Im Forschungsprojekt EVUB (Erfassung und Visualisierung von unterirdischen Bewegungsräumen zur Vervollständigung des Lagebilds in Urban Operations) wurden die relevanten Geo-Faktoren, Infrastruktur und Bewegungsräume definiert, die als Grundlage für eine 3D-Darstellung für das Österreichische Bundesheer verwendet werden können.
Als Untersuchungsgebiet für einen Prototyp wurde ein Gebiet rund um den Wiener Karlsplatz definiert, um festzustellen, welche Daten aus öffentlichen Quellen recherchiert werden können und in welcher Qualität und Quantität diese vorliegen. Ferner wurde erhoben, welche nicht öffentlich zugänglichen Daten (Closed-Data) bereitgestellt und unter welchen Umständen diese Daten im Projekt verwendet werden können.
Im Testgebiet wurden verschiedene Erhebungsmethoden und -technologien erprobt: von der Modellierung von CAD-Gebäudeplänen über die Erfassung von Strukturen mit LiDAR-Scanner und einer Mixed Reality-Brille, zum Vermessen von Baustrukturen mit einem Laser-Entfernungsmessgerät und deren Verbindung mit Echtdaten für unzugängliche Areale.
Erhobene Daten wurden als 3D-Modelle aufbereitet und erfolgreich in das Führungsinformationssystem des NIKE-Forschungs- und Entwicklungsprogramms der Theresianischen Militärakademie integriert, wo diese Informationen von Einsatzkräften mit Hilfe von Augmented Reality genutzt werden können.
Ein wesentliches Projektziel war es, die Dimensionen und Komplexitäten der Thematik zu verstehen und auf dieser Grundlage den Aufwand einer Ausrollung in einem größeren Stadtgebiet sowie für aufwändigere Visualisierungen abschätzen zu können.
Für eine Ausweitung des Projekts auf die Erstellung eines österreichweiten Untertage-Atlasses wurden Vorarbeiten geleistet, die – bei entsprechender finanzieller und inhaltlicher Unterstützung der Städte und Gemeinden – in der nächsten Phase umgesetzt werden können.
Notes
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
1 Einleitung
Bei Einsätzen in Städten sind Einsatzkräfte mit der Herausforderung eines guten und möglichst breiten Lagebilds konfrontiert. Das betrifft neben der Oberfläche auch unterirdische Bewegungsräume (z. B. Kanäle, U‑Bahn-Verbindungen, Keller-Durchstiege) und Infrastruktur (z. B. Glasfaser‑, Stromleitungen), da Einsätze in urbanem Umfeld zwangsläufig die Dimension unter Tage mitberücksichtigen müssen.
Die Einsatzbereitschaft des Österreichischen Bundesheeres, in unterirdischen Bewegungsräumen zu operieren, kann durch eine Verbesserung der Lagebeurteilung in städtischen Einsatzgebieten stark verbessert werden. Dies soll durch eine wesentliche Erhöhung der taktischen Beweglichkeit, durch die Ausweitung der Fähigkeiten im Bereich digitaler Kartographie und Visualisierung von Informationsebenen sowie durch die Schaffung von Grundlagen zur zukünftigen Verknüpfung mit Virtual- (VR) sowie Mixed-Reality (MR)-Anwendungen in Form von speziellen Ausbildungs-Simulationen erreicht werden.
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Der Karten‑/Geländevergleich ist im urbanen Umfeld eingeschränkt und für die Untertage-Infrastrukturen unmöglich. Da die Einsatzszenarien in unterirdischen Infrastrukturen oft sehr komplex sind, ist es notwendig, ein umfassendes Lagebild durch geeignete Visualisierungen als Führungsgrundlage zu erstellen [1]. Dies erfordert die Integration äußerst heterogener Datensätze und die Visualisierung in einem vollständigen Lagebild. Die räumliche Ausdehnung und Komplexität urbaner unterirdischer Strukturen – z. B. der Wiener U‑Bahn – machen dies zu einer sehr speziellen Herausforderung.
Die in diesem Projekt erarbeiteten Methoden und Technologien sind ein wesentlicher Schritt zur Verbesserung der Lagebeurteilung und taktischen Beweglichkeit in urbanen Räumen und tragen zu einer Verbesserung von MR-Trainings für Einsatzkräfte bei. Der wesentliche Nutzen für das Österreichische Bundesheer liegt darin, zukünftig die unterirdische Bedrohungslage besser einschätzen zu können sowie den Aufwand abzuschätzen, der für eine österreichweite Datenerhebung und Modellierung erforderlich wäre.
2 Erhebung der Daten im Testgebiet
Zunächst wurden alle wichtigen Geofaktoren festgelegt, die die verschiedenen technischen Einrichtungen der Energieversorgung, Kommunikation, Wasserver- und -entsorgung sowie die Verkehrs‑, Wohn- und Lebensräume umfassen, die für die städtische Bevölkerung notwendig sind. Diese wurden in die unterschiedlichen Bodenbewegungsebenen Supersurface, Surface und Subsurface (Triple-S) unterteilt (vgl. [2, 3]), wobei sich die meisten relevanten Geofaktoren im Subsurface befinden. Als Untersuchungsgebiet wurde ein ca. 0,62 km2 großes Areal rund um den Wiener Karlsplatz gewählt (Abb. 1), welches einen wichtigen und zentralen Verkehrsknotenpunkt (U1, U2 und U4) darstellt sowie eine Vielzahl an unterirdischen Bewegungsräumen umfasst.
Bei der Erhebung der Datenquellen für die verschiedenen Geofaktoren wurde zwischen Open-Data-Quellen und Closed-Data-Quellen unterschieden. Öffentlich zugängliche Datenquellen sind z. B. das Digitale Kanal-Informationssystem der Stadt Wien KANIS, wo alle Schächte, Haltungen und Systemknoten erfasst sind, oder andere in ViennaGIS veröffentlichte Daten. Für die Nutzung weiterer wichtiger Datenquellen, wie z. B. des Digitalen Zentralen Leitungskatasters der Stadt Wien (ZLK) oder des Netzinformationssystems der Wiener Netze GmbH, bedarf es eines formellen Ansuchens bzw. einer Zugriffsberechtigung.
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Es wurden 50 Institutionen identifiziert, welche relevante Infrastrukturen betreiben, zugehörige Daten erfassen oder Gebäude im Testgebiet verwalten. Beispiele dafür sind einige Magistratsabteilungen der Stadt Wien, das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen, die Wien Energie GmbH, die Wiener Linien GmbH & Co KG, die Wiener Netze GmbH, die Technische Universität Wien, die Hotelmanagements sowie die Hausverwaltungen und Tiefgaragenbetreiber im Untersuchungsgebiet.
Aufgrund von Sicherheitsbedenken lagen im Projekt keine Daten seitens der Stadt Wien vor, da diese nur auf offizielles Ersuchen des Bundesministeriums für Landesverteidigung übermittelt werden können, was zudem einer rechtlichen Prüfung bedarf (vgl. [4]). Ferner stieß man in Gesprächen mit weiteren Institutionen auf Unverständnis darüber, warum das Bundesministerium für Landesverteidigung nicht ohnehin Zugriff auf die benötigten Daten hat. Andererseits konnten einige der kontaktierten Institutionen, wie Hausverwaltungen, Hotelbetreiber oder die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), Gebäudepläne bereitstellen, und geographische Informationen wie der Verlauf unterirdischer Bäche, der Kanalisation oder der U‑Bahnlinien konnten gut aus öffentlich zugänglichen Daten recherchiert werden. Überdies öffnet die Stadt Wien im Rahmen der „3. Mann-Tour“ Teile der Kanalisation im Untersuchungsgebiet für die Öffentlichkeit, in unmittelbarer Nähe eines der meistfrequentierten U‑Bahn-Knoten in Wien. In Kombination mit Open-Data kann dieser Bereich relativ genau modelliert werden. Für die Erfassung der geographischen Lage der Hohlräume im Bereich der U‑Bahn-Station Karlsplatz und des dort untertägigen Wienflusses eignen sich GIS-Plattformen wie wien.gv.at, qgiscloud.com und openstreetmap.com (OSM).
3 Verarbeitung von Gebäude- und Bestandsdaten
Generell mangelt es in analogen und digitalen Gebäudeplänen an einem koordinativen Bezug zu einer digitalen Grundkarte, oder es fehlt der koordinative Bezug zwischen Stockwerken. Dies verkompliziert die 3D-Modellierung. Als digitale Grundkarte wurde die Katastermappe (DKM) des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen gewählt, sodass Gebäudepläne in das amtliche Koordinatensystem im Testgebiet transformiert werden konnten. Dabei traten Klaffungen von bis zu knapp einem Meter auf, da sich Gebäudepläne und Kataster häufig als nicht deckungsgleich erwiesen. Bei der Erstellung von 3D-Modellen aneinander gebauter Gebäude kann dies zu Überlappungen und unrealistischen Darstellungen führen.
4 Gerätetests zur Bestandsdaten-Erweiterung
Wegen der unterschiedlichen Verfügbarkeit von Geo- und CAD-Daten wurden verschiedene tragbare, mobile Geräte zur Erfassung unterirdischer Strukturen getestet, darunter LiDAR-Scanner von Mobiltelefonen sowie die MR-Brille „HoloLens 2“ von Microsoft.
HoloLens-MR-Brillen wurden bereits zur Kartierung der Gebäudegeometrien von Innenräumen eingesetzt (vgl. [5]) sowie zur Kartierung in Tunneln, an Felshängen (vgl. [6]) und in denkmalgeschützten Gebäuden (vgl. [7]) getestet. Das Gerät kann mit einem eingebauten 3D-Scanner und einer Messgenauigkeit von wenigen Zentimetern die Umgebung in Echtzeit kartieren und gleichzeitig den Standort des Geräts verfolgen (vgl. [5, 8‐10]). Die von der HoloLens gesammelten Daten lassen sich problemlos in andere Software exportieren (vgl. [6]).
Ein LiDAR-Scanner steht bei einem iPhone Pro ab der 12. Generation zur Erfassung der Umgebung zur Verfügung. Dafür wurden zwei verschiedene iOS-Apps verwendet: die „3D-Scanner-App“, welche bereits für die Modellierung einer Steilküste Anwendung fand (vgl. [11]), und „MagicPlan“, die entwickelt wurde, um genaue Grundrisse mittels LiDAR, Augmented Reality und Künstlicher Intelligenz zu erstellen. Dafür werden Räume mit der Kamera eines iPhones oder iPads automatisch oder manuell gescannt (vgl. [12]). MagicPlan ermöglicht das Hinzufügen von Elementen wie Türen und Fenstern sowie den Export in verschiedenen Formaten (IFC, OBJ und USDZ) (vgl. [13]).
Die beschriebenen Methoden wurden an verschiedenen unterirdischen Räumlichkeiten im Untersuchungsgebiet getestet, darunter Kellerräume, Korridore und eine Tiefgarage. Versuche mit der HoloLens zeigten Schwächen bei der Erfassung komplexerer Geometrien und metallischer Oberflächen, jedoch konnten 3D-Modelle einzelner Räume generiert werden. Dies gilt auch für die 3D-Scanner-App und die MagicPlan-App, obwohl die beiden iOS-Apps bessere Ergebnisse als die HoloLens generierten und sich Fehler der automatischen Erfassung mit MagicPlan leicht nachträglich korrigieren lassen.
Bei den Experimenten in der Tiefgarage stellt sich heraus, dass beide Apps für die Erfassung größerer unterirdischer Baustrukturen (> 100 m2) nicht geeignet sind, da große Teile nicht erfasst werden konnten bzw. der Scanvorgang abbrach. Zudem besitzen die Mobiltelefone für diese Anwendung zu geringe Akkukapazitäten, weswegen sich eine ausreichende Anzahl an Powerbanks empfiehlt. Eine Erfassung kleiner bis mittelgroßer Räume mit einfachen Geometrien ist mit beiden LiDAR-Apps einfacher machbar als mit der HoloLens 2. Daneben lässt sich eine Kartierung per Smartphone leichter und diskreter durchführen als mittels einer MR-Brille und dem obligatorischen Notebook.
Für eine weniger aufwändige Schaffung von Bestandsdaten für Räumlichkeiten mit einfachen Geometrien sind handelsübliche Laser-Entfernungsmessgeräte eine Option. So wurden sowohl das Portal des Wien-Flusses im Stadtpark als auch die U‑Bahnschächte (U1, U4) im Bereich der Station Karlsplatz für eine spätere 3D-Modellierung vermessen. Überdies wurden auch Bahnsteige, Korridore und andere unterirdische Bewegungsräume der Station Karlsplatz vermessen und mit Geodaten aus in OpenStreetMap kartierten Innenräumen ergänzt (vgl. [14]).
5 Der Weg von den Bestandsdaten zu Virtual Reality
Die Gebäudepläne bedürfen einer Weiterverarbeitung zu Datenformaten wie .stl, .glb, .obj oder .fbx; für eine Weiterverwendung in einer VR-Umgebung. Dafür wurde das Programm Autodesk Civil 3D mit eigenen Modellierungsmethoden wie Extrusion von z. B. Stockwerken, Räumen, Fenstern, Türen usw. verwendet. In Abb. 2 und 3 ist das Freihaus der TU-Wien als Gebäudemodell aus CAD-Daten dargestellt.
Abb. 2
3D-Modellierung inklusive Tiefgarage des Gebäudes „Freihaus der TU-Wien“ mittels Civil 3D
Zur Validierung der dreidimensionalen Modelle in VR wird eine Meta Quest 3 als VR/MR-Brille und die Unreal Engine 5 (UE5) eingesetzt. UE5 ist ein grafikstarkes Programm mit offenem Sourcecode zur Verarbeitung und Erstellung verschiedenster 3D-Anwendungen (vgl. [15]).
Zudem werden verschiedene Hilfsprogramme (Plugins) wie „Datasmith“ für eine optimierte Kompatibilität von .dwg-Dateien, und zur Streaming-Funktion der Geodaten von Google das Plugin „Cesium Ion“ benötigt, um ganze Städte in kürzester Zeit als 3D-Oberfläche darzustellen. Infrastrukturen von besonderem Interesse können darin durch präzisere Modelle ergänzt werden (siehe Abb. 4, in grau).
Abb. 4
Visualisierter Ausschnitt des Karlsplatzes via UE5 (Unreal Engine 5) mit TU Wien, Freihaus
Abb. 5 zeigt diese Kombination von Daten in einer Ansicht aus dem Gebäude. Sie zeigt den Blick Richtung Karlsplatz aus einem der Obergeschosse des Freihauses. Die Integration der Bäume ist beispielsweise bei der Einbindung von Geodaten von Google ein Vorteil. Die realistische Perspektive sowie die naturgetreue Umgebung ermöglichen z. B. die Überprüfung von Entfernung, Winkel und Sichtverhältnissen zu anderen Gebäuden, Räumen oder Fenstern.
Abb. 5
Ansicht aus dem Freihaus in Richtung Karlsplatz, via UE5
Die Erstellung von Grundlagendaten zur Schaffung eines Lagebildes muss aus Gründen des Aufwands auf vorhandene Pläne und Geodaten gestützt werden. Davor bedarf es einer Klärung der rechtlichen Lage hinsichtlich des Zugriffs. Die Aufwände der Weiterverarbeitung der Grunddaten zu den mit einer VR-Umgebung kompatiblen Datenformaten dürfen nicht unterschätzt werden. Mit den eingesetzten Geräten (z. B. LiDAR-Scanner von Mobiltelefonen) ist die Generierung von Daten für ein Lagebild möglich, was jedoch beachtliche Schwierigkeiten bei der Aufbereitung für die Weiterverwendung in einer VR-Umgebung mit sich bringt. Hier empfiehlt sich die Abwägung, ob nicht mit Laserentfernungsmessgeräten ermittelte Daten leichter für die Weiterverarbeitung in der VR-Umgebung geeignet und auch ausreichend sind.
Die Erstellung von Lagebildern in einer VR-Umgebung wird durch den scharfen Gegensatz geprägt, dass große Mengen von Geodaten aufgrund ihrer Datenhomogenität innerhalb kürzester Zeit visualisiert werden können, während Details wie einzelne Gebäude oder untertägige Hohlräume einen enormen Aufwand erfordern.
Förderung
Wesentliche Teile der präsentierten Entwicklungsarbeiten wurden von der FFG (Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft mbH) im Rahmen des Förderprojekts EVUB (FFG. Nr. 900354) gefördert.
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