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01-04-2021 | Energie + Nachhaltigkeit | Interview | Article

„Smart-Meter-Rollout auf einem Niveau mit Bulgarien und Griechenland“

Author: Frank Urbansky

4:30 min reading time

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Der Smart-Meter-Rollout wurde jüngst vom OVG Münster gestoppt. Die Gateways genügten nicht den vom Gesetzgeber geforderten Parametern. Das bremst die Digitalisierung hierzulande.

Der Smart-Meter-Rollout wurde erst jüngst vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster gestoppt. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hatte die Zertifizierung der Geräte so weit erschwert, dass diese letztlich nicht mehr die vom Gesetzgeber geforderten Parameter erfüllen konnten. Damit kommt der Prozess, der schon 2020 mit drei Jahren Verzögerung startete, wieder ins Stocken. Doch es gibt Alternativen zum Smart-Meter-Rollout, der, so wie bisher angedacht, kaum zu einem Digitalisierungsschub und dadurch zu mehr Energieeffizienz führen wird.

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Ein Interview mit Marion Nöldgen, Deutschland-Chefin des schwedischen Unternehmens Tibber, das smarte Stromverträge schon heute anbietet – eben das, was mit dem Smart-Meter-Rollout erst geschaffen werden sollte.

Springer Professional: Frau Nöldgen, was läuft denn grundlegend falsch beim smarten Messen in Deutschland?

Marion Nöldgen: Grundsätzlich sind das die Kommunikation und die fehlenden Richtlinien. Dass wir bei Tibber uns überhaupt so intensiv mit dem Thema beschäftigen, liegt daran, dass wir eine so große Nachfrage auf Kundenseite sehen. Wir sind ja weder Netz- noch Messstellenbetreiber, also wäre das Thema Smart-Meter-Rollout eigentlich bei uns nicht unbedingt auf der Agenda. Wir sehen aber schon heute eine hohe Nachfrage nach flexiblen Stromverträgen – auch bei Haushalten mit geringerem Verbrauch als 6.000 kWh im Jahr, die ja vom Smart-Meter-Rollout noch gar nicht erfasst werden. Dieser Trend wird derzeit befeuert durch eine wachsende Anzahl an Wärmepumpen und privat geladenen Elektroautos. Damit diese ihr volles Potential – nicht zuletzt finanziell – ausschöpfen können, braucht es Verträge mit flexiblen Strompreisen. Hier gibt es kaum Angebote. Es reicht nun mal mittelfristig nicht mehr, wenn man bei einem Vertragswechsel einen Toaster und 100 Euro bekommt.

Würden die Smart Meter hier nützen?

Ja klar, denn erst durch Smart Meter werden flexible Verträge möglich. Doch wo bekommt ein Verbraucher den her und wie muss er installiert werden? Der ganze Rollout ist zu sehr regulatorisch und aus Industrie- statt Verbrauchersicht gedacht und damit nicht praktikabel.

Was würde aus Ihrer Sicht helfen?

Wenn man das ganze Thema bedarfsgerechter denken würde. Wir sollten den Leuten, die Interesse haben, auch die Möglichkeit geben, selbst aktiv zu werden. Dann bekäme das eine ganz andere Dynamik. Helfen würden klare Vorgaben für Haushalte mit niedrigerem Verbrauch. Die Anforderungen für die zertifizierten Gateways sind sehr hoch und die Produkte daher sehr teuer. Hier würde sich sicher noch mal ein Blick zu europäischen Nachbarn lohnen, die das schneller und günstiger geschafft haben. Dann könnte man Smart Meter schneller für alle privaten Haushalte ausrollen. Es braucht ein bisschen mehr Mut, um die Infrastruktur zügig zu installieren und damit die Grundlage für digitale Geschäftsmodelle zu schaffen.

Wäre das nicht heute und ohne Smart-Meter-Rollout schon möglich?

Digitale Geschäftsmodelle werden mittelfristig nur in einer vernetzen Infrastruktur möglich sein. Next Kraftwerke und Sonnen haben schon solche Projekte realisiert. Aber die sind alle eher auf der gewerblichen Seite unterwegs. Wenn man es etwas drastischer formulieren will: Private Haushalte bezahlen die EEG-Umlage, damit Industriekunden in Echtzeit von Negativpreisen an den Strombörsen profitieren können. Wir wollen privaten Haushalten diese Vorteile ebenfalls ermöglichen. Doch es fehlt die entsprechende Infrastruktur für private Haushalte. Der Smart-Meter-Rollout, so wie er jetzt geplant ist, wird dies in den nächsten Jahren auch nicht erreichen.

Wer macht das denn im privaten Bereich besser?

Fast alle europäischen Länder. In Skandinavien, wo Tibber gegründet wurde, ist der Rollout schon zu 100 Prozent erledigt. Da gab es aber auch keine Abstufungen nach den Verbrauchsmengen. Da wurde geplant und auf alle Haushalte ausgerollt. Deutschland ist bei der Rollout-Thematik derzeit auf einem ähnlichen Stand wie Bulgarien und Griechenland. Statt vorwärts zu denken, wird nach wie vor versucht, neuen Herausforderungen mit neuen Regulierungen zu begegnen. Aktuell wird ja diskutiert, dass die Ladevorgänge bei Elektroautos etwa dann ferngesteuert abgestellt werden können, wenn die Netzstabilität bedroht ist. Das erzeugt nur Frustration und Ablehnung. Dabei wäre das überhaupt nicht nötig – es gibt heute schon Anbieter wie Tibber, die das auch automatisiert und günstiger für den Kunden lösen können. Das zeigen eben auch die Erfahrungen aus Skandinavien.

Wie sehen denn dort die flexiblen Tarife aus?

Unser Tibber-Tarif sieht folgendermaßen aus: Ein stündlich ermittelter Strompreis wird ein zu eins an die Stromkunden weitergegeben. Das führt zu sehr günstigen Preisen etwa nachts, wenn der Wind weht, aber kaum Verbrauch da ist. Wer dann Strom verbraucht, dient damit auch der Netzstabilität. Es ist außerdem möglich, die Strompreise für die nächsten 12 bis 20 Stunden abzuschätzen. Damit kann man Ladeboxen jeweils dann ansteuern, wenn es günstig ist und der Netzstabilität dient. Das würde in Deutschland auch gehen, wenn wir flächendeckend Smart Meter hätten.

Ohne Smart Meter können wir nicht stundengenau abrechnen, sondern müssen anhand der Leipziger Energiebörse EEX einen monatlichen Durchschnittspreis ermitteln. So fehlt der Anreiz für Kunden, große Verbräuche flexibel in günstige Stunden zu verschieben.

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