Skip to main content
Top

20-04-2015 | Entsorgung | Interview | Article

Abfallverwertung - energetisch oder stofflich?

Author: Günter Knackfuß

5 min reading time

Activate our intelligent search to find suitable subject content or patents.

search-config
print
PRINT
insite
SEARCH
loading …

Die EU-Kommission hat beschlossen die in der Abfallrahmenrichtlinie festgelegten Recyclingziele zu steigern. Wir sprachen mit Alexander Gosten über Auswirkungen, Recyclingquoten und Erfassungssysteme.

Springer für Professionals: Inwieweit betreffen die Brüsseler Ziele auch die Berliner Abfallwirtschaft und wie sieht der statistische Hintergrund aus?

Alexander Gosten: Schon heute streben die Berliner Stadtreinigungsbetriebe, BSR, eine möglichst hohe Recyclingquote unter Berücksichtigung von ökologischen und ökonomischen Aspekten an. Sobald die Ziele der Kommission für Europa in einer Direktive (Gesetz) verpflichtend geworden sind und in nationales Recht bzw. in ein Landesabfallgesetz übernommen worden sind, werden diese mit den entsprechenden Übergangsfristen auch für das Land Berlin und damit für die BSR gelten. Die Methode für die nationale Ermittlung der Quoten legt die Politik fest. Die EU stellt vier Methoden zur Auswahl.

Warum stellt sich die Frage nach einem stofflichen Recycling bzw. einer schadlosen Verwertung?

Weitere Artikel zum Thema

Im industriellen und gewerblichen Bereich besteht die Chance, dass die Materialeigenschaften weitgehend bekannt sind, so dass hier eine sehr hohe Recyclingquote realisiert werden kann. Im haushaltsnahen Bereich kennen wir die Zusammensetzung der Produkte nicht. Weder der Konsument noch der Entsorger kann erkennen, wie viel Cadmium z.B. oder welcher Weichmacher z.B. in einer Quietscheente enthalten ist. Tendenziell haben wir fast nur noch Verbundwerkstoffe oder Werkstoffe mit Additiven. Selbst in Baumwolltextilien befindet sich daher ein Chemiecocktail. Durch das Recycling werden diese toxischen Bestandteile von denen nicht bekannt ist, wie diese zum Beispiel mit Spülwasser oder Meereswasser reagieren, erneut in der Umwelt verteilt. Ökologisch ist Recycling daher auch kritisch zu hinterfragen, zumal wenn der Recyclingprozess in Afrika oder Asien durchgeführt wird. Die toxischen Bestandteile können durch Recycling weltweit verteilt werden. Daher kann es aus ökologischen Gründen sinnvoll sein, die Schadstoffentfrachtung der Biosphäre von z.B. Quietscheenten in einer heimischen Abfallverbrennung schadlos vorzunehmen. Hier können sowohl die Energie als auch die mineralischen Bestandteile (Schlackebildner und Metalle) zurück gewonnen werden. Für Altpapier, Glas oder Metall ist ein Recycling möglich, ohne die Schadstoffe in der Umwelt erneut zu verteilen. Daher gibt es etablierte Recyclingsysteme für diese Abfälle in Deutschland.

Für die Recyclingrate gibt es verschiedene Berechnungsmethoden. Welche Probleme bestehen dabei?

Die Europäische Union stellt es den Ländern frei, welche der vier Berechnungsmethoden angewendet wird. Damit werden beim Vergleich mitunter Äpfel mit Birnen verglichen. Es macht einen Unterschied, ob die Recyclingquote von getrennt gesammelten Wertstoffen wie Papier und Glas oder aber von dem gesamten Haus- oder Siedlungsabfall berechnet wird. Allen Verfahren gemein ist, dass allein das Fahren über die Waage einer Verwertungsanlage ausreicht, um statistisch ein 100 prozentiges Recycling zu verkünden. Dies ist natürlich praktisch nicht der Fall, da in jeder Sortieranlage auch Sortierreste entstehen. Wenn die Sortierreste oder heizwertreichen Fraktionen 90 Prozent ausmachen, erfolgt nur ein Recycling von kleiner 10 Prozent, denn diejenigen, die Recyclingmaterial einsetzen, haben ebenfalls Materialverluste. Zurzeit wird auch der Export häufig zu 100 Prozent dem Recycling zugeordnet. Die wahren Recyclingquoten sind daher deutlich geringer als in den amtlichen Statistiken.

 

 

Sie haben bei ihrer Analyse auch verschiedene Erfassungssysteme verglichen. Welche Recyclingquoten können jeweils erreicht werden?

Die so genannten mechanisch-biologischen Anlagen oder mechanisch-physikalischen Anlagen haben als Hauptzweck, eine deponie- bzw. verbrennungsfähige Fraktion herzustellen. Damit findet faktisch keinerlei Recycling statt, obwohl diese  Anlagentypen in der Statistik als Recycling eingesetzt werden. Die höchsten Recyclingquoten sind auf den Recycling- oder Wertstoffhöfen realisierbar. Hier erfolgt eine sehr sortenreine Trennung, die gezielt einem Recyclingverfahren zugeführt werden kann. Gleichwohl stellt sich heraus, dass nicht für alle Fraktionen tatsächlich ein wirtschaftliches Recyclingverfahren besteht. Die getrennte Sammlung von Bioabfall mit einer anschließenden Vergärung oder Kompostierung führt ebenfalls zu Recyclingquoten von 70 bis 80 Prozent. Die Vergärung hat obendrein den großen Vorteil, dass der energetische Anteil gewonnen werden kann. Die trockene Wertstofftonne ermöglicht auf geeigneten Sortieranlagen ebenfalls Recyclingquoten bis 65 Prozent. Als wenig geeignet haben sich LVP-Sortieranlagen herausgestellt, da diese konstruiert worden sind, gezielt bestimmte Kunststoffsorten zu sortieren. Laut der aktuellen Berechnung von Prof. Baum vom Bifas liegt die Wiedereinsatzquote des Dualen Systems (Gelbe Tonne) nur bei 20 Prozent der Sammelmenge. In der thermischen Abfallbehandlung können 20 bis 30 Prozent stofflich wieder verwertet werden. Ebenso wird die Umwelt maximal geschont und ferner wird eine optimale Energieausbeute gewährleistet, wenn eine Kraft-Wärme-Kopplung mit z. B. Fernwärme oder einem industriellen Abnehmer möglich ist.

Welche Systeme bewerten sie als nachhaltig und ökonomisch zukunftsfähig?

Aktuell sind die Biovergärung und die Abfallverbrennung nachhaltig ökologisch und ökonomisch zukunftsfähig. Die mechanischen Vorsortieranlagen für Hausmüll führen faktisch keine Abfallbehandlung durch, sondern sortieren nur vor, um den größten Teil des Abfalls zu deponieren oder zu verbrennen. Daher sind die bestehenden Anlagen alleine nicht zukunftsfähig, sondern nur in Verbindung mit anderen Anlagen. Dies schließt natürlich nicht aus, dass dieser Anlagentyp sich durch Innovation und Investition noch deutlich weiterentwickeln wird, um relevante Anteile des Abfalls zukünftig zu recyceln.

Wie wird sich nun das strategische Konzept bei der BSR gestalten?

Die BSR betreibt sowohl mechanische als auch biologische und thermische Behandlungsanlagen. Wir betreiben für alle Verfahren Zukunftsentwicklungen und sind in der Lage, uns auf neue gesetzliche Regelwerke einzustellen. Zudem versuchen wir bereits heute eine möglichst hohe Recyclingquote zu erreichen. Wobei das Ziel nicht eine Schein-Recyclingquote ist. Spätestens wenn Ersatzinvestitionen anstehen, werden die möglichen strategischen Varianten jeweils neu – und das heißt auch mit dem neuesten Stand der Technik - überprüft und bewertet.

Das Interview führte Günter Knackfuß, freier Autor, für Springer für Professionals.

print
PRINT

Related topics

Background information for this content