Mit dem im Deutschen Bundestag verabschiedeten Standortauswahlgesetz wurde im Jahr 2013 die Standortsuche für ein Endlager zur Aufnahme hoch radioaktiver, Wärme entwickelnder Abfälle aus deutschen Kernkraftwerken neu gestartet. Für den Status quo, die zeitlich begrenzte Aufbewahrung dieser Materialien in den 15 bundesdeutschen Zwischenlagern, haben sich seitdem wesentliche Randbedingungen verändert: Aktuelle Prognosen zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme eines solchen Endlagers reichen mindestens bis zum Jahr 2050, mitunter aber auch weit darüber hinaus. Hinzu kommt der nicht zu vernachlässigende Zeitraum, der für die Umlagerung der Abfälle in ein Endlager benötigt wird. Das Auftreten einer relevanten zeitlichen Lücke zwischen dem Erlöschen der Aufbewahrungsgenehmigungen in den Jahren zwischen 2035 und 2047 und der Auslagerung des letzten Behälters aus einem Zwischenlager ist damit aus heutiger Sicht sehr wahrscheinlich.
Derzeit wird das weitere Vorgehen bezüglich der Zwischenlagerung diskutiert, in die sich mittlerweile auch das "Nationale Begleitgremium" zur Begleitung der Standortsuche für ein Endlager eingeschaltet hat. Soll in der Zukunft die Neuerteilung der bestehenden Genehmigungen beantragt werden oder die Zwischenlagerung auf weniger Standorte, gar in einem "Eingangslager" auf den einen noch festzulegenden Endlagerstandort konzentriert werden? Eine Antwort darauf ist keineswegs trivial, weil schon die Einzelaspekte sehr vielfältig sind und in komplexen Wechselwirkungen miteinander stehen.
Zwischenlagerung – ein Begriff mit vielen Dimensionen
So gelten z. B. im konfliktbehafteten Feld der Entsorgung radioaktiver Abfälle stets hohe Ansprüche an die Sicherheit sowie an ein faires und gerechtes Verfahren. Doch Gerechtigkeit wird auch hinsichtlich der Verteilung von Lasten eingefordert. Im Zusammenhang mit der Entsorgung wird häufig der Begriff der Generationengerechtigkeit verwendet. Doch welche Generationen sind gemeint – heutige, nahe, ferne? Was ist "sicherer", was "gerechter"? Ein Konzept der möglichst kurzen Zwischenlagerung, der schnellen Endlagerung, oder eines, das Verzögerungen und Rückschritte abfedern kann?
Ähnlich vielschichtig zeigen sich die naturwissenschaftlich-technischen Zusammenhänge, die eng mit den nicht-technischen Fragestellungen verknüpft sind. Beispielsweise nimmt die Aktivität der Radionuklide und die Wärmestromdichte weiter ab, als ursprünglich vorgesehen. Dies erleichtert die zukünftige Handhabung der Abfallgebinde und reduziert den Platzbedarf in einem Endlager. Zwar verlangsamt die Reduktion der Wärmestromdichte darüber hinaus auch die Geschwindigkeit dauerhaftigkeitsrelevanter, chemischer Prozesse des in den Zwischenlagerhallen eingebauten Betons, gleichzeitig wird aber auch die Bildung von korrosionsförderndem Tauwasser an den baulichen Strukturen und an den Behälteroberflächen möglich. Welche weiteren Parameter beeinflussen Alterung und Korrosion? Was kann dagegen getan werden und wie soll die Einhaltung der Schutzziele in einem Umfeld sich weiterentwickelnder Anforderungen über längere Zeiträume gewährleistet werden?
Zunehmende Bedeutung von Forschung und Entwicklung im Bereich der Zwischenlagerung
Als unverzichtbares Glied in der Entsorgungskette bedarf die Zwischenlagerung neben dem Vorantreiben der Standortsuche in den kommenden Jahrzehnten selbst besonderer Aufmerksamkeit. Wesentliche Veränderungen der Randbedingungen sind bekannt und offenbaren neben wichtigen entsorgungsstrategischen Entscheidungen erheblichen Forschungs- und Entwicklungsbedarf. Neben komplexen naturwissenschaftlich-technischen Sachverhalten gilt dies auch für ethische, gesellschaftswissenschaftliche oder rechtswissenschaftliche Fragestellungen und nicht zuletzt für die industrielle Praxis.