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20-01-2022 | Fahrwerk | Schwerpunkt | Article

So lassen sich Brems- und Reifenabrieb reduzieren

Author: Christiane Köllner

7:30 min reading time

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Der Abrieb von Reifen und Bremsen ist eine Gefahr für die Gesundheit und Umwelt. Ein aktueller ADAC-Test zeigt: Gerade sportliche Reifen produzieren sehr viel Abrieb. Wie lassen sich die Abriebpartikel reduzieren? 

Feinstaub ist eines der größten Gesundheitsrisiken, die von Luftverschmutzung ausgehen. Laut Schätzungen mehrerer Studien ist Feinstaub jährlich für mehrere Millionen Todesfälle verantwortlich. Insbesondere ultrafeine Teilchen wie Rußpartikel werden als krebserregend eingestuft, wie das Paul-Scherrer-Institut (PSI) weiß. Aber auch Allergien, Asthma, Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen können nach Angaben der PSI-Forscher durch Feinstaub ausgelöst werden. Schlechte Luftqualität und Feinstaub zählen neben Bluthochdruck, Rauchen, Diabetes und Übergewicht zu den fünf wichtigsten Gesundheitsrisikofaktoren.

In der öffentlichen Debatte werden insbesondere Verbrennungsmotoren – allen voran der Dieselmotor – für die Feinstaubbelastung in Ballungsgebieten verantwortlich gemacht. "Was in der aktuellen Diskussion aber scheinbar außer Acht gelassen wird: Dieselmotoren sind nur eine Facette des Problems, denn ein Großteil des innerstädtisch messbaren Feinstaubs geht auf Abriebpartikel zurück", wie Thomas Molitor im Artikel Verringerte Feinstaubemission mit hartstoffbeschichteten Bremsscheiben aus der ATZproduktion 3/4-2020 schreibt. Hauptverursacher dieser Partikel seien neben Reifen vor allem Bremsscheiben und Bremsbeläge, wie auch ein australisch-dänisches Forscherteam im Beitrag Urban Air Quality: Sources and Concentrations bestätigt: "Partikel (PM 10) und feinere Partikel (PM 2,5) werden nicht nur durch die Verbrennungsprozesse im Motor emittiert, sondern auch und vor allem durch physikalische Prozesse, wie zum Beispiel die Aufwirbelung von Straßenstaub und den Verschleiß von Reifen, Bremsen und Straßenmaterial." 

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2021 | OriginalPaper | Chapter

Urban Air Quality: Sources and Concentrations

Urban air quality refers to how “clean” the ambient air is inside of cities with a density, population, and level of activity that generally are recognized as “urban.” Urban air quality generally differs from rural air quality since there are usually more concentrated sources, and the ability for the pollutants in the air to be dispersed is limited by the physical constraints of the urban environment.

Umstieg auf Elektroautos ändert nichts

Somit würde auch der großflächige Umstieg auf Elektroautos an dieser Schadstoffbelastung nichts ändern. Wie die OECD-Studie Non-exhaust Particulate Emissions from Road Transport: An ignored Environmental Policy Challenge feststellt, könnte der Abrieb von Bremsen, Reifen und Straßen schon bald die Auspuffabgase als Hauptverursacher von Feinstaub im Verkehr ablösen. Das bestätigt auch Peter Fischer, Leiter des Instituts für Fahrzeugtechnik der TU Graz, in Bezug auf die von Bremsen verursachten Partikelemissionen: "Sowohl auf den Kilometer als auch auf den gesamten Fahrzeug-Lebenszyklus gerechnet, liegt diese abgeriebene Masse weit über jener der Partikel, die ein Dieselfahrzeug innerhalb aller Normen und Grenzbereiche über den Auspuff emittieren darf", so der Forscher in einem Artikel von Susanne Eigner auf der Webseite der TU Graz. Das lasse sich relativ einfach über den gemessenen Masseverlust der vier Bremsscheiben und acht Bremsbacken mit entsprechenden Bremsbelägen und den Tauschintervallen abschätzen, erklärt Fischer dort weiter. 

Schwere Elektrofahrzeuge mit langer Batteriereichweite sollen das Problem des Abriebs von Bremsen, Reifen und Straße sogar verstärken. Leichte Elektrofahrzeuge mit einem Radius von 160 km verursachen laut OECD-Studie schätzungsweise 11 bis 13 % weniger PM 2,5 als konventionelle Fahrzeuge der gleichen Klasse. Schwerere Elektrofahrzeuge mit Batterien, die erst nach rund 500 km aufgeladen werden müssen, erzeugten hingegen geschätzt 3 bis 8 % mehr Feinstaub als vergleichbare konventionelle Fahrzeuge. Ob Hybridfahrzeuge anders bremsen als Autos mit herkömmlichem Antrieb und dadurch auch andere Emissionen verursachen, untersucht zum Beispiel die Empa – Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt. Die Idee dahinter: Hybridautos können auch mithilfe ihres Elektromotors bremsen und nutzen daher die mechanischen Bremsen seltener.

Feinstaub: Oxidative Potenzial wichtiger als die Menge

Was Feinstaub so gefährlich macht, ist allerdings noch nicht genau bekannt. Forschende des PSI haben nun gemeinsam in einem internationalen Team herausgefunden, dass die Menge an Feinstaub nicht die allein ausschlaggebende Größe darstellt, wenn es um Gesundheitsrisiken geht. Vielmehr sei es so, dass das sogenannte oxidative Potenzial den Feinstaub so schädlich mache. Und das größte oxidative Potenzial geht den Forschern zufolge vom menschengemachten Feinstaub aus, der aus der Holzverbrennung und den Metallemissionen aus Bremsen- und Reifenabrieb des Straßenverkehrs stammt. 

Wie Zellversuche eines internationalen Forscherteams nahelegen, setzen in Bremsabrieb enthaltene Metallpartikel auch bestimmte Immunzellen außer Gefecht, wie das Team in einem Beitrag der Fachzeitschrift Metallomics erklärt. Sie verlören dadurch ihre Durchschlagskraft gegen Bakterien. Bremsstaub fördere damit womöglich Atemwegserkrankungen wie Lungenentzündung und Bronchitis. Der Abrieb von Reifen auf den Straßen ist wiederum weltweit für mehr als ein Viertel der Mikroplastik-Emissionen verantwortlich, wie Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) erklären. Die kleinen Partikel würden bei Regen in die Kanalisation und damit in den Wasserkreislauf gelangen. Allein in Deutschland seien das rund 110.000 t im Jahr.

Testmethoden hinken hinterher

Also müssen Gegenmaßnahmen gefunden werden, die den Brems- und Reifenabrieb reduzieren. So einfach ist das allerdings nicht: Während Emissionen von Verbrennungsprozessen intensiv analysiert wurden, steht die Forschung der sogenannten Non-Exhaust-Emissions, also der Nicht-Abgas-Partikelemissionen, noch am Anfang. Dies betrifft insbesondere die Simulation von Feinstaub- beziehungsweise Mikroplastikemissionen. Für die Emissionen von Nicht-Abgaspartikeln eines Fahrzeugs gibt es bislang keine festgelegte, einheitliche Testmethode, wie japanische Forscher im Kapitel Development of Tire-Wear Particle Emission Measurements for Passenger Vehicles der Zeitschrift Emission Control Science and Technology anmerken. Wie eine Messmethode zur Ermittlung des Reifenabriebs an einem Rollenprüfstand aussehen könnte, hat die TU Ilmenau bereits erarbeitet.

Zudem existiert bislang keine Gesetzgebung zur Begrenzung oder Reduzierung der Nicht-Abgas-Partikelemissionen. Für die bremsinduzierte Feinstaubentwicklung sei eine gesetzliche Festlegung von Grenzwerten jedoch mittelfristig zu erwarten, so Thomas Molitor. An einem allgemein nutzbares Testverfahren für Bremsstaub arbeitet die Abteilung der UN-Wirtschaftskommission UNECE namens "Particle Measurement Programme Informal Working Group" (PMP IWG). Die Bremsentests sollen in vollständig geschlossenen Prüfständen ablaufen. Auch die OECD fordert: Der Gesetzgeber sollte Emissionen aus Abrieb genauso in den Blick nehmen wie Abgasemissionen, und zwar für alle Fahrzeugtypen.

Hartstoffbeschichtete Bremsscheiben

Hersteller und Zulieferer suchen indes nach alternativen Ansätzen und technischen Lösungen, um den Brems- und Reifenabrieb zu reduzieren. Wie Thomas Molitor im bereits erwähnten ATZproduktion-Artikel ausführt, sei mit der Hartstoffbeschichtung von Bremsscheiben via Diodenlaser künftig ein Verfahren verfügbar, das eine Reduktion der bremsbedingten Feinstaubemission ermögliche. Die beschichteten Bremsen erzeugten zwar auch weiterhin Feinstaub, jedoch in weitaus geringerem Maße als unbeschichtete Bremsscheiben. Die Vorteile der Grauguss-Bremsscheibe blieben dabei weiterhin erhalten.

Bremssystem und Radkasten komplett neu denken

Das DLR entwickelt im Projekt Zedu-1 ein Fahrzeugkonzept, das den Ausstoß von Feinstaub so weit wie möglich vermeiden soll. Das Projektteam untersucht und kombiniert unterschiedliche Bremskonzepte. Einerseits, eine spezielle Art der Scheibenbremse: Sie arbeitet mechanisch und ist ein geschlossenes System. Die Bremsbeläge sind in einem Ölbad gelagert. Der Bremsabrieb landet im Öl, das laufend durch einen Filter gepumpt und gereinigt wird. Andererseits, eine Induktionsbremse: Sie funktioniert verschleißfrei und nutzt die Kraft von Magnetfeldern, um eine Bremswirkung zu erzeugen. Ein neu gestalteter Radkasten soll den Reifenabrieb minimieren: Er ist aerodynamisch so ausgelegt, dass beim Fahren ein Unterdruck entsteht. Der Abrieb sammelt sich an einer bestimmten Stelle. Ein Filtersystem nimmt ihn auf – ähnlich wie bei einem Staubsauger.

Verschleißarmer Reifen-Fahrbahn-Rollkontakt

Die Höhe des Reifenverschleißes eines Fahrzeugs hängt von mehreren Faktoren ab, wie zum Beispiel den Materialeigenschaften des Reifens, den Umgebungsfaktoren, dem Fahrverhalten und insbesondere dem Zusammenspiel von Radaufhängung und Rad, wie die Springer-Autoren Jan Schütte und Walter Sextro im Kapitel Model-Based Investigation of the Influence of Wheel Suspension Characteristics on Tire Wear des Buchs Advances in Dynamics of Vehicles on Roads and Tracks erklären. In ihrer Studie haben die beiden Autoren die Eigenschaften der Radaufhängung in Bezug auf den Reifenverschleiß isoliert betrachtet. Ihr Ergebnis: Auf die berechnete spezifische Reibarbeit haben der Spurwinkel und der Spurwinkelgradient einen großen Einfluss. Durch ein optimiertes Zusammenspiel von Achse, Reifen und Fahrbahn lässt sich also Reifenabrieb reduzieren. 

Sportliche Reifen produzieren viel Abrieb

Aber auch Autofahrer selbst können etwas tun, um den Feinstaubausstoß zu reduzieren: durch einen optimalen Reifenluftdruck, eine defensivere Fahrweise und dem Aufziehen möglichst schmaler Reifen, um den Abrieb zu verringern. Leider läuft letzterem der SUV-Trend entgegen, da diese Fahrzeuge aufgrund ihrer Masse und breiteren Reifen verstärkt Abrieb produzieren. Wie ein aktueller ADAC-Reifentest zeigt, produzieren auch sportliche Reifen sehr viel Abrieb. Für den Test hat der Automobilclub insgesamt die Abriebsdaten von knapp 100 Modellen verschiedener Reifendimensionen ausgewertet. In der Sommerreifengröße 225/40 R18 sei bei allen untersuchten Modellen ein überdurchschnittlich hoher Reifenabrieb von bis zu 160 g/1.000 km festgestellt worden. Zum Vergleich: Im Durchschnitt liegt der Reifenabrieb eines Fahrzeugs bei knapp 120 g/1.000 km.

Kritisch ist auch, dass sich viele Straßen in einem schlechten Zustand befinden, also zum Beispiel raue Oberflächen aufweisen, was ebenfalls mehr Partikel zur Folge hat. Ein weiteres Problem: Allen Diskussionen um weniger Autoverkehr zum Trotz gibt es immer mehr Fahrzeuge in Deutschland. Und damit steigt auch der Brems-, Reifen- und Straßenabrieb. Alternative Antriebe sind in dieser Hinsicht auch keine Patentlösung für verbesserte Luftqualität. Wirklich helfen können derzeit nur wenig attraktive Maßnahmen wie die Bildung von Fahrgemeinschaften, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder Fahrrad fahren. Die wirksamste Option, um Feinstaub zu vermeiden, bleibt aber: Das Auto so oft wie möglich in der Garage stehen lassen.

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