Der intelligente Geschwindigkeitsassistent ISA soll Autofahrer dazu bringen, Tempolimits einzuhalten. Die Technik ist für Neufahrzeuge ab 7. Juli 2024 in der EU verpflichtend. Alle Infos zu ISA im kompakten Überblick. (Update)
Das intelligente Geschwindigkeitsassistenzsystem (Intelligent Speed Assistance; ISA) soll Fahrzeuge an der Überschreitung einer festgelegten Geschwindigkeitsbegrenzung hindern. ISA müssen dem Fahrer bei Geschwindigkeitsüberschreitung Rückmeldung geben. Damit soll die Zahl der Unfälle und Verkehrstoten auf europäischen Straßen weiter sinken.
Die Verordnung (EU) 2019/2144 des Europäischen Parlaments und des Rates schreibt vor, dass Kraftfahrzeuge der Klassen M und N ab dem 6. Juli 2022 für neue Fahrzeugtypen und ab dem 7. Juli 2024 für alle Neufahrzeuge (neu zugelassene Fahrzeuge) mit ISA ausgestattet sein müssen. Am 12. November 2021 wurde die EU-Verordnung offiziell verabschiedet, so der Kartenspezialist TomTom. Neben ISA sind ab dem Sommer 2024 weitere sicherheitsrelevante Fahrerassistenzsysteme in den EU-Mitgliedsstaaten für neue Zulassungen verpflichtend, darunter Systeme wie Notbrems- und Rückfahrassistenten.
Die ISA-Verordnung im Überblick
- Die Europäische Union (EU) empfehlt eine Kombination aus optischen Sensoren und Karten, um Fahrer in mindestens 90 % aller Fälle korrekt über die aktuell geltende Höchstgeschwindigkeit zu informieren.
- Kameras werden eingesetzt, um Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Straßenschildern zu erkennen, in den Karten liegt die Information kodiert vor. Zusammen können diese Technologien Fahrer in Echtzeit über die Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Straße informieren.
- Wenn ISA nicht in das Fahrzeug eingebaut ist, darf der Hersteller es nicht auf dem europäischen Markt verkaufen. Die Automobilhersteller müssten wählen, so TomTom, mit welchem Kamera- und Kartenanbieter sie bei der Bereitstellung dieser Technologie zusammenarbeiten wollen.
- Bislang gibt es entsprechende ISA-konforme Lösungen von Google – im Rahmen der Google Automotive Services – oder als Gemeinschaftsangebot von Here, Continental und Elektrobit sowie von TomTom, wie letzterer erklärt.
- ISA wird im Auto vorinstalliert, Fahrer müssen während der ersten sieben Jahren nicht für die Technologie bezahlen. Nach den ersten sieben Jahren stehe es dem Hersteller frei, für den Dienst Gebühren zu erheben, zum Beispiel in Form eines Abonnementmodells, so TomTom.
ISA soll Verkehrsunfälle reduzieren
Die ISA-Systeme, die in der EU zum Einsatz kommen sollen, sind übersteuer- und abschaltbar. Da es sich bei ISA nur um einen Assistenten handelt, können die Fahrer ihn übersteuern, indem sie das Gaspedal durchdrücken oder dessen Warnungen ignorieren. Der Fahrer muss seine Geschwindigkeit weiterhin frei wählen können. Es ist auch möglich, das System für die Dauer der aktuellen Fahrt abzuschalten.
Grundsätzlich könnten ISA-Systeme laut EU-Kommission aber auch stärker eingreifen. Sie unterscheidet drei Kategorien von Systemen, je nach Grad des Eingriffs:
- Informativ oder beratend: ISA gibt dem Fahrer über aktuelle Geschwindigkeitsbegrenzungen und -überschreitungen Rückmeldung durch ein visuelles oder akustisches Zeichen.
- Unterstützend oder warnend: ISA erhöht den Druck auf das Gaspedal nach oben. Es ist möglich, das unterstützende System zu übersteuern, indem das Gaspedal stärker gedrückt wird.
- Eingreifend oder obligatorisch: ISA verhindert jede Geschwindigkeitsüberschreitung, indem zum Beispiel die Kraftstoffeinspritzung reduziert wird oder der Fahrer einen "Kick-down" durchführen muss, wenn er das Limit überschreiten möchte.
Anlass für die technischen Vorschriften sind die Unfallzahlen, die auf europäischer Ebene bis 2030 halbiert werden sollen. Nach Angaben des Statistische Bundesamtes ist zu schnelles Fahren eine der Hauptunfallursachen. Springer-Autor Murray Mackay zitiert im Kapitel Current Vehicle Safety Technologies and Future Directions Studien, die die positive Wirkung der ISA-Systeme bestätigen. Demnach konnten Unfälle, bei denen jemand verletzt wird, um 10 bis 20 % reduziert werden, je nachdem, ob das ISA-System freiwillig oder verpflichtend ist. Bei schweren Unfällen und tödlichen Unfällen werde geschätzt, dass die Reduktion mindestens doppelt so hoch sei wie bei Unfällen mit leichten Verletzungen.
Wie zuverlässig funktioniert ISA?
Allerdings hat ISA wie auch andere Assistenzsysteme Grenzen: "Das System warnt die Fahrerin oder den Fahrer, wenn die auf dem jeweiligen Streckenabschnitt zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten wird. Viele Unfälle passieren aber, weil zwar im Rahmen des generell Zulässigen, aber für die aktuell herrschenden Straßenverhältnisse oder Wetterbedingungen zu schnell gefahren wird. Unfallexperten sprechen dann von 'nicht angepasster Geschwindigkeit' – und dagegen ist ISA leider wirkungslos", sagt Ulrike Hetzel, Vorstandsmitglied und Chief Technology Officer der Expertenorganisation Dekra.
Dazu kommt die Fehleranfälligkeit des Systems. Eigentlich sieht die Verordnung (EU) 2021/1958 vor, dass die korrekte Geschwindigkeitsbegrenzung auf mindestens 90 % einer Gesamtteststrecke und mindestens 80 % auf jeder der drei Straßenarten (innerorts, außerorts und Autobahnen) erkannt wird. Doch in der Praxis gibt es Probleme. Wie die AutoScout24-Testredaktion festgestellt hat, werden die Tempolimits aufgrund fehlerhafter kamera- und datenbasierter Verkehrszeichenerkennungen häufig nicht genau identifiziert. Ein Abgleich zwischen visuell erkannter und abgespeicherter Tempolimits würde daher oftmals nicht oder nur unzureichend erfolgen.
Auch ADAC-Experten haben ISA-Assistenten untersucht. Das Ergebnis: Die Erkennungs- und Kartenfehler seien die Schwachpunkte bei allen ISA-Kandidaten im Test. Besonders das Kartenmaterial der Navigationsgeräte, auf die einige ISA-Systeme zurückgreifen, sollen fehlerhaft sein. Dr. Reinhard Kolke, Leiter des ADAC-Technik-Zentrums: "Wir haben bei den Systemen eine Fehlerquote von durchschnittlich 10 Prozent festgestellt und raten daher dringend, sich nicht blind auf einen solchen Assistenten zu verlassen".
Debatte um Abschaltmöglichkeit
Wie groß der Sicherheitsgewinn des ISA-Systems ist und wie stark der Eingriff des Systems sein sollte, wird von verschiedenen Stellen debattiert. Nach ADAC-Erkenntnissen ist das ISA-System aktuell nicht ausreichend erprobt und ausgereift, so die Einschätzung des Clubs zur verpflichtenden Einführung. Daher sei die vorgesehene Abschaltmöglichkeit sinnvoll. Als unterstützendes System könne es im Einzelfall jedoch hilfreich sein. Eine wesentliche Kritik des Europäischen Verkehrssicherheitsrats ETSC besteht wiederum darin, dass das ISA-System beim Start des Fahrzeuges vollständig abschaltbar sei. ETSC fordert eine möglichst strenge, unterstützende und eingreifende ISA.
Darüber hinaus weisen die Springer-Autoren um Jeremy J. Blum im Kapitel Intelligent Speed Adaptation (ISA) des Handbook of Intelligent Vehicles darauf hin, dass ISA-Systeme zu Hypovigilanz und Überlastung des Fahrers, negativen Verhaltensanpassungen und negativen Interaktionen zwischen Fahrern von mit ISA ausgestatteten Fahrzeugen und Fahrern von nicht ausgestatteten Fahrzeugen führen könnten.