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26-05-2014 | Fahrzeugtechnik | Schwerpunkt | Article

Ist das Erfolgsmodell Automobilstandort Deutschland in Gefahr?

Author: Andreas Burkert

11 min reading time

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Dem Ruf der Ferne folgen. Die enorme Nachfrage der Chinesen nach Automobilität ist für den Produktionsstandort Deutschland ein zweischneidiges Schwert. Noch geht die rasant gestiegene Auslandsproduktion nicht zu Lasten des Produktionsstandorts Deutschland. Doch eine falsche Entscheidung kann den Ausverkauf auslösen, wie die Deutsche Bank exemplarisch zeigt.

Die ersten Worte des Deutsche-Bank-Berichts zur "Zukunft des Automobilstandorts Deutschland" lesen sich zurückhaltend. Doch sind sie von großer Brisanz. "Die Unterschiede zwischen der deutschen Automobilindustrie und der Automobilindustrie in Deutschland werden in den nächsten Jahren weiter zunehmen". Der Grund ist der derzeit hohe Aufbau von Produktionskapazitäten in den Wachstumsmärkten. Damit diese Entwicklung aber nicht zu Lasten des Produktionsstandorts Deutschland geht, müssen die Unternehmen die Produktivität im Inland stetig erhöhen und ihre Fahrzeuge technologisch weiter verbessern.

Zwar glauben die Autoren der Studie, die unter Mitwirkung des VDA zustande kam, dass "Deutschland auch 2025 noch eines der wichtigsten Produktionsländer in der globalen Automobilindustrie sein wird". Allerdings bedarf es stetiger Anstrengungen, um dieses Ziel zu erreichen: Bei den Unternehmen genießen die technologische Weiterentwicklung des Autos unter Beachtung der Kosten sowie stetige Produktivitätsverbesserungen hohe Priorität. Und für die Politik gilt es, verlässliche und unternehmensfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Im Klartext bedeutet dies: Die Politik muss für investitionsfreundliche Rahmenbedingungen sorgen.

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Nach Ansicht der Autoren tut sie das aber nicht: Aktuelle politische Entwicklungen (etwa in der Arbeitsmarktpolitik) bewirken deshalb, dass "die Autoproduktion am Standort Deutschland für die Unternehmen künftig weniger attraktiv wird". Aktuelle Zahlen verdeutlichen das Dilemma: 2013 erreichte die Pkw-Produktion (Stückzahlen) deutscher Unternehmen im Ausland über 8,6 Millionen Einheiten. Dieser Wert lag um 133,7 Prozent über dem Niveau von 2000. Im Gegensatz dazu übertraf die inländische Pkw-Produktion des Jahres 2013 (5,4 Millionen) das Ergebnis von 2000 nur um 6,1 Prozent (+ 0,5 Prozent pro Jahr).

Riskantes Spiel mit dem Export

Ein Blick auf die Exporte, der zweiten Säule der Globalisierungsstrategie, zeigt ein weiteres Problem. Obwohl die Pkw-Exporte zwischen 1995 und 2013 um über 70 Prozent gestiegen sind, und im vergangenen Jahr über 77 Prozent der in Deutschland gefertigten Pkw exportiert wurden, findet seit einigen Jahren kein Wachstum mehr statt. Denn die Autonachfrage etwa in China wird zunehmend aus lokalen Fabriken bedient. Mit welcher Dynamik das Wachstum auf dem asiatischen Markt die heimische Automobilindustrie treffen wird, ist selbst unter den Experten der Deutschen Bank umstritten. Der Erfolg des Automobilstandorts Deutschland hängt nämlich von vielen unsicheren Parametern ab.

Etwa davon, wie schnell der weitere Aufbau von neuen beziehungsweise die Erweiterung bestehender Produktionsstätten im Ausland erfolgt. Oder von den Fragen, welche Modelle, die heute auch in Deutschland vom Band laufen, künftig zusätzlich oder ausschließlich im Ausland gefertigt werden? Welche Teile der Wertschöpfung (Kfz-Zulieferer) folgen der Endmontage? Wie schnell werden ausländische Fabriken als Export-Hub für Drittmärkte genutzt? In welchem Umfang wird es gelingen, für die deutschen Hersteller heute noch unbedeutende Absatzmärkte (Beispiel ASEAN) durch Exporte aus Deutschland zu erschließen? Wie entwickeln sich die Investitionen in die heimischen Fabriken?

Weil sich diese Fragen derzeit nur spekulativ beantworten lassen, haben die Autoren drei Szenarien zur möglichen Entwicklung des Autostandorts Deutschland bis 2025 erarbeitet. Wohlweislich, dass natürlich keines der drei Szenarien genau so eintreten wird, wie es skizziert wurde. Dennoch zeichnen sich heute schon einige Trends ab, etwa der einer zunehmenden Lokalisierung der Produktion.

Drei Szenarien einer ungewissen Zukunft

In ihrer ersten Annahme sieht die Deutsche Bank die inländische Pkw-Produktion bis 2025 etwa auf dem heutigen Niveau. Deutschland profitiert dabei von einer allmählichen Erholung der westeuropäischen Autonachfrage. Für dieses erste Szenario spricht, dass sich Strukturen (gerade in relativ reifen Branchen) nicht so schnell ändern. Zwar steht die Automobilindustrie vor großen technologischen und regulatorischen Herausforderungen und erfindet sich derzeit neu (alternative Antriebstechnologien, Leichtbau, Vernetzung des Fahrzeugs, integrierte Mobilitätskonzepte, autonomes Fahren etc.). Diese Trends betreffen aber nicht einen spezifischen Standort, sondern sind mehr oder weniger global wirksam. Unter dem Strich halten die Autoren dieses erste Szenario für am realistischsten. Die Wahrscheinlichkeit für dieses Szenario beziffern sie auf rund zwei Drittel.

Laut dem zweiten Szenario erfährt der Automobilstandort Deutschland bis 2025 neuen Schwung. Dieser Annahme messen die Analysten allerdings nur eine Wahrscheinlichkeit von weniger als 10 Prozent bei. Zwar investierten die deutschen Hersteller und Zulieferer auch in diesem Szenario mehr im Ausland als in der Heimat. Dennoch gewannen im Inland Erweiterungsinvestitionen an Bedeutung. Letztlich ist aus heutiger Sicht zu bezweifeln, dass in einem Hochlohnstandort wie Deutschland, wo die Autonachfrage perspektivisch nicht mehr wächst und wo die Autoindustrie bereits auf eine extrem hohe Exportquote kommt, umfangreiche Erweiterungsinvestitionen getätigt werden.

Dem dritten Szenario nach verschlechtert sich allerdings die Position des Automobilstandorts Deutschland zwischen 2015 und 2025 allmählich. Und zwar mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von immerhin rund 25 Prozent. Vor allem die politischen Aspekte, die in diesem Szenario beschrieben werden, stimmen nachdenklich. Denn die Große Koalition ist tatsächlich dabei, mit gut gemeinten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen erfolgreiche Reformen der Vergangenheit zurückzunehmen, während sie paradoxerweise gleichzeitig von der EU-Peripherie genau solche Reformen einfordert.

Lesen Sie mehr zu den drei möglichen Szenarien zur Entwicklung des Autostandorts Deutschland bis 2025 auf Seite 2.

Deutsche Bank spielt drei Szenarien für Deutschland durch

Szenario 1: Fortschreibung des Status quo

Szenario 1 ist laut den Analysten das wahrscheinlichste Szenario. Demnach bleibt die inländische Pkw-Produktion bis 2025 etwa auf dem heutigen Niveau. Deutschland profitiert dabei von einer allmählichen Erholung der westeuropäischen Autonachfrage. Bisher war die Branche gekennzeichnet durch eine tendenziell stagnierende stückzahlmäßige Pkw-Produktion in Deutschland, stagnierende Pkw-Exporte aber moderates qualitatives Produktionswachstum im Inland - vor allem durch bessere Ausstattung der Fahrzeuge - und eine weiter steigende Auslandsproduktion der deutschen Hersteller. Die Investitionen der Branche in Deutschland dienten (vor allem im Volumensegment) überwiegend Erhaltungs- und Modernisierungsinvestitionen, während im Ausland Erweiterungsinvestitionen dominierten. Die deutsche Automobilindustrie trieb die Lokalisierung der Produktion im Ausland voran. Vor allem China und Nordamerika (USA und Mexiko) sind beliebte Produktionsstandorte.

Bis 2025 hatten die deutschen Hersteller ihre Kapazitäten auch in Indien, Brasilien und den ASEAN-Staaten erweitert, sie fielen aber deutlich kleiner aus als in den zuvor genannten Märkten. Die Kfz-Zulieferer fuhren ihre Auslandsinvestitionen ebenfalls nach oben, erhöhten damit die Konkurrenz zu den heimischen Standorten und ersetzten diese zum Teil sogar. Diese Erweiterung der Produktionsbasis vor allem in Nordamerika und China beeinflusste die Exporttätigkeit der Branche aus Deutschland heraus negativ.

Während 2013 in Summe noch knapp 900.000 Pkw aus deutscher Produktion in die USA und nach China gingen, was gut einem Fünftel aller deutschen Pkw-Exporte entsprach, waren es gut zehn Jahre später etwa 30 bis 40 Prozent weniger Autos. Der Großteil der weiter gestiegenen Autonachfrage in diesen Märkten wird im Jahre 2025 durch lokale Fertigung bedient. Zudem wurden die Fabriken im Ausland im Verlauf der Jahre verstärkt für Exporte etwa nach Westeuropa genutzt. Dies traf zunächst vor allem auf die Werke in den USA und Mexiko zu, ab 2020 jedoch auch auf jene in China.

Szenario 2: neue Dynamik

Im zweiten Szenario erfuhr der Automobilstandort Deutschland bis 2025 neuen Schwung. Zwar investierten die deutschen Hersteller und Zulieferer auch in diesem Szenario mehr im Ausland als in der Heimat. Dennoch gewannen im Inland Erweiterungsinvestitionen an Bedeutung, unter anderem weil neue Modelle vor allem im Premiumsegment auf den Markt gebracht wurden, die in Deutschland dank anhaltender Produktivitätsfortschritte auch 2025 noch profitabel gebaut werden können.

Deutschland zählt im Vergleich zu anderen Autonationen nicht bei allen Standortfaktoren zur Spitzengruppe, aber das Gesamtpaket überzeugt auch ausländische Investoren; gerade Erfolge im Bereich der Prozessautomation (Industrie 4.0) sorgten für einen Produktivitätsschub in den heimischen Fabriken. Ferner hatte Anfang der 2020er-Jahre ein japanischer Autohersteller ein Montagewerk in Deutschland errichtet, in dem seither Fahrzeuge der konzerneigenen Premiummarke vom Band laufen.

Durch diese Maßnahme konnte das Unternehmen in Deutschland und Europa höhere Marktanteile in diesem Segment erzielen. Auch im Bereich der Zulieferer profitierte Deutschland von zusätzlichen Investitionen aus dem Ausland. Der Forschungsstandort Deutschland nimmt 2025 in der globalen Automobilindustrie nach wie vor einen Spitzenplatz ein. Den Herstellern war es in enger Kooperation mit den Universitäten gelungen, in hoher Zahl ausländische Studierende in Deutschland auszubilden und die jungen Fachkräfte anschließend auch an die Unternehmen zu binden. Dies beflügelte den technischen Fortschritt und das qualitative Wachstum und sorgte für eine große Akzeptanz neuer Technologien im Ausland.

Auch im zweiten Szenario begünstigte die Erholung der Pkw-Nachfrage in Westeuropa die Autoproduktion in Deutschland. Deutsche Hersteller konnten sogar ihren Marktanteil weiter ausbauen. Zudem war es unter anderem aufgrund günstiger Freihandelsabkommen gelungen, aufstrebende Automärkte wie Indien, die ASEAN-Staaten oder die arabischen Länder verstärkt aus Deutschland zu beliefern; der Druck, vor Ort Montagewerke zu errichten, wurde durch den Abbau von Zöllen und nicht-tarifären Handelshemmnissen abgemildert. Die Autonachfrage in China wuchs bis 2025 so stark, dass Autos, die in den lokalen Fabriken produziert werden, noch immer kaum exportiert werden. Auch global gesehen stiegen die Autoverkäufe zwischen 2015 und 2025 in unserem zweiten Szenario stärker als im ersten.

Unter dem Strich kletterte in unserem zweiten Szenario die Pkw-Produktion auf deutlich über 6 Mio. Einheiten und liegt 2025 damit um fast 20 Prozent höher als noch zehn Jahre zuvor. Das qualitative Wachstum fiel sogar noch weitaus dynamischer aus, weil der durchschnittliche Fahrzeugwert durch alternative Antriebstechnologien, Leichtbau und neue Sicherheitstechnologien, wo ein schneller technischer Fortschritt erfolgte, gestiegen war. Die Exporte sind auch 2025 noch das wichtigste Standbein für den Automobilstandort Deutschland, wobei die Unternehmen ihre Absatzmärkte weiter diversifiziert haben.

Szenario 3: Schleichender Verlust an Wettbewerbsfähigkeit

Im dritten Szenario der Deutschen Bank soll sich die Position des Automobilstandorts Deutschland zwischen 2015 und 2025 allmählich verschlechtern. Mehrere Gründe sind dafür maßgeblich. Die politischen Rahmenbedingungen begannen in den Jahren 2014/15, sich ungünstig auf die Branche und andere Teile der Industrie auszuwirken. Erfolgreiche Reformen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und zur Verbesserung der Erwerbsbeteiligung älterer Menschen wurden nach und nach wieder zurückgenommen. Die Möglichkeiten für die Industrie, sich durch Leiharbeit oder Arbeitszeitkonten flexibel auf konjunkturelle Hochs und Tiefs einzustellen, wurden eingeschränkt.

Darüber hinaus wurde der Fachkräftemangel im Bereich der nicht-akademischen Facharbeiter dadurch verschärft, dass Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen schon im Alter von 63 Jahren in den Ruhestand gehen konnten. Dies traf die Branche und auch andere Industriezweige in dem Moment besonders hart, als die Baby-Boomer-Generation in den Ruhestand eintrat. Die deutsche Energiepolitik führte zu überdurchschnittlich steigenden Energiepreisen, was zu einer Investitionszurückhaltung bei wichtigen (energieintensiven) Zulieferbranchen wie der Metallindustrie führte und deren Innovationspotenzial schmälerte. Die enge Verzahnung der industriellen Wertschöpfungskette in Deutschland wurde so allmählich geschwächt.

Insgesamt stiegen die Standortkosten gegenüber Osteuropa und auch Teilen Südeuropas (vor allem Spanien), wo es unter anderem dank einer moderaten Lohnpolitik ab 2015 allmählich wieder gelang, Investitionen aus dem Ausland anzuziehen. Während sich die deutschen Hersteller im Premiumsegment noch relativ gut in diesem Umfeld behaupten konnten, sahen sich mehrere Unternehmen im Volumensegment und auch viele Kfz-Zulieferer gezwungen, ihre Kapazitäten in Deutschland nach unten anzupassen.

Dabei spielten auch die von der EU vor-gegebenen CO2-Grenzwerte für neue Pkw eine große Rolle. Denn um diese Grenzwerte zu erreichen, stiegen die durchschnittlichen Fahrzeugkosten spürbar an. Dem Kostenanstieg begegnete die Branche mit der forcierten Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland - vor allem nach Osteuropa. Die Wachstumsmärkte außerhalb Europas belieferten die Unternehmen schon ab 2020 ohnehin zu großen Teilen aus lokalen Fabriken, nicht zuletzt, weil die Freihandelsabkommen nur unbefriedigende Ergebnisse lieferten und hohe Importzölle in vielen Emerging Markets noch immer an der Tagesordnung waren. Den Investitionen in Fabriken folgten Investitionen in F&E-Abteilungen im Ausland.

Im Ergebnis pendelte sich die stückzahlmäßige Pkw-Produktion in Deutschland bis 2025 bei deutlich unter 5 Millionen Einheiten ein. Sogar das qualitative Wachstum sank in den meisten Jahren, wenn auch weniger stark. Insgesamt drei Autowerke im Volumensegment wurden zwischen 2015 und 2025 - trotz verschiedener politischer Rettungsversuche - geschlossen. Die Zahl der Beschäftigten in der Automobilindustrie sank um etwa 100.000. Zwar half die Erholung der Autonachfrage in Westeuropa, jedoch verloren deutsche Hersteller (und der Standort Deutschland) Markanteile, weil viele Kunden in Südeuropa nach der langen Krise noch mehr als zuvor günstige Kleinwagen nachfragten. Das deutsche Exportmodell geriet so nach und nach unter Druck.

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