Die Entscheidung für oder gegen einen Beruf kann durch verschiedene Faktoren wie die soziale Herkunft, Geschlecht, einen möglichen Migrationshintergrund oder auch durch mediale Vorbilder beeinflusst werden. Im Folgenden soll die Relevanz dieser Übergangsfaktoren anhand von ausgewählten Forschungsergebnissen diskutiert werden.
2.3.1 Soziale Herkunft
Im Hinblick auf die weitere berufliche Orientierung stellt der erreichte Schulabschluss eine wichtige Voraussetzung dar. Je nach Abschluss öffnen oder verschließen sich Türen zu Ausbildungsberufen, Studiengängen und darauf aufbauenden beruflichen Entwicklungen. Sowohl in Österreich als auch in Deutschland stehen die Bildungsabschlüsse der Jugendlichen in einem engen Zusammenhang mit ihrer sozialen Herkunft.
Statistik Austria stellt 2018 dar, dass das Bildungsniveau der österreichischen Bevölkerung insgesamt gestiegen ist (Statistik Austria 2018). Schwach ausgeprägt ist jedoch die Bildungsmobilität – „Bildungschancen werden in Österreich nach wie vor zu einem großen Teil ‚vererbt‘“ (ebd., 1). So erreichen von den 25-bis 44-Jährigen, deren Eltern einen Pflichtschulabschluss haben, nur 7 % einen Hochschulabschluss. Und Kinder aus Akademikerhaushalten haben eine achtfach höhere Chance, einen Hochschulabschluss zu erwerben als Kinder aus bildungsfernen Haushalten (ebd., 4).
Auch nach der 17. Shell-Jugendstudie haben sich die Bildungserfolge aller sozialen Schichten, d. h. auch die der bildungsfernen Schichten, in den letzten Jahren erhöht. Die Unterschiede zwischen den Schichten haben sich jedoch nicht verändert: „Auch heute noch sind die Chancen eines Jugendlichen, das Abitur zu erreichen, mehr als doppelt so hoch, wenn sein Vater selbst das Abitur besitzt“ (Leven et al. 2016, 68). Der erreichte Schulabschluss stellt wiederum das Sprungbrett in die Berufs- und Arbeitswelt dar – die „soziale Herkunft bestimmt die Bildungslaufbahn“ (ebd., 66). So waren von den befragten Jugendlichen ohne Schulabschluss zum Zeitpunkt der Befragung mehr als die Hälfte arbeits- bzw. erwerbslos – während es bei den Abiturient*innen nur 7 % waren (ebd., 69).
Weitere Einflüsse der sozialen Herkunft auf die Bildungsbiografie sehen die Autor*innen der Shell-Studie u. a. in folgenden Bereichen:
Werden im Hinblick auf die Berufswahl die Dimensionen „Nutzen- bzw. Erfüllungsorientierung“ unterschieden, so sind Jugendliche aus den unteren sozialen Schichten vorrangig nutzenorientiert (Fokus auf ein hohes Einkommen und gute Aufstiegsmöglichkeiten, ebd., 82).
Die Erwartung der Jugendlichen, ihren Berufswunsch zu realisieren, ist in den unteren Schichten deutlich geringer als bei Jugendlichen der oberen Mittelschicht (46 % zu 80 %, s. ebd., 75).
Die McDonald’s Ausbildungsstudie aus dem Jahr 2017 zeichnet in diesem Zusammenhang einen positiven Trend nach: Danach bewerteten noch im Jahr 2013 40 % der 15- bis 24-Jährigen aus der unteren Schicht die „Aufstiegschancen eines Menschen aus einfachen Verhältnissen“ positiv – während es in der vorliegenden Studie 55 % sind (McDonald’s Deutschland 2017, 30). Die Autor*innen werten den Anstieg der Zahlen als Indiz, dass der Aufwärtstrend auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt „mittlerweile auch jene Schichten erreicht hat, die bisher vom Arbeitsmarkt weitgehend ausgeschlossen waren“ (ebd., 31).
Angesichts der oben dargestellten hartnäckigen Vererbung von Bildungschancen bleibt abzuwarten, ob es sich bei dieser positiven Einschätzung ihrer Berufschancen eher um ein Wunschdenken der Jugendlichen handelt oder ob sich dieser Trend empirisch nachweisen lassen wird.
2.3.2 Geschlecht
Die geschlechtsspezifische Segregation des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes ist ein weltweites Phänomen (zusammenfassend vgl. z. B. Wetterer 2002; Überblick zu Ausbildung und Studium in Deutschland siehe Faulstich-Wieland 2016b, 9 ff., für die Schweiz vgl. Wehner et al. 2016). Bezogen auf Österreich hat das Arbeitsmarktservice die relevanten Daten für Österreich im „Gleichstellungsindex Arbeitsmarkt“ zusammengestellt (Arbeitsmarktservice Österreich 2017). Frauen haben demnach deutlich schlechtere Werte bei der Beschäftigungs- und Einkommenssituation im Vergleich ‚vor/nach Karenz‘ als Männer, es gibt klare Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen, Frauen sind seltener in Leitungspositionen präsent – aber sie haben die besseren Werte im Hinblick auf bildungsspezifische Faktoren (vgl. ebd., 8)
2 Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Berufswünsche von jungen Frauen und Männern reflektiert, ihre Schwerpunktsetzungen zu der Frage ‚Gelderwerb‘ vs. ‚Berufung‘ vorgestellt und Untersuchungsergebnisse zum Thema ‚Vereinbarkeit von Familie und Beruf‘ präsentiert.
Berufswünsche von jungen Frauen und Männern: Unterschiede
Sowohl bei der Studienwahl als auch in der beruflichen Bildung zeichnen sich geschlechtsspezifische Disparitäten ab: Frauen entscheiden sich weiterhin für sprach- und kulturwissenschaftliche Studiengänge und holen im Hinblick auf anspruchsvolle Berufe im Sozial- und Gesundheitsbereich (z. B. Medizin) auf. Sie bleiben in den männlich dominierten MINT-Studiengängen deutlich unterrepräsentiert – ein „Trend, der für alle OECD-Länder gleichermaßen charakteristisch ist“ (Makarova/Herzog 2013, 176), bereits bei Kindern im Grundschulalter zu beobachten ist (vgl. Baumgardt 2012, 201 ff.) und sich bei 15-Jährigen „deutlich abzeichnet“ (Makarova/Herzog 2013, 176). Welche Ausbildungsberufe wünschen sich junge Frauen und Männer?
Im 7. Bericht zur Lage der Jugend in Österreich werden die beliebtesten Lehrberufe aufgeführt. Zu den am häufigsten genannten Ausbildungsberufen der jungen Männer zählen die Metall- und Elektroberufe, eine Ausbildung im Handels- oder Verkehrsbereich oder ein Beruf auf dem Bau. Die am stärksten nachgefragten Berufe bei den jungen Frauen lagen im Bereich Handel/Verkehr oder in der Ausbildung als Frisörin bzw. im Bürobereich – in diesen Bereichen suchen mehr als die Hälfte der Bewerberinnen einen Ausbildungsplatz (vgl. Bundesministerium für Frauen, Familie und Jugend 2016, 36).
Ähnliche Ergebnisse zeigen sich, wenn ausschließlich die Berufswünsche von Jugendlichen in Österreich mit Migrationshintergrund in den Blick genommen werden: Laut AMS Arbeitsmarktservice Wien wünschen sich die jungen Frauen eine Ausbildung im Bereich der Gesundheits- bzw. Körperpflege (z. B. Friseurin), im Handel oder Büro – während die jungen Männer eine Ausbildung in einem handwerklichen, technischen oder mechanischen Beruf vorziehen (AMS Wien 2007). Für beide Geschlechter ähnlich interessant sind Berufe im Handel und in der Gastronomie (ebd., 33).
In der Längsschnittuntersuchung des Deutschen Jugendinstituts (Gaupp et al. 2013) nennen die befragten Hauptschüler*innen vergleichbare Berufswünsche (nach Häufigkeit, zum Folgenden vgl. ebd., 137): Die Mädchen möchten medizinische Fachangestellte, Kauffrau im Einzelhandel, Frisörin, Bürokauffrau, Kinderpflegerin, Erzieherin, Verkäuferin, Gesundheits- und Krankenpflegerin, Hotelkauffrau bzw. Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin werden. Die Wunschberufe der Burschen sind Mechatroniker, Kaufmann im Einzelhandel, in der Industriemechaniker Betriebstechnik, Elektroanlagenmonteur, KfZ-Mechatroniker, Maler/Lackierer, Koch, Tischler, Fachinformatiker für Anwendungstechnik und Metallbauer.
Das Berufsfeld der Jugendlichen ist teilweise sehr eng: Ungefähr die Hälfte der Nennungen der Jugendlichen bezieht sich auf diese Top-Ten-Berufe-Liste. Deutlich wird auch, dass es nur einen Ausbildungswunsch gibt, der sowohl auf der Liste der beliebtesten Mädchen- als auch der beliebtesten Burschenberufe auftaucht: Kauffrau/-mann im Einzelhandel. Bei den Mädchen ist ansonsten eine starke Konzentration auf Dienstleistungsberufe, bei den Burschen auf die gewerbliche-technischen Berufe zu beobachten.
In der McDonald’s Ausbildungsstudie wurden die Jugendlichen nicht nach ihren Ausbildungswünschen gefragt. Vielmehr wurden sie gebeten, die Attraktivität von Branchen für junge Menschen einzustufen, die eine Ausbildung machen wollen. Die Antworten zeigen „unterschiedliche Prioritäten von Männern und Frauen (…): Männer halten für junge Menschen, die eine Ausbildung machen wollen, alle Berufe für überdurchschnittlich attraktiv, die mit Technik zu tun haben, Frauen hingegen alles sozialen und medizinischen Berufe sowie Ausbildungsberufe aus den Bereichen Touristik und Textil“ (McDonald’s Deutschland 2017, 57). Diese Befunde sind in mehrfacher Hinsicht problematisch. Im Hinblick auf die Geschlechtergerechtigkeit ist die geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarktes Ausdruck eines ungleichen hierarchischen Machtverhältnisses zwischen Männern und Frauen. Ausgehend von Passungsproblemen auf dem Arbeitsmarkt werden zudem vorhandene Potenziale verschenkt, wenn junge Frauen und Männer aufgrund von stereotypen geschlechtsspezifischen Zuschreibungen ganze Berufsgruppen (z. B. MINT vs. Pflege) für uninteressant bzw. nicht vorstellbar halten. Auf der Ebene des Individuums zielt berufliche Orientierung und Beratung auf die Balance zwischen Eignung/Interesse für den Beruf und den beruflichen Anforderungen und damit nicht auf die Eingrenzung von Berufswünschen, sondern auf die Entgrenzung von geschlechtsstereotyp zugewiesenen Handlungsoptionen.
Mit geschlechtsspezifischen beruflichen Orientierungsmaßnahmen wird nun die Hoffnung verbunden, den Blick junger Frauen und Männer für „geschlechtsuntypische“ Berufe zu öffnen und so das für sie jeweils vorstellbare berufliche Spektrum zu erweitern. Das Ziel, eine Kategorie in den Blick zu nehmen, die eigentlich überwunden werden soll, stellt jedoch eine besondere Herausforderung für die gendersensible Berufsorientierung dar:
Unterschiedliche Berufswünsche von Mädchen und Burschen können im Kontext von Sozialisationstheorien (z. B. Heinz 2000; Herzog 2002) betrachtet werden. Sozialisationstheoretische Ansätze erklären das unterschiedliche geschlechtsspezifische Berufswahlverhalten mit sozialen Erwartungen an Burschen und Mädchen, die zur Übernahme typisierter Geschlechterrollen führen. So werden z. B. die „‘hausarbeitsnahen‘ Präferenzen von Frauen in Berufswahl und –praxis“ (Beck-Gernsheim/Ostner 1978, 275) mit ihren biografisch erworbenen Fähigkeiten z. B. für pflegende oder erzieherische Aufgaben als Ausdruck eines „weiblichen Arbeitsvermögens“ (ebd.) erklärt. Auch ein geschlechtsspezifisch unterschiedlich ausgerichtetes Interesse an Mathematik und Naturwissenschaften gerät in den Blick: So werde zum Beispiel die Einstellung der Mädchen zu den Naturwissenschaften „durch eine Vorliebe für <helfende Berufe> bestimmt, in denen naturwissenschaftliche Kenntnisse zwar durchaus gefordert sind, aber in ‚dienender‘ Funktion“ (Makarova/Herzog 2013, 178).
Bilden gibt jedoch generell zu Bedenken, dass die Frage nach geschlechtsspezifisch unterschiedlichem (Berufswahl-)Verhalten nahezu „zwangsläufig auf die Konstruktion eines männlichen und weiblichen Sozialcharakters“ hinauslaufe. Damit aber – so Bilden – „vollziehen wir die polarisierende gesellschaftliche Konstruktion der zwei Geschlechter einfach nach und reproduzieren den schematisierenden Dualismus von männlich-weiblich“ (ebd., 279).
Wie kann die Reproduktion von geschlechtsspezifischen Zuschreibungen vermieden werden, ohne gleichzeitig die Kategorie Geschlecht in Gänze auszublenden?
Berufswünsche von jungen Frauen und Männern: Gemeinsamkeiten?
Aktuelle Studien fokussieren stärker die Gemeinsamkeiten zwischen jungen Männern und Frauen in der beruflichen Orientierung als nach geschlechtsspezifischen Unterschieden zu suchen. Nicht zufällig stellt die Berufswahltheorie von Gottfredson den Rahmen für einige dieser Untersuchungen dar – ist diese doch eine der wenigen Konzeptionen, die die Kategorie Geschlecht systematisch einbindet.
In ihrer Studie „Undoing Circumscription?“ nimmt Scholand berufsbezogene Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Mädchen und Burschen in den Blick (ebd.). Befragt wurden 253 Achtklässler*innen aus Hamburger Stadtteilschulen mittels Fragebogen nach ihrem Interesse für (vorgegebene) Berufe und einer Selbsteinschätzung zum Wissen über die jeweiligen Berufe (ebd., 68 ff.).
Untersuchungsleitend war die Frage, inwiefern sich eine „geschlechtsstereotype Eingrenzung der Interessen (zeigt – d.V.) – also ein doing circumscription – oder werden Gemeinsamkeiten zwischen Burschen und Mädchen sichtbar – findet also ein undoing circumscription statt?“ (ebd., 59). Scholand folgt der Berufswahltheorie von Gottfredson in der Annahme, dass Jugendliche, die ihren Berufswunsch nicht realisieren können, im ersten Schritt zu Kompromissen bei ihren Interessen bereit sind, also die berufliche Bandbreite wieder weiter auffächern. Im zweiten Schritt werden auch Berufe mit geringerem Prestige erwogen. Erst danach steht ggfs. eine Verschiebung der Geschlechtergrenze zur Disposition. Diese Art der Kompromissfindung kann – so Scholand – als „undoing circumscription“ bezeichnet werden (ebd., 62). Erwartungsgemäß zeigen sich in den Antworten der Jugendlichen geschlechtsspezifische Unterschiede – aber auch Gemeinsamkeiten. Für Mädchen und Burschen sind Berufe interessant, die mit der „Modellierung von Körpern zu tun haben: Fitnesstrainer/in bei den Burschen und Modedesigner/in bei den Mädchen“ (ebd., 70). Ebenso war der Beruf Grafikdesigner*in und Rechtsanwalt*in bei Mädchen und Burschen beliebt (ebd.). Der Autorin gelang es, ein berufliches Feld herauszuarbeiten, in dem weder Mädchen noch Burschen Gefahr laufen, dass ihre Berufswahl als geschlechtsunangemessen sanktioniert wird (ebd., 79).
Gleichzeitig finden sich geschlechtsbezogene Präferenzen bzw. Ablehnungen von Berufen (z. B. Maschinenbauerin bei den Mädchen, Sozialpädagoge bei den Burschen) und Ausschlüsse aufgrund des fehlenden Prestiges (Altenpfleger*in, Reinigungskraft), (vgl. ebd.). Inwiefern das doing oder undoing circumscription überwiegt, konnte auf der Basis der erhobenen Daten „nicht eindeutig beantwortet“ werden (ebd., 80).
Auch Faulstich-Wieland interessierte sich für Gemeinsamkeiten und Unterschiede von männlichen und weiblichen „Auszubildenden in geschlechtsuntypischen Berufen“ (ebd.). Für ihre Studie wurden 23 narrative Interviews (9 Frauen, 14 Männer) mit Auszubildenden in „geschlechtsuntypischen“ Berufen geführt. Untersucht wurde die Frage, was die Auszubildenden dazu bewegt hat, ihren („geschlechtsuntypischen“) Beruf zu ergreifen und welche Rolle die schulische Berufsorientierung bzw. andere Einflussfaktoren dabei gespielt haben (ebd., 86).
Wie kam es dazu, dass sich die jungen Männer und Frauen für einen „geschlechtsuntypischen“ Ausbildungsberuf entschieden haben?
Gemeinsam ist den befragten Frauen und Männern in „geschlechtsuntypischen“ Ausbildungsberufen, dass sie die berufliche Orientierung in der Schule als kaum unterstützend wahrgenommen und eine individuelle Beratung vermisst haben. Hilfreich für die Berufswahl waren nach Aussagen der Jugendlichen vor allem berufliche Praktika (ebd., 110). Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass es vor allem jenen Jugendlichen gelang, ihren „geschlechtsuntypischen“ Wunschberuf zu verfolgen, die im Vorfeld ein klares Berufsbild entwickelt haben (ebd., 113).
Junge Frauen berichten häufiger von emotionaler (nicht inhaltlicher) Unterstützung durch Familie und Freund*innen. Sie beschreiben sich als „handwerkliche interessiert“ bzw. „für körperliche Arbeit geeignet“ (ebd., 110). Sie berichten von einem fehlenden Überblick über ihre Möglichkeiten in verschiedenen Berufsfeldern, der auch nicht durch die Familie oder Freunde kompensiert werden konnte. Auch wenn sie sich bei der Konfrontation mit Vorurteilen in ihrem beruflichen Umfeld durchaus allein gelassen fühlen, steht die Genderfrage für die jungen Frauen nicht im Vordergrund (ebd.).
Die jungen Männer geben an, dass das Geschlechterverhältnis bei der Wahl ihres Berufes kein relevanter Aspekt war. Einige Männer berichten von Widerständen oder Unverständnis der Eltern/Freund*innen in Bezug auf ihre Berufswahl. In der Ausbildung wiederum freuen sie sich, andere junge Männer zu finden. Im Anschluss an die Ausbildung möchten sie sich durch beruflichen Aufstieg oder Wechsel von ihren aktuellen Kolleginnen absetzen (ebd., 111 f.).
Angesichts dieser unterschiedlichen Befunde stellt sich die Frage, inwiefern es sich bei der Wahl eines „geschlechtsuntypischen“ Berufes um das Ergebnis eines gelungenen, intensiven beruflichen Orientierungsprozesses der Jugendlichen handelt – oder ob sich manche von ihnen einfach keine großen Gedanken über ihren Ausbildungsberuf gemacht haben.
Rahn/Hartkopf untersuchten auf der Basis der Daten des Berufsorientierungspanels (BOP, siehe oben) die Frage, „ob bzw. inwieweit es Unterschiede bei der Herausbildung geschlechtsuntypischer Berufswahlen zwischen den Geschlechtern gibt“ (ebd., 116). Als Bezugstheorie wird die Berufswahltheorie von Gottfredson 1996 angeführt (vgl. zum Folgenden ebd., 117 f.).
Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Berufswünsche der befragten Achtklässler*innen deutlich nach Geschlecht unterscheiden und sich überhaupt nur 2 % der Befragten für „geschlechtsuntypische“ Berufe interessieren (ebd., 119). Das berufliche Spektrum der Mädchen ist enger als das der Burschen (ebd., 120). Die Mädchen nennen häufiger einen Burschenberuf als die Burschen einen Mädchenberuf (ebd.). Das geringe Interesse für „geschlechtsuntypische“ Ausbildungen verweist auf die Berufswahltheorie von Gottfredson: Am wenigsten Kompromissbereitschaft ist nach Gottfredson bei beruflichen Optionen zu erwarten, die die Geschlechtsidentität bedrohen – daher sind, ihrer Theorie nach, spontane Entscheidungen für eine „geschlechtsuntypische“ Wahl unwahrscheinlich.
Vor diesem Hintergrund haben die Autor*innen nach den Effekten des Girls‘/Boys‘ Day gefragt: Konnten die Jugendlichen nachhaltig für „geschlechtsuntypische“ Berufe interessiert werden? Um diese Frage zu beantworten, wurden die Berufswünsche der Jugendlichen zu verschiedenen Messzeitpunkten erhoben und systematisch zwischen am Girls‘/Boys‘ Day teilnehmenden und nicht teilnehmenden Jugendlichen verglichen. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Es finden sich „keine signifikanten Unterschiede zwischen teilnehmenden und nicht teilnehmenden Jugendlichen“ (ebd., 123), d. h. „per Saldo lässt sich kein Effekt der am stärksten verbreiteten Maßnahme zur Förderung geschlechtsuntypischer Berufswahlen nachweisen“ (ebd., 126).
Die folgende Analyse von Determinanten des Übergangs von Jugendlichen mit „geschlechtsuntypischen“ Berufswünschen basiert auf einer geringen Fallzahl (17 Jugendliche, davon zwölf weiblich und fünf männlich) und ist daher nur begrenzt aussagekräftig.
Die angehenden Mechanikerinnen und Köchinnen schildern, dass sie ihren Berufswunsch schon früh hatten, dieser ihrem Interesse entspricht und sie engagiert die Ausbildungsplatz- suche vorangetrieben haben. Die Eltern – insbesondere die Väter – sind ebenfalls in Facharbeiterberufen tätig und unterstützen die Berufswahl ihrer Töchter. Demgegenüber erscheint die Bewerbungsaktivität der zukünftigen weiblichen Fachkräfte für Lagerlogistik bzw. der Informationstechnischen Assistentinnen weniger optimal zu verlaufen. Ausbildungsberufe werden spät oder gar nicht als Wunschberufe genannt (vgl. ebd., 126 f.).
Bei den jungen Männer mit dem Ausbildungsberuf Friseur bzw. Kinderpfleger und Pferdewirt fällt auf, dass die Berufe erst spät auf der Liste der Wunschberufe auftauchen und sie sich nicht wirklich aktiv um einen anderen Ausbildungsplatz beworben haben. Ihr beruflicher Orientierungsprozess wirkt „weniger interessengeleitet und engagiert“ (ebd., 128). Der angehende Kinderpfleger schildert deutlich, dass er diese Ausbildung niemandem raten würde (ebd.).
Der Übergang in „geschlechtsuntypische“ Ausbildungen kann mit Blick auf die befragten Mechanikerinnen und Köchinnen als Ergebnis einer gelungenen beruflichen Orientierung verstanden werden. Die Aussagen der übrigen Jugendlichen deuten jedoch darauf hin, dass deren „geschlechtsuntypische“ Berufswahlentscheidungen möglicherweise eher als Ausdruck einer „Notlösung“, also als Resultat einer ungünstig verlaufenden beruflichen Orientierung zu interpretieren ist. Dies scheint besonders bei den schlecht bezahlten, typischen „Frauen“-Berufen der Fall zu sein, wenn sie von jungen Männern angesteuert werden. Die Autor*innen stellen daher die Vermutung auf: „Wenn es sich bei dem geschlechtsuntypischen Beruf um einen Beruf mit niedrigem Prestigewert handelt, basieren Einmündungsprozesse in geschlechtsuntypische Berufsausbildungen eher nicht auf kompetenten Berufswahlen“ (ebd., 129).
Die folgende Studie stellt ebenfalls einen Zusammenhang zwischen dem wahrgenommenen Prestige/Verdienst und der geschlechtsspezifischen Zuordnung her:
Auf der Grundlage einer Befragung von Schüler*innen in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2015 (Stichprobe: knapp 2.000 Befragte in der 9. bzw. 10. Klasse aus Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien, siehe Matthes 2019, 126) wird die Frage untersucht, warum Berufe von Jugendlichen (nicht) gewählt werden. Ausgangspunkt der Arbeit ist die Überlegung, dass es bei der Berufsfindung sowohl „Attraktions- als auch Aversionsfaktoren“ gibt und dass „Aversionsfaktoren einen intervenierenden Effekt auf die Wirkung von Attraktionsfaktoren“ haben (ebd., 33). Im Fokus steht die Perspektive der Jugendlichen selbst und deren Bedürfnis nach sozialer Anerkennung. Wenn der Beruf etwas darüber aussagt, wer die Person ist – dann stellt sich bei der beruflichen Orientierung die Frage, als welche Person ich in Zukunft von anderen wahrgenommen werden möchte. Reale oder antizipierte Reaktionen von Eltern und Peers auf verschiedene Berufswünsche beeinflussen demnach den Berufsfindungsprozess. „Weil Menschen ein Bedürfnis nach sozialer Anerkennung haben und Berufe in westlichen Industrienationen wie Deutschland eine ‚Visitenkartenfunktion‘ besitzen, werden Berufe, deren Wahl eine unvorteilhafte Verortung im sozialen Raum vermuten lässt, in der Berufsfindung (zumeist unbewusst) eher ausgeschlossen – und zwar auch dann, wenn die Tätigkeiten eigentlich zu den eigentlichen beruflichen Interessen passen“ (ebd., 163).
Die Untersuchung bestätigt den Einfluss von erwarteten Reaktionen von Dritten auf die Berufswahl: Die Neigung im Sinne von ‚Vorstellbarkeit‘, einen Beruf zu ergreifen, steigt, wenn die vermutete Reaktion von Freunden bzw. Familie positiv ausfällt (Bundesinstitut für Berufsbildung 2018, 442 f.).
Interessant ist nun, welche Berufe im Umfeld positiv bzw. negativ konnotiert werden. Sowohl von der Familie als auch seitens der Peers sind umso positivere Rückmeldungen zu erwarten, wenn.
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in dem Beruf ihrer Ansicht nach wenige Personen mit Hauptschulabschluss den Beruf erlernen,
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der vermutete Verdienst hoch ist und
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der Beruf als typisch für das jeweilige Geschlecht angesehen wird (ebd., 444 f.).
Im Umkehrschluss können die Untersuchungsergebnisse verstehen helfen, warum sich Schüler*innen gegen Ausbildungsberufe entscheiden, die von ihnen als „Hauptschülerberuf“, schlecht bezahlt und „geschlechtsuntypisch“ wahrgenommen werden. Diese Ergebnisse verweisen auf die Berufswahltheorie nach Gottfredson (s. o.): Danach stellen zentrale Dimensionen für die Eingrenzung beruflicher Aspirationen das mit dem Beruf konnotierte Geschlecht, das Prestige des Berufs und das Interesse dar (Gottfredson 1981, 551).
Gelderwerb vs. Berufung
Auch die für die Jugendlichen relevanten Kriterien für und Erwartungen an einen Beruf an sich (vgl. Abschn.
2.2) können nach Gemeinsamkeiten im Hinblick auf weibliche bzw. männliche Jugendliche untersucht werden. Inwiefern stellt z. B. die Relevanz eines guten Einkommens ein zentrales Kriterium für
alle Jugendlichen dar – oder ist der Verdienst weiterhin klassisch ein zentrales Kriterium für männliche Jugendliche?
Im BIBB-Forschungsprojekt „Berufsorientierung junger Frauen“ (Puhlmann et al. 2011) greifen die Autorinnen geschlechtsspezifisch unterschiedliche berufliche Interessen auf. Sie gehen jedoch davon aus, dass gerade diese „Differenzsetzungen die Vorstellung (nähren – d. V.), dass die Berufsorientierungsprozesse junger Frauen und junger Männer unterschiedlich verlaufen würden und daher zu geschlechtssegregierter Beteiligung an Ausbildung führten“ (ebd., 2). Daher zielt ihre Untersuchung darauf, derartige „Differenzsetzungen zu vermeiden und so individuelle und institutionelle Veränderungen bei der Berufsorientierung herauszuarbeiten“ (ebd., 3). Befragt wurden 429 Auszubildende (medizinische Fachangestellte, KfZ-Mechatroniker*in, Informatikkaufleute, IT-Systemkaufleute, Kaufleute im Einzelhandel) zwischen 16 und 32 Jahren in Form von halbstandardisierten Einzelinterviews (ebd., 5). Als Ergebnis der Interviewanalyse konnten insbesondere Gemeinsamkeiten der jungen Frauen und Männer im Hinblick auf ihre berufliche Orientierung herausgearbeitet werden:
So werden kaum Unterschiede zwischen den jungen Frauen und Männern festgestellt, wenn es um die Kriterien für die Berufswahl geht: Der „Spaß am Beruf“, die „berufliche Eignung“, der Wunsch, „überhaupt einen Ausbildungsplatz zu bekommen“, die „Aufstiegschancen“, die „Höhe der Ausbildungsvergütung“, das „Ansehen des Berufs“ und der Wunsch, „anderen Menschen helfen“ zu können, war für die weiblichen und männlichen Befragten ähnlich wichtig.
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Dennoch führen die Autorinnen auch Unterschiede zwischen Männern und Frauen auf. Für die befragten jungen Männern waren die Kriterien „Hobby im Beruf verwirklichen“, „mit modernen Maschinen umgehen“ und „möglichst viel Geld verdienen“ wichtiger als den jungen Frauen. Für diese war die „Sicherheit vor Entlassung“ bedeutsamer (ebd., 11).
Ähnliche Ergebnisse zeigt die McDonald’s Ausbildungsstudie. Auch hier tendieren die weiblichen Befragten stärker zum Kriterium „Sicherheit“ während die männlichen Befragten die Höhe des Einkommens hervorheben. Zwar sind für die jungen Männer und Frauen der Spaß an der Arbeit und die Sicherheit des Arbeitsplatzes bedeutsame Kriterien, allerdings sind beide Aspekte für Frauen wichtiger als für Männer (Spaß: 75 % zu 69 % bzw. Sicherheit: 66 % zu 60 %). Umgekehrt ist für die männlichen Jugendlichen ein hohes Einkommen wichtiger als für die weiblichen Befragten (27 % zu 19 %) (vgl. McDonald’s Deutschland 2017, 56).
Die 17. Shell-Jugendstudie fragte ebenfalls nach geschlechtsspezifischen Gemeinsamkeiten und Differenzen. Unterschieden werden die Dimensionen „Nutzen- bzw. Erfüllungsorientierung“. Werden diese Dimensionen entlang der Kategorie Geschlecht analysiert, tendieren die Frauen eher zur Erfüllungsorientierung. Nicht das hohe Einkommen (Nutzen), sondern der Wunsch nach Erfüllung im Beruf steht für sie im Fokus (Leven et al. 2016, 82 f.).
Diese Ergebnisse entlang der Kategorie Geschlecht überraschen nicht wirklich. Schließlich sind eher professions- vs. vokationsbezogene Schwerpunktsetzungen im Hinblick auf das Berufsverständnis bereits bei Kindern im Grundschulalter vorzufinden (Baumgardt 2012, 232 f.). Allerdings ist zu betonen, dass es sich hier um graduelle Unterschiede zwischen Männern und Frauen handelt – generell sind ein hohes Einkommen und der Wunsch nach Erfüllung im Beruf für Frauen und Männer ein wichtiges Kriterium.
Vereinbarkeit von Kindern und Karriere
Inwiefern ist das Thema ‚Vereinbarkeit von Kindern und Karriere‘ für die Jugendlichen relevant?
Die vom österreichischen Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz in Auftrag gegebene Studie zum Thema „Jugend und Beschäftigung“ (ebd.) untersuchte auch die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Antworten der jungen Frauen und Männer weisen auf ein eher traditionelles Rollenverständnis hin. Beim Thema Kinderwunsch und -betreuung erschien es für die befragten Frauen normal, die Berufstätigkeit für die Betreuung des Kindes zu unterbrechen. Die befragten Männer mit Kinderwunsch gingen jedoch davon aus, dass nicht sie als Vater des Kindes, sondern die Mutter in Elternzeit gehen würde (ebd., 80).
In der österreichischen Jugendwertestudie 2011 (Heinzlmaier/Ikrath 2011) wurden die Jugendlichen ebenfalls zu ihrer Familienplanung befragt. Für 14- bis 19-jährige Jugendliche und insbesondere für aufstiegsorientierte junge Frauen kann bilanziert werden: „Berufliche Integration und finanzielle Selbständigkeit haben Vorrang vor der Familiengründung“ (ebd., 35). In den Gruppendiskussionen zeigte sich, dass sich bildungsnahe Österreicher*innen eher als ein Team verstehen möchten, in dem die Verantwortung für Kinderbetreuung, Haushalt, Gelderwerb zwischen den Partner*innen ausgehandelt wird. Frauen aus bildungsferneren Milieus geben an, sich zunehmend gegen traditionelle Rollenbilder zur Wehr zu setzen und die Verantwortung der Männer einzufordern (ebd., 36 f.).
Im 7. Bericht zur Lage der Jugend in Österreich aus dem Jahr 2016 wurden den Jugendlichen ebenfalls Fragen zur Work-Life-Balance gestellt. Es zeigt sich: Arbeiten ist nicht alles. Neben der Arbeit wünschen sich die Jugendlichen, noch ausreichend Zeit für Hobbys (38,7 %) und Familie zu haben (47 %). Die Zustimmungswerte unterscheiden sich hier deutlich zwischen Männern und Frauen: Zeit für die Familie ist nur für 38,2 % der männlichen Jugendlichen bedeutsam – im Gegensatz zu 54,6 % der weiblichen Jugendlichen (Bundesministerium für Frauen, Familie und Jugend 2016, 59).
Auch die McDonald’s Ausbildungsstudie hat die Jugendlichen zur Relevanz der Vereinbarkeit von Kindern und Karriere befragt: Danach legen junge Frauen großen Wert auf einen Beruf, der sich gut mit Familie und Kindern vereinbaren lässt (44 %) – sehr viel mehr als die männlichen Befragten (26 %) (vgl. McDonald’s Deutschland 2017, 56).
Schuchart et al. erforschten 2016 die Studienorientierung von Männern und Frauen im Verlauf der Sekundarstufe II (ebd.). Befragt wurden 2092 Schüler*innen der Oberstufe von 39 beruflichen Schulen und 11 Gesamtschulen zu Beginn und Ende der Oberstufe (vgl. ebd., 6 ff.). Danach steigt die Studienabsicht von Männern und Frauen, wenn mit dem Studium die Erwartung verbunden wird, dass die „Arbeitsmarktchancen verbessert“ werden könnten bzw. dass ein Studium zu einem „sinnvollen Beruf“ führen würde (ebd., 17). Im Unterschied zu den befragten Männern ist für die Studierabsichten der Frauen zusätzlich relevant, wenn ihre Überzeugung steigt, dass sie mit dem Studium dem Ziel „eine Familie gründen“ näher kommen (ebd.).
Die Autor*innen der 17. Shell-Jugendstudie (Shell Deutschland Holding 2016) verweisen in verschiedenen Bereichen auf Zusammenhänge zwischen Gender und Berufswahl in Deutschland. Zum Themenkomplex „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ zeigten sich geschlechtsspezifisch unterschiedliche Antworten zu der Frage, inwiefern sich die Frage nach Kindern aktuell stellt und wie sich die jungen Männer und Frauen die eigene Elternrolle im Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs vorstellen können (Leven et al. 2016, 80 ff.). 64 % der Befragten äußern einen Kinderwunsch – diese Zahl ist jedoch im Vergleich zu den letzten Jahren rückläufig (ebd., 62 f.). In den vertiefenden Interviews erläutern die jungen Männer, dass sie sich zunächst beruflich etablieren möchten, bevor sie sich mit der Frage ‚Kinder – ja oder nein‘ befassen wollen (Leven/Utzmann 2016, 299). Der Rückgang wird interpretiert als Sorge der Jugendlichen, ihre berufliche Karriere nicht mit dem Kinderwunsch unter einen Hut bringen zu können. Auch hier unterscheiden sich die Befunde deutlich nach dem Geschlecht der Befragten:
Die Möglichkeit, zu Hause zu arbeiten, ist für fast ein Drittel der jungen Frauen wichtig (Männer: 23 %). Auch wünschen sich deutlich mehr Frauen als Männer, dass die Arbeitszeit unkompliziert an sich veränderte Lebensumstände angeglichen werden kann (42 % zu 37 %). Als Eltern möchten Frauen deutlich häufiger als Männer Teilzeit arbeiten (62 % zu 25 %) (Leven et al. 2016, 85). Die Autoren interpretieren diese Befunde jedoch nicht als Ausdruck traditioneller geschlechtsspezifischer Rollenvorstellungen. Vielmehr sehen sie bei den Frauen den Wunsch nach beidem: Sie „möchten Berufserfolg und Karriere – und hier liegt der Unterschied zur Mehrheit der jungen Männer – mit einem aktiven Familienleben kombinieren“ (ebd., 86). Hier schließen sich also die Familien- und Berufsorientierung nicht aus, im Gegenteil: Sie sind eng miteinander verwoben.
Zusammenfassung
Vor dem Hintergrund der geschlechtsspezifischen Segregation des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes ist die Relevanz der Kategorie Geschlecht für die berufliche Orientierung nicht zu übersehen. Jedoch stellt sich der Umgang mit einer Kategorie, die es zu überwinden gilt, als Herausforderung dar.
Unterschiedliche Berufswünsche von jungen Frauen und Männern werden in den Studien untersucht und gefunden: Frauen bevorzugen eher eine Ausbildung im Bereich der Gesundheits- bzw. Körperpflege, im Handel oder Büro, während sich Männer vorrangig für den handwerklich-technischen Bereich interessieren. Die Suche nach Gemeinsamkeiten zwischen weiblichen und männlichen Jugendlichen verschiebt das Bild – aber nur geringfügig: Es konnte zwar ein berufliches Feld identifiziert werden, das junge Frauen und Männer sanktionsfrei anwählen können, gleichwohl werden weiterhin Berufe aufgrund von geschlechtsbezogenen Präferenzen angesteuert bzw. abgewählt.
Für die wenigen, die sich für einen „geschlechtsuntypischen“ Ausbildungsberuf entschieden haben, schien der Gender-Aspekt während der beruflichen Orientierung keine große Rolle zu spielen. Als hilfreich wurden vielmehr Praktika für die Entwicklung eines klaren („geschlechtsuntypischen“) Berufsbildes genannt. Für einige der befragten Jugendlichen liegt jedoch die Vermutung nahe, dass deren Entscheidung für eine „geschlechtsuntypische“ Ausbildung eher als Notlösung bzw. Resultat einer ungünstig verlaufenden beruflichen Orientierung zu werten ist. Als zielführend können weitere Untersuchungen im Anschluss an Gottfredson angesehen werden, die verstehen helfen, warum sich Hauptschüler*innen gegen Berufe entscheiden, die von ihnen als schlecht bezahlt, „geschlechtsuntypisch“ und bildungsfern („Hauptschülerberuf“) wahrgenommen werden.
Auch im Hinblick auf mögliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Männern und Frauen bezogen auf die Kriterien für einen Beruf ergibt sich ein ‚sowohl – als auch‘: Für weibliche und männliche Jugendliche ist ein hohes Einkommen und der Wunsch nach Erfüllung im Beruf ein zentraler Aspekt. Allerdings ist der Verdienst den jungen Männern, die Erfüllung den jungen Frauen jeweils etwas wichtiger.
Für den Girls‘/Boys‘ Day als die Maßnahme zur Veränderung von „geschlechtstypischen“ Berufswünschen konnte kein nachhaltiger Effekt nachgewiesen werden.
Auch die Frage nach der Relevanz von Vereinbarkeit von Kindern und Karriere wird von weiblichen und männlichen Jugendlichen unterschiedlich beantwortet. Für aufstiegsorientierte junge Frauen haben die berufliche Integration und finanzielle Selbständigkeit Vorrang vor der Familiengründung. Ansonsten können sich Frauen deutlich eher als Männer vorstellen, die Berufstätigkeit für die Betreuung eines Kindes zu unterbrechen, zu Hause/in Teilzeit zu arbeiten, mehr Freizeit für die Familie zu haben usw. Die Shell-Studie interpretiert diesen Befund jedoch nicht als traditionelles weibliches Rollenverständnis. Vielmehr sehen sie die Frauen (im Gegensatz zu den Männern) in dem Bestreben, beides zu verwirklichen: beruflichen Erfolg und Karriere sowie ein aktives Familienleben.
2.3.3 Migrationshintergrund
In einigen Studien werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund im Kontext der Berufsorientierung untersucht.
4 Einige ausgewählte Resultate werden im Folgenden dargestellt:
In Österreich wurden 2007 Jugendliche mit Migrationshintergrund, Mitarbeiter*innen des Arbeitsmarktservice Wien und Expert*innen mit dem Ziel befragt, den Beratungsprozess des AMS für diese Zielgruppe zu verbessern (Befragung von 236 Jugendlichen mit Migrationshintergrund mittels Fragebogen/geschlossenen Fragen, 8 Interviews mit AMS-Mitarbeiter*innen sowie 4 Expert*inneninterviews, vgl. AMS Arbeitsmarktservice Wien 2007, 8 f.). Auffällig ist, dass 61 % der befragten Jugendlichen angaben, dass sie ihre Berufswahl allein, d. h. ohne elterliche Unterstützung oder Hilfe getroffen hätten (ebd., 34). Nur ein Zehntel der befragten Jugendlichen kann in der aktuellen beruflichen Situation auf die Unterstützung der Eltern zählen.
Die Autor*innen der Studie interpretieren diesen Befund als „geringe Unterstützungsbereitschaft“ seitens der Eltern für ihre Kinder (ebd., 33). Hier stellt sich die Frage, inwieweit die Interpretation als fehlende „Bereitschaft“ der Eltern nicht zu kurz gegriffen ist: Aus der SI- NUS-Milieu-Studie wissen wir, dass in Familien mit Migrationshintergrund in Deutschland die Leistungsbereitschaft und der Wille zum Aufstieg stark ausgeprägt ist (Wippermann/Flaig 2009). Und gleichzeitig können die Eltern einer Migrantenfamilie ihr Kind nur selten konkret (z. B. bei den Hausaufgaben oder der Suche nach einem Ausbildungsplatz) unterstützen (vgl. Hummrich 2002, Beicht/Granato 2010). Möglicherweise geht es bei den Aussagen der Wiener Jugendlichen weniger um die fehlende Bereitschaft als um das unzureichende Wissen ihrer Eltern um das österreichische Berufs-, Bildungs- und Ausbildungssystem, das sie ggfs. gar nicht oder nur teilweise aus eigener Anschauung kennen. Letztlich bleibt es bei dem Befund, dass über 60 % der in der Wiener AMS-Studie befragten Jugendlichen mit Migrationshintergrund bei zentralen Fragen und Entscheidungen im Hinblick auf ihre berufliche Laufbahn auf sich allein gestellt sind (AMS Arbeitsmarktservice Wien 2007, 34).
Daher wundert es nicht, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund die Angebote des AMS eigeninitiativ und „überdurchschnittlich oft“ (ebd., 40 f.) nutzen. Sie erwarten vom AMS konkrete Hilfe, z. B. die Vermittlung einer Arbeits- oder Lehrstelle (60 % bzw. 68 %). Mehr als die Hälfte der Jugendlichen gibt an, mit der Beratung vor Ort zufrieden zu sein (ebd., 44).
Auch die AMS-Mitarbeiter*innen wünschen sich mehr Zeit für die Jugendlichen. Wichtig erscheint ihnen zudem eine kontinuierliche Betreuung, um gemeinsam die individuellen beruflichen Perspektiven erarbeiten zu können. Angesichts der sehr selbstständigen beruflichen Orientierung von vielen Jugendlichen sehen sie eine früh einsetzende intensive schulische Berufsorientierung und niedrigschwelligen Zugang zu Berufsinformationen als erforderlich an (ebd., 53). Auch sollte der Arbeitsmarktservice bei den Unternehmen für die Einstellung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund werben (ebd., 55).
Die Längsschnittsuntersuchung des Deutschen Jugendinstitutes (Gaupp et al. 2013) befragte die Hauptschüler*innen ebenfalls zur Rolle ihrer Eltern. Im Zentrum stand hier jedoch nicht die Unterstützung durch die Eltern, sondern die Wünsche der Eltern im Hinblick auf die Berufswahl ihrer Kinder. Für nur 10 % der Jugendlichen deutscher Herkunft waren die Wunschvorstellungen der Eltern ein wichtiges Kriterium. Dagegen wollte ein Drittel der Jugendlichen mit einem türkischen Migrationshintergrund die beruflichen Vorstellungen ihrer Eltern berücksichtigen (ebd., 137).
In der Shell-Jugendstudie wurden die Jugendlichen zu der Frage, inwiefern sie ihren Berufswunsch realisieren können, befragt. Dabei stellte sich heraus, dass einem guten Fünftel der Jugendlichen, die nicht mehr zur Schule gehen, der für ihren Wunschberuf erforderliche Abschluss fehlt. Jugendliche mit Migrationshintergrund berichten deutlich häufiger von ihrer fehlenden schulischen Qualifikation (42 %) als Jugendliche ohne Migrationshintergrund (18 %) (vgl. Leven et al. 2016, 74).
Dieser Befund wird durch den Berufsbildungsbericht 2018 bestätigt. Danach verfügten 38 % der Bewerber*innen mit Migrationshintergrund über einen Schulabschluss, der für die von ihnen angestrebten Ausbildungsberufe in Deutschland zu niedrig war – dies traf ‚nur‘ für 30 % der Bewerber*innen ohne Migrationshintergrund zu (Bundesinstitut für Berufsbildung 2018, 240).
Die Frage nach möglicherweise fehlenden schulischen Qualifikationen wurde in der McDonald’s Ausbildungsstudie von 2017 so nicht gestellt. Vielmehr wurde nach der Einschätzung für Aufstiegsmöglichkeiten von Menschen aus einfachen Verhältnissen gefragt. Jugendliche Migrant*innen sehen diese Möglichkeiten in Deutschland zunehmend positiv: Der Zustimmungswert stieg von 51 % (aus dem Jahr 2013) auf 63 % für das Jahr 2017 (vgl. McDonald’s Deutschland 2017, 31).
Dieser Einschätzung aus der Perspektive von Jugendlichen steht jedoch die Bilanz des Berufsbildungsberichts 2018 gegenüber, nach der Bewerber*innen mit Migrationshintergrund „signifikant schlechtere Chancen (haben – d. V.), in eine betriebliche oder duale Ausbildung einzumünden“ (Bundesinstitut für Berufsbildung 2018, 245). Diese Chancennachteile können dem BIBB zufolge nicht allein mit (fehlenden) schulischen Qualifikationen oder spezifischen berufsbezogenen Interessen der Jugendlichen erklärt werden. Die Ursachen werden eher bei den Betrieben vermutet: Möglicherweise haben die Schulabschlüsse der Jugendlichen mit Migrationshintergrund für die Unternehmen einen „geringeren ‚Signalwert‘“ oder es werden von den Betrieben „andere als unmittelbar leistungsbezogene Kriterien“ im Hinblick auf die Auswahl von Bewerber*innen angelegt (ebd., 246).
Diese diplomatische Zusammenfassung der Ergebnisse schließt direkt an die Studie von Granato an, die berufliche Orientierung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund untersucht hat (Granato 2013). Sie fokussiert in ihrem Beitrag den Befund, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland „selbst mit den gleichen Voraussetzungen in Bezug auf Schulabschluss, Schulnoten, soziale Herkunft und soziale Einbindung sowie ausbildungs- marktrelevanten Merkmalen schlechtere Chancen haben, einen vollqualifizierenden Ausbildungsplatz zu erhalten als junge Frauen und Männer ohne Migrationshintergrund“ (ebd., 153). Sie fragt vor dem Hintergrund struktureller Ausgrenzung nach weiteren Einflussgrößen, die mit dem Migrationshintergrund in Zusammenhang stehen.
Die geringeren Einmündungschancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in eine Ausbildung können demnach nicht auf ein ggfs. fehlendes Engagement der jungen Männer und Frauen zurückgeführt werden: Eine „unzureichende Bildungsorientierung oder weniger intensive Ausbildungsplatzsuche sind als Erklärungsmöglichkeit (…) auszuschließen, da solche Unterschiede zwischen jungen Frauen bzw. jungen Männern mit und ohne Migrationshintergrund nicht nachweisbar sind“ (ebd., 155, vgl. Beicht/Granato 2010). Eine mögliche Erklärung wird vielmehr in den „Rekrutierungsstrategien und Selektionsprozessen von Betrieben“ vermutet (Granato 2013, 155).
2.3.4 Medien
Welche Vorstellungen über die Berufs-und Arbeitswelt werden Jugendlichen medial vermittelt? Inwiefern beeinflussen Medien die Entstehung von Berufswünschen und die Erwartungen der Jugendlichen an die Arbeitswelt? Über welche Medien können Jugendliche in ihrer beruflichen Orientierung erreicht werden, das heißt, welche Medien nutzen sie und welche stellen eine Informationsquelle dar, der sie vertrauen?
Medien und die Entstehung von Berufswünschen
Gehrau/Vom Hofe 2013 interessierten sich für die Darstellung von Berufen in Fernsehserien und deren Einfluss auf die Berufsvorstellungen von Jugendlichen. Die Untersuchung besteht aus zwei Teilen: 1) Inhaltsanalyse der für die Zielgruppe besonders beliebten Fernsehserien und 2) Befragung von jugendlichen Rezipient*innen (1.300 Schüler*innen aller Schulformen maximal zwei Jahre vor Schulabschluss mittels Fragebogen (vgl. ebd., 125 ff.).
Ausgangspunkt der Studie war die Überlegung, dass viele Jugendliche eine unrealistische Vorstellung zu den Anforderungen und Tätigkeiten ihres Wunschberufes haben. Die Autor*innen fragen in diesem Kontext nach dem Einfluss von Fernsehserien. Sie gehen von der These aus, dass die Berufswelt der Fernsehserien nicht der realen Berufswelt entspricht, weder mit Blick auf die Verteilung der Berufe noch hinsichtlich der dargestellten beruflichen Tätigkeiten (ebd., 125).
Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Darstellung von Berufen in Fernsehserien vom „echten Leben“ unterscheidet. In den Serien ist eine „Verengung des Berufsspektrums“ (ebd., 127) zu beobachten. Die Bereiche Gesundheit, Verwaltung bzw. Verteidigung, Gastronomie und Dienstleistungen sind dominant vertreten. Handwerkliche oder technische Berufe und körperliche Arbeit kommen kaum vor, das Berufsleben wird – häufig aus der Perspektive von Leitungspersonen – als „locker“ und „unbeschwert“ beschrieben und ist mit einem hohen Verdienst verbunden (ebd.). Korrelationen konnten u. a. im Hinblick auf den Konsum der Jugendlichen bezogen auf bestimmte Serien festgestellt werden: „Wer viele der untersuchten Serien schaute, der meinte signifikant öfter, Ärzte sähen gut aus und hätten ein aufregenderes Berufsleben“ (ebd., 129). Fernsehserien tragen dazu bei, dass die Rezipient*innen ein „verzerrte(s) Berufsbild“ (ebd., 130) entwickeln und eine „selektive (…) Berufswahl“ (ebd.) treffen. Chancen sehen die Autor*innen für unpopuläre Berufe, die durch Fernsehserien eine verstärkte Sichtbarkeit herstellen könnten.
Im Rahmen des Berufsorientierungspanels BOP (Rahn et al. 2013) wurden in Nordrhein- Westfalen in den Jahren 2009–2013 ca. 3.700 Achtklässler*innen aller Schulformen (Eingangsbefragung) untersucht. Weyer et al. 2016 haben auf der Basis der BOP-Daten (jeweils erstes Halbjahr der 9. und 10. Klasse) die Frage untersucht, „in welchem Ausmaß man mit Einflüssen von Medieneffekten auf die Berufsorientierung im Allgemeinen sowie auf die Entwicklung von Berufswünschen im Besonderen rechnen“ kann (ebd., 109). Aus den Antworten offener Impulse zur Entstehung des Wunschberufes wurden verschiedene Items konstruiert (eigene Fähigkeiten und Interessen, Eltern, Praktikum, Verwandte/Bekannte, Medien, weil ich es schon immer wollte, Potenzialcheck, Freunde, Schule oder sonstiges (vgl. ebd., 115)), die den Jugendlichen vorgelegt wurden.
Für die Entstehung des Berufswunsches war aus Sicht der Befragten vor allem das Kriterium „Interesse und Fähigkeiten“ am bedeutsamsten, gefolgt von Eltern und Verwandten/Bekannten. „Medien“ als Erklärung für die Begründung des Wunschberufes steht auf dem vierten Platz, gefolgt vom Praktikum, Freunden, dem Potenzialcheck und der Angabe, dass „ich das schon immer werden wollte“ (ebd.).
Die Autor*innen interessierten sich weiter für die Frage, welche Begründungen der Berufswünsche mit der Nennung von Medien als Begründung korrelieren (vgl. ebd., 117). Hier zeigte sich, dass Massenmedien v. a. dann „Berufswünsche an(regen – d. V.), wenn sie mit den Interessen und Fähigkeiten der Befragten korrespondierten“ (ebd., 118). Weiterhin schlossen sich die eigene Erfahrung aus Praktika einerseits und Medieneinflüsse andererseits tendenziell aus. Mit anderen Worten: „Medien konnten also eher dann Einfluss auf den Berufswunsch entfalten, wenn der Berufswunsch nicht durch Praktikumserfahrung unterfüttert war, Medienerfahrung also reale Erfahrungen mit Berufen ersetzte“ (ebd., 119).
Die Autoren untersuchten außerdem die Berufswünsche, die besonders oft auf die Inspiration von Medien zurückgeführt werden konnten, in demografischer Hinsicht. Kaum bzw. keine Einflüsse lassen sich im Hinblick auf das Geschlecht bzw. den Migrationshintergrund feststellen. Deutliche Unterschiede zeigen sich jedoch hinsichtlich der Schulform. Hauptschüler*innen begründen ihre Berufswünsche nur sehr selten mit Medien, während die Werte von Gymnasialschüler*innen fast doppelt so hoch sind (ebd., 121). Dieser Befund lässt sich mit den unterschiedlichen berufspraktischen Erfahrungen der befragten Neunt- und Zehntklässler*innen in einen Zusammenhang bringen. Schüler*innen auf dem Gymnasium verfügen in der Regel über weniger berufsbezogene praktische Erfahrungen als Hauptschüler*innen. So weisen die Ergebnisse darauf hin, dass Medien für Berufswünsche offenbar dann an Relevanz gewinnen, „wenn realweltliche Erfahrungen und Anforderungen in den Hintergrund treten, weil sie nicht oder noch nicht vorhanden sind“ (ebd.). Die Autoren bilanzieren, dass medial vermittelte Berufswünsche immer noch besser seien als das Fehlen von Berufswünschen. Um das Risiko von Bildungsabbrüchen zu verringern, sollten jedoch die medial entstandenen Vorstellungen systematisch mit berufspraktischen Erfahrungen unterfüttert werden (vgl. ebd., 123).
Welche Medien nutzen und welchen vertrauen die Jugendlichen?
Im 7. Bericht zur Lage der Jugend in Österreich wird deutlich, dass im Jahr 2016 die Nutzung von digitalen Medien eine Selbstverständlichkeit darstellt: Knapp 95 % der 14- bis 29-Jährigen besitzen ein Smartphone und 95 % der 14- bis 19-Jährigen geben an, „gestern“ das Internet genutzt zu haben (Bundesministerium für Frauen, Familie und Jugend 2016, 12). Für viele Jugendliche steht dabei jedoch nicht die Suche nach Informationen, sondern nach Musikvideos und der Austausch im Social-Media-Bereich im Vordergrund (ebd.).
In einer Expertise des Deutschen Jugendinstituts untersuchte Beierle 2013 den Einfluss von u. a. Peers und Neuen Medien auf die Berufsorientierung auf die Berufsorientierung (ebd., 7). Befragt wurden 32 Jugendliche (aus dem 8., 9. und 10. Jahrgang) in Form von Gruppendiskussionen (ebd., 36 f.). Die Autorin kommt zu dem Ergebnis, dass der Einfluss der Gleichaltrigen auf den Berufsorientierungsprozess „eher diffus“ sei (ebd., 48). Dagegen werden auch in dieser Studie Eltern und Familienangehörige als durchwegs wichtige Ansprechpersonen für die Jugendlichen zum Thema ihrer beruflichen Entwicklung benannt. Eltern, Verwandte und Bekannte nehmen zudem nicht selten eine Gatekeeper-Funktion ein, indem sie z. B. den Kontakt zu Betrieben herstellen und so einen Praktikums- oder Ausbildungsplatz vermitteln (ebd., 39).
Die Jugendlichen nutzen interaktive Online-Medien wie Facebook oder WhatsApp – allerdings nicht für die berufliche Orientierung. Als vertrauenswürdige Informationsquellen im Internet werden insbesondere die Seiten der Bundesagentur für Arbeit (planetberuf, berufe.net, Jobbörse) genannt, die für die Jugendlichen durch die schulische Berufsorientierung einen hohen Bekanntheitsgrad aufweisen. Allerdings werden diese Angebote nicht als attraktiv wahrgenommen: Es sei schon an der Sprache zu erkennen, dass es sich um Filme handeln würde, die von Erwachsenen inszeniert seien und von Jugendlichen nur gespielt werden (ebd., 43). Computergesteuerte Testverfahren werden von den Befragten nur eingeschränkt als bedeutsam erachtet, stattdessen bevorzugen sie ein persönliches Berufsberatungsgespräch (ebd., 42 f.). Als besonders relevant für die berufliche Entwicklung war in den Augen der Jugendlichen das Praktikum (ebd., 44). Um kurz und zielgerichtet Informationen bei Fachkräften der Berufsberatung abrufen zu können, würden sich die Jugendlichen eine Chat-Funktion wünschen (ebd., 50). Schulgebundene Patenprojekte, bei denen die Übergangsphasen der Jugendlichen durch etwas ältere Jugendliche begleitet werden (z. B. den Einstieg in das Studium), werden ebenfalls als interessant angesehen (ebd., 51).
In der 17. Shell-Jugendstudie wurden die Jugendlichen in Deutschland zu ihrer Internetnutzung befragt (Leven/Schneekloth 2016, 140 ff.). Neben Unterhaltungszwecken wird das Internet von den Jugendlichen als Informationsquelle (jeglicher Art bzw. für Schule, Ausbildung oder Beruf) genutzt. Dabei zeigen sich Unterschiede nach Alter und Schicht der Befragten: Mit zunehmendem Alter steigt z. B. die Häufigkeit, im Internet nach Informationen für die Schule, Ausbildung oder Beruf zu nutzen (mindestens einmal pro Tag nutzt nur jede und jeder Fünfte der 12- bis 14-Jährigen das Netz, während es bei den 22- bis 25-Jährigen 49 % sind). Auch mit Blick auf die soziale Herkunft zeigen sich Differenzen. „Je höher die Herkunftsschicht, umso häufiger nutzen die Jugendlichen im Alltag das Internet als Informationsquelle“ (ebd., 144).
In der McDonald’s Ausbildungsstudie 2017 bewerten 60 % der Befragten Internetseiten zum Thema Ausbildung, Studium oder Beruf als grundsätzlich vertrauenswürdige Informationsquelle. Als besonders vertrauenswürdige Informationsquelle wurden Gespräche mit Berufstätigen (73 %) eingestuft – soziale Netzwerke werden von den Jugendlichen dagegen kaum als hilfreich für die Beschaffung von beruflichen Informationen empfunden (14 %) (vgl. McDonald’s Deutschland 2017, 70).
Eine Studie im Auftrag der österreichischen Rundfunks und Telekom Regulierungs-GmbH (Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH 2018) untersucht die Sehgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen mit dem Fokus auf Video-on-Demand-Produkten. Die Befragung per Telefon und in Fokusgruppen geben Anlass zu der Vermutung, dass „die heute unter 30-jährigen stark in Richtung Videonutzung tendieren, die das lineare Fernsehen ablösen oder in den Hintergrund drängen wird“ (ebd., 34).
In der JIM-Studie 2018 wird der mediale Alltag von Jugendlichen in Deutschland untersucht (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2018). Die repräsentative Stichprobe bestand aus 1.200 Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren, die telefonisch befragt wurden (ebd., 3).
Die Ergebnisse geben Aufschluss darüber, wie sich die Jugendlichen Informationen verschaffen und an welchen Orten der digitalen Welt sie sich bevorzugt aufhalten.
97 % der Jugendlichen verfügen über ein eigenes Smartphone, einen eigenen Computer/Laptop besitzen 71 % (vgl. ebd., 72). 91 % der befragten Jugendlichen haben täglichen Zugang zum Internet, wobei mit 35 % der größte Anteil auf den Bereich der Kommunikation entfällt, gefolgt vom Bereich Unterhaltung (31 %). Knapp 25 % der Nutzungszeit wird für Spiele verwendet und nur 10 % für die Suche nach Informationen. Mädchen verbringen einen größeren Teil ihrer Zeit mit Kommunikation (41 % im Vergleich zu 30 % bei den Burschen). Im Gegenzug wird von den Burschen ein Drittel ihrer Zeit für Spiele verwendet (im Vergleich zu 10 % bei den Mädchen).
Bei der kommunikativen Nutzung liegt WhatsApp vorne (95 % der Jugendlichen), gefolgt von Instagram (67 %) und Snapchat (54 %). Nur noch wenige Jugendliche (15 %) nutzen Facebook regelmäßig (vgl. ebd., 73).
Die Jugendlichen besorgen sich im Internet vorwiegend Informationen mittels Suchmaschinen wie Google und Co (85 %). YouTube ist für zwei Drittel der Jugendlichen ebenfalls wichtig, um sich über ein Thema zu informieren. YouTube stellt damit für die Jugendlichen ein wichtigeres Rechercheinstrument dar als Wikipedia, das erst auf dem dritten Platz folgt und von einem Drittel regelmäßig genutzt wird (vgl. ebd., 74).
Die steigende Bedeutung von YouTube wird von einer aktuellen Studie des Rates für Kulturelle Bildung bestätigt: Die Plattform stellt ein Leitmedium für die Jugendlichen dar. YouTube (86 %) wird nach Whatsapp (92 %) am zweithäufigsten genutzt – und zwar auch für die Vertiefung schulischen Wissens (Rat für Kulturelle Bildung e. V. 2019, 7 f.).