Springer-Autorin Alexandra Hildbrandt geht in ihrem Buch mit einem biographischen Ansatz dem Begriff 'Visionär' auf den Grund. Ein Gespräch über Macher und Unternehmer, die ihre Ärmel hochkrempeln und anpacken.
Springer Professional: Was war Ihr Antrieb, die Biographien einzelner in das Zentrum eines Buches mit dem Titel "Visionäre von heute - Gestalter von morgen" als Klammer zu stellen?
Alexandra Hildebrandt: In vielen Gesprächen verwies der Unternehmer Werner Neumüller, mit dem ich dieses Buch herausgegeben habe, immer auf das Wort "Schaffe!", das Reinold Würth, der das Schrauben-Handelsunternehmen Würth zum internationalen Marktführer in der Befestigungs- und Montagetechnik machte, geprägt hat. Darunter versteht er Arbeit, Ideenreichtum und Tatendrang. "Schaffet" bedeutet aber auch schon in der Bibel: Ärmel hochkrempeln und anpacken, sich verändern, Verantwortung übernehmen und tun, was in den eigenen Möglichkeiten liegt.
Wer kommt in dem Buch zu Wort?
Es war uns wichtig, in diesem Buch die richtige Balance zu finden, um die Breite an Tätigkeitsfeldern und Altersgruppen abzubilden. Auch standen wir immer vor der Frage, welche gesellschaftlichen Einflüsse und Trends wir kommentierend aufnehmen sollten. Zudem brauchte es eine Ausgewogenheit beim Autorenmix. Es sind viele Beiträge von Prominenten enthalten, doch war es uns genauso wichtig, Menschen zu präsentieren, die weniger bekannt sind. Die Generation Y ist hier genauso wichtig wie die Kriegsgeneration. Erst auf diese Weise entstand ein Radar, der gesellschaftliche Fragen beantwortet und die Richtung für die Zukunft vorgibt.
"Nicht lange reden, machen!", "Ans Werk gehen", "Beruf als Berufung", "sein Handwerk beherrschen", "Meister seines Faches sein": Diese Wendungen gebrauchen Sie in Ihrem Kapitel "Meisterjahre" des Buches. Sind das die Attribute, die für Sie den Visionär charakterisieren?
Durchaus. Arrogante Intellektualität ist den Visionären, wie sie im Buch beschrieben werden, fremd. Vor dem Wort kommt für sie immer die Tat. Dabei werden sie geleitet von Neugier, Entschlossenheit und Zielstrebigkeit, aber auch von einer positiven Grundeinstellung. Sie zeichnen sich zudem durch einen ausgeprägten Möglichkeitssinn mit einem unbegrenzten Raum alternativer Denk- und Handlungsweisen aus. Klug und pragmatisch gestalten sie die Welt.
Unternehmer, Manager, Investoren, Ingenieure, Sportler, Geisteswissenschaftler und Künstler kommen in dem Buch mit ihren Lebenserzählungen zu Wort. Welche Gemeinsamkeiten haben sich gezeigt?
Es sind vor allem Menschen, die in Beziehungen denken, fühlen und handeln - auch über ihr Fachgebiet hinaus. Sie haben erkannt, dass wir es uns nicht leisten können, nur zurückzublicken oder uns nur gedanklich eine bessere Welt auszumalen. Neben ihrer Neigung zu handeln, sind sie auch bereit, zu geben und zu teilen. Sie zeigen, dass niemand einfach gut im Tun ist, sondern es erst wird. Anhand ihrer eigenen Lebensgeschichte erläutern sie, was sie zum Handeln bringt, und wo sie ihre moralischen Grundlagen dafür finden, wie sie Komplexität meistern und mit ihren Unternehmungen Relevanz stiften, als Mentoren Talente fördern und befähigen, ihre Potenziale voll auszuschöpfen.
Was zeichnet sie noch aus?
Sie sehen die Erscheinung der Dinge in ihren Zusammenhängen und wirken dadurch, ohne dass es ihnen unmittelbar bewusst ist, im Geiste des deutschen Universalgelehrten Alexander von Humboldts, dem bekanntesten Vorreiter des modernen vernetzten Denkens. In ihm sammelte sich alles, was später auseinander fiel: die Disziplinen Mineralogie, Botanik, Zoologie, Geschichte und die Genres Statistik, Erdvermessung, Landesaufnahme und Landschaftsbeschreibung. Humboldt war Wissenschaftler und Unternehmer in einer Person. Heute wäre er ein Entrepreneur, der nicht den üblichen Karrierepfad beschritten und keine Risiken gescheut hätte. "Vorzeige-Deutscher" und "Mutmacher-Deutsche" nannte ihn einst "Der Spiegel", denn er verkörperte eine Haltung wie sie auch Visionäre von heute haben.
Wie hängen Visionen und Unternehmertum zusammen?
Jede Veränderung beginnt mit einer klaren Vision, einem Durchblick zu einem möglichen Sinn und einer Entscheidung zu handeln. Rückschläge ändern nichts an der Vision großartiger Unternehmer, die auch nicht an ihrer Kompetenz zweifeln. Was Tesla beispielsweise der Konkurrenz voraus hatte, war die Bereitschaft, eine Vision ohne Kompromisse zu verfolgen. Visionäre wie Elon Musk zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht wie jeder andere arbeiten und den Menschen, die für sie arbeiten, das Gefühl von Sinn, Vertrauen und einer Vision vermittelt.
Viele Führungspersönlichkeiten glauben, sie müssten selbst eine große Vision haben, die von ihren Leuten nur noch umgesetzt wird. Wie sehen Sie das? Funktioniert das in der digitalen VUCA-Welt?
Visionen wie die von Elon Musk brauchen Wirklichkeitssinn, sie sollten durchdacht und machbar sein. Aber sie brauchen auch Möglichkeitssinn. In der berühmt gewordenen Rede von Martin Luther King für die Gleichstellung von Schwarzen und Weißen in den USA heißt es: "I have a dream" und nicht: "I have a plan". Hätte er 1963 nur von Wirklichkeit gesprochen, blieben Denken und Handlungsmöglichkeiten beschränkt. Wer übergeordnet denkt und das Big Picture in sich trägt, hat mehr Luft zur Verfügung, mit denen sich Schlösser bauen lassen. Das bedeutet, ein Bild von der eigenen Zukunft zu haben, aber sich auch akribisch darauf vorzubereiten und über einen langen Zeitraum an der Realisierung zu arbeiten.