Telefonieren oder SMS-Schreiben beim Autofahren: Bei jedem zehnten Verkehrsunfall spielt Unachtsamkeit durch Ablenkung eine entscheidende Rolle. Die größte Gefahr geht von Textnachrichten aus.
Ob Smartphone, Navigationssystem oder einfach nur das Autoradio - moderne Fahrzeuge verfügen über zahlreiche Informations- und Kommunikationssysteme. Doch was die Fahrer unterstützen oder unterhalten soll, birgt mitunter auch ein erhebliches Gefahrenpotenzial. Fahrfehler und Unzulänglichkeiten durch Ablenkung haben mit modernen Kommunikationsmittelen eine neue Dimension erreicht: Der ADAC schätzt, dass bei jedem zehnten Verkehrsunfall Unachtsamkeit eine entscheidende Rolle spielt. Damit bewege sich die Unfallursache "Ablenkung" bei Unfällen mit Getöteten in der gleichen Größenordnung wie "Alkohol am Steuer".
Professor Dr. Mark Vollrath, Inhaber des Lehrstuhls für Ingenieur- und Verkehrspsychologie am Institut für Psychologie der TU Braunschweig, hat nun eine vergleichende Studie zu diesem Thema durchgeführt. Dabei hat er das Lesen und Schreiben von Textnachrichten auf Mobiltelefonen als größte Gefahrenquelle beim Fahren ausgemacht.
Risiko Smartphone
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Das Mobiltelefon gilt als eine der größten Gefahrenquellen im Straßenverkehr, erklärt Vollrath. Diese Einschätzung, so Vollrath weiter, habe sich bisher vor allem auf das Telefonieren am Steuer bezogen und müsse nach Ergebnissen einer aktuellen Vergleichsstudie korrigiert werden. "Gegenüber dem Telefonieren werden beim Lesen und Schreiben von Textnachricht sowohl visuelle als auch motorische Fähigkeiten benötigt. Da längere Sinneinheiten produziert oder aufgenommen werden, ist der Blick verhältnismäßig lang auf dem Handydisplay und nicht auf der Straße, wo er hingehört", erläutert Vollrath. Ein Fahrer, der nur fünf Sekunden bei Tempo 50 auf sein Handy starrt anstatt auf den Verkehr zu achten, ist immerhin 70 Meter im Blindflug unterwegs, gibt der ADAC an.
Vor allem das Schreiben von Nachrichten mit modernen Smartphones birgt noch mehr Gefahren als bei herkömmlichen Handys. Und jeder zweite Deutsche verwendet mittlerweile ein Smartphone, hat der Bundesverband Digitale Wirtschaft in Kooperation mit Google und TNS Infratest herausgefunden. "Konnte man bei früheren Handy-Modellen noch die Tastatur buchstäblich ertasten und womöglich Texte tippen ohne hinzusehen, ist das mit einem Smartphone praktisch nicht mehr möglich. Die virtuelle Tastatur auf dem Touchscreen erfordert den ständigen Blick auf das Display", sagt Dr. Gerd Neumann, Mitglied der Geschäftsführung bei Dekra.
Für die vergleichende Studie im Auftrag der Unfallforschung der Versicherer haben die Wissenschaftler um Vollrath 56 Einzelstudien aus den vergangenen 15 Jahren wissenschaftlich ausgewertet. Damit ermöglichen sie den systematischen Vergleich unterschiedlicher Informations- und Kommunikationssysteme bei der Ablenkung der Fahrer. Seine Forschungsergebnisse hat der Braunschweiger Verkehrspsychologe auch kürzlich auf dem 53. Verkehrsgerichtstag in Goslar vorgestellt.
Verkehrsgerichtstag empfiehlt situative Funktionsunterdrückung
Auf dem Verkehrsgerichtstag hat sich auch ein eigener Arbeitskreis mit dem Thema Ablenkung durch moderne Kommunikationstechniken befasst. Zu den Empfehlungen des Arbeitskreises zählt die Schaffung einer verlässlichen Datengrundlage zur Ablenkung im Straßenverkehr. Während man in den USA jährlich über 3000 Unfalltote durch "Ablenkung mittels Smartphone-Nutzung" beklagt, würden valide Unfallzahlen im Zusammenhang mit der Nutzung moderner Kommunikationstechniken für Deutschland noch nicht vorliegen, so die Experten. Gleichwohl gäbe es "eine relevante Anzahl von Fällen".
Darüber hinaus sollten Informationsmaßnahmen für die Problematik sensibilisieren. Ferner sei eine Neufassung des aktuellen Gesetzestextes, in dem momentan lediglich von "Mobil- oder Autotelefonen" die Rede ist, nötig. Neu zu berücksichtigen sei hierbei die visuelle, manuelle, akustische und mentale Ablenkung von der Fahraufgabe.
Im Rahmen einer technischen Lösung fordert der Arbeitskreis den Gesetzgeber auf, Rahmenbedingungen für Fahrzeughersteller und ITK-Anbieter zu schaffen, um die "Möglichkeit situativer Funktionsunterdrückung" zu implementieren. Dies betreffe zum Beispiel die Deaktivierung von manuellen Zieleingaben oder die Sperre von Textnachrichten während der Fahrt.
Dem Ablenkungsanreiz entgegensteuern
Die Industrie arbeitet noch an anderen technischen Lösungen, die den Ablenkungsanreiz reduzieren sollen. Als zentrale Mensch-Maschine-Schnittstelle bietet sich vor allem das Lenkrad als Ansatzpunkt an. Denn es ist das einzige Bauteil, das sowohl ständigen direkten taktilen Kontakt zum Fahrer hat als auch eine Fahraufgabe wahrnimmt. Jedoch ist die Anzahl von Bedien- und Vernetzungsfunktionen in den letzten Jahren exponenziell im Cockpitbereich gestiegen. Daher haben die Unternehmen Takata und Audio Mobil Elektronik ein interaktives Kommunikations-Lenkrad entwickelt, wie sie im Artikel "Interaktives Lenkrad für eine bessere Bedienbarkeit" aus der ATZ 5-2014 erläutern. Dieses soll die Möglichkeit bieten, alles während der Fahrt bedienen und nutzen zu können, ohne die Hände vom Lenkrad zu nehmen. Damit ließe sich die Reizüberflutung reduzieren und die Bedienbarkeit verbessern. Die Vision der Entwickler: Künftig könnte das interaktive Lenkrad das Cockpit ganz ersetzen.