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31-05-2022 | Führungsqualität | Schwerpunkt | Article

Ist emotionale Intelligenz nur ein leerer Hype?

Author: Michaela Paefgen-Laß

5:30 min reading time

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Wenn Mitarbeiter in Scharen davon laufen, gilt der Chef als gescheitert. Gerne wird ihm dann ein Mangel an emotionaler Intelligenz attestiert. Der EQ hat sich als Qualitätsmaßstab für Führung eingeschlichen und ist nicht mehr wegzukriegen. 

Chefs müssen die Reichweite ihrer Entscheidungen einschätzen und ihre Mitarbeiter auf ganzer Strecke mitnehmen können. Welche Kompetenz, oder besser Intelligenz, ihnen dabei dienlich sein soll, das scheint seit rund 30 Jahren ausgemacht: Die emotionale Intelligenz (EI), gemessen als EQ (emotionaler Intelligenzquotient) - die Erfolgsformel für Führungskräfte. Den Kern der EI bilden die Fähigkeit zur Selbstregulation und die Empathie.

Emotionales Führungsverhalten soll Mitarbeiter binden und Organisationsziele erreichbar machen. Ein EQ-Test ist also bei der Stellenbesetzung von Managern angeraten. Nur, so richtig zuverlässig beweisen lässt sich die EI nicht. Selbst wenn die Testergebnisse den guten Führungsstil angeblich vorhersagen können. Verwirrend das Ganze? Genau – deshalb sind sich Psychologen und Arbeitsforscher auch ganz und gar nicht einig. Wer oder was also steckt hinter der EI und ist der Intelligenzbegriff hier überhaupt angebracht?

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EQ - Der Garant für jede gute Beziehung

 Mit seinem internationalen Bestseller "EQ. Emotionale Intelligenz" von 1995, darauf aufbauenden Nachfolgewerken und dem ECI-Test (Emotional Competence Inventory) katapultierte der US-amerikanische Wissenschaftsjournalist und Psychologe Daniel Goleman die Idee der emotionalen Intelligenz (EI) zur Performancesteigerung in populäre Ratgeber und die Managementliteratur. Goleman argumentiert, dass der Aufbau von Beziehungen durch die mental-abilities Selbstwahrnehmung, Selbstregulation, Motivation, Beziehungsmanagement und Empathie erleichtert werde.

Im Fokus steht der Umgang mit sich selbst und mit anderen. Kritikerstimmen fanden allerdings schon bald, dass Goleman mit seiner Abhandlung nicht mehr als eine Variante des Big-Five- oder Fünf-Faktoren-Modells vorlegt, wie es hier von Springer-Autorin Doris Kappe beschrieben ist (Seite 10):

  • Offenheit für Erfahrungen (Aufgeschlossenheit) 
  • Gewissenhaftigkeit (Perfektionismus)
  • Extraversion (Geselligkeit) 
  • Verträglichkeit (Rücksichtnahme, Kooperationsbereitschaft, Empathie)
  • Neurotizismus (emotionale Labilität und Verletzlichkeit)

Was ist emotionale Intelligenz?

Die von Goleman propagierten EI-Fähigkeiten für den Aufbau von Beziehungen und das Vorankommen im Job werden als eine Mischung aus sozial nützlichen Persönlichkeitseigenschaften oder Kompetenzen mit den kognitiven und akademischen Fähigkeiten aufgefasst, die klassisch als Intelligenz (IQ) bekannt sind. Hier trifft also alles zusammen, was vorteilhaft für Leben und Karriere ist. Das passte zum Zeitgeist.

Von der Forschung zur emotionalen Intelligenz ist Golemans Buch zu trennen. Dort war der Gedanke von "anderen" oder multiplen Intelligenzen nicht neu. Erste Betrachtungen zur "Sozialen Intelligenz" hatte schon 1920 der Psychologe und Intelligenzforscher Edward Lee Thorndike angestellt. Goleman stützte sich unmittelbar auf die Abhandlungen der Psychologen Peter Salovey und John D. Mayer (1990), übernahm von ihnen den Begriff "Emotionale Intelligenz", machte ihn populär und Gewinn bringend. Nicht allerdings, ohne gleichzeitig die wissenschaftliche Community auf den Plan zu rufen.

"Wenn es sich bei der emotionalen Intelligenz um eine "mental ability" handeln soll, wie kann es dann möglich sein, eine solche Fähigkeit mithilfe von Q-Daten (Fragebogen-Daten) zu erfassen?" An dem "Konstrukt" EI nach Goleman kritisierten die Psychologen Hannelore Weber und Hans Westmeyer auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (1997) die unscharfe Trennung von Intelligenz, Kompetenz und Persönlichkeitseigenschaften.

Als "Lehrstück für die "agenda-setting-function" der Wissenschaft", sei der Begriff gekommen, um Märkte zu erobern und Bedürfnisse zu wecken. Gebraucht werde er nicht: "Emotionale Intelligenz ist sicherlich nicht die Antwort auf ein natürliches Bedürfnis nach einem solchen Konstrukt, wie auch die zwölfte Variante eines Früchtejoghurts nicht produziert wird, um ein natürliches Bedürfnis danach zu stillen." Und 25 Jahre später? 

Lässt sich der EQ zuverlässig messen?

Golemans weitere Abhandlungen zum Thema, sein Test und auch der Mayer-Salovey-Caruso Emotional Intelligence Test (MSCEIT) polarisieren nach wie vor. Trotzdem kommt eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2011 zu dem Schluss, dass sich mit dem MSCEIT zu einem gewissen Grad berufliche Erfolge prognostizieren lassen. Für bessere Ergebnisse schlagen die Wissenschaftler ein kombiniertes Messverfahren aus der kognitiven Intelligenz, dem Fünf-Faktoren-Modell (FFM oder Big Five) und der emotionalen Intelligenz vor.

Auch Springer-Autor Marc Helmold kann der Idee der emotionalen Intelligenz durchaus Positives abgewinnen. "Viele Unternehmen wählen Bewerber und Führungskräfte heute aufgrund von EI-Eigenschaften wie Einfühlungsvermögen (Empathie) und Selbstmanagement aus", schreibt er (Seite 63). Doch ein sattes Pfund an Empathie alleine macht noch keine erfolgreiche Führungskraft. Maßgebliche Leadership-Kompetenzen zum Erreichen von Unternehmenszielen sind (Seite 65):

  • Soziale Kompetenzen: Kommunikationsfähigkeit, Empathie, Kompromissbereitschaft, Motivation, Führung oder Coaching-Fähigkeiten
  • Fachliche Kompetenzen: Fertigkeiten, Kenntnisse und Engagement fachlicher und branchenrelevanter Natur
  • Methodenkompetenzen: die Fähigkeit, Informationen zu beschaffen, zu strukturieren, zu analysieren, auszuwerten, wiederzuverwerten, darzustellen, Ergebnisse von Verarbeitungsprozessen richtig zu interpretieren und sie geeignet zu präsentieren
  • Weitere Kompetenzen: unter anderem interkulturelle Fähigkeiten, Kreativität, Agilität

Intelligent oder doch "nur" kompetent?

Do you have to be a Smart Leader? Diese provozierende Frage stellen die Springer-Autoren David Pendleton, Adrian F. Furnham und Jonathan Cowell. Ihr Aufsatz zeigt, dass die Führungsforschung von sogenannten Managerintelligenzen (kognitive, emotionale, politische, sozio-kulturelle, organisatorische, intuitive und kreative Intelligenz sowie die Netzwerkintelligenz) regelrecht überfrachtet ist und am Ende nichts als Fragezeichen bleiben. Was sind die Unterschiede dieser Intelligenzen? Wie werden sie erworben und erlernt und wie werden sie gemessen? Sind die Selbsteinschätzungen der Befragten genau?

Weil auch die Autoren auf all das belastbare Antworten vermissen, kommen zu dem einen ernüchternden Schluss: Bei der EI wie den anderen multiplen Business-Intelligenzen handelt es sich um nichts anderes, als zwischenmenschliche Fähigkeiten, die erlernbar und Kompetenzunterschiede, die aufholbar sind (Seite 171). Der Rest ist Forschungsbedarf.

 In terms of the Primary Colours Model, there are not different types of intelligences at work, but there may be different competencies that are related to success in the various aspects of leadership. (Seite 171)

Die Schattenseiten von emotionaler Intelligenz 

Fazit: Emotionale Intelligenz ist eine soziale Kompetenz. Aber sie muss von Golemans Bestseller gelöst werden. Und, es gibt noch Forschungs- und Definitionsbedarf. Um in EI-Tests kognitive Verzerrungen wie den Halo-Effekt und den Gap zwischen Selbstbild und Fremdbild zu vermeiden, wünscht sich etwa Springer-Autor Uwe Peter Kanning in "Stabile Eigenschaften der Manager" neue Verfahren. Er schlägt vor, die  Selbsteinschätzung durch einen Leistungstest zu ersetzen. Bislang seien die Ergebnisse der Tests nur bei der Stellenbesetzung nützlich. Aussagekräftige empirische Daten über die Rolle der EI im Verhältnis von Managern zu ihren Mitarbeitenden oder im Derailment stehen noch aus. 

Können emotional intelligente, also auch besonders empathiefähige Menschen ihr Gegenüber manipulieren? Definitiv! Wer sich gut in andere hinein versetzen kann, gewinnt Wissen über dessen Persönlichkeit, das sich ausnutzen lässt. Aus guten Gründen ist daher ein Perspektivwechsel der Wissenschaft angebracht, wie ihn Kanning formuliert: "Bislang unerforscht ist die Frage, inwieweit eine hohe emotionale Intelligenz nicht auch gezielt zum Schaden anderer eingesetzt werden kann. Hier deuten sich mögliche Bezüge zum Machiavellismus oder zur Psychopathie an." (Seite 145) 

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