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11-08-2021 | Carsharing | Schwerpunkt | Article

Wie nachhaltig ist Carsharing?

Author: Christiane Köllner

6:30 min reading time

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Mittlerweile interessieren sich immer mehr Autofahrer für Carsharing. Viele wollen durch die gemeinschaftliche Nutzung von Autos die Umwelt entlasten. Doch wie Öko ist Carsharing eigentlich? 

Die deutsche Carsharing-Branche wächst beständig. Zwar blieb im Corona-Jahr 2020 das Marktwachstum aufgrund der zeitweise stark zurückgehenden Mobilitätsnachfrage während der beiden Lockdowns gebremst, wie der Bundesverband Carsharing (bcs) angibt. Doch verzeichnen deutsche Carsharing-Anbieter seit Anfang Januar 2021 in Deutschland rund 2,9 Millionen Kunden, was 25,5 % mehr gemeldete Fahrberechtigte sind als im Vorjahr. Auch die Anzahl der Carsharing-Fahrzeuge ist im Vergleich zum Vorjahr gewachsen, wenn auch moderat. Derzeit gibt es in Deutschland 228 Carsharing-Anbieter, die an 855 Orten ihre Autos öffentlich zum Teilen zur Verfügung stellen. 

Warum Kunden zum Carsharing wechseln, liegt vor allem am Kostenvorteil und der Flexibilität. Industrie und Politik erhoffen sich durch Carsharing indes einen positiven Effekt auf das Verkehrsaufkommen und damit auch auf die Umwelt. Gerade der Nachhaltigkeitsaspekt wird von vielen oft betont. Doch profitiert die Umwelt wirklich vom Carsharing-Trend? Eine Analyse. 

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Akzeptanz eines innovativen Carsharing-Modells

Ökonomische und gesellschaftliche Effekte zukunftsfähiger Mobilitätskonzepte

Wiebke Geldmacher leitet mithilfe der Strukturgleichungsanalyse sowie einer Analyse ökonomischer und sozialer Effekte ein Carsharing-Modell mit selbstfahrenden Autos als zukunftsfähiges und disruptives Mobilitätskonzept ab. Sie zeigt, dass die Einführung eines solchen Carsharing-Modells durch hohen Wettbewerb gekennzeichnet wäre, da sich das Mobilitätskonzept mit selbstfahrenden Autos gegen bereits bestehende Strukturen mit privaten Autos und dem ÖPNV durchsetzen müsste.

Drei unterschiedliche Carsharing-Modelle

Carsharing ist ein Sammelbegriff, der mehrere Arten des Carsharings umfasst. In der Regel handelt es sich um eine Kurzzeitmiete, bei der die Nutzer die Wahl des Fahrzeugs und des Abhol- beziehungsweise Rückgabeortes haben. Die meisten dieser Arten von Diensten nutzen Smartphone-Apps oder RFID-Karten, um den Nutzern einen temporären Zugang zum Fahrzeug zu ermöglichen. Es gibt im Wesentlichen drei unterschiedliche Modelle:

  • Beim sogenannten stationsabhängigen Carsharing mieten Kunden die Wagen für einen bestimmten Zeitraum, meist ein paar Stunden oder einen ganzen Tag. Die Autos werden an bestimmten, festgelegten Parkplätzen beziehungsweise Stationen abgeholt und wieder abgestellt. Das Modell ist mit klassischen Mietwagen vergleichbar. Anbieter ist beispielsweise Flinkster.
  • Immer mehr Kunden nutzen auch stationsunabhängige Angebote wie Share Now von BMW und Daimler. Bei diesen sogenannten Free-Floating-Angeboten gibt es keine festen Stationen mehr. Per App auf dem Smartphone können angemeldete Nutzer nach einem verfügbaren Auto in der Umgebung suchen und dieses direkt buchen. In der Regel wird pro Minute gezahlt. Nach der Fahrt können sie das Auto irgendwo parken, es fallen keine Parkgebühren an.
  • Beim dritten Modell stellen Autobesitzer ihren eigenen Wagen gegen Geld anderen zur Verfügung, häufig inklusive speziellem Versicherungsschutz. Zentrale Anlaufstellen für diese Art des Carsharings sind Webplattform wie Getaround. Hier finden die Eigentümer von Autos und Interessenten zusammen.

Wie umweltfreundlich ist Carsharing?

Carsharing liegt also im Trend. Die gemeinschaftliche Nutzung von Autos gilt als flexibel und nachhaltig – besonders wenn die Autos mit Strom fahren. Doch wie umweltfreundlich ist Carsharing eigentlich? Die Antwort scheint schnell gegeben zu sein: Mehr Carsharing bedeutet weniger Privatfahrzeuge und damit weniger Umweltbelastung. Aber wie hoch sind Verkehrs- und Umweltentlastungseffekte des Carsharings wirklich?

Jochen Gönsch, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Service Operations an der Universität Duisburg-Essen, sieht durch Carsharing einen Nutzen für die Umwelt. "Viele Carsharing-Anbieter verfügen über moderne Fahrzeuge, die sehr gute Verbrauchs- und Abgaswerte besitzen. Nicht zuletzt aus Imagegründen stehen zahlreiche Elektrofahrzeuge zur Verfügung. Hinzu kommt, dass die Flotten aus überdurchschnittlich vielen Kleinwagen bestehen. Automobilhersteller senken so über ihre Carsharing-Töchter den durchschnittlichen Verbrauch aller hergestellten Pkw", heißt es in einer Mitteilung des Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft. Ein weiteres Argument sei oft, dass Kunden immer die Größe des Pkw nach tatsächlichem Bedarf wählen könnten. Auch wenn die Auslastung von Carsharing-Fahrzeugen meist im einstelligen Prozentbereich liege, so werden sie doch deutlich intensiver genutzt als Privatfahrzeuge. Für die gleiche Fahrleistung müssten also weniger Fahrzeuge hergestellt und entsorgt werden.

Das Umweltbundesamt bezifferte 2017 das deutschlandweite Einsparpotenzial durch die Verlagerung von Privat-Pkw-Fahrten auf intelligent mit dem ÖPNV verknüpfte Sharing-Angebote auf 3.500 t CO2 täglich, wie die Springer-Autoren Volker Blees und Marco Zerban im Kapitel Neue Mobilitätsangebote: Ersatz oder Ergänzung des ÖPNV? Eine Analyse am Beispiel des stationsflexiblen Carsharings des Buchs Smart Region. Daher gelte es, diese Alternativen zu einem Privat-Pkw besser zu vernetzen und gegenseitige Synergien zu schaffen, sodass sich den Nutzern von ÖPNV und Carsharing sinnvoll ergänzende Mobilitätsangebote in räumlicher Nähe böten. Deshalb seien in den letzten Jahren eine Vielzahl an Kooperationen zwischen Carsharing-Anbietern und ÖPNV-Betreibern begonnen oder ausgebaut worden.

Ersetzt ein Carsharing-Fahrzeug den privaten Pkw?

Daher stellt sich die Frage, ob durch Carsharing tatsächlich der eigene Pkw oder nur die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs ersetzt wird. Studien zeigten, so Professor Gönsch, dass bei Nutzern von Carsharing der private Pkw-Besitz sinke. Die entsprechenden Fahrten würden einerseits durch Carsharing, insbesondere aber auch durch den öffentlichen Nahverkehr ersetzt. Der Bundesverband Carsharing (bcs) hat in einer Studie aus dem Jahr 2012 festgestellt, dass ein stationsbasiertes Carsharing-Auto in Deutschland bis zu 10 private Pkw ersetzt. Betrachte man nur innerstädtische Wohnquartiere mit gut ausgebautem Carsharing-Angebot, sei die Quote noch höher: Laut einer bcs-Studie von 2016 ersetze ein stationsbasiertes Carsharing-Fahrzeug dort bis zu 20 private Pkw. 

Die Nachhaltigkeit scheint vor allem vom Carsharing-System abhängig zu sein. Free-Floating-Carsharing-Anbieter werden oft dafür kritisiert, nicht so umweltfreundlich zu sein. Sie würden den Nutzer dazu motivieren, häufiger zu fahren. Da in der Regel nicht nach Fahrtstrecke, sondern nach Zeit abgerechnet wird, zweifeln manche Experten an der Nachhaltigkeit beziehungsweise den Verkehrs- und Umweltentlastungseffekte des stationsunabhängingen Carsharings. Der bcs gibt an, dass stationsbasierte Systeme offenbar einen größeren Einfluss auf die Abschaffung von privaten Pkw und damit ein höheres verhaltensänderndes Potenzial als Free-floating-Systeme haben. Kunden stationsbasierter Systeme seien noch ÖPNV-affiner als Kunden des Free-floatings.

Free-Floating in der Kritik

Die These, dass die Nachhaltigkeit vom Carsharing-System abhängen könnte, scheinen auch folgende Ergebnisse einer Studie des Automotive Institute for Management (AIM) von 2013 an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht zu stützen. Danach würden Kunden von Free-Floating-Anbietern Carsharing häufiger nutzen, dafür aber in deutlich kürzeren Nutzungszeitspannen als solche von stationsbasierten Anbietern. Während die Fahrzeuge bei Letzteren zu 70 % zwischen zwei und vier Stunden gemietet werden, würden Kunden von Free-Floating-Anbietern die gebuchten Fahrzeuge zu 90 % nur bis zu einer Stunde nutzen. Beim Vergleich der Nutzungsmotive zwischen Nutzern stationsbasierter Anbieter und Free-Floating-Kunden wird laut AIM-Studie deutlich, dass Carsharer bei Free-Floating-Anbietern eine abwechslungsreiche Auswahl an Fahrzeugen stärker vorziehen als Kunden stationsbasierter Anbieter. Dafür sei das Nutzungsmotiv der geringen Umweltbelastung für Nutzer von stationsbasierten Anbietern wichtiger als für die der Herstellerangebote.

Das Öko-Institut und das ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung haben in den Jahren von 2013 bis 2017, das Free-Floating-Carsharing von Car2go (seit 2019 zusammen mit DriveNow die Marke Share Now) in Stuttgart, Frankfurt und Köln untersucht. So machen die Ergebnisse der Öko-Institut-ISOE-Studie deutlich, dass das Free-Floating-Carsharing allein keine Treibhausgasminderung bewirke, alleine deshalb, weil das Angebot an alternativen Mobilitätsoptionen wie dem Free-Floating-Carsharing nicht ausreiche, um einen Wandel im Verkehrsverhalten zu fördern. Zugleich könne Free-Floating-Carsharing mit elektrisch betriebenen Fahrzeugen dessen Klimabilanz jedoch wesentlich verbessern.

Fazit

Carsharing hat dann positive ökologische Effekte, wenn es von der breiten Masse auch genutzt wird. "Die Nutzung alternativer Verkehrs- und Mobilitätslösungen hängt allerdings stark von sich wandelnden verkehrspolitischen Rahmenbedingungen, wie beispielsweise Kontingentierung des Verkehrs, sowie von einer sich wandelnden Mobilitätskultur, wie beispielsweise die abnehmende Wichtigkeit des Autobesitzes, ab", so Alexander Stocker von Virtual Vehicle Research im Beitrag digitaler Technologien im Kontext der Fahrzeugnutzung zur (ökologischen) Nachhaltigkeit aus der HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik 1-2021. Die größten ökologischen Nachhaltigkeitseffekte ließen sich dann erzielen, wenn Mobilitätsdienstleistungen und Plattformen eine Verkehrsverlagerung und -vermeidung induzieren können und Menschen von ihren eigenen Fahrzeugen auf geteilte Fahrzeuge beziehungsweise auf den öffentlichen Verkehr umsteigen. 

Carsharing könne, so Stocker, seine Nachhaltigkeitspotenziale vor allem dann entfalten, wenn es als Element eines multimodalen Verkehrsangebots zu einer attraktiven Alternative zum eigenen Auto wird. Dabei scheinen Free-floating-Systeme im Nachteil zu sein: Sie ziehen offenbar Haushalte stärker an, die am privaten Autobesitz festhalten. Stationsbasierte Systeme sind hingegen attrarktiver für Kunden, die auf den Privat-Pkw verzichten. 

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