Welche Geschäftsmodelle von Fintechs haben Zukunft und was bedeutet dies für etablierte Banken? Wie Start-ups und traditionelle Geldhäuser ihre veränderten Rollen im Markt finden, sagt Victor Tiberius im Interview mit Springer Professional.
Springer Professional: Herr Tiberius, Sie stellen in Ihrem Buch verschiedene Geschäftsmodelle von Fintechs vor und betrachten unter anderem deren disruptiven Charakter. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
Victor Tiberius: Das disruptive Potenzial ist gewaltig. Derzeit ist ein eher kooperativer statt konfrontativer Kurs zwischen Fintechs und etablierten Geldinstituten zu beobachten. Das darf aber nicht über die potenziellen Marktumwälzungen hinwegtäuschen. Wir befinden uns allerdings in allen Fintech-Kategorien noch ganz am Anfang im Marktlebenszyklus. Im Moment ist also noch alles offen.
Sie bescheinigen Fintech-Start-ups eine "Game-Changing-Mentalität", also ein typisches Merkmal für einen disruptiven Marktansatz. Was zeichnet eigentlich verschiedene Fintech-Typen aus und worauf gründet sich aus Ihrer Sicht ihr relativ durchschlagender Erfolg in der Finanzbranche – außer auf einer ausgefeilten Technologie?
Die jungen Finanztechnologie-Unternehmen lassen sich am sinnvollsten nach den finanzbezogenen Bedürfniskategorien differenzieren. Das kann zum Beispiel ein Darlehens-, Anlage- oder Auslandszahlungsbedarf bei Privat- oder Geschäftskunden sein. Der Erfolg von Fintechs ist nicht allein auf eine ausgefeilte Technologie zurückzuführen, sondern darauf, Finanzdienstleistungen konsequent vom Kunden her zu denken und auf deren Bedürfnisbefriedigung hin zu optimieren. Bisher ging die Produktdefinition vom Anbieter, nicht vom Kunden, aus. Wer sich wirklich in den Kunden hineinversetzt und dessen Bedürfnisse schneller, günstiger und vor allem besser erfüllt, hat künftig die Nase vorn.
Im Bankensektor kann man besichtigen, dass sich durch Fintechs, Insuretechs oder Regtechs auch die Positionen anderer, etablierter Marktteilnehmer und ganze Marktstrukturen rasant verändern können. Welchen langfristigen Einfluss können die Start-ups mit ihren Geschäftsmodellen in der Finanzbranche bewirken, wenn sie die First-Mover-Phase überwunden haben?
Fintechs haben langfristig das Potenzial, die starke Machtasymmetrie zwischen Finanzdienstleistern und Kunden aufzubrechen. Insbesondere verlieren Banken ihre Rolle als Intermediäre.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ein Darlehen bekomme ich auch aus einem Peer-to-Peer-Netzwerk. Für ein gutes Anlageprodukt beobachte ich Social Trader oder kaufe Wikifolios. Die Blockchain macht die Authentifizierung von Finanztransaktionen überflüssig.
Von der Regulierung werden auch immer mehr Fintechs nicht verschont bleiben, wenn sie mit banknahen Dienstleistungen nachhaltig erfolgreich sein wollen. Könnte das aber nicht auch viele ihrer Geschäftsmodellinnovationen ausbremsen?
Regulierung bedeutet natürlich bürokratischen Aufwand und geringere Handlungsfreiheit. Beides verträgt sich nicht sonderlich mit der Start-up-Mentalität. Aber Fintechs lehnen eine Regulierung, die für den Kunden sinnvoll ist, nicht von vornherein ab. Dank der hohen Investitionen, die wir derzeit beobachten können, ist sie auch leistbar. Compliance kann ein Gütesiegel sein, das Vertrauen schafft. Im Moment wagen sich nur Innovatoren und Early Adopter an Fintech-Produkte. Derzeit wirkt die Regulierung der Banken und Versicherungen als Markteintrittsbarriere gegenüber Fintechs. Wenn diese selbst Banklizenzen erhalten, wird sich der Wettbewerbsdruck noch erheblich verstärken.
Die Digitalisierung und die Marktdynamik durch Technologie-Start-ups erhöhen ebenfalls den Wettbewerbsdruck in der Finanzbranche. Sie haben aber auch bereits zu interessanten neuen Allianzen geführt. Wie können die Fintechs von etablierten Geldhäusern jetzt am besten lernen – und umgekehrt?
Fintechs können verschiedene Ressourcen von Banken gut gebrauchen – vor allem den breiten Marktzugang. Wissen gehört meiner Meinung nach nicht dazu, so dass das Lernpotenzial eher in der anderen Richtung verläuft. Kreditinstitute können von Fintechs lernen, Produkte und Prozesse kompromisslos am Kunden auszurichten, Lösungsansätze agil zu testen und evidenzbasiert anzupassen. Banken und Versicherer werden nur überleben, wenn sie selbst zu Fintechs werden.