Es wird Zeit, die ewige Klage der Personaler um den Fachkräftemangel einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Immer noch denken wir in alten Mustern, immer noch geht es im alten Dreiklang: Suchen, Finden und lebenslang binden. Und jedes Mal merken wir, dass die Mitarbeiter nach drei, vier Jahren auf einmal ihrem Vorgarten wieder mehr Aufmerksamkeit widmen, als dem Unternehmen. Da ist sie wieder, die alte Falle: Beherrschen die Mitarbeiter ihr Metier, kommt Routine auf. Die führt zu weniger Initiative, manchmal zu mehr Fehlern, und irgendwann ist der Punkt da: Man überlegt, ob dieser Mitarbeiter noch zum Unternehmen passt. Und der alte Dreiklang beginnt von vorne.
Erfolg und Misserfolg liegen für beide Seiten – Mitarbeiter wie Unternehmer – oft dicht beieinander. Doch vieles ist beim Ausscheiden aus einem Job eine Frage der Bewertung. Vielleicht sind die Mitarbeiter ja gar nicht wirklich gescheitert, sondern haben an falschen Werten geklebt, waren erfolgs- und anerkennungssüchtig und passten zu wenig zum Unternehmen?
Interessanterweise ist die Negativwahrnehmung des beruflichen Scheiterns in Deutschland tatsächlich nur eine im Verhältnis zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern. Gescheiterte Start-ups werden völlig anders bewertet. Selbst in einem dritten oder vierten Versuch bewundert man immer noch den unternehmerischen Mut. Das geht mittlerweile so weit, dass gescheiterte Unternehmer mit den so genannten Fuck up Nights einem breiten Publikum Unterhaltungswert der ganz besonderen Art anbieten: Abende, an denen sich Unternehmensgründer vor Publikum zu ihren früheren Pleiten und Pannen bekennen, sind in. Entstanden ist die Idee vor drei Jahren in Mexiko, seither hat sie die Welt erobert. In der Politik, beim Start-up mit dem Stempel der Jugend und beim Thema Ehe sind wir immer offen, wenn Menschen scheitern. Dabei ist Scheitern immer eine Grenzerfahrung, es macht demütig und wagemutig zugleich.
Berufswechsler sind innovativ und mutig
Und genau diese Erfahrung ist es, die Personaler endlich für die Personalprobleme in ihren Unternehmen nutzen sollten: Menschen, die sich eingestehen, dass ihr Ausbildungsberuf, ihr bisheriges Berufsleben nicht die Erfüllung bringt, die sie sich erhofft haben, sind eine Riesenchance, wenn es darum geht, innovative und mutige Mitarbeiter zu finden. 1,2 Millionen Menschen jährlich gestehen sich ein, etwas anderes machen zu wollen als ihren erlernten Beruf.
Es ist daher an der Zeit, dass Unternehmen sich mit dieser Gruppe auseinander setzen: Denn Quereinsteiger steigern durch neue Denk- und Handlungsansätze Umsatz, Gewinn und Innovationsfähigkeit und schaffen in den Betrieben einen anderen Blick auf die Dinge. Mit ihrer persönlichen erworbenen Fachexpertise lassen sich zum Beispiel Fragen eines Kunden viel besser beantworten. Es finden Transferleistungen statt, Dinge werden neu und in andere Richtungen gedacht.
Quereinsteiger müssen anders rekrutiert werden
Natürlich gibt es auch besondere Herausforderungen beim Einsatz von Quereinsteigern, da sollte man sich nichts vormachen. Damit Vorstände und Personaler bereit sind, Quereinsteiger einzustellen, ohne für beide Seiten eine exotische Situation zu schaffen, ist es deshalb unumgänglich, sich darauf einzulassen, die Kompetenzen und Erfahrungen der Bewerber zu nutzen – und nicht nur belegbares Wissen über formalisierte Prüfungsleistungen.
Im Bewerbungsprozess müssen daher Persönlichkeitsmerkmale eine Gleichstellung zu fachlichen Qualifikationen bekommen. Die Unternehmen müssen wieder lernen, selbst Verantwortung in diesem Bereich zu übernehmen, indem sie sich von ihrem Arbeitsalltag lösen, der sich über Jahrzehnte in den Personalabteilungen eingeschlichen hat.
Quereinsteiger sind ganz schön mutig. Denn sie fallen hin, stehen auf, richten ihre Krone und gehen in eine neue berufliche Richtung. Schön wäre, wenn Unternehmen das in Sachen Personalsuche auch hinbekämen. Nützen würde es nämlich beiden Seiten.