Bezug auf die Aufnahme des Investorendialogs in den DCGK bedeutet es, dass für die neue, von außen herangetragene, Kommunikationsmaßnahme entsprechend intern Prozesse entwickelt werden müssen. Wenn die Transparenz hinsichtlich der Aufsichtsratstätigkeit als wichtiges Ziel angenommen wird, sollte zudem überlegt werden, in welcher Form die Kapitalmarktöffentlichkeit über den Investorendialog des Unternehmens informiert wird, z. B. im Aufsichtsratsbericht oder auch eine unterjährige Information auf der Website, wie in Abschnitt 7.2.1 von Experten gefordert.
Öffentlichkeit: Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung des Aufsichtsratsgremiums
Aus der Perspektive der befragten Journalisten lässt sich zudem eine Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung von Aufsichtsräten beschreiben. Die Experten führen dabei sog. Bruchstellen anhand von verschiedenen Skandalen und Krisen an, wie etwa der Mannesmann-Prozess in den Jahren 2004 bis 2006, der Korruptionsaffäre bei Siemens von 2006 bis 2008 oder die Abgasaffäre bei Volkswagen ab 2015. Da diese Situationen nicht nur von Fachmedien, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit medial thematisiert wurden, sei die Arbeit und Rolle des Aufsichtsrats stärker wahrgenommen worden.
„Und dort [Mannesmann-Prozess] ist zum ersten Mal in einer breiteren Öffentlichkeit klargeworden, wer beschließt eigentlich so was? Es gibt da offensichtlich noch eine weitere Instanz neben dem Vorstand, die in dem Unternehmen etwas zu sagen hat. Und danach hat es ja immer wieder Fälle gegeben, wo Aufsichtsräte ganz offensichtlich auch entscheidende Rollen spielten. Ich nenne mal ein anderes Beispiel, Siemens, der Skandal um die schwarzen Kassen. Da kam prompt die Frage auf, wer räumt denn da jetzt eigentlich auf? Der Vorstand selbst hätte es wohl schlecht selbst machen können. So blieb nur der Aufsichtsrat, und prompt stand in dem Fall damals Cromme im Mittelpunkt mit seiner Truppe. Der griff da richtig durch. Und das zieht sich hin bis heute bei VW, wie man sehen kann. Wo die Öffentlichkeit, die Investoren auch natürlich die Frage stellen, welche Rolle spielt hier eigentlich der Aufsichtsrat?“ (Journalist_2).
In diesem Zusammenhang wird auch beschrieben, dass bestimmte Themen des Kapitalmarkts bzw. der Corporate Governance stärker in der gesamtgesellschaftlichen Diskussion Einklang finden würden. So habe u. a. die Finanzkrise die Diskussion um die Vergütung von Top-Managern neu entfacht. Im Rahmen von Medienberichten würde bspw. die Vergütung des Vorstands trotz Sparprogrammen oder das Verhältnis der Bezüge zwischen Vorstand mit durchschnittlichem Lohn eines Angestellten diskutiert. Beide Entwicklungen hätten dazu geführt, dass die Rolle des Aufsichtsratsgremiums und von Aufsichtsratsvorsitzenden in den Fokus der Medien gerückt seien.
Die Aussagen der Experten hinsichtlich einer veränderten öffentlichen Wahrnehmung des Aufsichtsratsgremiums unterstützen die Erkenntnisse der Medienanalyse (Abschnitt 7.1), dass die Corporate-Governance-Themen nicht nur in der Kapitalmarktöffentlichkeit, sondern auch in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit an Relevanz gewonnen haben. Die Rezeption dieser Themen ist dabei nicht nur für die in der Berichterstattung thematisierten Unternehmen, sondern auch für andere börsennotierte Unternehmen relevant, da sich die Erwartungen an die öffentliche Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden ändert. Für das Kommunikationsmanagement wird hier erneut die Relevanz einer umfassenden Umweltanalyse sichtbar, um Erwartungen in Bezug auf aufsichtsratsrelevante Themen zu erkennen.
Neue Generation von Aufsichtsratsvorsitzenden
Alle Experten sehen die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden als eine durch einzelne Akteure getriebene Entwicklung an, die als neue Generation von Aufsichtsratsvorsitzenden beschrieben wird. Ehemalige Vorstandsvorsitzende, die eine aktive Kommunikation mit Stakeholdern geführt hätten, seien in den vergangenen Jahren in Aufsichtsratsmandate gewechselt und hätten dieses Selbstverständnis auch in ihrer neuen Rolle übernommen.
„Da gibt es sehr große Unterschiede, wie weit ein Aufsichtsratsvorsitzender geht. Aber das liegt auch an einer neuen Generation: Die Generation Achleitner hat da einen ganz anderen Ansatz als die, ja, Cromme-Schneider-Generation, die zwar gesprochen haben, aber sehr vorsichtig und sehr darauf fokussiert, was macht der Aufsichtsrat? Ich glaube, das wird weitergehen in die Richtung und wird schwieriger für die Unternehmen. Die Erwartungen werden mehr und die Arbeit wird weiter professionalisiert“ (Investor_1).
Bereits vor der Kodex-Anpassung hätten einige Aufsichtsratsvorsitzende einen intensiven Dialog mit Investoren gehabt, vor allem in Sondersituationen. Dieses Selbstverständnis hätten die Akteure auch eingebracht, um das Thema Kommunikation aus der rechtlichen Grauzone zu holen.
„Wer hat es gemacht? Natürlich die Unternehmen, wo es irgendwas gab. Nehmen wir jetzt Bayer oder Linde oder die Unternehmen, wo es halt auch große Veränderungen gab. Da wurde in den letzten Jahren auch ohne Kodex-Regelung auch schon massiv, intensiv mit Investoren geredet von der Aufsichtsratsseite. Ja, aber aus diesen besonderen Fällen heraus sind wir jetzt in einen normalen Modus gekommen“ (Aktionärsschützer_2).
Dabei würde sich die neue Generation von Aufsichtsratsvorsitzenden nicht ausschließlich zu ihrer Aufsichtsratstätigkeit äußern Eine Personalisierung (Abschnitt 4.1.1) dieser neuen Generation von Aufsichtsratsvorsitzenden wird von den Journalisten jedoch nur als nachgelagerter Treiber für die Berichterstattung gesehen und eher der Medienlogik zugeordnet.
„Den [Personalisierungstrend] gibt es. Der hat aber natürlich mit dem Problem der Medien, um Wahrnehmung zu tun. Was woanders die Einschaltquoten sind, sind eben bei uns die Auflagen oder die Wahrnehmung zumindest. Und das geht natürlich über Personen leichter als über die Themen allein“ (Journalist_1).
Vielmehr seien Aufsichtsräte schon immer wichtige Quellen für die journalistische Arbeit gewesen.
„Aufsichtsräte waren immer schon wie andere Unternehmensmitglieder oder Menschen aus dem Umfeld des Unternehmens, wichtige Quellen für journalistische Arbeit. Mehr geworden ist das nicht“ (Journalist_2).
In Bezug auf eine neue Generation von Aufsichtsratsvorsitzenden kann festgehalten werden, dass einzelne Akteure durch bewusste Handlungen – eine aktive ARV-Kommunikation – versuchen, Einfluss auf die Strukturen im Unternehmen zu nehmen. Diese Handlungen einzelner Aufsichtsratsvorsitzender können dann zu (nicht-intendierten) Handlungsfolgen von anderen Unternehmen werden.
Für das Kommunikationsmanagement heißt dies, dass Rollen und Aufgabenteilung von Vorstand und Aufsichtsrat zwar stark formalisiert sind, die individuellen Handlungen von Aufsichtsratsvorsitzenden jedoch einen bedeutenden Einfluss auf Strukturveränderungen haben können. Dafür gilt es z. B. im Rahmen der Planungsphase ein gemeinsames Verständnis von einem Auftritt des Aufsichtsratsvorsitzenden nach außen zu erlangen, dass das Handeln rationalisiert (Interpretationsschema).
Veränderte Erwartungshaltung im Zeitverlauf
Schließlich soll noch gezeigt werden, wie sich die identifizierte Erwartungshaltung der externen Anspruchsgruppen im Zeitverlauf verändert hat. Dies ist relevant, da der Wandel der sozialen Praxis der Aufsichtsratskommunikation ein kontinuierlicher Prozess ist, dessen Vorgänge nur über die Zeit beobachtet werden können.
Barley & Tolbert (1997) ersetzen in ihren Studien die Modalitäten der Strukturationstheorie mit sog. Skripten, um kritische Schwellen des Wandels im Zeitverlauf identifizieren zu können (Kapitel 2). Skripte werden verstanden als „beobachtbare, wiederkehrende Aktivitäten und Interaktionsmuster, die für eine bestimmte Umgebung charakteristisch sind“ (Barley & Tolbert, 1997, S. 98). Ein Skript besteht demnach aus verschiedenen Interaktionsepisoden, die sich innerhalb des untersuchten Kontextes ereignen. Da es nur schwer möglich ist, den sozialen Wandel von Handlungen direkt zu beobachten, impliziert das Modell von Barley & Tolbert (1997, S. 100–103), dass eine Veränderung der Struktur nur anhand einer Betrachtung zu verschiedenen Zeitpunkten beurteilt werden kann. Durch eine systematische Analyse von beobachteten Ereignissen in diesem Zeitraum, können diese als Indikatoren für einen Wandel in den Handlungen identifiziert werden.
Für diese Arbeit heißt dies, dass verschiedene identifizierte Gründe für eine veränderte Erwartungshaltung an die ARV-Kommunikation in einem Skript zusammengefasst werden. Die Übergänge zwischen den Phasen bzw. Zeitpunkten werden dabei anhand des empirischen Materials aufgezeigt (Barley & Tolbert, 1997, S. 105). In der Abbildung 7.7 werden die Skripte schematisch dargestellt und im Folgenden erläutert. Die beiden horizontalen Pfeile, die die Abbildung eingrenzen, stellen die zwei zentralen Elemente von Giddens Strukturationstheorie dar: Strukturen und Handlungen, die sich gegenseitig bedingen. Die vertikalen und diagonalen Pfeile verbinden die beiden Ebenen miteinander. Der vertikale Pfeil repräsentiert die strukturellen Handlungszwänge der Akteure zu einem bestimmten Zeitpunkt, während der diagonale Pfeil der Aufrechterhaltung oder Veränderung der Strukturen durch das Handeln der Akteure verdeutlicht. Die einzelnen Episoden des Wandels sind nicht direkt beobachtbar, jedoch können die kritischen Schwellen bzw. Übergange zwischen den Zeiträumen anhand der Skripte beschrieben werden.
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Anhand der Beschreibungen der Experten lässt sich die erste Veränderung der Erwartungen an die ARV-Kommunikation spätestens seit dem Jahr 2006 aufzeigen. In dieses erste Skript der veränderten Erwartungen gehört sowohl die Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung für Aufsichtsräte als auch die Veränderung des Aktionariats, die auf eine neue Generation von Aufsichtsratsvorsitzenden getroffen ist. Ab diesem Zeitpunkt führten verschiedene medial diskutierte Unternehmenskrisen und Skandale (u. a. die Korruptionsaffäre von Siemens) sowie die Veränderung der Aktionärsbasis seit Mitte der 1990er Jahre zu einem erweiterten Informationsbedürfnis durch die Unternehmen und konkret dem Aufsichtsratsgremium. Dadurch kam es zu auseinanderlaufenden Interpretationen der Normen der ARV-Kommunikation von Anspruchsgruppen und Unternehmen. Diese veränderten Erwartungen von Investoren und der Öffentlichkeit sind auf eine neue Generation von Aufsichtsratsvorsitzenden getroffen, die eine aktive(re) Kommunikation befürworteten. Trotz unklarem Rechtsrahmen war dies der Zeitpunkt, ab dem einzelne Aufsichtsratsvorsitzende Gespräche mit Investoren führten oder sich in Interviews zu ihrer Tätigkeit äußerten. Inwiefern dies bereits zu einer Modifikation der unternehmensinternen Strukturen der ARV-Kommunikation geführt hat, soll im Rahmen der strategischen Analyse mit Unternehmensvertretern thematisiert werden.
Die Entwicklungen des ersten Skripts seit dem Jahr 2006 hatten auch einen Einfluss darauf, dass sich der Gesetzgeber, aber vor allem der Deutsche Corporate Governance Kodex mit dem Aufgabenprofil von Aufsichtsräten beschäftigt haben. Jedoch haben sich bis ins Jahr 2015 noch nicht die Normen für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden geändert. Akteure der neuen Generation von Aufsichtsratsvorsitzenden haben zu diesem Zeitpunkt mit ihren Handlungen auf die Veränderung des Aufgabenprofils in Bezug auf die Kommunikation hingewirkt. Dies lässt sich an ihrer, von den externen Experten beschriebenen, Kommunikation zeigen, aber auch daran, dass einige Akteure bspw. an den Leitlinien der Initiative Developing Shareholder Communication (2016) mitgearbeitet oder sich mit Stellungnahmen zur Ergänzung des Investorendialogs in den Deutschen Corporate Governance Kodex eingebracht haben (Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, 2016). Die Aufnahme des Investorendialogs in den DCGK hat schließlich dazu geführt, dass dieser zu einer neuen Norm für die ARV-Kommunikation wurde. Aufsichtsratsvorsitzende und Kommunikationsfunktionen der Unternehmen müssen sich damit auseinandersetzen, was strukturelle Auswirkungen auf die Kommunikation aller börsennotierten Unternehmen in Deutschland nach sich zieht. Die Aufnahme des Investorendialogs sowie eine neue Generation von Aufsichtsratsvorsitzenden, die sich für einen Dialog mit Stakeholdern einsetzt, kann zu einem zweiten Skript zusammengefasst werden. Die Auswirkungen der veränderten Erwartungen auf die Strukturen und das Management der ARV-Kommunikation sollen mithilfe der Experteninterviews aus der Unternehmensperspektive beschrieben werden.
Der Prozess der Strukturierung der ARV-Kommunikation hat eine ihm immanente Dynamik. Aus Sicht der Experten gibt es weitere Entwicklungen, die zu einer Veränderung der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden beitragen können. Diese sollen im Folgenden ausgeführt werden. Dazu zählen auf normativer Ebene z. B. das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie im Jahr 2019 (Abschnitt 3.2), aber auch aktivistische Aktionäre oder Personalisierungstendenzen der Medien. Diese Entwicklungen könnten dazu führen, dass sich die Erwartungen an die ARV-Kommunikation weiter verändern. Dies ist jedoch noch im Fluss, sodass dies erst rückblickend als neues Skript konstituiert werden kann.
Einschätzung der Experten zur zukünftigen Entwicklung
Neben den Gründen, die in den vergangenen Jahren zu einer Veränderung der Erwartungen an die ARV-Kommunikation geführt haben, wurden in den Gesprächen mit den Anspruchsgruppen auch ihre Einschätzung zur zukünftigen Entwicklung der Aufsichtsratstätigkeit und -kommunikation thematisiert. Zudem argumentieren die Experten, dass die drei, in diesem Kapitel dargestellten, Entwicklungen auf der Makro-Ebene für eine veränderte Erwartung an die ARV-Kommunikation nicht abgeschlossen seien. Vielmehr sollten diese Entwicklungen als dynamisch und fortlaufend betrachtet werden. Dies ist relevant, da sich die Erwartungen an die ARV-Kommunikation weiter verändern (können) und damit auch zukünftig einen Einfluss auf die Strukturen, Maßnahmen und das Management der ARV-Kommunikation haben.
Die Experten sehen die Entwicklungen zur Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden im Zusammenhang mit einem sich verändernden Selbstverständnis des Aufsichtsrats und seinen Aufgaben. Dabei wird von einer weiteren Professionalisierung der Aufsichtsratsarbeit ausgegangen. Demnach werde erwartet, dass es zukünftig
(1)
mehr Berufsaufsichtsräte gebe, also Personen, die als Teil ihrer Karriere ein operatives Amt niederlegen und stattdessen (mehrere) Aufsichtsratsmandate annehmen,
(2)
die stärker in die Aktivitäten des Unternehmens involviert seien, bspw. durch wöchentliche oder monatliche Sitzungen und einen intensiven Austausch mit dem Vorstand.
(3)
Durch dieses breitere Aufgabenspektrum würden Themen, wie Nachhaltigkeit, noch stärker vom Gremium fokussiert werden können, was
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insgesamt zu mehr Zeitaufwand und ggf. einer höheren Vergütung führen werde.
Wenn das Aufsichtsratsgremium regelmäßiger zusammenkomme, könne dies den Vorstand entlasten, sofern die Aktivitäten eng miteinander abgestimmt seien. Die Kommunikationskompetenz bzw. Dialogfähigkeit von Aufsichtsratsvorsitzenden werden in dem Zusammenhang als zentrale Aufgabe gesehen, die zukünftig noch wichtiger werden:
„Ich erwarte eigentlich, dass das Aufsichtsratsamt irgendwann immer weiter professionalisiert wird und dann der Aufsichtsratsvorsitzende wirklich die Anlaufstelle auch sein wird für Investoren, wenn es vor allem strittigere Punkte gibt“ (Aktionärsschützer_1).
Diese Entwicklungen beziehen sich insbesondere auf die beschriebene neue Generation von Aufsichtsratsvorsitzenden, die ein anderes Selbstverständnis in Bezug auf ihre Tätigkeit und Kommunikation hätten.
In Bezug auf den Kapitalmarkt wird die ARV-Kommunikation vor allem durch die Zunahme von passiven Investoren, aber auch aktivistische Aktionäre als relevant eingeschätzt:
„Der Kapitalmarkt wird sich auch weiterentwickeln. Ich glaube, dass aktivistische Investoren zukünftig immer mehr mittelgroße Unternehmen attackieren werden. Vor dem Hintergrund wäre ein Dialog nicht schlecht“ (Investor_2).
Auf der Ebene der Regulierung erwarten die Experten insbesondere vom Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) eine weitere Intensivierung des Investorendialogs. Im Zentrum steht dabei die Abstimmung über ein Vergütungssystem des Vorstands durch die Aktionäre, die ab der Hauptversammlungssaison 2021 durchgeführt werden müssen (Abschnitt 3.2). Dies führe aus Sicht der Experten zu einem verstärkten Erklärungsbedarf durch den Aufsichtsrat an Investoren, Stimmrechtsberater, aber auch an eine breitere Öffentlichkeit, um auch kleine Investoren zu erreichen und vorzubereiten:
„Durch die Aktionärsrechterichtlinie werden wir regulatorisch noch einmal einen Schub bekommen. Das wird interessant, weil ja die Notwendigkeit entstehen wird, die Hauptversammlung, also einfache Aktionäre und damit auch eine breitere Öffentlichkeit über Vergütungsthemen viel intensiver zu informieren. Wie funktioniert so Vergütungssystem? Welche Elemente könnte man einbauen, und wozu führt das eigentlich. Sonst stimmen die da gefühlt alle blind ab. Das wird eine interessante Herausforderung für Aufsichtsräte“ (Journalist_2).
In Bezug auf die Öffentlichkeit wird erwartet, dass neue Unternehmenskrisen, aber auch eine intensivere Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden zu einer weiteren Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung führen könnten:
„Der Druck wird nicht nachlassen von der sogenannten Öffentlichkeit, dass man mehr über die Arbeit dieser Gremien und über die Einschätzung dieser Gremien in Zusammenhang mit dem Unternehmen erfährt. Ich glaube, das wird nicht nachlassen, sondern eher stärker werden. Da hilft auch alles Verstecken hinter irgendwelchen Gesetzen nicht. Vielleicht kommt auch die Politik noch dazu, das weiß ich nicht“ (Journalist_2).
Darüber hinaus werden Äußerungen außerhalb der Überwachungstätigkeit von den externen Experten, also dem Typ 5 der ereignisbezogenen ARV-Kommunikation (Abschnitt 7.1.2), neutral eingeschätzt. Dabei wird insgesamt positiv bewertet, wenn Wirtschaftsexperten sich in politische Debatten engagieren würden. Es müsse jedoch eine inhaltliche Trennung von der Aufsichtsratstätigkeit sichergestellt werden:
„Das halte ich grundsätzlich für positiv. Der Mensch besteht nicht nur aus dem Job, den er als Aufsichtsratsvorsitzender hat, sondern vielleicht hat er ja noch viele andere Engagements, manchmal sogar auch Mandate in Stiftungen, in gemeinnützigen Organisationen. Es sind in der Regel Persönlichkeiten, die nicht nur in dieser einen Funktion, sondern auch im öffentlichen Leben stehen. Von daher halte ich es nicht nur für zulässig und legitim, sondern durchaus auch für wünschenswert, dass sie sich zu bestimmten, auch gerne gesellschaftlichen, kulturellen anderen Themen äußern“ (Journalist_1).
Insgesamt zeigen diese Erkenntnisse, dass die Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden im Fluss sind und weitere Veränderungen erwartet werden können. Diese Einschätzungen zu den zukünftigen Entwicklungen sind für die Analyse der Strukturen und des Managements der ARV-Kommunikation relevant, da sie ggf. ein neues Skript konstituieren können (siehe Abbildung 7.7).
Für das Kommunikationsmanagement ist dies relevant, um frühzeitig Veränderungen in den Erwartungen antizipieren zu können. Nur so können Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden geplant werden, um auf die Erwartungen der Anspruchsgruppen reagieren zu können.
Gleichzeitig können die vorgestellten Aspekte auch einen Einfluss auf die Strukturen der ARV-Kommunikation nehmen. So kann bspw. ARUG II zu einer Norm werden, wenn die Vergütungssysteme der Unternehmen vom Aufsichtsratsvorsitzenden erläutert werden müssen, da dies das Handeln, also die Zustimmung oder Ablehnung, der Aktionäre beeinflussen kann. Die Zunahme von passiven und aktivistischen Investoren sowie eine höhere Aufmerksamkeit für das Aufsichtsratsgremium aufgrund von Unternehmenskrisen können wiederum einen Einfluss auf die Interpretationsmuster der ARV-Kommunikation haben. Dahinter steht vor allem die Erwartung an eine transparente Kommunikation hinsichtlich der Aufgaben des Aufsichtsratsgremiums, was im Rahmen des theoretischen Teils als ein zentrales Ziel einer strategisch geplanten ARV-Kommunikation abgeleitet wurde (Abschnitt 5.2). Wenn den unternehmensinternen Akteuren diese Erwartungen bewusst sind, dann können sie ihr Handeln bzw. die Kommunikation entsprechend modifizieren.
Nachdem die Gründe für eine veränderte Erwartungshaltung an die ARV-Kommunikation im Rückblick sowie als Ausblick vorgestellt wurden, soll im folgenden Kapitel die Anforderungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden zusammenfassend dargestellt werden.
7.3 Zwischenfazit: Anforderungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden
Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden wird im Rahmen dieser Arbeit aus zwei Perspektiven betrachtet. Aus externer Perspektive werden die Anforderungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden analysiert und aus interner Perspektive werden die Strukturen der ARV-Kommunikation innerhalb der Unternehmen konzeptualisiert, die Maßnahmen beschrieben und auf dieser Basis die Kommunikation innerhalb des Kommunikationsmanagements verortet. Nach Giddens (1997, S. 342) wird zwischen zwei sich ergänzenden und wechselseitig in Bezug stehenden methodischen Vorgehensweisen unterschieden, um eine soziale Praxis untersuchen zu können: die institutionelle Analyse und die strategische Analyse. Die Untersuchung der Anforderungen aus externer Perspektive stellt hier die institutionelle Analyse dar. Dabei ist es das Ziel, die strukturellen Momente sichtbar zu machen, auf die die handelnden Akteure weitgehend unbewusst zurückgreifen. In dieser Arbeit wurden zwei methodische Schritte bei der institutionellen Analyse durchgeführt. In diesem Zwischenfazit werden die Erkenntnisse daraus rekapituliert und zusammengefasst.
Rezeption der öffentlichen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden
Als erstes wurde untersucht, wie zwischen 2016 und 2017 in deutschen Tages- und Wirtschaftsmedien und Analystenreports über Aufsichtsratsvorsitzende berichtet wurde. Ziel dieses Analyseschrittes war es zu zeigen, wie die öffentlichen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden von den wichtigen Vermittlern in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit und Kapitalmarktöffentlichkeit rezipiert wurden. Auf Basis einer Inhaltsanalyse hinsichtlich der Art der Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden sowie der Anlässe und Themen der Berichterstattung konnten die Diskurse in den beiden Öffentlichkeitsarenen aufgezeigt werden (siehe ausführlich Abschnitt 6.2.1). Somit kann dargestellt werden, welche Bedeutung verschiedene Corporate-Governance-Themen für die Intermediäre haben, da diese Themen im Aufgabenbereich des Aufsichtsratsgremiums liegen – und daraus folgt die Relevanz für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden.
Die zentralen Ergebnisse aus diesem Analyseschritt sind:
Die Berichterstattung in den Tages- und Wirtschaftsmedien thematisiert die operativen und strategischen Entwicklungen von Unternehmen, dazu gehören auch Themen, die in den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats fallen. Die Rezeption von Corporate-Governance-Themen ist jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt: So sind etwa Besetzung von Vorstand und Aufsichtsrat (45,1 %) oder die Vergütung der Gremien (9,8 %) deutlich häufiger ein Thema als etwa die Abschlussprüfung (0,4 %).
Ein Großteil der Medienberichterstattung (60,3 %) bezieht sich auf die Regelkommunikation des Aufsichtsrats sowie auf Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden als kollektiven Sprecher im Rahmen der Publizitätspflichten (42,3 %). Die Publizitätspflichten des Aufsichtsratsgremiums stellen demnach die wichtigsten Kommunikationsmaßnahmen dar, die von den Medien rezipiert werden.
Die ARV-Kommunikation ist aber mehr als nur Publizitätspflichten: so basiert die Medienberichterstattung auch auf freiwilligen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden (16,1 %), etwa bei Interviews, oder auf einer personalisierten Berichterstattung über Aufsichtsratsvorsitzende (20,7 %).
Darüber hinaus äußern sich Aufsichtsratsvorsitzende bisher nur in wenigen Fällen als individuelle Sprecher bzw. Privatpersonen zu Anlässen außerhalb des Unternehmenskontexts (2,2 %).
Aufsichtsratsspezifische Themen sowie freiwillige Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden werden bisher nur selten in Analystenreports aufgenommen. Dies könnte damit zusammenhängen, dass die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats nur bedingt einen Anlass bieten, einen Analystenreport zu verfassen oder die zugrunde liegenden Bewertungsmodelle anzupassen.
Anhand des Anlasses der ARV-Kommunikation (Regelkommunikation oder Sondersituationen) und der Art der Äußerung des Aufsichtsratsvorsitzenden (Publizitätspflichten oder freiwillige Kommunikation) lassen sich fünf ereignisbezogene Typen der ARV-Kommunikation identifizieren.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Medien ein hohes Interesse an Corporate-Governance-Themen haben. Durch ihre Vermittlerrolle in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit sowie der Kapitalmarktöffentlichkeit können sich aufsichtsratsrelevante Themen im medialen Diskurs durchsetzen, wodurch sich öffentliche Meinungen zu Themen, wie z. B. der Vorstandsvergütung, bilden können. Zudem sind sie Multiplikatoren zu anderen Kapitalmarktakteuren, da Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden in Medien in einzelnen Fällen in Analystenreports aufgenommen wurden. Insgesamt werden die öffentlichen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden in Analystenreports jedoch selten rezipiert.
Durch die identifizierte Relevanz von Corporate-Governance-Themen in den beiden Öffentlichkeitsarenen können Anforderungen an die ARV-Kommunikation entstehen. Insbesondere die Medien haben ein Informationsbedürfnis zu bestimmten Corporate-Governance-Themen, das über die Publizitätspflichten des Unternehmens hinaus, auch mit freiwilligen Kommunikationsmaßnahmen begegnet werden kann. So lassen sich in Sondersituationen des Unternehmens bereits häufiger freiwillige Kommunikationsmaßnahmen, wie Interviews, identifizieren (10,8 % der Medienberichte).
Die Erkenntnisse bieten erste Ansatzpunkte für das Kommunikationsmanagement die Berichterstattung in den Medien und Analystenreports über Aufsichtsratsvorsitzende zu strukturieren. Dies ist relevant, da in der Analysephase des Kommunikationsmanagements sowie prozessbegleitend die Berichte über das Unternehmen und seine Akteure erhoben und systematisch erfasst werden sollten.
Weiterhin sind die Erkenntnisse zur Rezeption der öffentlichen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden relevant für die Planung der ARV-Kommunikation. Publizitätspflichten haben eine wichtige Bedeutung und werden intensiv von den Medien rezipiert. Bei der Vorbereitung von Publizitätspflichten des Aufsichtsrats sollte den Kommunikationsfunktionen bewusst sein, dass sie z. B. durch Zitate von Aufsichtsratsvorsitzenden in Pressemitteilungen, auch dessen mediales Profil beeinflussen bzw. schärfen. Auch der Auftritt von Aufsichtsratsvorsitzenden auf der Hauptversammlung wird von den Medien intensiv rezipiert (14,3 % der Medienberichte), sodass dieser gut vorbereitet werden sollte. Vor allem die Besetzung von Vorstand und Aufsichtsrat sowie die Vorstandsvergütung stellen relevante Themen in den Öffentlichkeitsarenen dar, sodass die Erwartungen und Meinungen der Anspruchsgruppen dazu im Rahmen der Situationsanalyse beobachtet werden sollten. Das Informationsbedürfnis der Medien, aber auch Analysten, steigt in Sondersituationen, sodass in diesem Fall über ergänzende freiwillige Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden nachgedacht werden könnte. Darüber bieten Äußerungen rund um Aufsichtsratssitzungen immer wieder Anlass für eine Berichterstattung (3,4 % der Medienberichte), was vor dem Hintergrund der Geheimhaltungspflicht der Aufsichtsräte vor allem für Aufsichtsratsvorsitzende ein wichtiges Thema darstellt.
Die Rezeption von aufsichtsratsrelevanten Themen lässt auch auf ein hohes Informationsbedürfnis, insbesondere der Medien, schließen. Um die Erwartungen an die ARV-Kommunikation besser verstehen zu können, wurden ergänzend zur Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung und Analystenreports daher Experteninterviews mit den Stakeholdern durchgeführt. Basierend auf den theoretischen Ausführungen zu Anspruchsgruppen konnten mithilfe der Medienanalyse konkrete Akteure innerhalb der Anspruchsgruppen identifiziert werden.
Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden
Bei den Experten aus externer Perspektive handelte es sich um Wirtschaftsjournalisten, die für die Leitmedien der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit und Kapitalmarktöffentlichkeit stehen. Für die gesellschaftspolitische Öffentlichkeit wurde zudem der Vorsitzende der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, die den Investorendialog in den Kodex aufgenommen hatte, als Experte befragt. Für die Kapitalmarktöffentlichkeit wurden Experten für verschiedene Perspektiven und Rollen ausgewählt: dazu gehören die Vertreter von institutionellen (deutschen und international ansässigen) Investoren als zentrale Anspruchsgruppe der ARV-Kommunikation. Stellvertretend für die Privatanleger wurden mit Vertretern der beiden großen deutschen Aktionärsschutzvereinigungen gesprochen. Schließlich wurden Vertreter der, zu dem Zeitpunkt zwei großen, Stimmrechtsberatern interviewt. Aufgrund der Ergebnisse der Inhaltsanalyse wurden Analysten aufgrund ihrer geringen Relevanz als Multiplikatoren für die ARV-Kommunikation nicht befragt (siehe ausführlich Abschnitt 6.2.1).
Mit diesen Akteuren wurden dann qualitative Experteninterviews durchgeführt, um deren Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden beschreiben zu können. Die Experteninterviews mit den Anspruchsgruppen vertiefen die Erkenntnisse der Inhaltsanalyse, da so z. B. die Informationsbedürfnisse konkret beschrieben werden können. Es handelt sich dabei um die Erwartungen, die von außen an die Unternehmen und die Aufsichtsratsvorsitzenden gestellt werden. Dies geschieht in dem Bewusstsein, dass Erwartungen nicht nur exogen, sondern auch von innen kommen können.
Die zentralen Ergebnisse aus diesem Analyseschritt sind:
Die befragten Experten können ihre Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden klar formulieren: Sie wünschen sich umfangreiche und aktuelle Informationen in Bezug auf die Arbeit und Entscheidungsfindung im Aufsichtsratsgremium.
Diese Transparenzanforderungen können bisher zwar zum großen Teil durch die Publizitätspflichten abgedeckt werden. Der jährliche Aufsichtsratsbericht als umfassende Informationsgrundlage fasst die Arbeit jedoch rückblickend zusammen, daher wünschen sich die Stakeholder zukünftig aktuellere, aber nicht weiter spezifizierte, Kommunikationsmaßnahmen.
Insgesamt liegen die Erwartungen der Stakeholder an die ARV-Kommunikation in normalen und Sondersituationen für das Unternehmen nicht weit auseinander.
Aus den Expertengesprächen zeigt sich vielmehr die Erwartung, dass die Unternehmensakteure die unterschiedlichen Interessenlagen und Perspektiven der Stakeholder kennen und entsprechend berücksichtigen. Insbesondere die befragten Investoren und Aktionärsschützer sehen den Dialog mit Aufsichtsratsvorsitzenden als legitime Anforderung an, da dieser der gewählte Vertreter ihrer Interessen sei. In den Gesprächen möchten sie sowohl ihre Positionen zu Corporate-Governance-Themen einbringen als auch einen persönlichen Eindruck der Personen erhalten, um Anlageentscheidungen gegenüber ihren Anlegern rechtfertigen zu können. Diese Erkenntnisse müssen insofern in Kontext gesetzt werden, da es sich bei den befragten Investoren um Personen handelt, die sich bereits medial zum Thema Investorendialog geäußert haben und dem Dialog daher ggf. interessierter gegenüberstehen als andere Anleger.
Die Erwartung der befragten Vertreter von Stimmrechtsberatungen liegt darin, faktische Fragen zu klären, wobei ihre Analysearbeit ausschließlich auf öffentlich verfügbaren Informationen beruht. Trotzdem erhoffen sie sich Hintergrundinformationen aus diesen Gesprächen ebenso wie ihre Corporate-Governance-Prinzipien mitteilen zu können.
Weiterhin sind Aufsichtsratsvorsitzende schon lange Quellen für die mediale Berichterstattung. Daher hoffen die befragten Journalisten aus einer freiwilligen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden Informationen, etwa in Interviews oder Hintergrundgesprächen, um Situationen besser einordnen zu können. Gleichzeitig erwarten sie, dass Aufsichtsratsvorsitzende die Spielregeln in Mediengesprächen kennen und verstehen, wie Journalisten handeln.
Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass sich die Erwartungen an die ARV-Kommunikation im Zeitverlauf verändert haben und das davon ausgegangen werden kann, dass sich die Erwartungen auch weiter dynamisch verändern (können). So könnte z. B. das ARUG II den Investorendialog intensivieren und zu einer neuen Norm der ARV-Kommunikation werden.
Mithilfe dieses Analyseschritts konnten die Erwartungen der Stakeholder differenziert dargestellt werden. Dies ist relevant, da die Erwartungen zu (unerkannten) Handlungsbedingungen für die Unternehmen werden können. Sie werden dann zu einer Anforderung für die ARV-Kommunikation, die einen Einfluss auf die Strukturen nimmt, wenn sie eine kritische Schwelle erreichen. Die Erwartungen müssen jedoch nicht zwingend zu einer Anforderung werden. Wenn z. B. einzelne Privataktionäre mit Aufsichtsratsvorsitzenden sprechen wollen, muss dies nicht zwingend von den Unternehmen auch durchgeführt werden, sodass es zu keiner Veränderung der Strukturen kommt.
Für das Kommunikationsmanagement sind die Erkenntnisse relevant, um bei der Ausgangsanalyse die Erwartungen und Interessenlagen der Stakeholder zu kennen und einordnen zu können. Nur wenn die Kommunikationsverantwortlichen sich bewusst sind, welche Erwartungen an die ARV-Kommunikation gestellt werden, können sie in den weiteren Prozessschritten die Kommunikation adäquat planen, umsetzen und evaluieren.
Anforderungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden
Mithilfe der beiden methodischen Schritte der institutionellen Analyse kann gezeigt werden, dass die Rezeption der öffentlichen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden und die Erwartungen der Stakeholder zu Anforderungen an die ARV-Kommunikation werden. Diese Anforderungen können als (unerkannte) Handlungsbedingungen einen Einfluss auf die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden nehmen.
Abbildung 7.8 zeigt die bereits erläuterten zentralen Erkenntnisse der Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung und Analystenreports sowie der qualitativen Experteninterviews mit den Anspruchsgruppen sowie die Anforderungen, die daraus für die ARV-Kommunikation entstehen.
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Beide Analyseschritte bestätigen, dass Corporate-Governance-Themen und damit die Tätigkeit des Aufsichtsrats in den Fokus des Kapitalmarkts sowie der breiteren Öffentlichkeit gerückt sind. Die intensive Rezeption der öffentlichen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden durch die Medien lässt auf ein hohes Informationsbedürfnis zu aufsichtsratsrelevanten Themen schließen. Diese Erkenntnis konnte mithilfe der Experteninterviews vertieft werden, die Transparenz als das wichtigste Element einer guten Corporate Governance sehen:
„Die drei wesentlichen Aspekte von guter Corporate Governance: Transparenz, klare Verantwortung und ein gutes Miteinander der einzelnen Organe“ (Aktionärsschützer_2).
„Ganz oben steht auf jeden Fall klar Transparenz. Hinzu kommt ein engagierter Umgang mit Investoren, also ein reger und aktiver Dialog mit den Investoren bzw. sogar mit den gesamten Stakeholdern der Gesellschaft. Und drittens, da wird es dann schon etwas detaillierter: Da würde ich so etwas anbringen wie ‚One Share, One Vote‘“ (Stimmrechtsberater_1).
Für das Kommunikationsmanagement ist dies relevant, da die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden die Transparenz fördern und Informationsasymmetrien abbauen kann. Daher werden umfangreiche und aktuelle Informationen zu Corporate-Governance-Themen zur zentralen Anforderung an die ARV-Kommunikation.
Daraus folgen unterschiedliche Anforderungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden. Zunächst kann festgehalten werden, dass die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats, die im Rahmen der Regelkommunikation des Unternehmens, umgesetzt werden, als zentrale Kommunikationsmaßnahmen einen Großteil der Informationsbedürfnisse der Stakeholder abdecken. Es ist daher wichtig für das Kommunikationsmanagement, diese Publizitätspflichten zu nutzen, um möglichst transparent und umfangreich über die Tätigkeit des Aufsichtsratsgremiums zu informieren. Wenn bspw. Zitate von Aufsichtsratsvorsitzenden in Pressemitteilungen aufgenommen werden, dann wird dadurch auch das (mediale) Profil des Akteurs beeinflusst bzw. geschärft.
Neben den Publizitätspflichten sind aber auch andere Kommunikationsmaßnahmen für die Anspruchsgruppen relevant. Insbesondere die Investoren und Aktionärsschützer beziehen sich dabei auf den Investorendialog nach dem DCGK, den sie als legitimen Anspruch ansehen. Dabei haben sie konkrete Anforderungen an die Ausgestaltung des Investorendialogs von Aufsichtsratsvorsitzenden (Abbildung 7.9).
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Da durch den Investorendialog unterjährig Informationen zur Aufsichtsratstätigkeit entstehen (können), fordern einige Experten eine entsprechende Mitteilung dazu über die Unternehmenskanäle (z. B. auf der Website des Unternehmens), haben jedoch keine genauen Vorstellungen, wie die Berichterstattung des Aufsichtsrats zukünftig angepasst werden sollte. Eine Information zum Investorendialog unabhängig vom Aufsichtsratsbericht könnte zukünftig ebenso zu einer neuen Anforderung für die ARV-Kommunikation werden, wie die Detailtiefe zum Dialog im Aufsichtsratsbericht.
Neben den Publizitätspflichten und dem Investorendialog haben aber auch die anderen Anspruchsgruppen situationsbezogen ein erhöhtes Informationsbedürfnis. Insbesondere in Sondersituationen fordern die Anspruchsgruppen eine aktivere Kommunikation über einen begrenzten Zeitraum. In Bezug auf die Medien könnte dies anhand von freiwilligen Interviews bzw. Hintergrundgesprächen geschehen. Dabei haben sie konkrete Anforderungen an den Austausch mit Aufsichtsratsvorsitzenden (Abbildung 7.10). Aber auch die Stimmrechtsberater wünschen sich einen punktuellen Dialog, obwohl ihre Analysen eigentlich nur auf öffentlichen Informationen beruhen.
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Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Erkenntnisse der beiden methodischen Schritte der institutionellen Analyse dabei helfen die Anforderungen an die ARV-Kommunikation aufzuschlüsseln. Das Wissen um die Anforderungen der verschiedenen Anspruchsgruppen hilft dabei, eine Basis für die Situationsanalyse im Kommunikationsmanagement zu legen. Schließlich kann davon ausgegangen werden, dass diese Anforderungen für die Aufsichtsratsvorsitzenden und Kommunikationsverantwortlichen bisher weitgehend unbewusst waren.
Anhand der Analyse der Medienberichte und Analystenreports wird deutlich, dass Corporate-Governance-Themen relevant für die beiden Öffentlichkeitsarenen sind und daher auch in der Analysephase des Kommunikationsmanagement mit einbezogen werden sollten. So kann frühzeitig erkannt werden, wenn sich bspw. öffentliche Meinungen zu einem aufsichtsratsrelevanten Thema, wie der Vorstandsvergütung bilden, die für das Unternehmen relevant sein können. Die Erkenntnisse können damit einen Ausgangspunkt für die Analyse der Erwartungen der Stakeholder des jeweiligen Unternehmens bieten.
Schließlich ist es für die Planung der ARV-Kommunikation wichtig zu verstehen, welche Anforderungen an die Kommunikation gestellt werden, um diese bei einer Entscheidung für oder gegen eine freiwillige Kommunikation über die Publizitätspflichten hinaus einbeziehen zu können. So zeigen die Äußerungen der externen Experten, dass Transparenz eine der zentralen Anforderungen an die ARV-Kommunikation ist – und gleichzeitig, neben der Beziehungspflege, auch das zentrale Ziel sein sollte (Abschnitt 5.2).
Für die Organisation im Rahmen des Kommunikationsmanagements ist es zudem relevant, die Erwartungen an die Kommunikationsfunktionen zu kennen, wie etwa eine koordinative Funktion der IR-Abteilung beim Investorendialog, um entsprechende personelle Ressourcen für die ARV-Kommunikation einzuplanen und bereitzustellen. Für die Umsetzung der ARV-Kommunikation ist es zudem hilfreich, die konkreten Anforderungen der Anspruchsgruppen z. B. an den Investorendialog zu kennen (siehe Abbildung 7.9). Wenn im Rahmen der Planung entsprechende Ziele für die ARV-Kommunikation festgelegt wurden, dann können diese auch entsprechend evaluiert werden.
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