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Published in: Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie (GIO) 3/2020

Open Access 21-07-2020 | Hauptbeiträge - Thementeil

Entwicklung eines Fragebogens für softwareentwickelnde Unternehmen zur internen Bestimmung des agilen Reifegrads

Authors: Katharina Jungnickel, Dr. Michael Minge, Prof. Dr. Manfred Thüring

Published in: Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie (GIO) | Issue 3/2020

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Zusammenfassung

In diesem Beitrag der Zeitschrift Gruppe. Interaktion. Organisation. (GIO) wird die Entwicklung und Validierung eines Fragebogens zur Ermittlung des agilen Reifegrads eines Softwareunternehmens auf Basis der Einschätzung seiner Mitarbeitenden vorgestellt. Agilität ist mittlerweile ein zentrales Thema für viele Firmen, insbesondere in der Softwarebranche. Die Gründe hierfür liegen in der hohen Volatilität der Märkte, der weltweit fortschreitenden Digitalisierung, der globalen Vernetzung der Wertschöpfungsketten und dem Zwang zu kürzeren Innovationszyklen. Dieser Entwicklung kann man mit den herkömmlichen, kaskadierenden Entwicklungsmethoden nicht mehr Rechnung tragen, so dass sie zunehmend durch agile Ansätze abgelöst werden. Agile Vorgehensweisen ermöglichen es, komplexe Anforderungen zu bearbeiten und flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Trotz ihrer Vorteile stellt die Umsetzung agiler Prinzipien viele Unternehmen allerdings vor große Herausforderungen. Entscheidend für den Erfolg von Agilität ist nicht nur die Einführung bestimmter Methoden und Techniken, sondern insbesondere auch deren Wahrnehmung und subjektive Bewertung durch die Mitarbeitenden. Um subjektive Sichtweisen und Urteile erfassen zu können, ein Fragebogen vorgestellt, der von Mitarbeitenden ausgefüllt werden kann und der den intern wahrgenommenen agilen Reifegrad des Unternehmens repräsentiert. Da er über Abteilungen und Hierarchieebenen hinweg einsetzbar ist, liefert er ein differenziertes Bild zu geteilten Werten aber auch zu Unterschieden in der Belegschaft. Hiervon ausgehend lassen sich Maßnahmen konzipieren, die die Agilisierung des Unternehmens weiter vorantreiben. Die Anforderungen an den Fragebogen wurden aus Publikationen zu agilen Reifegradmodellen und dem Agilen Manifest abgeleitet. Darauf aufbauend wurde ein Itempool von zunächst 128 Items generiert. Nach Interviews mit sechs Fachexpert*innen wurde dieser Pool auf 53 Items reduziert. Im Rahmen einer Online-Umfrage sind diese 53 Items auf einer jeweils 7‑stufigen Likert-Skala durch 200 Personen beantwortet worden. Durch eine Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation ist eine fünfdimensionale Variante mit 26 Items entstanden, die für eine interne Einschätzung des agilen Reifegrades verwendet werden kann. Zukünftige Arbeiten gelten der weiteren Optimierung des Instruments.

1 Einleitung

Aufgrund des rapiden technologischen Wandels ist es heutzutage besonders wichtig, flexibel und schnell auf Kundenwünsche und Veränderungen des Marktes reagieren zu können, will man im globalen Wettbewerb bestehen. Im Zeitalter der Digitalisierung gilt dies insbesondere für Softwareunternehmen, von denen deshalb viele ihre Arbeitsweise agilisieren. Der Begriff „Agilität“ wird in diesem Zusammenhang auf zweierlei Art verwendet, zum einen, um eine Grundeinstellung (englisch „mindset“) des Unternehmens zu seinen Kunden und Mitarbeitenden zu bezeichnen, zum anderen, um auf bestimmte Frameworks und Methoden der Kommunikations- und Kooperationsgestaltung zu verweisen. Im Zentrum steht dabei ein Unternehmensleitbild, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt, indem es auf hohe allgemeine Transparenz, Selbstorganisation der Mitarbeiter und enge Zusammenarbeit mit dem Kunden setzt.
Dass Agilität zu mehr Erfolg beiträgt, zeigen Erhebungen der Standish Group (2018), die mehr als 40.000 IT-Projekte analysierte und zu dem Ergebnis kam, dass durch agile Arbeitsweisen weniger Projekte abgebrochen und mehr Projekte innerhalb des geplanten Zeit- und Budgetrahmens abgeschlossen werden. Ein Unternehmen, dessen Mitarbeitende in agil arbeitenden Teams organisiert sind, ist fast dreimal so erfolgreich wie ein Unternehmen, das mit traditionellen Methodologien arbeitet (Olbert et al. 2017), wie z. B. dem Wasserfallmodell. Dies wird u. a. damit begründet, dass durch das iterative Vorgehen in der Entwicklung von Software Innovationszyklen verkürzt werden (Komus und Kuberg 2015).
Die Umstellung auf agile Arbeitsweisen kann allerdings auf Schwierigkeiten stoßen, von denen drei als besonders gravierend anzusehen sind. Zum ersten empfinden es viele Unternehmen als Herausforderung, agile Methoden zu skalieren (Komus und Kuberg 2015), also deren Auswahl und Umfang nach ihrem Bedarf zu gestalten. Zum zweiten stellen Differenzen zwischen der Perspektive der Geschäftsführung und der Teamperspektive einen zentralen Misserfolgsfaktor für die Einführung und Umsetzung agiler Arbeitsweisen (Gloger 2019) dar. Durch sie wird der Aufbau eines gemeinsamen „agilen Mindsets“ zwischen allen Beteiligten erschwert und der Umstellungsprozess erheblich behindert oder sogar gefährdet (Scheller 2017). Zum dritten ist häufig nicht klar, wie die agile Arbeitsgestaltung durch Mitarbeitende wahrgenommen wird, wo Potenziale und positive Effekte erlebt werden, aber auch welche Bedenken und Barrieren gegebenenfalls bestehen.
Um derartige Schwierigkeiten zu erkennen und die Einführung agiler Arbeitsweisen mitarbeiterzentriert zu gestalten, sollte der Umstellungsprozess empirisch begleitet und evaluiert werden. Ein standardisierter Fragebogen, der über einen längeren Zeitraum wiederholt eingesetzt werden kann, stellt hierfür ein wertvolles Instrument dar. Zum einen kann mit ihm der Ausgangspunkt der Veränderung spezifiziert werden, zum anderen bietet er eine effiziente Möglichkeit, um den Fortschritt der Veränderung zu überwachen. Besonders geeignet sind hierfür Fragebögen, die auf Basis sog. Reifegradmodelle entwickelt werden (Burnstein et al. 1998; Herbsleb et al. 1997; Herbsleb und Goldenson 1996). Dabei handelt es sich um mehrdimensionale Verfahren, die zum einen die Messung unterschiedlicher Aspekte ermöglichen und zum anderen die Ausprägung des operationalisierten Konstrukts quantifizieren.
In diesem Beitrag wird die Entwicklung eines Fragebogens vorgestellt, mit dem Softwareunternehmen ihren agilen Reifegrad bestimmen können, und der es ihnen erlaubt, ein differenziertes Bild der agilen Arbeitsgestaltung in ihren Organisationseinheiten zu zeichnen. Hierdurch können jeweils Stärken aber auch Defizite lokalisiert werden, was die Planung und Umsetzung gezielter Einführungsmaßnahmen erlaubt. Im Verlauf der Einführung lassen sich zudem Stagnationen und unerwünschte Effekte aus Mitarbeitersicht frühzeitig erkennen und entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Agile Werte und Prinzipien

Als Basis für die Konstruktion des Fragebogens dienen verschiedene theoretische Konzepte. Als erstes ist hierbei das Agile Manifest mit seinen vier zentralen Werten zu nennen (Beck et al. 2001):
Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge.
Funktionierende Software ist wichtiger als umfassende Dokumentation.
Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als Verträge.
Reagieren auf Veränderung ist wichtiger als das Befolgen eines Plans.
Alle in den Wertaussagen aufgeführten Aspekte spielen bei der Softwareentwicklung eine Rolle, die Formulierung der Aussagen verdeutlicht aber, welche Prioritäten bei einer agilen Vorgehensweise gesetzt werden sollten, um die begrenzen Ressourcen des Entwicklungsprozesses optimal einzusetzen.
Von zentraler Bedeutung hierfür sind (a) die Menschzentrierung mit dem Fokus auf Individuen, Interaktionen und Kunden, (b) die Fokussierung auf den Arbeitsfortschritt mit dem Fokus auf neue, implementierte Funktionalitäten sowie (c) die Flexibilisierung der Prozesse mit dem Fokus auf den Umgang mit Veränderungen. Diese Priorisierung bedeutet nicht, dass die anderen Aspekte keine Rolle spielen, sondern dass ihnen weniger Ressourcen zugewiesen werden, wenn dies erforderlich ist. Der Fokus agiler Methoden liegt also auf den wertschöpfenden Prozessen, auf der Zusammenarbeit mit dem Kunden und auf der Dynamisierung der Planung. Damit wird berücksichtigt, dass zu Beginn eines Softwareprojekts in der Regel keine vollständige Detailplanung für alle Unteraufgaben erfolgen kann, da sich Anforderungen ändern bzw. erst im Laufe des Projektes genauer im Zusammenwirken mit dem Kunden spezifiziert werden können (Beck et al. 2001; Highsmith 2001).
Die noch recht allgemein formulierten Werte des Manifests lassen sich durch zwölf Prinzipien detaillieren (Beck et al. 2001). Um diese Prinzipien zu kategorisieren, können sie fünf Themenclustern zugeordnet werden, die Sidky et al. (2007) vorgeschlagen haben. Tab. 1 bietet einen Überblick über die Prinzipien und Cluster.
Tab. 1
Zuordnung der agilen Prinzipien nach Beck et al. (2001) zu den Clustern von Sidky et al. (2007)
Agile Prinzipien
Cluster
1. Unsere höchste Priorität ist es, den Kunden durch frühe und kontinuierliche Auslieferung wertvoller Software zufriedenzustellen.
2. Heiße Anforderungsänderungen selbst spät in der Entwicklung willkommen. Nutze agile Prozesse, um Kund*innen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen
Veränderung annehmen, um Wert für Kund*innen zu schaffen
3. Liefere funktionierende Software regelmäßig innerhalb weniger Wochen oder Monate und bevorzuge dabei die kürzere Zeitspanne
Häufig Software planen und liefern
4. Fachexpert*innen und Entwickler*innen müssen während des Projektes täglich zusammenarbeiten.
5. Errichte Projekte rund um motivierte Individuen. Gib ihnen das Umfeld und die Unterstützung, die sie benötigen, und vertraue darauf, dass sie die Aufgabe erledigen.
6. Die effizienteste und effektivste Methode, Informationen an und innerhalb eines Entwicklungsteams zu übermitteln, ist das Gespräch von Angesicht zu Angesicht.
7. Die besten Architekturen, Anforderungen und Entwürfe entstehen durch selbstorganisierte Teams.
8. In regelmäßigen Abständen reflektiert das Team, wie es effektiver werden kann, und passt sein Verhalten entsprechend an
Menschzentrierung
9. Funktionierende Software ist das wichtigste Fortschrittsmaß.
10. Ständiges Augenmerk auf technische Exzellenz und gutes Design fördert Agilität.
11. Einfachheit ist essenziell
Technische Exzellenz
12. Agile Prozesse fördern nachhaltige Entwicklung. Auftraggeber*innen, Entwickler*innen und Benutzer*innen müssen ein gleichmäßiges Tempo über längere Zeit halten können
Zusammenarbeit mit Kund*innen
Die fünf Themencluster bilden die Basis für ein Reifegradmodell zur Agilität, dem Sidky Agile Measurement Index (SAMI; siehe Abschn. 2.1). Dieses Modell ist mittlerweile weithin anerkannt und bildet die zentrale Grundlage für die in diesem Beitrag berichtete Konstruktion eines Fragebogens zur interne Bewertung des bestehenden agilen Reifegrades.
Die Themencluster können wie folgt erläutert werden:
  • „Veränderung annehmen, um Kundenwert zu schaffen“ meint die flexible und schnelle Reaktion auf sich verändernde Bedingungen. Hiermit wird ein zentrales Thema von Agilität angesprochen, das sich in den meisten Arbeitsdefinitionen und nicht zuletzt bei der Erklärung höherer Erfolgsquoten in komplexen Projekten der Softwareentwicklung wiederfindet (vgl. Komus und Kuberg 2015).
  • „Häufig Software planen und liefern“ betont eine inkrementelle Vorgehensweise in Form von Entwicklungszyklen, die jeweils mit einer Test- bzw. Reflektionsphase abschließen. Wichtigstes Erfolgskriterium für Sidky et al. (2007) ist, analog zum zweiten Wert im agilen Manifest (Beck et al. 2001), die funktionsfähige Software. In der Clusterbezeichnung werden die unterschiedlichen Phasen in der Softwareentwicklung zusammengefasst, die von der Planung, Gestaltung und Konzeption über die Implementierung und Testung bis zur Auslieferung reichen. In der Praxis ist dies keineswegs als linearer Prozess zu verstehen, da sich durch rechtzeitiges Testen der durchaus gewünschte Effekt einstellt, Bedarfe für Korrekturen und Optimierungen möglichst früh zu erkennen. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, ein Softwareprodukt nicht nur inkrementell, also Funktion nach Funktion, zu entwickeln, sondern dabei iterativ vorzugehen, d. h. für jeden Entwicklungszyklus entsprechende Kapazitäten für das Testen und Überarbeiten einer Funktion einzuräumen.
  • Das Attribut „Menschenzentrierung“ repräsentiert, inwieweit eine Organisation die nötigen Rahmenbedingungen für agile Arbeitsweisen seiner Mitarbeitenden herstellt. Überwiegend wird Agilität hier als eine selbstbestimmte, zumindest bei der Lösung konkreter Aufgaben im Tätigkeitsbereich hierarchiefreien Arbeitsorganisation verstanden. Bestimmte agile Ansätze, wie beispielsweise Scrum (Wirdemann 2011), strukturieren „Menschzentrierung“ in besonderem Maße, beispielsweise durch Einführung der Rolle „Scrum Master“ und durch Umsetzung einer prozessfokussierten Teamreflektion, der „Retrospektive“.
  • „Technische Exzellenz“ steht für die zu erfassenden Kennzahlen, an denen Fortschritt gemessen wird. Wie bereits erläutert, ist für Sidky et al. (2007) Fortschritt vor allem über funktionsfähige Software operationalisiert. Kennzahlen sind in diesem Zusammenhang meist technischer Art, z. B. Fehleranfälligkeit, Ladezeiten, Datenvolumen, Rechenkapazität oder die Berücksichtigung von Programmierstandards, Zusammenarbeit mit Kunden*innen“ adressiert, inwieweit Kund*innen in den Entwicklungsprozess aktiv eingebunden sind. Sidky et al. (2007) wählen mit „Kund*innen“ einen schnell zu Missverständnissen führenden Begriff. Es bleibt unklar, ob es sich dabei um die beauftragende Organisation eines Projekts handelt oder um die mit der Software im Endeffekt interagierenden Anwender*innen. Nur mit Hilfe letzterer können Kriterien wie Nützlichkeit und Akzeptanz, Gebrauchstauglichkeit und User Experience von Anwendungen valide bewertet werden (Gothelf und Seiden 2013).

2.2 Agile Reifegradmodelle

Durch die zunehmende Komplexität von Softwareprojekten stellt sich die Frage, wie eine agile Vorgehensweise hinsichtlich des Umfangs an Methoden, Prozessen und Management-Entscheidungen an die jeweilige Unternehmenssituation angepasst werden kann (Latinien et al. 2000). Eine wertvolle Unterstützung bieten Reifegradmodelle. Sie dienen dazu, den Ist-Zustand eines Unternehmens in einem zu messenden Bereich anzugeben. In einem Reifegradmodell sind Indikatoren mit einer Bewertungsskala hinterlegt, die bei der Erfassung des Ist-Zustands unterstützen. Aus den damit erhobenen Daten lassen sich Maßnahmen ableiten, um Verbesserungen im gewählten Bereich zu erzielen und Veränderungen zu erkennen (Burnstein et al. 1998; Herbsleb und Goldenson 1996; Herbsleb et al. 1997). Reifegradmodelle verfolgen dabei einen evolutionären Ansatz, d. h. für im Modell definierte Merkmale müssen spezifische Ausprägungen vorliegen, damit das Unternehmen den nächsthöheren Reifegrad erlangt (Gottschalk 2009). Jede untere Stufe ist also erfüllt, wenn der nächsthöhere Entwicklungszustand erreicht wird; eine Stufe zu überspringen ist nicht möglich.
Um den Ist-Zustand abbilden zu können, wurden unterschiedliche agile Reifegradmodelle entwickelt. Die meisten dieser Modelle basieren auf der Struktur der „Capability Maturity Model Integration“ (CMMI) oder des „Software Process Improvement and Capability Development“ (SPICE). Diese beiden Reifegradmodelle bewerten Unternehmensprozesse, um komplexe Softwareprojekte zu steuern (Version One 2015). Im Rahmen der Recherche für die Fragebogenkonstruktion wurden insgesamt 14 Reifegradmodelle analysiert, um die theoretische Basis des zu entwickelnden Messinstruments aufzustellen. Die 14 Reifegradmodelle wurden anhand ihrer Bewertungsstufen in Anlehnung an CMMI verglichen. Die Anzahl der Reifegradstufen, die Bewertungseinteilung nach SPICE sowie die Anzahl der Dimensionen, die die 4 Werte und 12 Prinzipien für die Bedeutung von Agilität abdecken sollten, stellen weitere Bewertungskriterien dar. Von diesen Modellen werden im Folgenden fünf, besonders unterschiedliche Ansätze skizziert und gegenübergestellt.
Das Reifegradmodell zur agilen Organisationsentwicklung von Krieg (2016) übernimmt die fünf agilen Aspekte nach Sidky et al. (2007), nennt allerdings keinerlei Indikatoren, für spezifische Reifegradstufen.
Mit dem Casa Agile Self-Assessment Index 1.0 (Zimmermann 2017) kann eine recht grobe, aber praxisnahe Erfassung und Einordnung des Ist-Zustands der Agilität eines Unternehmens vorgenommen werden. Indikatoren, die den Reifegrad erfassen, sind größtenteils qualitativ und nicht quantitativ formuliert. Für den Aufbau der Dimensionen und die jeweils zugeordnete Reifegradstufe lassen sich keine theoriebasierten Annahmen finden.
Der Agilitätsindex von Comparative Agility (2018) ist ein Online-Verfahren, das nicht nur den Ist-Zustand erfasst, sondern auch ein Benchmarking zu anderen Unternehmen der gleichen Branche erlaubt. Der Index wird aus der Beantwortung von 125 Items mit jeweils sechsstufigem likert-skalierten Antwortformat berechnet. Die Itemgenerierung und die Entwicklung der sieben zu erfassenden Dimension bleibt sowohl hinsichtlich der theoretischen Basis als auch hinsichtlich der empirischen Validierung unklar.
Der Sidky Agile Measurement Index (SAMI) nach Sidky et al. (2007) ist das Reifegradmodell, das am besten dokumentiert ist. Dieses Modell clustert die 12 Prinzipien in fünf Kategorien (siehe Tab. 1) und kann für unterschiedliche agile Ansätze, wie z. B. Scrum, Crystal oder eXtreme Programming, angewendet werden. Dadurch, dass die eingeführten Methoden aus agilen Vorgehensmodelle auf einer unteren Stufe notwendige Voraussetzungen dafür sind, die jeweils nächste Stufe zu erreichen, betont das SAMI-Modell die evolutionäre Entwicklung von Agilität (Sidky et al. 2007). Durch eine umfangreiche Online-Dokumentation ist die Erfassung des Reifegrades nachvollziehbar und transparent.
Vergleicht man die fünf aufgeführten Modelle miteinander, so stellt SAMI einen umfassend und weithin etablierten Ansatz dar. Ein Nachteil dieses Indexes besteht allerdings darin, dass die Bestimmung des Reifegrades vergleichsweise aufwändig ist. Dies liegt zum einen an der Anzahl der berücksichtigten agilen Techniken und zum anderen daran, dass die Bewertung im Idealfall durch eine neutrale, externe Person erfolgen sollte.
Effizienter und informativer wäre es, Organisationen ein Instrument an die Hand zu geben, das mit deutlich weniger Aufwand die interne Sichtweise der Mitarbeitenden erfasst und damit die Expert*innen ihres eigenen Wirkungsfeldes zu Wort kommen lässt. Das Ziel, solch ein Instrument zu konstruieren und zu validieren, bildet den Ausgangspunkt der Entwicklung und Datenerhebung für unseren Fragebogen zur interne Bewertung von Unternehmen hinsichtlich ihres agilen Reifegrades. Aufgrund der Vorteile und der weithin etablierten fünf Aspekte agiler Arbeit wurde das SAMI als theoretische Grundlage des Fragebogens gewählt. Folgende Anforderungen sollen von diesem Instrument zur interne Bewertung erfüllt werden:
  • Unabhängig von Hierarchiestufen sollen die Mitarbeitenden die Items selbst beantworten können.
  • Der Fragebogen soll Items enthalten, die sich auf die fünf Prinzipien des Reifegradmodells SAMI von Sidky et al. (2007) beziehen.
  • Die Items sollen einen unterschiedlichen Schwierigkeitsgrad aufweisen, sodass sie durch Organisationen, die einen unterschiedlichen Reifegrad besitzen, möglichst differenziert beantwortet werden.
  • Die interne Bewertung soll standardisiert und möglichst ökonomisch erfolgen, damit Mitarbeitende das Tool akzeptieren und Erhebungen regelmäßig durchgeführt werden können.

3 Generierung des Itempools

Die Konstruktion der Items erfolgte nach der internalen Konstruktionsstrategie (Bühner 2011; Moosbrugger und Kelava 2012). Bei diesem induktiven Vorgehen wurde im ersten Schritt eine Brainstorming-Session mit zwei Experten durchgeführt, die die fünf Themencluster von Sidky inhaltlich analysierten, anschließend die wichtigsten Aspekte sammelten und abschließend die Items formulierten (Bühner 2011; Moosbrugger und Kelava 2012).

3.1 Wahl des Antwortformats

Um die Ausprägung eines Merkmals zu quantifizieren, ist es in der Fragebogenkonstruktion wichtig, eine geeignete Antwortskala zu verwenden (Rohrmann 1978). Der vorliegende Fragebogen basiert auf einem likert-skalierten, 7‑stufigen und unipolaren Ratingformat, mit dem intervallskalierte Daten erzeugt werden. Die jeweiligen Skalenpunkte sind äquidistant (Döring und Bortz 2016), d. h. die vorgegebenen Intervalle haben den gleichen nummerischen Abstand und wurden nach Rohrmann (1978) so formuliert, dass sie von den Befragten auch semantisch als gleichabständig wahrgenommen werden sollten (1978). Die sieben Stufen ermöglichen es, eine feine Differenzierung der Antworten vorzunehmen, wodurch sich die Reliabilität im Vergleich zu einer fünfstufigen Intervallskala erhöht. Durch die ungerade Anzahl der Antwortmöglichkeiten haben die Befragten außerdem die Möglichkeit, mit der Skalenmitte eine neutrale Antwort abzugeben (Döring und Bortz 2016). Die Skala ist im Anhang inklusive der Formulierung der Items aus der aktuellen Version des Fragebogens einsehbar.

3.2 Validierung des Itempools durch Fachexpert*innen

In einem halbstrukturierten Interview wurde der anfängliche Itempool sechs Fachexpert*innen einzeln vorgelegt. Sie schätzten ein, ob die Items inhaltlich valide und vollständig, hinreichend klar und verständlich sowie eindeutig und nicht suggestiv formuliert waren (vgl. Döring und Bortz 2016). Die Expert*innen kamen aus unterschiedlichen Branchen, wie der Informationstechnologie, der Automobilindustrie und dem Dienstleistungssektor. Ihre Berufserfahrung im agilen Kontext lag zwischen zwei bis elf Jahren.
Die Expert*innen gaben in den Interviews eine Reihe von Anregungen, von denen allerdings aus methodischen Gründen nicht alle umgesetzt wurden. So kam z. B. der Wunsch auf, die Items in vorgegebene Dimensionen einzuteilen, damit der Antwortkontext gut erkennbar ist. Da bei diesem Vorgehen Antworttendenzen begünstigt würden, wurde hiervon abgesehen. Die aufgegriffenen Vorschläge aus den Interviews führten zu zwei wichtigen Veränderungen:
  • Auf Basis der Experteneinschätzungen wurde der Itempool von 128 Items auf 53 reduziert. Aussortierte Items waren suggestiv, doppeldeutig, schwer verständlich oder unklar formuliert
  • Als Tool für die Präsentation und Beantwortung des Online-Fragebogens wurde zunächst „LimeSurvey“ genutzt. Das damit realisierte Design der Online-Befragung wurde von allen Expert*innen als untauglich eingeschätzt, da es u. a. nicht zufriedenstellend auf einem mobilen Endgerät darstellbar war. Empfohlen wurde das webbasierte Tool „Typeform“, das dann auch für die quantitative Erhebung genutzt wurde

4 Validierung des Itempools

In Typeform wurden die Aussagen den Befragten einzeln nacheinander präsentiert. Um Sequenzeffekte bei der Beantwortung der Items zu vermeiden, wurden die Items über die Dimensionen hinweg randomisiert. Die so entstandene Reihenfolge wurde einmal vorwärts und einmal rückwärts in Typeform implementiert. Probanden wurden zufällig einer der beiden Reihenfolgen zugewiesen, wobei auf eine insgesamt gleichmäßige Besetzungshäufigkeit beider Reihenfolgen geachtet wurde. Aus Datenschutzgründen waren Teilnehmende angehalten, den Fragebogen komplett und bei einmaligem Besuch der Befragungsplattform zu beantworten. Die erhobenen Daten sind dementsprechend vollständig und enthalten keine fehlenden Werte. Sie wurden nur gespeichert, wenn die Befragten am Ende der Umfrage auf den Button „absenden“ drückten. Dadurch wurde das Gesetz der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) eingehalten, da entsprechend Art. 7 Abs. 1 eine Einwilligung zur Datenverarbeitung erfolgte. Die Bearbeitung des Fragebogens dauerte im Durchschnitt M = 14:58 min (Min= 5:23 min; Max= 58:42 min).

4.1 Stichprobe

Die Online-Umfrage war vom 08.07.2018 bis zum 01.09.2018 öffentlich zugänglich. Die Teilnehmenden wurden über soziale Netzwerke, wie Facebook, WhatsApp, Instagram, Twitter, LinkedIn und Xing sowie über Newsletter des SIBB, der Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie und des Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrums Usability akquiriert. Zusätzlich wurden über die sozialen Netzwerke einzelne Personen direkt angesprochen, um sie auf die Studie aufmerksam zu machen. Die Bearbeitung des Fragebogens dauerte im Durchschnitt M = 14:58 min (Min = 5,3; Max = 58,7). Insgesamt haben 568 Personen den Fragebogen in der Online-Version aufgerufen, 200 Teilnehmer*innen beantworteten den Fragebogen vollständig. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 35,21 %. Insgesamt 139 Personen (69,5 %) stammten aus kleinen und mittelständischen Unternehmen, 61 Personen (30,5 %) aus Großkonzernen. Zu den Befragten zählten 103 Frauen (51,5 %) und 89 Männer (44,5 %); 8 Personen gaben kein Geschlecht an. Das Durchschnittsalter lag bei 33 Jahren (Min = 21; Max = 60). An der Erhebung nahmen 51 Führungskräfte (25,5 %; davon 30 Männer, 17 Frauen, 4 ohne Geschlechtsangabe) teil. Die Mehrheit der Befragten (83 %) gab an, agil zu arbeiten. Nur 7,5 % berichteten, dass sie keine Kenntnisse über agiles Arbeiten besäßen und 9,5 % machten dazu keine Angaben. Die am meisten der Befragung vertretenen Branchen waren die Informationstechnologie (36 %), die Automobilindustrie (13 %) und der Dienstleistungssektor (11 %).

4.2 Hauptkomponentenanalyse

Die 53 Items des reduzierten Itempools wurden vor der quantitativen Evaluation auf angemessene Formulierung und mittels Hauptkomponentenanalyse (Principal Component Analysis; PCA) auf ihre Trennschärfe und ihren Schwierigkeitsindex hin kontrolliert. Aufgrund eines inadäquaten Schwierigkeitsindex wurden vier Items aus dem Pool entfernt, aufgrund von Defiziten in der Formulierung wurden fünf weitere ausgeschlossen.
Nach dieser Korrektur verblieben 44 Items, die einer ersten Hauptkomponentenanalyse mit Varimax Rotation unterzogen wurden. Eine Überprüfung bezüglich Normalverteilung, Sphärizität und Kaiser-Meyer-Olkin-Kriterium (KMO) zeigte, dass der Datensatz die drei Voraussetzungen für die Durchführung einer PCA erfüllt. Die Stichprobengröße von N = 200 erlaubt es, die Ergebnisse des Bartlett-Tests als weitere Voraussetzung für eine PCA zu interpretieren. Für den vorliegenden Datensatz liegt das Ergebnis des Bartlett-Tests im geforderten Signifikanzbereich (p < 0,001). Der KMO-Koeffizient ist mit einem Wert von 0,900 nach Bühner (2011) als „sehr gut“ einzustufen. Damit sind die Voraussetzungen für eine Hauptkomponentenanalyse erfüllt. Als Ergebnis der PCA zeigten sich sieben Dimensionen. Die erklärte Gesamtvarianz lag bei 66,014 %. Nach Betrachtung der Faktorladungen wurden 18 Items aufgrund unzureichender Trennschärfe und zu geringer Kommunalität ausgeschlossen.
Die verbleibenden 26 Items wurden hinsichtlich ihrer Voraussetzungen mit einer zweiten PCA untersucht. Der KMO-Koeffizient betrug 0,905 und ist somit nach Bühner (2011) als „sehr gut“ zu bewerten. Der Bartlett-Test lieferte wieder das erforderliche signifikante Ergebnis (p < 0,001). Die Voraussetzungen für eine Hauptkomponentenanalyse mit 26 Items waren somit abermals gegeben. Als Ergebnis zeigten sich hier noch fünf Dimensionen, die nunmehr 57,642 % der Varianz aufklärten. In Tab. 1 ist zu erkennen, dass die Items mit Faktorladungen von 0,5 oder größer weitestgehend einzelnen Komponenten zugeordnet werden können, sodass eine hinreichend konsistente faktorielle Validität gegeben ist.

4.3 Beschreibung und Interpretation des Ergebnisses

Tab. 2 fasst das Ergebnis der zweiten Hauptkomponentenanalyse inklusive der Faktorladungen und der relevanten Kenngrößen, Kommunalität (h2) und Trennschärfe (rit), zusammen. Die jeweils zugehörigen Itemformulierungen können im Anhang eingesehen werden.
Tab. 2
PCA mit Faktorladungen >0,4 und Kennwerten Kommunalität h2 und Trennschärfe rit
Item
Dimension
h2
rit
I
II
III
IV
V
A1
0,776
0,659
0,726
A2
0,767
0,676
0,733
A3
0,747
0,637
0,705
A4
0,721
0,620
0,711
A5
0,700
0,588
0,705
A6
0,624
0,522
0,634
A7
0,621
0,527
0,629
A8
0,552
0,466
0,570
A9
0,526
0,532
0,598
A10
0,522
0,468
0,599
B1
0,717
0,597
0,569
B2
0,697
0,597
0,586
B3
0,683
0,689
0,684
B4
0,562
0,518
0,525
B5
0,445
0,369
0,482
C1
0,687
0,614
0,578
C2
0,677
0,631
0,565
C3
0,415
0,615
0,619
0,467
C4
0,565
0,427
0,464
C5
0,562
0,422
0,480
D1
0,743
0,646
0,554
D2
0,701
0,621
0,530
D3
0,608
0,674
0,659
D4
0,513
0,469
0,467
E1
0,845
0,726
0,348
E2
0,695
0,626
0,348
Komponente I beinhaltet zehn Items, die sich auf die schrittweise Planung und Umsetzung von Anforderungen an die Systemgestaltung beziehen, wie z. B. „Die technische Implementierung wird mindestens einmal im Monat ausführlich und kritisch getestet.“ Neben der flexiblen Planung und dem iterativen Vorgehen in der Implementierung wird auch das kontinuierliche Fertigstellen von Softwarefunktionen am Ende eines Entwicklungszyklus berücksichtigt. Die mittleren Kommunalitäten h2 aller zehn Items sind bei einer Stichprobengröße von N = 200 nach Bühner (2011) „ausgezeichnet“ (siehe Tab. 1). Auch ist die Mindestanzahl von sechs Items erfüllt. Die Trennschärfe und die interne Konsistenz (Cronbachs Alpha = 0,905) liegen in einem guten Bereich. Die Komponente trägt zur Erklärung der Gesamtvarianz mit 20,156 % bei und wird mit „Iterative Planung und Bereitstellung von Software“ bezeichnet.
Komponente II besteht in der finalen Version aus nur fünf Items, die vor allem auf den agilen Kontext sowie auf die Bindung zwischen Mitarbeitenden und der Organisation fokussieren. Die Mindestzahl von 6 Items ist nicht erfüllt, daher ist die Reliabilität der Skala lediglich „gut“ (Cronbachs Alpha = 0,791). Der Anteil erklärter Varianz beträgt 11,697 %. Aufgrund des inhaltlichen Fokus der Items wird diese Komponente als „Agile Unternehmenskultur“ bezeichnet.
Komponente III erfragt mit ebenfalls fünf Items inwieweit die Rahmenbedingungen und Fähigkeiten vorliegen, die das Team zum eigenverantwortlichen und selbstständigen Arbeiten im agilen Kontext benötigt. Die interne Konsistenz der Skala ist mit einem Cronbachs Alpha-Wert von 0,747 „gut“. Die Varianzaufklärung beträgt 10,758 %. Der dritten Komponente wird die Bezeichnung „Agile Arbeitsweise und Kundeneinbindung“ zugeordnet.
Komponente IV umfasst vier Items, die messen, wie motiviert die Mitarbeitenden sind, um Veränderungen durchzuführen. Da Mitarbeitermotivation entsprechend der agilen Prinzipien vor allem über Lernprozesse und Feedback zu erzielen ist, erhält Komponente IV die Bezeichnung „Feedbackorientierte Mitarbeiterzentrierung“. Sie hat trotz geringer Itemzahl eine „gute“ Reliabilität (Cronbachs Alpha = 0,757). Der Anteil erklärter Varianz beträgt 9,543 %.
Komponente V besteht aus lediglich zwei Items, die die Dokumentation und Erstellung von Anforderungen nach traditionell organisierter Vorgehensweise erfragen, z. B. „Prozesse und Lösungen werden umfassend dokumentiert“. Aufgrund der sehr geringen Itemzahl ist die interne Konsistenz mit einem Cronbachs Alpha-Wert von 0,517 als „mangelhaft“ und daher als verbesserungsbedürftig einzustufen. Der Anteil erklärter Varianz beträgt 5,644 %. Die Bezeichnung „Klassisches Projektmanagement“ verdeutlicht, dass es sich hier um die Erfassung nicht-agiler Merkmale handelt.

5 Diskussion

Zur Bestimmung des agilen Reifegrades eines Unternehmens wurde ein standardisierter Fragebogen entwickelt, der aus 26 Items besteht und durch Mitarbeitende beantwortet werden kann. Die Items laden auf fünf Dimensionen mit den Bezeichnungen: (1) Iterative Planung und Bereitstellung von Software, (2) agile Unternehmenskultur, (3) agile Arbeitsweise und Kundeneinbindung, (4) Feedbackorientierte Mitarbeiterzentrierung und (5) klassisches Projektmanagement. Wie bei der Konstruktion eines eigenständigen Fragebogens zu erwarten war, entspricht seine Faktorenstruktur zwar nicht eins zu eins den Clustern nach Sidky et al. (2007) deckt diese jedoch ebenso wie die Prinzipien nach Beck et al. (2001) weitgehend ab. So werden beispielsweise das zweite Prinzip und das erste Cluster, die sich auf die Akzeptanz von Veränderungen beziehen, von Items aufgegriffen, die auf Dimension I laden, wie z. B. Item B12, das abfragt, ob alle Produktanforderungen stets auf dem aktuellen Stand sind.
Wie die PCA gezeigt hat, laden die Items ausreichend hoch auf ihrer jeweiligen Dimension. Die Kommunalität der Items der ersten Dimension ist ebenfalls hoch, die der anderen Dimensionen liegt im mittleren Bereich. Letzteres ist darin begründet, dass für Kommunalitäten, die das Prädikat ausgezeichnet verdienen, mindestens sechs Items pro Komponente vorliegen müssen (Bühner 2011). Trotzdem sind die Werte der internen Konsistenz für die Dimensionen II, III und IV größtenteils als „guten“ zu qualifizieren.
Eine Optimierung des Fragebogens könnte darin bestehen, für alle Dimension mindestens 6 Items bereitzustellen. Neue Items für Dimension III „Agile Arbeitsweise und Kundeneinbindung“ könnten z. B. ritualisierte Kommunikationsformen, wie tägliche Stand-Up-Meetings oder wöchentlich Reviews, betreffen. Eine Erweiterung der Itemmenge scheint insbesondere für Dimension V mit lediglich zwei Items angebracht, wobei allerdings anzumerken ist, dass diese Dimension das „Klassisches Projektmanagement“ repräsentiert. Ihre Items adressieren also nicht Agilität, sondern sollen einen darüber Eindruck vermitteln, inwieweit sich das Unternehmens von diesen Managementformen bereits emanzipiert hat.
Da der vorgestellte Fragebogen so einfach gestaltet ist, dass er durch alle Mitarbeitenden eines Unternehmens beantwortet werden kann, ermöglicht er den Vergleich bestehender Ansichten zur erreichten Agilität über Abteilungen und Hierarchieebenen hinweg. So ermittelte Diskrepanzen können als Ausgangsbasis für Interventionen genutzt werden, die die Entwicklung eines gemeinsamen „agilen Mindset“ vorantreiben und dabei helfen, agile Ansätze wie Scrum oder Kanban gemäß den Bedürfnissen und Möglichkeiten des Unternehmens zu skalieren. Einschränkend ist allerdings anzumerken, dass der Fragebogen nicht die Ursachen dafür aufdeckt, warum die Implementierung agiler Prinzipien stagniert oder ausbleibt. Er erfragt keine Verbesserungsvorschläge von den Mitarbeitenden, sondern erfasst lediglich deren subjektive Einschätzung des bestehenden Zustands. Interventionsmaßnahmen sind dementsprechend gesondert und möglichst partizipativ mit den Mitarbeitenden zu erarbeiten.

6 Ausblick

Neben der Erweiterung von Items in der aktuellen Version ist in zukünftigen Studien die inhaltliche Validität des Fragebogens zu ermitteln. Eine Möglichkeit bietet die Kriteriumsvalidität. Zu diesem Zweck könnten beispielsweise Außenkriterien herangezogen werden, wie die Durchführung von Retrospektiven, die Konsequenz in der Umsetzung von Entwicklungszyklen oder die „Definition of Done“, wie sie der SCRUM-Ansatz vorsieht. Dies kann naturgemäß erst nach Sicherstellung der Reliabilität eines Messinstruments anhand neu erhobener Daten erfolgen. Auch Experteneinschätzungen, die mittels einer anderen Methode erhoben werden, sollten substanzielle Korrelationen mit dem hier vorgeschlagenen Fragebogeninstrument aufweisen. Die nächsten Schritte zur Weiterentwicklung des vorgestellten Ansatzes zur unternehmensinternen Bewertung des agilen Reifegrades beinhalten außerdem eine Übersetzung und Validierung der Items auf Englisch sowie die Formulierung und Zuordnung von Handlungsempfehlungen bei Erreichen bestimmter Werte auf den einzelnen Dimensionen.
Trotz der diskutierten Verbesserungspotentiale stellt der Fragebogen bereits in seiner aktuellen Version ein ökonomisches und zielführendes Hilfsmittel dar, um agile Transformationsprozesse in Unternehmen systematisch zu begleiten und die Basis für Maßnahmen zur Erhöhung des agilen Reifegrades zu schaffen.

Danksagung

Diese Arbeit wurde im Rahmen des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Usability durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Förderschwerpunkt Mittelstand Digital gefördert (Förderkennzeichen: 01MF17013C).
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Anhang

Instruktion zum Fragebogen

„Dieser Fragebogen dient dazu, zu erfassen, inwieweit agile Prinzipien in Ihrer Organisation verankert sind. Nachfolgend finden Sie verschiedene Aussagen, die Sie bitte auf Ihre Organisation beziehen. Geben Sie für jede Aussage den Grad Ihrer Zustimmung oder Ablehnung an, indem Sie auf der Skala die jeweils entsprechende Zahl ankreuzen. Die Skala ist siebenstufig und reicht von 1 = „stimme gar nicht zu“ bis 7 „stimme völlig zu“. (Tab. 3).
Tab. 3
Skala
1
2
3
4
5
6
7
Stimme gar nicht zu
Weder noch
Stimme voll und ganz zu

Items (nach Dimensionen sortiert)

I: Iterative Planung und Bereitstellung von Software

  • Die technische Implementierung wird mindestens einmal im Monat ausführlich und kritisch getestet. (A1)
  • Es gibt eine priorisierte Übersicht bezüglich aller Produktanforderungen, die stets auf dem aktuellen Stand ist. (A2)
  • Es findet eine kurze, aber tägliche, Besprechung aller betroffenen Mitarbeitenden statt. (A3)
  • Der Status aktueller Aufgaben wird täglich auf den neuesten Stand gebracht. (A4)
  • Die technische Implementierung wird regelmäßig inhaltlich verantwortlichen Mitarbeitenden und Interessenvertretern demonstriert. (A5)
  • Alle Anforderungen werden grundsätzlich aus Nutzersicht formuliert, z. B. User Stories. (A6)
  • Die Software wird regelmäßig auf technische Funktionalität getestet. (A7)
  • Um Anforderungen an ein Produkt zu formulieren, findet zu Beginn mit allen Beteiligten ein Treffen statt, z. B. in Form von Workshops. (A8)
  • Erfahrungen werden systematisch ausgewertet, um zukünftige Prozesse weiter zu optimieren. (A9)
  • Feedback zur technischen Implementierung durch inhaltlich verantwortliche Mitarbeitende geht regelmäßig in die weitere Entwicklung ein. (A10)

II: Agile Unternehmenskultur

  • Bei der Formulierung von Unternehmensziele werden Mitarbeitende mit einbezogen. (B1)
  • Alle betroffenen Mitarbeitenden sind aktiv gefordert, Rahmenbedingungen im Unternehmen zu verbessern und mitzugestalten. (B2)
  • Die Rahmenbedingungen im Unternehmen verbessern sich nach konstruktiver Kritik spürbar. (B3)
  • Weiterbildungswünsche werden stark unterstützt und gefördert. (B4)
  • Die Unternehmensziele sind den Mitarbeitenden bekannt. (B5)

III: Agile Arbeitsweise und Kundeneinbindung

  • Primäres Ziel in der Entwicklung ist es, das Produkt auf die Bedürfnisse des Kunden abzustimmen. (C1)
  • Der Prozess lässt es zu, individuelle Kundenbedürfnisse zu berücksichtigen. (C2)
  • Entscheidungen können schnell und flexibel getroffen werden. (C3)
  • Mitarbeitende lernen mit der Zeit, die Größe und den Umfang von Aufgaben immer genauer einzuschätzen. (C4)
  • Mitarbeitende aus unterschiedlichen Fachrichtungen arbeiten sehr eng zusammen. (C5)

IV: Feedbackorientierte Mitarbeiterzentrierung

  • Die Besprechung von Konflikten verbessert das Arbeitsklima. (D1)
  • Mitarbeitende haben klar definierte Rollen. (D2)
  • Die Feedbackkultur ermöglicht es jedem Einzelnen, sich kontinuierlich zu verbessern. (D3)
  • Für jeden Mitarbeitenden sind persönliche Ziele abgesteckt. (D4)

V: Klassisches Projektmanagement

  • Prozesse und Lösungen werden umfassend dokumentiert. (E1)
  • Zu Projektbeginn wird der Auftrag mittels Lasten- und Pflichtenheft dokumentiert. (E2)
Literature
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Metadata
Title
Entwicklung eines Fragebogens für softwareentwickelnde Unternehmen zur internen Bestimmung des agilen Reifegrads
Authors
Katharina Jungnickel
Dr. Michael Minge
Prof. Dr. Manfred Thüring
Publication date
21-07-2020
Publisher
Springer Fachmedien Wiesbaden
DOI
https://doi.org/10.1007/s11612-020-00522-0

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