Dieser Artikel untersucht den Stand der immobilienwirtschaftlichen Forschung zu menschlichen Entscheidungen und Entscheidungsunterstützungssystemen (EUS). Er baut auf einer systematischen Literaturrecherche auf, die die Entwicklung der Forschung, untersuchte immobilienwirtschaftliche Felder, angewendete Methoden, Verbindungen zu anderen Disziplinen sowie favorisierte Zeitschriften identifiziert. Es werden Problemstrukturen aufgezeigt, die auf drei Bereiche verdichtet werden können: (1) Die primäre Forschungsleistung fließt in die Bereiche Investitionen und Bewertung. Andere immobilienwirtschaftliche Disziplinen sind bisher unterrepräsentiert. (2) Ein Wissenstransfer zwischen der verhaltensorientierten Immobilienforschung und der Informatik ist kaum zu beobachten. Insgesamt scheint die Forschung über immobilienwirtschaftliche Entscheidungsunterstützungssysteme noch am Anfang zu stehen. (3) Der in der Immobilienwirtschaft vorherrschende Risikobegriff ist unzureichend und muss um eine psychologische Dimension erweitert werden, um sein Potential für immobilienwirtschaftliche EUS-Anwendungen entfalten zu können.
1 Einleitung
Entscheidungen und ihre Konsequenzen sind seit jeher Gegenstand der Wirtschaftswissenschaften. Doch erst mit der Öffnung für die Verhaltenswissenschaften und andere Disziplinen sind Entscheidungen in den Mittelpunkt der Ökonomie gerückt. Durch die Abkehr vom Homo oeconomicus und die Einbeziehung von Erkenntnissen aus Psychologie, Soziologie, Neurologie und anderen Disziplinen kann die Ökonomie besser erklären, wie sich Menschen verhalten und besser gestalten, wie sich Menschen verhalten sollten. Dies ist zumindest der Anspruch der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre, die im deutschen Sprachraum auf Heinen (1969) zurückgeht und insbesondere in der Managementlehre bis heute eine hohe Bedeutung hat. In der Immobilien-BWL ist dieser Ansatz anscheinend nicht sehr verbreitet, wie als Beiprodukt dieser Arbeit herauskam. Es gibt zwar immer wieder Autoren, die sich auf ihn berufen, doch nur wenige beschäftigen sich explizit mit Entscheidungen. Über die Gründe können wir an dieser Stelle nur Vermutungen anstellen: Möglicherweise ist die Dominanz derjenigen zu groß, die die Betriebswirtschaftslehre als exakte Wissenschaft ansehen und dies als Widerspruch zu einer psychologischen Perspektive betrachten; eventuell sind andere Themen in den Augen der meisten Forscher dringender und interessanter; oder vielleicht sind die Barrieren zu hoch, um sich interdisziplinär mit der menschlichen Entscheidungsfindung zu befassen. Jedenfalls ist es das Ziel dieses Artikels, den bisherigen Wissensstand über Entscheidungen, Entscheidungsfindung und Entscheidungsunterstützung im Zusammenhang mit Immobilien zusammenzutragen.
Im Folgenden definieren wir die Entscheidungsfindung (synonym: das Entscheiden) als den Entscheidungsprozess, der die Problemidentifikation, die Auswahl der Kriterien, die Erarbeitung der Lösungsalternativen, die Identifizierung der besten Alternative anhand der spezifizierten Kriterien, die Planung der Umsetzung sowie die Überprüfung des Ergebnisses umfasst (siehe z. B. Guo 2008). Die Entscheidung wird hierbei als die endgültig umgesetzte Alternative verstanden, wobei zwei Problemfelder vorhanden sind:
1.
dass die umgesetzte Alternative von der eigentlich beabsichtigten Alternative abweicht oder
2.
dass eine Alternative ausgewählt wird, die ungeeignet für das angestrebte bzw. erwartete Ergebnis ist.
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Ersteres ist von untergeordneter Bedeutung, da im Gesamtprozess die umgesetzte Entscheidung und das dadurch erzielte Ergebnis relevant sind. Letzteres ist wichtiger, da das Wissen über die Gründe (z. B. sog. Cognitive Biases) und eventuelle Interventionsstrategien (sog. Debiasing) zur Verbesserung der Entscheidungsergebnisse beitragen können. Zur Unterstützung der menschlichen Entscheidungsfindung tragen viele Maßnahmen bei – von einfachen Ablaufdiagrammen bis zu komplexen Prozessmodellen, von Checklisten bis zu Instrumenten mit künstlicher Intelligenz. Power et al. (2011) definieren die hierfür entwickelten Systeme,
[…] [as a] a class of computerized information systems that support decision-making activities […] which enhance users’ effectiveness in making complex decisions […].
Diese Definition umfasst den gesamten Entscheidungsprozess und erweitert die Problemstellung um den Begriff der Effektivität. Im Folgenden wird darunter verstanden, dass das erzielte Ergebnis durch die Entscheidung mit EUS im Durchschnitt zumindest gleich oder oberhalb der Entscheidungsergebnisse von Personen ohne EUS liegen sollte. Hierbei wird vorausgesetzt, dass die Entscheidungsergebnisse in eine entsprechende Über- und Unterordnung gebracht werden können, was im weiteren Verlauf auch als „User Effectiveness“ oder Entscheidungsperformance bezeichnet wird.
Das hierdurch umrissene Forschungsgebiet kann auf drei einflussreiche Artikel amerikanischer Wissenschaftler zurückgeführt werden: Ende der 1980er Jahre stießen Gregory B. Northcraft und Margaret A. Neale grundsätzliche Überlegungen zum immobilienwirtschaftlichen Entscheiden an, begann Julian Diaz III. eine Forschungsserie dazu, wie Entscheidungen bei Immobilienbewertungen getroffen werden und veröffentlichte Robert R. Trippi einen Überblick über computergestützte Systeme zur Unterstützung von Immobilienentscheidungen (Northcraft und Neale 1987; Trippi 1989; Diaz III. 1990). Daher wird eine Bestandsaufnahme der einschlägigen Literatur ab 1986 unternommen, die das bisher Erreichte zusammenfasst und auf bestehende Forschungslücken hinweist.
Die Untersuchung baut auf einer vereinfachten Variante1 einer systematischen Literaturrecherche auf. Das nächste Kapitel beschreibt die Suchstrategie, die Datenerhebung sowie die Stichprobe. Das dritte Kapitel enthält eine Einführung in die allgemeine verhaltensorientierte Betriebs- und Finanzwirtschaftslehre, die zur neoklassischen Lehre abgegrenzt wird. Das vierte Kapitel vergleicht die Entwicklung der immobilienwirtschaftlichen und der allgemeinen betriebswirtschaftlichen Forschung. Das fünfte Kapitel gibt einen Überblick über die Forschung zu EUS. Abschließend werden die Ergebnisse der systematischen Literaturrecherche rekapituliert und Forschungslücken besprochen.
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2 Erläuterungen zur Methodik
Die vorliegende Literaturrecherche orientiert sich an der Methodik von Arnott und Pervan (2005) zur kritischen Analyse der EUS-Forschung. Hierbei handelt es sich um eine vereinfachte systematische Literaturanalyse relevanter Artikel in internationalen wissenschaftlichen Zeitschriften. Die Untersuchung folgt den Prinzipien systematischer Literaturanalysen, ohne den Anspruch einer Meta-Analyse zu erheben. Die erhobene Stichprobe wird in die Teile „Real Estate Decision-Making“ und „Real Estate DSS“ geordnet. Diese beiden resultierenden Spezialfelder werden dann mit den jeweils übergeordneten Forschungsfeldern „Cognitive Psychology & Debiasing“ bzw. „DSS & Debiasing“ verglichen. Der Vergleich soll eine Einschätzung zum Entwicklungsstand des jeweiligen Spezialgebiets liefern und eventuelle Forschungslücken und weitere Auffälligkeiten aufdecken. Des Weiteren wird der Wissenstransfer zwischen den jeweiligen vorgenannten Bereichen betrachtet. Die Abb. 1 fasst den schematischen Aufbau zusammen.
Abb. 1
Schematischer Aufbau zu den erwarteten Transmissionskanälen der Forschungsgebiete
×
2.1 Recherche
Die Recherche erfolgte in einem dreistufigen Prozess. In der ersten Stufe wurde eine allgemeine Literaturrecherche2 zu den Themenfeldern „EUS“ und „Behavioral Economics“ durchgeführt, um die Ergebnisse der Stichprobe in den allgemeinen Kontext der verhaltensorientierten Forschung und der Forschung zu Entscheidungsunterstützungssystemen einordnen zu können. In der zweiten Stufe schloss sich eine systematische Recherche zur Erhebung einer Stichprobe an. Für diese Stichprobe wurden nur publizierte Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften einbezogen. Das Hauptkriterium war die Verfügbarkeit in englischer Sprache, da in dieser Form zweifellos der größte Teil der Forschungsergebnisse vorliegt. Zur Recherche wurden die internationalen Datenbanken Taylor & Francis, WileyOnline, ScienceDirect, EmeraldInsight, SpringerLink sowie GoogleScholar verwendet, die den Großteil der wissenschaftlichen Immobilien-Journale abdecken, d. h. solcher Zeitschriften, die eine Begutachtung durch Experten vorsehen, meistens im Doppelblindverfahren (Double-blind Peer Review). Die Artikel wurden mittels einer Kombination aus den Suchbegriffen Decision, Support, Expert, System, Real Estate, Process, Behavioral, Bias und Heuristics ermittelt. Danach wurde überprüft, ob die jeweils ermittelte Artikelüberschrift zum Themenbereich passt und ob der Artikel einer genaueren Prüfung unterzogen wird (Punkt „Artikel nach Titelanalyse“).3 In der dritten Stufe wurden zusätzlich auch die Literaturverzeichnisse der berücksichtigten Artikel nach weiteren relevanten Quellen durchsucht.4 Nach einer genaueren Prüfung des Artikels wurde entschieden, ob der Artikel in die Stichprobe aufgenommen oder von der Stichprobe ausgeschlossen wird. Maßgeblich hierfür sind der Immobilienbezug, die Entscheidungsfindung (im psychologischen Sinne) sowie Entscheidungsunterstützungssysteme. Bei der Suche mit den Begriffen „Decision Real Estate“ wurde z. B. ein Artikel mit dem Titel „Implications of valuation methods for the management of property assets“ bei der Titelanalyse in die Stichprobe aufgenommen. Dieser Artikel genügte jedoch nach detaillierter Prüfung nicht den angegebenen Stichprobenkriterien, da der psychologische Entscheidungsprozess nicht Teil des Artikels war. Des Weiteren schloss sich eine systematische Literaturrecherche zur deutschsprachigen Literatur an. Die Funde wurden jedoch nicht in die Stichprobe einbezogen, sondern nur an geeigneten Stellen im Text ergänzend erwähnt.
2.2 Stichprobe
Aus Kombinationen der vorgenannten Suchbegriffe wurden insgesamt 457 Artikel auf Basis der Artikeltitel vorselektiert. Nach Prüfung des Abstracts wurden insgesamt 354 Artikel aussortiert, die nicht zum Thema „Entscheiden, Entscheidungen und Entscheidungsunterstützung“ passen. Insgesamt wurden 133 relevante Artikel gefunden, wobei insgesamt 7 weitere Artikel durch die Suche innerhalb der jeweiligen Literaturverzeichnisse identifiziert wurden. Da für die Stichprobe nur englischsprachige doppelt blind begutachtete Artikel berücksichtigt werden, konnten insgesamt 15 Artikel innerhalb der 103 Artikel identifiziert werden, die diesen Kriterien nicht genügen. Die finale Stichprobe umfasst insgesamt 88 Artikel, von denen 48 Artikel zum Thema „Real Estate Decision-Making“ und 40 zum Thema „Real Estate DSS“ gehören. Die 88 Artikel verteilen sich auf insgesamt 18 Journale zu den unterschiedlichen Themenbereichen der Immobilienwirtschaft. Die Abb. 2 veranschaulicht den Selektionsprozess.
Abb. 2
PRISMA Diagramm zur resultierenden Stichprobe. Während der allgemeinen Recherche haben wir insgesamt 38 deutsche Artikel und Monographien identifiziert, wobei hiervon 4 Publikationen zitiert wurden. Die deutschen Artikel sind nicht in der Abbildung enthalten (REDM Real Estate Decision-Making, REDSS Real Estate Decision Support Systems)
×
2.3 Datenerhebung
In einem nachgelagerten Schritt wurden für die folgenden Merkmale Anzahl der Artikel, Anzahl der Forscher, Internationalität, und Praxisbeteiligung festgelegt. Für die spezielle Auswertung wurden die Merkmale Disziplin der Immobilienwirtschaft, Untersuchungsgegenstand, Methodik und Ergebnisse festgelegt. Abschließend wurden alle Merkmale für die ausgewählten Artikel erhoben und tabellarisch erfasst.
3 Einführung in die Forschung der verhaltensorientieren Ökonomie
Die Verhaltensökonomik entstand Anfang der 1970er-Jahre, als sich Verhaltenswissenschaftler zunehmend mit wirtschaftlichen Entscheidungen von Individuen und Organisationen beschäftigten. Insbesondere legten sie den Fokus auf die Abweichungen zwischen dem Homo oeconomicus und den menschlichen Verhaltensweisen in der Wirklichkeit. Diese Entwicklung ist insofern bemerkenswert, da es schon in der Neoklassik und anderen ökonomischen Denkrichtungen intensive Auseinandersetzungen mit dem menschlichen Verhalten gab und Marshall (1920) feststellte:
[…] [that] [e]conomics is a study of mankind in the ordinary business of life; […] Thus it is on the one side a study of wealth; and on the other, and more important side, a part of the study of man.
Dennoch zieht sich die Annahme des Homo oeconomicus durch die einflussreichen Theorien, die auf den objektiven Optima der Erwartungsnutzentheorie aufbauen. Nur entspricht die Annahme des vollständig rational handelnden Menschen kaum dem tatsächlichen Handeln. Simon (1955) stellte hierzu fest:
[that] the distance is so great between our present psychological knowledge of the learning and choice processes and […] economic and administrative theory […].
Beide Forschungsrichtungen brachten in den letzten Jahrzehnten gegensätzliche Forschungsergebnisse hervor, und es bleibt eine Diskussion, ob sich die von der Psychologie aufgedeckten (Verhaltens‑)Anomalien im Markt ausgleichen oder bestehen bleiben.
Nach der neoklassischen Entscheidungstheorie kann jede unsichere Entscheidung anhand einer Nutzen-Risiko-Relation bewertet werden, woraus eine dominante Variante aus einer endlichen Anzahl an Alternativen resultiert (von Neumann und Morgenstern 1947). Im Kontext der Portfoliotheorie ergibt sich die Entscheidung für eine Mischung von Anlagealternativen rechnerisch aus den Größen Rendite, Volatilität, Kovarianz und Nutzen (Markowitz 1952). Diese Modelle sind unbestritten ein Meilenstein in der ökonomischen Theorie, aber selbst nach Anpassungen nur eingeschränkt auf Immobilien anwendbar, u. a. weil die Datensituation fundamental anders ist als bei börsennotierten Wertpapieren (Viezer 2010). Ähnlich verhält es sich mit Modellen zur Messung von Immobilienrisiken: Auf der einen Seite müssen die Maßsysteme logisch widerspruchsfrei sein (Rockafellar et al. 2006; Artzner et al. 1999; Pedersen und Satchell 1998). Auf der anderen Seite müssen die Maße flexibel genug sein, um die empirischen Daten vernünftig abbilden zu können. Letzteres stellt immer noch ein großes Problem dar, weil viele von der neoklassischen Theorie vorgeschlagene quantitative Risikomaße Immobilienrisiken nicht richtig ausdrücken können. Die Auswahl aus einer endlichen Menge an Alternativen kann auch auf subjektivem Wege geschehen. Ein Verfahren für diese Aufgabe ist der Analytische Hierarchieprozess (AHP), der von Saaty (1987) entwickelt wurde. Dieser Ansatz baut auf einem normativen Entscheidungsprozess auf, der die Phasen Informationsgewinnung, Bewertung, Auswahl und Nachschau umfasst (Simon 1977). Das von Saaty entwickelte Sortierverfahren soll dafür sorgen, dass die Entscheidungsaxiome für widerspruchsfreie Entscheidungen erfüllt werden (Savage 1972). Insgesamt handelt es sich um ein subjektiv-qualitatives Verfahren, das – wie ähnliche Verfahren, die als Nutzwertanalyse oder Scoring bekannt sind – in der Wirtschaft großen Anklang gefunden hat (VÖB-Kommission für Bewertungsfragen 2006; Adair und Hutchison 2005). Dass Individuen von normativen Prozessen abweichen, ist nicht verwunderlich, wohl aber, dass sie davon abweichen, obwohl sie die Norm kennen und damit angeblich einen höheren Nutzen verbinden.
In vielen Fällen sind Individuen nicht bereit hohe kognitive Anstrengungen zu unternehmen und geben sich auch mit einer suboptimalen Lösung zufrieden. Simon (1955) erahnte diese Kluft zwischen menschlichen Entscheidungen und mathematischen Modellen:
[…] [A]ctual human rationality-striving can at best be an extremely crude and simplified approximation to the kind of global rationality that is implied, for example, by game-theoretical models. (Simon 1955, S. 101)
Jedoch ist dies keine Erklärung dafür, warum die Axiome für rationale Entscheidungen verletzt werden (Kahneman und Tversky 1979). Des Weiteren stellt sich die Frage, ob das normative Entscheidungsverhalten auch in einem „ineffizienten“ System wirklich zu besseren Ergebnissen führt. Der menschliche Entscheidungsprozess wird maßgeblich vom Individuum in Verbindung mit seinem sozialen Umfeld geprägt.5 Dies beeinflusst nicht nur die Entscheidung, sondern auch die Akzeptanz gegenüber Systemen, die bei Entscheidungen unterstützen sollen und worauf im weiteren Verlauf des Artikels noch eingegangen wird.
Ähnliches gilt auch für die Risiko-Rendite-Funktion6, denn der Risikobegriff ist gleich in mehrerlei Hinsicht problematisch. Die Diskussion über Auswirkungen von Spitzentechnologie (z. B. potentielle Risiken durch Hochspannungsmasten) zwischen Laien und Experten zeigt, dass ein quantitatives Risikomaß nur Teile des Risikos abbilden kann (z. B. Luhmann 1997). Dem Risikobegriff liegt eine soziale Dimension inne (Slovic 1999), die von Person zu Person (auch rational) sehr unterschiedlich wahrgenommen werden kann (Hornig 1993). Beispielsweise wird es als Unterschied empfunden, ob eine Person durch einen Dritten einem Risiko ausgesetzt wird oder sich die Person selbst diesem Risiko aussetzt. Die Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos verändert dies nicht, sondern es ändert sich lediglich die Selbstbestimmtheit des Betroffenen, eben die soziale Interaktion als eine zusätzliche Dimension des Risikos. Trotz quantitativer Risikomaße, die zu guten Entscheidungen führen können, werden Abweichungen von der „rational/mathematischen“ Norm festgestellt, die beispielsweise mittels eines Risiko-Rendite-Funktionales nicht zu erklären sind (de Bondt und Thaler 1985).
Dieses Phänomen war Gegenstand einer breit angelegten Forschungsagenda der Psychologen Tversky und Kahneman (1974). Sie untersuchten unter anderem die Entscheidungen von Experten, die mit Statistik vertraut sind. Sie zeigten, dass das Entscheidungsverhalten dieser Probanden trotz ihres Wissens systematisch vom rationalen Verhalten abweicht. Ihr Erklärungsansatz, der später von anderen Wissenschaftlern aufgenommen wurde, ist die Unterscheidung in zwei Systeme menschlicher Kognition. Zur Organisation dieser widersprüchlichen Ergebnisse wird oftmals die Unterscheidung zwischen Intuition und Denken angeführt. Die Arbeiten von Stanovich und West (2000) sowie Sloman (1996) unterscheiden in zwei Systeme menschlicher Kognition. System 1 ist für die schnelle Verarbeitung von Prozessen vorgesehen, die die Umwelt mittels Heuristiken abstrahiert. Diese Heuristiken sind in vielen Fällen gut, aber führen in einigen Fällen zu fehlerhaften Entscheidungen. Das System 2 wird mit einer langsamen Verarbeitung von Informationen in Verbindung gebracht, die die Aufmerksamkeit des Individuums fordert. Diese Art der Kognition ist flexibel und gewissenhaft, aber anstrengend. Wenn ein Individuum einen Reiz wahrnimmt, werden diese Informationen erst durch das System 1 verarbeitet und bei Bedarf an das System 2 weitergereicht (de Neys 2006).
Die bekanntesten Heuristiken sind die Verfügbarkeits- und Repräsentativitätsheuristik sowie die Anpassungs- und Ankerheuristik (Kahneman 2003). Die Verfügbarkeitsheuristik beschreibt die menschliche Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten anhand im Gedächtnis verfügbarer und vergleichbarer Situationen (Schwarz et al. 1991; Tversky und Kahneman 1973). Dies ist insofern problematisch, da die erinnerte Stichprobe nicht mit der Grundgesamtheit übereinstimmen muss und somit falsche Einschätzungen folgen können. Des Weiteren neigen Individuen auch dazu, die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen anhand von Stereotypen zu bewerten, die weder mit der Realität übereinstimmen müssen noch verlässlich sind (Gigerenzer und Hoffrage 1995; Tversky und Kahneman 1973). Die aufgeführten Heuristiken können ein oder mehrere Rationalitätsaxiome oder z. B. die Bayes-Statistik verletzen, die für ein rationales Entscheiden zwingend notwendig wären. Beispielsweise wird unterbewusst die Anker- und Anpassungsheuristik aktiviert, die als Referenzwert zur Beurteilung von Alternativen in einer Entscheidungssituation dient, aber das Transitivitätsaxiom verletzen kann (Brewer und Chapman 2002; Strack und Mussweiler 1997; Tversky und Kahneman 1974).7
Parallel zur Erforschung von Heuristiken und Biases wurden auch die Lernfähigkeiten von Individuen in Entscheidungssituationen untersucht. Gigerenzer und Kurzenhäuser (2005) gehen davon aus, dass Individuen in der Lage sind „smarte“ Heuristiken auszubilden, die ebenso präzise wie statistische Modelle sein können. Daher stellt sich die Frage, welche Informationen bzw. welches Feedback benötigt werden, um solche Heuristiken zu erlernen. Dieses sogenannte „Feedback-Learning“ wird in eine Querschnitts- und eine Zeitreihenanalyse unterteilt. Erstere umfasst multikriterielle Auswahlentscheidungen unter Unsicherheit (Multiple-Cue Probability Learning, MCPL) und letztere subjektive Schätzungen (Judgmental Forecasting) (Karelaia und Hogarth 2008; Lawrence et al. 2006; zur Übersicht). Die Probanden werden bei diesen Experimenten aufgefordert relevante Einflüsse zu identifizieren und zu gewichten, um ein Objekt oder eine zeitliche Entwicklung einzuschätzen. Diese Aufgabenstellung können Individuen gut erlernen, wenn gewisse Voraussetzungen vorhanden sind. Eine wesentliche Voraussetzung ist der Realitätsbezug der Aufgabe. Je näher die Aufgabe an der Realität des Individuums ist, desto höher ist die Aussagekraft der Testergebnisse (Brunswik 1955). Des Weiteren müssen genug Wiederholungen in Verbindung mit nützlichen Feedback-Informationen zur Verfügung stehen (Lagnado et al. 2006). Durch das Präsentieren von geeigneten Feedback-Informationen können die Probanden ihre Einschätzungen anpassen und bessere Schätzergebnisse abgeben, was schlussendlich zu einer erlernten Heuristik führen soll. Allerdings kommt es stark auf die Art der Feedback-Information an. Performance Feedback, also die Abweichungen von Einschätzung und eingetretenem Ergebnis, ist in diesem Zusammenhang weitaus ineffektiver als kognitives Feedback, das Auskunft über die Aufgabenstruktur gibt (Sengupta 1995; Balzer et al. 1994). Wenn unterschiedliche Faktoren für eine Einschätzung benötigt werden, können Individuen diese Faktoren auch entsprechend gewichten, selbst wenn die Zuverlässigkeit der Faktoren variiert (York et al. 1987). Allerdings sinkt die Performance von Probanden, wenn eine Problemstellung viele Faktoren zur Auswahl umfasst. Hier können statistisch kalibrierte Modelle die Leistung erhöhen (Grove et al. 2000; Dawes et al. 1989). Diese Herangehensweise liegt bereits nahe an einem computergestützten Entscheidungsunterstützungssystem und zeigt eine Möglichkeit zur Integration psychologischer Erkenntnisse.
In Ergänzung zu diesen Erkenntnissen stehen die Ergebnisse zu subjektiven Prognosen. Früher galten statistische Prognosen als bestmögliche Schätzung (siehe bspw. Meehl 1954, 1965). Mathews und Diamantopoulos (1986), Brown (1996, 1997) sowie Lawrence und O’Connor (1996) zeigen, dass die subjektive Anpassung von statistischen Prognosen bzw. die subjektive Einschätzung durch Experten besser sein kann. Unterschiede ergeben sich hauptsächlich durch die zu prognostizierende Zeitreihen und die Art der Informationen, nicht durch Unterschiede in den Individuen (Mathews und Diamantopoulos 1989). Des Weiteren führt eine nutzergerechte Aufbereitung der Informationen, wie bspw. Prognoseintervalle anstatt Punktschätzungen (Baginski et al. 1993; Pownall et al. 1993), zu besseren Entscheidungen (Johnson 1982). Jedoch reicht dies nicht aus, um Biases durch Heuristiken vollständig auszuschließen. Insbesondere der übersteigerte Optimismus (Overconfidence) ist in diesem Kontext zu nennen, da die Prognose von Intervallen die Entscheidungsperformance negativ beeinflussen kann (Bolger und Önkal-Atay 2004). Des Weiteren ist auch das Feedback-Learning eine wichtige Methode um Konsistenz, Anpassung und Genauigkeit der Schätzung zu befördern (Remus et al. 1996). Das Feedback-Learning trägt auch dazu bei, fehlerhafte Heuristiken und Biases auszugleichen, so dass die Prognoseperformance von Experten an die von statistischen Methoden heranreicht (Bolger und Önkal-Atay 2004; Goodwin et al. 2004). Jedoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch andere Biases im Praxisumfeld trotz Feedback-Learning auftreten (Lawrence et al. 2006).
Dabei ist die Untersuchung psychologischer Phänomene nicht der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre und der Psychologie vorbehalten. Die vielen Besonderheiten der Assetklasse Immobilien machen auch eine Erforschung des immobilienwirtschaftlichen Verhaltens erforderlich, das im nächsten Kapitel analysiert wird.
4 Ausrichtung der verhaltensorientierten Immobilienforschung
Unsere Recherche teilt sich in eine bibliographische, eine Entwicklungs- und eine methodische Analyse. Die bibliographische Analyse gibt einen Überblick darüber, wie sich die Stichprobe im Hinblick auf publizierende Journale, Größe der Forscherteams, sowie internationaler und praxisorientierter Beteiligung zusammensetzt. Die Entwicklungsanalyse resümiert die Ergebnisse und die Ausgewogenheit über die diversen immobilienwirtschaftlichen Disziplinen. Die methodische Untersuchung der Artikel soll Aufschluss über die eventuellen Forschungslücken geben.
4.1 Bibliographische Angaben
Für die systematische Literaturanalyse wurden 48 international publizierte Artikel identifiziert. Insgesamt 39 Artikel wurden in immobilienwirtschaftlichen Zeitschriften publiziert, was einem Anteil von ca. 0,7 % aller in den Journalen publizierten Artikeln entspricht (siehe Tab. 1). Vergleicht man diese Zahlen mit den Ergebnissen von Arnott und Pervan (2005) erscheint diese Zahl gering, obwohl dies vorsichtig interpretiert werden sollte. Die Mehrheit dieser Publikationen wurde von zwei oder mehr Autoren erstellt, die am häufigsten aus zwei Institutionen kommen. Der Anteil an internationalen Forschungsteams beträgt ca. 17 %, und die Beteiligung nichtakademischer Einrichtungen liegt bei 10 %. Dabei ist auch interessant zu sehen, dass ca. 81 % der Artikel aus der Immobilienwirtschaft und ca. 19 % der Fachbeiträge aus anderen Fachbereichen stammen. Dabei bildet sich kein einheitliches Medium heraus, sondern die Artikel sind verstreut über unterschiedliche Zeitschriften. Die Artikel von Diekmann et al. (1996) sowie Northcraft und Neale (1987) sind insofern interessant, da sie vermutlich als Katalysatoren für den Hauptteil der verhaltensorientierten Forschung innerhalb der Immobilienforschung dienten. Die restlichen Artikel scheinen zufällig oder durch eine breitere gesellschaftliche Thematik zustande gekommen zu sein (Bucchianeri und Minson 2013; Seiler et al. 2012, 2008; Genesove und Mayer 2001). Innerhalb der immobilienwirtschaftlichen Zeitschriften bildet sich das Journal of Property Investment and Finance als primäres Publikationsmedium für die verhaltensorientierte Forschung heraus, gefolgt vom Journal of Property Research. Die Diskussion findet somit nicht in den Journalen mit dem höchsten „Impact Factor“ wie Real Estate Economics, Real Estate Research oder Journal of Real Estate Finance and Economics statt (siehe Tab. 1 und auch Tab. 7 im Anhang A).
Tab. 1
Bibliographische Auswertung verhaltensorientierter Immobilienforschung von 1989–2016
Die Auszählung der Artikel erfolgt nach Verhaltensaspekten und immobilienwirtschaftlichen Themen. Wir haben die Themengebiete Projektentwicklung, Bewertung und Erwerb von Immobilien gewählt. Hinzu kommen eine allgemeine Kategorie und die Prognose von Immobilienmärkten als Sonderthema der Bereiche Bewertung und Investition, wobei Letztere auch Parallelen zum „Judgmental Forecasting“ in der verhaltensorientierten Ökonomie aufweist (siehe Abschn. 3). Die beliebtesten Themen sind der Erwerb und die Bewertung von Immobilien, die einen Anteil von ca. 80 % der gesamten identifizierten Literatur ausmachen (siehe Tab. 2).8 Ein Grund dafür ist vermutlich, dass Investitions- und Bewertungsentscheidungen ein numerisch fassbares, eindeutiges Ergebnis haben, was die Untersuchung des Verhaltens erleichtert.9 Jedoch sollte dies nicht dazu führen, dass eine Erforschung der weiteren in Tab. 2 aufgeführten Themengebiete vernachlässigt wird. Auch für den Untersuchungsgegenstand bilden sich klare Präferenzen unter den Forschungsteams heraus. Die meisten Untersuchungen liegen für den allgemeinen Entscheidungsprozess und die Ankerheuristik vor. Studien über das Lernen durch Erfahrung bzw. das Feedback-Learning werden in keinem Artikel behandelt. Lediglich Sah (2011) sowie Jackson und Orr (2011) präsentieren Ergebnisse über die Art der Informationsverarbeitung und deren Gewichtung durch Experten. Dies ist verwunderlich, da Cypher und Hansz (2003) deutliche Unterschiede bei der Informationsverarbeitung zwischen Laien und Experten feststellen. Lediglich Hansz und Diaz III. (2001) behandeln eine Form des Feedback-Prozesses. Jedoch ist diese Interpretation auf die soziale Interaktion anstatt auf das Lernen durch Erfahrung ausgerichtet. Die Überlegung folgt den Ergebnissen von Cho und Megbolugbe (1996), die die Überbewertung von Immobilien auf antrainiertes Sozialverhalten der Wertermittler zurückführen, um Diskussionen mit dem Auftraggeber über den Marktwert aus dem Weg zu gehen.
Tab. 2
Auswahl des Untersuchungsgegenstands in Abhängigkeit vom Themengebiet
Themengebiet →
Allgemein
Bewertung
Erwerb von Immobilien zur …
Prognose
Projektentwicklung
Gesamt
↓Untersuchungsgegenstand
Investition
Eigennutzung
Begrenzt-rationale Entsch
–
–
1
–
–
–
1
Charaktergetriebene Entsch
–
–
1
–
–
–
1
Entscheidungsmuster
–
1
–
–
–
–
1
Entscheidungskriterien
–
–
3
–
–
–
3
Entscheidungsprozess
–
2
9
–
1
2
14
Gruppenentscheidungen
–
–
–
–
1
–
1
Zwischensumme
0
3
14
0
2
2
21
Allgemein
1
2
–
–
–
–
3
Anchoring bias
–
6
4
2
–
–
12
Confirmation bias
–
1
–
–
–
–
1
Framing bias
–
–
1
–
–
–
1
Herding behavior
–
–
1
–
–
–
1
Loss aversion
–
–
1
1
–
–
2
Mental accounting
–
–
1
–
–
–
1
Moral hazard
–
1
–
–
–
–
1
Overconfidence
–
–
–
–
–
1
1
Regret aversion
–
–
2
–
–
–
2
Sunk cost effect
–
–
–
1
–
–
1
Zwischensumme
1
10
10
4
0
1
26
Ergebnis-Feedback
–
1
–
–
–
–
1
Gesamtsumme
1
14
24
4
2
3
48
4.3 Auswahl der Methodik
Der Großteil der Forschungsartikel folgt dem üblichen „positivistischen“ (naturwissenschaftlichen) Ansatz zur Untersuchung des Forschungsgegenstands. Im Gegensatz dazu existieren vier Artikel, die eine „anti-positivistische“ Sichtweise einnehmen und detaillierte Einblicke in den Investmentprozess liefern (Reddy et al. 2014; Öhman et al. 2013; Gallimore und McAllister 2004; Gallimore et al. 2000).10 Die Einteilung in Positivismus und Anti-Positivismus soll die Auswirkung auf die Art der Ergebnisse betonen. Beide Gedankenschulen haben ihre Daseinsberechtigung und bringen Vor- und Nachteile mit sich. Daher bietet sich eine ausgewogene Kombination in einer größeren Forschungsagenda durchaus an. Allerdings ist das Verhältnis beider Ansätze in der analysierten Literatur sehr unausgewogen.
Die benötigte Vielfalt an Methoden wird deutlich, sobald eine Gesamtschau bestehender Ergebnisse vorgenommen wird (siehe Tab. 3). Parker (2014) verwendet semi-strukturierte Interviews, um einen deskriptiven Entscheidungsprozess australischer REIT-Investoren abzuleiten. Roberts und Henneberry (2007) verwenden hingegen Fallstudien zweier konkurrierender Investoren. Beide Aufsätze geben interessante Einblicke in den Entscheidungsprozess von Investoren. Sollen hingegen Abweichungen von einem rationalen Entscheidungsprozess untersucht werden, ist die erstere Methodik problematisch. French (2001) macht deutlich, dass das Gesagte (z. B. in einem Interview) von dem tatsächlich Umgesetzten abweicht. Auch Öhman et al. (2013) stellen klar,
[… that] investor surveys may give the impression that […] issues in property investment can be reported in a check-list, whereas […] such an approach is probably somewhat naive.
Tab. 3 führt die untersuchten Studien nach Untersuchungsgegenstand und Forschungsmethode auf. Die meisten Studien setzen Befragungen ein. Zwei Aufsätze befassen sich mit dem Entscheidungsprozess in der Bewertung (Diaz et al. 2004; Lin und Chang 2012) und verwenden Experimente. Alle Studien außer Parker (2014) kommen zu dem Ergebnis, dass der Entscheidungsprozess von einem rationalen Ideal abweicht bzw. der Prozess verkürzt wird.
Tab. 3
Auswahl des Untersuchungsgegenstands in Abhängigkeit von der Forschungsmethode
Forschungsmethode →
Experiment
Befragung
Beobachtung
↓Untersuchungsgegenstand
Quasi
Voll
Fragebogen
Interview
Fallstudie
Marktdaten
Sonst.
Gesamt
Gebundene Rationalität
–
–
1
–
–
–
–
1
Gruppendynamik
–
1
–
–
–
–
–
1
Gedankenmuster
1
–
–
–
–
–
–
1
Entscheidungskriterien
1
1
1
–
–
–
–
3
Entscheidungsprozess
–
2
5
3
1
–
3
14
Persönlichkeitsmuster
1
–
–
–
–
–
–
1
Zwischensumme
3
4
7
3
1
0
3
21
Allgemein
–
–
–
–
–
–
3
3
Anchoring bias
1
9
–
–
–
2
–
12
Confirmation bias
–
–
1
–
–
–
–
1
Framing bias
1
–
–
–
–
–
–
1
Herding behavior
–
–
–
–
–
1
–
1
Loss aversion
–
–
–
–
–
2
–
2
Mental accounting
–
1
–
–
–
–
–
1
Moral hazard
–
–
–
–
–
1
–
1
Overconfidence
–
–
–
–
–
1
–
1
Regret aversion
1
1
–
–
–
–
–
2
Sunk cost effect
–
1
–
–
–
–
–
1
Zwischensumme
3
12
1
0
0
7
3
26
Ergebnis-Feedback
–
1
–
–
–
–
–
1
Gesamtsumme
6
17
8
3
1
7
6
48
Ein Teil der Studien führt diese Abweichungen auf Biases und Heuristiken zurück, die auch in Entscheidungsprozessen der Immobilienwirtschaft gefunden wurden, und zwar sowohl in Experimenten als auch mittels Marktdaten. In der Immobilienbewertung kommen Heuristiken ebenfalls vor, aber diese Problemstellung hält noch eine weitere Kuriosität bereit. Sie äußert sich u. a. darin, dass Laien-Gutachter den Wert häufiger und stärker auf- als abwerten (Havard 1999). Anders bei Experten-Gutachtern, denn hier scheinen der Kontext der Informationen sowie das Wissen und die Erfahrung ausschlaggebend zu sein. Die Anker fallen stärker aus, wenn der Gutachter den entsprechenden Immobilienmarkt nicht kennt (Cypher und Hansz 2003). Dafür übergewichten Gutachter die aktuellsten Informationen zu stark (Gallimore 1994) und suchen nach Informationen, um voreilige Einschätzungen zu bestätigen (Gallimore 1996). Des Weiteren scheint auch das „Appraisal Smoothing“ aufgrund kognitiver Verzerrungen zu entstehen (Gallimore und Wolverton 1997).
Ob solche Abweichungen durch Heuristiken entstehen, ist dabei nicht eindeutig zu beantworten. Öhman et al. (2013) weisen ähnlich wie Cho und Megbolugbe (1996) darauf hin,
that deviations from the normative literature and the prescribed rationality can be seen as resulting from the [social] dynamics of the working group.
Daher kann auch die Frage gestellt werden, ob ein normativer Entscheidungsprozess überhaupt zielführender wäre und der Begriff „Irrationalität“ bei Abweichungen sogar irreführend ist. Aus diesem Grund betonen Öhman et al. (2013) auch:
[… that] we need to enlarge our arsenal of analytical methods.
Eine ähnliche Problematik zeichnet sich auch bei der Gegenüberstellung von Experimenten und Marktdaten ab. Menschen verwenden bei Investitionen unterbewusst die Ankerheuristik (Black und Diaz III. 1996; Bucchianeri und Minson 2013), die zu fehlerhaften Einschätzungen führen kann. Im Gegensatz zur Bewertung scheint dieses Verhalten nicht unabhängig vom Erfahrungsgrad des Individuums aufzutreten (Black 1997; Genesove und Mayer 2001). Allerdings sind auch hier die Ergebnisse nicht als eindeutig einzustufen. Ling et al. (2016) präsentieren Ergebnisse, die die Suchkosten für Marktteilnehmer als Grund für Abweichungen anführen, der Ankerheuristik hingegen nur eine untergeordnete Rolle beimessen. Auch Bokhari und Geltner (2011) kommen zu diesem Schluss, weisen aber darauf hin, dass diese psychologischen Phänomene eine wesentliche Rolle auf Objektebene spielen. Zusammenfassend ergibt sich das Bild, dass bei Experimenten die Ankerheuristik stark und bei Marktbeobachtungen eher gering ausfällt. Während ökonometrische Modelle diejenigen Gleichungen bevorzugen, die am flexibelsten auf das Phänomen reagieren, provozieren Experimente das Phänomen in „unnatürlich“ starker Weise. Daher warnt Diaz III. (1999) davor, die Ergebnisse zu stark zu generalisieren. Des Weiteren werden diese Phänomene immer in Abhängigkeit eines „instrumentellen“ Risikobegriffs betrachtet. Der Risikobegriff, so French und French (1997), ist aber unpräzise formuliert, denn Risiko umfasst wesentlich mehr als ein quantitatives Risikomaß auszudrücken vermag. Diese tiefergehende Problematik verdeutlicht, dass ein breiteres Spektrum an Methoden notwendig ist.
5 Einführung in die Forschung zu Entscheidungsunterstützungssystemen
Ein erfolgreiches EUS muss nach den bisherigen Erkenntnissen drei unterschiedliche Aspekte berücksichtigen. Erstens muss die Effektivität des Systems gewährleistet werden, was ohne eine aktive Prüfung nicht möglich ist. Zweitens hängt die Effektivität maßgeblich von der Kognition des Nutzers und der Interaktion mit dem System ab, unabhängig davon ob psychologische Erkenntnisse in die Entwicklung einbezogen werden. Des Weiteren ist die Erfahrung des Nutzers wichtig, die sowohl in einem lernpsychologischen als auch in einem kognitionspsychologischen Kontext betrachtet werden sollte. Drittens muss sich das Arrangement der diversen Interventionsmaßnahmen mit der wahrgenommenen Problemstellung des Nutzers decken, denn die Akzeptanz ist eine Grundvoraussetzung für den Einsatz dieser Interventionen.
Die psychologischen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Biases einen maßgeblichen Einfluss auf die Effektivität eines EUS haben können und dies u. a. von der Informationsdarstellung abhängig ist. Eine Antwort der Wissenschaft auf diese Problemstellung ist die Entwicklung von Interventionen zur Verbesserung der Effektivität des EUS. Die Psychologie unterscheidet dabei zwei Kategorien zur Minderung kognitiver Verzerrungen: Änderung der Aufgabenstellung und Änderung des Nutzers. Das erste Feld versucht die Aufgabe so anzupassen, dass suboptimalen Entscheidungen vorgebeugt werden. Beispielsweise konnten Gigerenzer und Hoffrage (1995) in einem Experiment nachweisen, dass die Bayes-Inferenz durch Darstellung der relativen Häufigkeiten wesentlich einfacher für Probanden zu verstehen ist als durch Darstellung der Wahrscheinlichkeiten. Das zweite Feld hat in der Forschung eine wesentlich höhere Aufmerksamkeit bekommen. An dieser Stelle sollen zwei Strategien exemplarisch erwähnt werden. Die erste Strategie ist das Unpacking, das eine komplexe Entscheidung in einzelne Teile zerlegt und besser abschätzbar macht (Soll und Klayman 2004). Es ist primär auf das Phänomen Overconfidence ausgerichtet, das sich in systematischen Unterschätzungen von Probanden äußert. Ein Beispiel hierfür ist das übersteigerte Selbstbewusstsein von Menschen in die eigenen Einschätzungen (Tversky und Kahneman 1974). Die zweite Strategie ist Consider-the-Opposite, bei der Individuen eine Aufgabe bekommen und nach Erledigung ihre Einschätzungen revidieren sollen (Lord et al. 1984). Diese Strategie soll insbesondere die Ankerheuristik mildern, die allerdings sehr persistent in Bezug auf ein solches Debiasing reagiert, wobei die Gründe hierfür noch unbekannt sind. Die Tab. 4 gibt eine Übersicht über diverse Strategien samt einem ausgewählten Quellenhinweis.
Tab. 4
Beispiele für nicht-computergestützte Strategien zur Minderung kognitiver Verzerrungen
Das Thema Entscheidungsunterstützung wurde im Bereich der Informationstechnik unter Mitwirkung von Praktikern und Psychologen geboren. Daher unterscheidet sich die Auffassung zur Entscheidungsunterstützung von den zuvor vorgestellten Strategien. Power et al. (2011) definieren eine Entscheidungsunterstützung wie folgt:
[…] [A] DSS is a class of computerized information systems that support decision-making activities […] which enhance users’ effectiveness in making complex decisions […].
Zum einen werden Informationssysteme in die Problemlösung einbezogen, was weitere Möglichkeiten für Interventionen ermöglicht, aber im gleichen Zuge auch die Komplexität erhöht. Zum anderen wird der Begriff „User Effectiveness“ eingeführt, der eng mit dem Begriff Entscheidungsqualität zusammenhängt. Anfangs wurde nur die Zufriedenheit des Nutzers anekdotenhaft oder in kurzen Fallbeschreibungen behandelt (Sharda et al. 1988). Ob das EUS wirklich wirksam den Nutzer bei seiner Entscheidungsfindung unterstützt, war ungeklärt und führte zur Entwicklung von entsprechenden Tests (siehe z. B. Ben-Zvi 2009). Es wurde auch bestätigt, dass EUS einen positiven Einfluss auf den Entscheidungsprozess von Probanden haben (Sainfort et al. 1990; Sharda et al. 1988). Jedoch gibt Udo (1992) zu bedenken, dass diese Aussage nicht generalisiert werden kann und stellt in seiner Literaturanalyse heraus, dass die Effektivität geprüft werden sollte. Ein möglicher Grund für Erfolg oder Misserfolg eines EUS scheint das Zusammenspiel von Aufgaben und bereitgestellten Informationen zu sein (Webby und O’Connor 1994; Montazemi et al. 1996), wie es bereits in der Psychologie zum Feedback-Learning festgestellt wurde.
Ein weiter Punkt ist, dass ein EUS nur effektiv den Nutzer unterstützen kann, wenn der Nutzer das System in seinem Lösungsprozess auch akzeptiert (Barr und Sharda 1997). Die Diskussion über die Akzeptanz von Informationssystemen wird nicht speziell für EUS geführt. Aber dieser Faktor ist vielleicht sogar wichtiger als bei anderen Informationssystemen, da es die Voraussetzung für die Effektivität des Systems darstellt. Daher sollte auch nicht von einer Ersetzung der Nutzerzufriedenheit durch die Effektivitätsmessung gesprochen werden, sondern über eine notwendige Ergänzung des Konzepts. Ein grundsätzliches Problem bei der Überprüfung der Nutzerakzeptanz ist auch hier die Erhebung. Ajzen (1991) stellt fest, dass die Korrelation zwischen Einstellung, beabsichtigtem Verhalten und tatsächlich beobachtetem Verhalten unzuverlässig sein kann. Daher entwickelt Ajzen die Theorie des geplanten Verhaltens, die eine Einschätzung des tatsächlichen menschlichen Handels verbessert. Venkatesh und Bala (2008) übertragen dieses Konzept in ihr Technology Acceptance Model (TAM). Des Weiteren existiert noch eine Integration in die allgemeine Nutzerzufriedenheit (Wixom und Todd 2005). Auch wenn das TAM nicht ohne Kritik ist (Bagozzi 2007), so liefert es dennoch umfangreiche Anhaltspunkte zur Optimierung von Systemen. Des Weiteren merken Greenhalgh et al. (2014) an, dass die Nutzung eines EUS auch von der Übereinstimmung des mentalen Modells und des EUS-Modells zur Problemlösung abhängig ist. Wenn die Art der Unterstützung inkompatibel mit der Herangehensweise des Nutzers ist, wird das EUS sehr wahrscheinlich nicht genutzt werden. Dieses Detail verdeutlicht die bedeutende Verbindung zu den Kognitionswissenschaften.
Das Thema kognitiv-nutzerzentrierter EUS ist in unserer Stichprobe nur gering ausgeprägt, obwohl Konzepte verfügbar sind (siehe z. B. Kasper 1996) und die Effektivität damit gesteigert werden kann. Einige interessante Arbeiten zu diesem Thema existieren trotzdem. Todd und Benbasat (1992) fanden heraus, dass ein EUS in Verbindung mit der Nutzerinteraktion betrachtet werden muss, da für den Nutzer die Minimierung des Aufwands ebenso wichtig ist, wie die Erhöhung der Effektivität von Entscheidungen. Es scheint aber grundsätzlich möglich Heuristiken zu trainieren oder neue Heuristiken zu erlernen (bspw. Gigerenzer und Kurzenhäuser 2005). George et al. (2000) sowie Lausberg und Dust (2017) haben Warnhinweise in ein DSS eingearbeitet, um die Ankerheuristik zu mildern, wenn auch mit wenig Erfolg. Bhandari et al. (2008) präsentieren Ergebnisse, bei der kognitive Verzerrungen mittels Visualisierungen und Feedback gemindert werden können. Allerdings kommen diese Eingriffe nicht ohne Risiken, wie die nachfolgenden Artikel zeigen. Arnold et al. (2004) berichten über intelligente Agenten eines EUS, die kognitive Verzerrungen von Experten mindern und bei Laien verstärken. Chen und Koufaris (2015) weisen darauf hin, dass die Kognition des Nutzers ein entscheidendes Kriterium beim Design eines EUS spielen sollte. Sie zeigen in ihrem Experiment, dass EUS die Risikobereitschaft von Laien stark erhöhen und zu verzerrten Entscheidungen führen. Kayande et al. (2009) berichten von besseren Entscheidungen, wenn das System gleichzeitig Feedback über das „Upside-Potential“11 von und Verbesserungsvorschläge12 zu Entscheidungen bereitstellt. Diese Art des Feedbacks führt gleichzeitig auch zu einer hohen Zufriedenheit bei den Nutzern. Leider ist es die einzige Studie, die das MCPL-Paradigma in die EUS-Entwicklung einbezieht.
6 Ausrichtung der EUS-Forschung in der Immobilienwirtschaft
Im Bereich der immobilienwirtschaftlichen EUS wurden 40 international publizierte Artikel identifiziert, wobei 13 Artikel aus immobilienwirtschaftlichen und 27 Artikel aus nicht-immobilienwirtschaftlichen Zeitschriften stammen (siehe Tab. 5 und auch Tab. 8 im Anhang B). Bezogen auf die immobilienwirtschaftlichen Journalartikel entspricht dies einem Anteil von 0,4 % aller in den erfassten immobilienwirtschaftlichen Zeitschriften veröffentlichten Beiträge. Innerhalb der immobilienwirtschaftlichen Journale kristallisiert sich im Gegensatz zur verhaltensorientierten Literatur (s. Tab. 1) auch kein favorisiertes Medium heraus. Die Artikel sind auf eine Vielzahl unterschiedlicher Journale verteilt, was einen wissenschaftlichen Diskurs erschweren kann. Weiterhin ist die Größe der Forschungsteams mit 2–3 Personen tendenziell größer, aber die Forscher kommen meistens aus der gleichen Institution. Die Internationalität der Teams ist gleich hoch wie bei der verhaltensorientierten Forschung, dennoch ist die Internationalität als eher gering zu betrachten. Die Beteiligung der Praxis fällt mit 25 % wesentlich höher aus als im Bereich der verhaltensorientierten Immobilienforschung.
Tab. 5
Bibliographische Auswertung immobilienwirtschaftlicher EUS-Forschung von 1989–2016
Name des Journals
Artikel
Forscherteam
International
Praxisbet
Anz.
Insg.
%
Anz.
Inst.
Anz.
%
Anz.
%
Immobilienwirtschaftliche Zeitschriften
Con. Inno
1
345
0,3
3
2
1
100
0
0
Int. J. of Str. Prop. Mgmt
3
307
1,0
4
1
0
0
0
0
J. of Corp. Real Estate
1
359
0,3
3
1
0
0
0
0
J. of Fin. Mgmt. of Prop & Con
1
181
0,6
4
3
0
0
1
100
J. of Housing Research
2
158
1,3
2
2
0
0
2
100
J. of Prop. Inv. & Fin
2
548
0,4
2
1
0
0
1
50
J. of Real Estate Research
1
802
0,1
3
2
0
0
0
0
Journal of Valuation
1
39
2,6
1
1
0
0
0
0
Pacific Rim Prop. Research J
1
349
0,3
2
2
0
0
0
0
Zwischensumme bzw. Mittelwert
13
3088
0,4
3
2
1
8
4
31
Andere Zeitschriften
Astin Bulletin
1
–
–
2
2
0
0
1
100
Decision Sciences
1
–
–
1
1
0
0
0
0
Decision Support Systems
4
–
–
3
2
1
25
0
0
Env. & Plan. B: Planning & Design
1
–
–
3
3
1
100
1
100
Euro. J. of Operational Research
1
–
–
2
2
0
0
1
100
Expert Systems with Applications
2
–
–
2
1
0
0
0
0
Information & Management
1
–
–
1
1
0
0
1
100
Intellectual Economics
1
–
–
2
1
0
0
0
0
Interfaces
1
–
–
1
1
0
0
1
100
Int. J. of Geo. Inf. Sc
1
–
–
2
2
1
100
0
0
Int. J. of Geo. Inf. Sys
1
–
–
1
1
0
0
0
0
Int. J. of Inf. & Com. Tech. Research
1
–
–
1
1
0
0
0
0
Int. J. of Inf. Sec. & Sys. Mgmt
1
–
–
3
1
0
0
0
0
J. of Bus. & Econ. Research
1
–
–
2
1
0
0
0
0
J. of Civ. Eng. & Mgmt
1
–
–
2
1
0
0
0
0
J. of Emer. Trends in Comp. & Inf. Sc
1
–
–
4
3
0
0
0
0
J. of Theo. & Appl. Inf. Tech
1
–
–
1
1
0
0
0
0
Omega
1
–
–
1
1
0
0
0
0
Proc. of the Inst. of Mech. Eng
1
–
–
2
2
0
0
0
0
Review of Econ. & Fin
1
–
–
1
1
0
0
0
0
Sc. J. of Riga Tech. Uni
1
–
–
2
1
0
0
0
0
Socio-Econ. Planning Sc
1
–
–
2
2
1
100
1
100
Trans. in Bus. & Econ
1
–
–
3
1
0
0
0
0
Zwischensumme bzw. Mittelwert
27
–
–
2
1
4
15
6
22
Gesamtsumme bzw. Mittelwert
40
–
–
2
1
5
13
10
25
Für die Auswertung wurden die Verteilung über die jeweiligen Disziplinen sowie die drei zuvor beschriebenen Beurteilungskriterien Kognition, Effektivität und Nutzerakzeptanz erhoben (siehe Tab. 6). Die Verteilung über die verschiedenen immobilienwirtschaftlichen Disziplinen deckt sich mit den Ergebnissen zur verhaltensorientierten Immobilienforschung. Danach ist die Mehrzahl der Artikel auf die Bereiche „Investment und Bewertung“ ausgerichtet. Die Popularität des Themas Bewertung ist vermutlich der Gesetzgebung geschuldet, die eine Massenbewertung von Immobilien und im Umkehrschluss solche Systeme notwendig macht. Ähnlich verhält es sich mit dem Thema „Investment“, was vielleicht mit der hohen Bedeutung der Herstellungs- und Akquisitionsphase zusammenhängt, die den Investmentverlauf maßgeblich beeinflusst. Zum anderen werden die Einflussfaktoren Effektivität, Kognition und Akzeptanz (fast) vollständig vernachlässigt. Dies deckt sich auch mit den Befunden der allgemeinen EUS-Forschung, die u. a. unter einer Ausrichtung mit geringer praktischer Relevanz leidet, sich über die Jahre aber verbessert hat (Arnott und Pervan 2014, 2008, 2005). Jedoch ist es nicht so, dass das Thema ganz vernachlässigt wird. Tidwell und Gallimore (2012) untersuchen die Einflüsse von kognitiven EUS auf die Bewertung von Immobilien. Sie kommen zu dem Schluss, dass ein EUS mit Debiasing den Ankereffekt reduzieren kann. Allerdings kann nicht abschließend geklärt werden, ob das Debiasing tatsächlich erfolgreich ist, da dies auch an der Informationsaufbereitung des EUS selbst liegen kann.
Tab. 6
Verteilung der Forschungsartikel auf Fachgebiete sowie Berücksichtigung der Beurteilungskriteriena
Aufgabe
Artikel
Anz
%
Effektivität
Kognition
Akzeptanz
Bewertung
11
28
0
1
0
Corporate Real Estate
1
3
0
0
0
Facility Management
1
3
0
0
0
Finanzierung
1
3
0
0
0
Investmentmanagement
9
23
0
0
0
Öffentliche Verwaltung
2
5
0
0
0
Portfoliomanagement
4
10
0
0
0
Prognose
3
8
1
0
0
Projektentwicklung
4
10
0
0
0
Property Management
2
5
0
0
0
Risikomanagement
2
5
0
0
0
Gesamtsumme
40
100
1
1
0
aGrundsätzlich könnte bei der Verteilung der Artikel auf die Fachbereiche von einer Gleichverteilung ausgegangen werden. Dies wäre der statistisch beste Schätzwert in Abwesenheit weiterer geeigneter Informationen. Da die Digitalisierung der Immobilienwirtschaft alle Bereiche betrifft, denn alle Bereiche nutzen in irgendeiner Weise IT-Systeme, ist das Ergebnis insofern interessant, da eine Häufung im Bereich „Bewertung und Investment“ festgestellt werden kann
Evans et al. (2019) kommen in einer in Südafrika durchgeführten Untersuchung zu dem Schluss, dass Debiasing sich positiv auf die Bewertung auswirken kann. Allerdings können die Autoren eine Varianzverringerung bei der Marktwertermittlung statistisch nicht nachweisen. Sie weisen ferner darauf hin, dass die Unterschiede zwischen den Probanden eine große Bedeutung einnehmen und bei Untersuchungen berücksichtigt werden sollten. Dies passt zu den Aussagen von Diaz III. (1997) sowie Cypher und Hansz (2003) zur unterschiedlichen Stärke der Ankerheuristik bei Probanden. Lausberg und Dust (2017) kommen zu dem Schluss, dass das von Ihnen entwickelte EUS die Genauigkeit der Bewertung verbessert hat. Diese unterschiedlichen Ergebnisse könnten ein Hinweis auf kulturspezifische Heuristiken sein, wie sie auch von Diaz III. et al. (2004) berichtet werden. Trotz oder gerade wegen dieser interessanten Ergebnisse sollte die Forschung hier intensiviert werden, auch übergreifend zu anderen Disziplinen. Introne und Iandoli (2014) sind die einzigen Autoren, die auch die Effektivität des entwickelten Prognose-EUS nachweisen. Ein wichtiger Kernbestandteil, der bei Debiasing-Strategien automatisch als Ergebnis produziert wird, jedoch beim Gros der restlichen EUS-Artikel fehlt. Des Weiteren konnte keine Literatur zu lernpsychologischen Effekten wie dem Feedback-Learning gefunden werden, obwohl dies Auswirkungen auf die Stärke von Heuristiken haben kann (Bolger und Önkal-Atay 2004).
7 Zusammenfassung, Bewertung und Ausblick
Die vorausgegangene Literaturanalyse hatte zum Ziel, den aktuellen Forschungsstand zu eruieren und eventuelle Forschungslücken im Bereich immobilienwirtschaftlicher Entscheidungen zu identifizieren. Hierfür wurde eine vereinfachte systematische Literaturanalyse verwendet, die Ausprägungen der Forschungsartikel zu Merkmalen wie Aufgabenfeld, Methodik, Forschungsfokus, involvierte Journale, Autoren oder auch Beteiligung der Praxis erhebt. Die Auswertung hat dabei gleich mehrere Forschungslücken, unausgewogene Forschungsfelder sowie mangelnde Transferleistungen zwischen den Forschungsbereichen ergeben.
7.1 Forschungslücken
Insgesamt traten drei Kernbereiche in der Analyse hervor, die für die zukünftige Forschung einer intensiveren Diskussion bedürfen.
1.
Die verhaltensorientierte Immobilienforschung hat in den letzten 30 Jahren Fortschritte im Bereich kognitiver Heuristiken und Verzerrungen gemacht. Leider wurde der Bereich der Lernpsychologie, im Speziellen das Feedback-Learning, nicht in die Forschung integriert. Des Weiteren existieren große Unterschiede zwischen dem Verhalten von Laien und Experten, die sehr unterschiedliche Ergebnisse hervorbringen können (siehe z. B. Arnold et al. 2004). Dieser Punkt wird in Untersuchungsdesigns bisher noch zu wenig beachtet; in vielen Experimenten werden weiterhin studentische Laien als Probanden herangezogen, was die Interpretation stark einschränkt.
2.
Die Forschung beschäftigt sich fast ausschließlich mit der menschlichen Entscheidung unter Unsicherheit. Die meisten Experimente, aber auch EUS, integrieren quantitative Risikodefinitionen in den Versuchsanordnungen. Dies ist nicht überraschend, denn im Bereich der Risikoquantifizierung und Methodenentwicklung wurden die größten Fortschritte erzielt. Dennoch ist bekannt, dass die Auffassung und Wahrnehmung von Risiken stark vom instrumentellen Risikobegriff abweichen. Es ist notwendig, dass diese Begriffe in einem wissenschaftlichen Diskurs angenähert werden, und zwar in einer Weise, die es erlaubt, lern- und kognitionspsychologische Aspekte zu integrieren.
3.
Es sollte sichergestellt werden, dass ein EUS effektiv den Nutzer unterstützt und sich nicht nachteilig auf die Entscheidungen auswirkt. Dies wird in dem überwiegenden Teil der Literatur außer Acht gelassen, was ein Gefahrenpotential für den Einsatz solcher Applikationen birgt.
7.2 Forschungstransfer und Balance
Ein Grund für die Forschungslücken ist der fehlende Transfer von der allgemeinen verhaltensorientierten Forschung in die spezielle Betriebswirtschaftslehre der Immobilie. Des Weiteren ist auch der Transfer zwischen der verhaltensorientierten Immobilienforschung und der Forschung zu Immobilien-EUS kaum ausgeprägt. Ein Grund für diese Situation scheint zu sein, dass die Forscherteams aus dem EUS-Feld zu einem geringen Teil der Immobilienwirtschaft entstammen. Zusätzlich werden Publikationsmedien gewählt, die von der Immobilienforschung weniger frequentiert werden. Es wäre wünschenswert, dass sich internationale Immobilien-Journale als Diskussionsplattform etablieren, um den Transfer zwischen den Disziplinen zu fördern. Auch die Forschungsfelder sind wenig ausgewogen. Die Forschung konzentriert sich derzeit primär auf die Felder „Bewertung“ und „Investment“, vernachlässigt dabei aber alle anderen Bereiche wie Asset, Property und Facility Management, in denen ebenfalls wichtige Entscheidungen während des Bewirtschaftungszeitraums getroffen werden. Auch auf diesen Feldern besteht Potential für zukünftige Forschung.
7.3 Limitationen
Die Literaturanalyse konzentriert sich auf die international veröffentliche Literatur in wissenschaftlichen begutachteten Journalen. Aber nicht alle immobilienwirtschaftlichen Journale sind in den jeweiligen Datenbanken auffindbar bzw. lizensiert, so dass auch die Nutzung der Suchdatenbanken einen Filtereffekt in die Recherche integriert. Darüber hinaus ist das Suchergebnis von der Verschlagwortung der Artikel und dem Suchalgorithmus abhängig, so dass es sein kann, dass Artikel innerhalb der identifizierten Journale übersehen werden. Daher sollte die Recherche als eine Stichprobe angesehen werden, die in diesem Zusammenhang auch eine stichprobenbedingte Streuung aufweist. Bei der Interpretation der Ergebnisse sollte weiterhin berücksichtig werden, dass nicht alle wertvollen Forschungsergebnisse auch in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht werden. Daher sind die hier präsentierten Ergebnisse mit Vorsicht zu verwenden.
7.4 Ausblick
Das Forschungsfeld der immobilienwirtschaftlichen EUS steht sowohl am Ende als auch ganz am Anfang seiner Entwicklung. Im klassischen Sinne ist die EUS-Forschung mit der methodischen Zusammenstellung von Analysemethoden ausgereizt und bietet kaum noch Potential für interessante Erkenntnisse. Arnott und Pervan (2014) sehen das als übergreifendes Problem der EUS-Forschung, auch wenn es Anzeichen für eine Besserung gibt. Allerdings sehen wir die EUS-Forschung in einem verhaltensorientierten Kontext aus drei Gründen noch ganz am Anfang.
1.
Es sind noch viele Fragen über die menschliche Kognition und deren Interaktion mit Informationssystemen offen.
2.
Die Determinanten für ein effektives EUS sind ebenfalls nicht bekannt, aber für die Entwicklung solcher Systeme zwangsläufig notwendig. Die Forschung zeigt, dass die Effektivität eines EUS nicht angenommen werden kann.
3.
Der Risikobegriff bedarf einer weiteren Diskussion. In diesem Kontext sind auch immobilienwirtschaftliche Kennzahlen zu überdenken. Insbesondere zukunftsgerichtete Risikokennzahlen sollten ein Anliegen der weiteren wissenschaftlichen Diskussion sein.
There is little evidence to suggest that debiasing on one’s own is likely to prove fruitful. Making inroads along the debiasing dimension requires group effort and can only take place in the right kind of social environment.
Auch wenn die Ergebnisse aus den bereits oben genannten Gründen (s. Limitationen) vorsichtig interpretiert werden müssen, scheint auf Basis unserer Stichprobe das Forschungsfeld kognitiv-nutzerzentrierter EUS Potential für Weiterentwicklungen und neue Themen zu bieten, so dass man auf die zukünftige Forschung gespannt sein darf.
Interessenkonflikt
P. Krieger und C. Lausberg geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Adair et al. (1994), Jackson und Orr (2011), Sah (2011)
Entscheidungsprozess
Farragher und Savage (2008), French (2001), French und French (1997), Gallimore et al. (2000), MacCowan und Orr (2008), Öhman et al. (2013), Parker (2014), Reddy et al. (2014), Roberts und Henneberry (2007)
Greer und Murtaza (2003), Kaklauskas et al. (2007), Kettani und Khelifi (2001), Kettani und Oral (2015), Lausberg und Dust (2017), Tidwell und Gallimore (2012), Evans et al. (2019)
Die systematische Literaturanalyse gliedert sich an die Meta-Analyse an, um Effektgrößen einer Untersuchung über mehrere Studien zu plausibilisieren. Da es nicht das Ziel des Artikels ist Effektgrößen zu ermitteln/plausibilisieren, wurde die detaillierte Artikelanalyse gegen eine Analyse deskriptiver Merkmale ersetzt.
Die allgemeine Literaturrecherche wurde ohne die Aufstellung strikter Suchparameter und Quellentypen durchgeführt, da sie nicht quantitativ analysiert wurde.
Da die Plattformen eine sehr große Menge an Artikeln umfassen, besteht die Gefahr, dass relevante Artikel nicht identifiziert wurden. Mit der Analyse der Literaturverzeichnisse wird versucht, eine möglichst vollständige Stichprobe sicherzustellen.
Das Spektrum der Entscheidungsfindung erstreckt sich z. B. über inkrementelles (Lindblom 1959), organisationsprozedurales (Das und Teng 1999; Huber 1981), politisches (Pfeffer 1981), naturalistisches (Klein 1998) und Papierkorb-Entscheiden (Cohen et al. 1972).
Eine umfangreiche Aufstellung von Biases ist in Carter et al. (2007) und Arnott (2006) verfügbar. Siehe für eine deutsche Sichtweise auch Mahlendorf (2008), der psychologische Fallstricke für Investitionsentscheidungen beleuchtet.
Es wird der Einteilung von Arnott und Pervan (2005) gefolgt, die die Forschungsmethoden im Bereich EUS in die Kategorien Positivismus, Anti-Positivismus und Methoden-Mix einteilen. Zweck ist eine Identifikation der grundsätzlichen Gedankenschule, die in erster Linie bewertungsfrei erfolgt, aber einen Einfluss auf die Art der Forschungsergebnisse hat.
Kayande et al. (2009) beschreiben Feedback zum „Upside-Potential“ wie folgt: Ein Verkäufer bekommt Informationen über seine Verkäufe relativ zu einer Benchmark, beispielsweise einer Gruppe mit den höchsten Verkaufszahlen.