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11-05-2020 | Funktionswerkstoffe | Schwerpunkt | Article

Galliumoxid begeistert in der Elektronik

Author: Dieter Beste

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Halbleitende Oxide bilden eine neue, hochbeachtete Materialklasse der Halbleitertechnologie. Gegenwärtig richten sich viele Augen auf das Galliumoxid, denn es könnte das Material für bisher unerreichte elektronische Bauelemente sein.

In den letzten 60 Jahren wurde weltweit die Halbleiterforschung und -entwicklung durch immer neue Materialien mit unterschiedlicher Bandlückenenergie vorangetrieben – angefangen von Germanium (Ge) und Silizium (Si) über Galliumarsenid (GaAs), Indiumgalliumarsenid (InGaAs) oder Indiumphosphid (InP) bis hin zu Materialien mit sehr großer Bandlücke wie Siliciumcarbid (SiC) und Galliumnitrid (GaN). "Das lag einfach daran, dass die Bandlücke die meisten der grundlegenden optischen und elektrischen Eigenschaften eines Halbleiters bestimmt und somit zu spezifischen Anwendungen führt, die die Stärken der einzelnen Materialien nutzen", rekapitulieren die Herausgeber Masataka Higashiwaki und Shizuo Fujita in ihrem Vorwort zu "Gallium Oxide", um ihr Thema, das Galliumoxid, einzuordnen: "In den letzten zehn Jahren hat sich Galliumoxid (Ga2O3) als ein neuer Halbleiter mit großer Bandlücke durchgesetzt, dessen Materialeigenschaften und Bauelementprozesstechnologien heutzutage intensiv untersucht und entwickelt werden."

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2020 | Book

Gallium Oxide

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This book provides comprehensive coverage of the new wide-bandgap semiconductor gallium oxide (Ga₂O₃). Ga₂O₃ has been attracting much attention due to its excellent materials properties. It features an extremely large bandgap of greater than 4.5 …

Auch hierzulande sind im letzten Jahrzehnt Wissenschaftler an Universitäten und Instituten bei der Erforschung und technischen Nutzbarmachung des neuen Halbleitermaterials ganz vorne dabei: So gelang es etwa 2008 einer Gruppe um Manfred Martin an der RWTH Aachen, in einem Oxid des Hauptgruppenelementes Gallium einen Isolator-Metall-Übergang zu erzeugen, bei dem sich die elektrische Leitfähigkeit des Materials um etwa 7 Größenordnungen ändert. Dies wurde möglich durch eine Kombination aus struktureller Fehlordnung und chemischer Fehlordnung, wie sie in Nature Materials berichteten. Dazu hatten die Forscher ein amorphes Galliumoxid ohne regelmäßige Gitterstruktur präpariert, welches einen starken Galliumüberschuss aufwies. Beim Aufheizen dieses Materials erfolgte eine Kristallisation von stabilem Ga2O3, wobei die überschüssigen Galliumatome in die amorphe Matrix abgegeben wurden und dort die elektronische Bandlücke verringerten, bis bei einem kritischen Galliumüberschuss der Isolator-Metall-Übergang erfolgte.

Aufschwung in die Galliumoxid-Forschung brachte auch eine Entdeckung, über die eine Gruppe um Marius Grundmann 2016 in "Physical Review Letters" berichtet. Den Leipziger Wissenschaftlern gelang es, ein bis dahin 80 Jahre altes Problem der Raman-Spektroskopie zu lösen. Mit der von ihnen entwickelten Theorie konnten sie erstmalig, die im Labor gemessenen Eigenschaften von doppelbrechenden Materialien wie Galliumoxid vollständig erklären. Zum aktuellen Buch "Gallium Oxide" hat Grundmanns Leipziger Gruppe zwei Kapitel beigetragen.

Herstellung von Galliumoxid

Im Jahr darauf, 2017, gelang es Wissenschaftlern des Paul-Drude-Instituts für Festkörperelektronik, Leibniz-Institut im Forschungsverbund Berlin (PDI), das Kristallwachstum von Galliumoxid erstmalig mit einem katalytischen Effekt in seiner Ausbeute drastisch zu steigen, wie sie in "Physical Review Letters" berichteten. Die Untersuchungen zeigten zum einen, dass bei Hinzufügen des Elements Indium die Wachstumsrate von Galliumoxid während der Molekularstrahlepitaxie um ein Vielfaches ansteigt, so Patrick Vogt, Erstautor der Studie. Zum anderen hatte sich Galliumoxid in der Anwesenheit von Indium auch noch unter Bedingungen geformt, unter denen es ohne dieses Element nicht möglich wäre. Und dabei habe das Galliumoxid eine besondere Kristallstruktur ausgebildet, die sich einzigartig für die Kombination von Galliumoxid- mit Indiumoxidschichten in Heterostrukturen eignet, wie sie in vielen Bauelementen benötigt werden. Auch Patrick Vogt und Oliver Bierwagen vom Paul-Drude-Institut sind als Autoren in "Gallium Oxide" präsent.

Future Lab für zukunftsfähige Leistungselektronik

An der Universität Paderborn konnten Wissenschaftler des Fachgebiets "Leistungselektronik und Elektrische Antriebe" im Januar 2019  den Start ihres vom BMBF geförderten Projekts Future Lab für zukunftsweisende Forschungen auf dem Gebiet der Leistungselektronik bekanntgeben: Neuartige Leistungshalbleiter aus Materialien mit großer Bandlücke, sogenannte WBG-Technologien, sollen konsequent in dadurch ermöglichten, miniaturisierten Leistungsschaltungen und anwendungsnahen Demonstrator-Geräten verwertet werden. "Nach den Dekaden der Silizium-Technologie stellen nun Halbleitermaterialien wie Siliziumkarbid und Galliumnitrid, künftig eventuell sogar Galliumoxid oder Diamant, die wichtigsten Innovationstreiber für leistungselektronische Anwendungen in den kommenden Dekaden dar", sagte Joachim Böcker, Leiter des Fachgebiets. Aus ihnen ergäben sich bahnbrechende Möglichkeiten für die Elektromobilität, die regenerativen Energien, die effiziente Versorgung von leistungsfähigen Mobilfunknetzen und Hyperscale-Datenzentren, zählt er auf, sowie technische und wirtschaftliche Vorteile für viele weitere Anwendungen.

Galliumoxid-Leistungstransistoren mit Rekordwerten

Im August 2019 berichtete das Ferdinand-Braun-Institut, Leibniz-Institut für Höchstfrequenztechnik im Forschungsverbund Berlin (FBH), dass den Wissenschaftlern des Instituts ein Durchbruch mit Transistoren auf Basis des stabilen Beta-Galliumoxid (β-Ga2O3) gelungen sei (bis jetzt wurden fünf Kristallpolymorphe bestätigt, die mit α, β, γ, δ und ε bezeichnet werden, "Gallium Oxide", Seite 3). Die neu entwickelten Metall-Oxid-Halbleiter-Feldeffekttransistoren lieferten eine hohe Durchbruchspannung bei zugleich hoher Stromleitfähigkeit. Mit 1,8 kV Durchbruchsspannung und einer Rekordleistung von 155 MW pro Quadratzentimeter erreichen sie weltweit einzigartige Kennzahlen nahe dem theoretischen Materiallimit von Galliumoxid. Die erzielten Durchbruchfeldstärken lägen zugleich weit über jenen von etablierten Halbleitern mit großer Bandlücke wie etwa Siliziumkarbid oder Galliumnitrid, wie die Forscher in IEEE Electron Device Letters berichteten.

Beta-Galliumoxid bietet beste Voraussetzungen

Auch das Ende letzten Jahres gestartete Verbundprojekt "ForMikro-GoNext" des Leibniz-Instituts für Kristallzüchtung (IKZ), des Ferdinand-Braun-Instituts, Leibniz-Institut für Höchstfrequenztechnik (FBH), der Universität Bremen sowie der Industriepartner ABB Power Grids Switzerland und Aixtron beschäftigt sich mit dem Beta-Galliumoxid. Die Projektpartner untersuchen das Halbleitermaterial in einer neuen vertikalen Bauelementarchitektur, um dessen herausragende Eigenschaften für Transistoren noch besser nutzen zu können. Im Vergleich zu SiC und GaN besitzt β-Ga2O3 schließlich eine mehr als doppelt so hohe Durchbruchfeldstärke und somit das Potenzial, den Wirkungsgrad von damit bestückten Leistungskonvertern weiter zu steigern. Hohe Spannungen können mit einem deutlich geringeren Materialaufwand geschaltet werden – die Grundlage für noch kompaktere Systeme. Hinzu komme, so die Projektpartner, dass sich β-Ga2O3-basierte Transistoren bei vorgegebener Spannungsfestigkeit durch einen niedrigen Einschaltwiderstand und schnellere Schaltvorgänge auszeichnen, was insgesamt zu geringeren Leistungsverlusten führe. 

Vom Glück, Early Adopter zu sein

In "Gallium Oxide" haben nun rund 90 Autoren aus aller Welt in 40 Buchkapiteln den aktuellen Stand der Galliumoxid-Forschung und Entwicklung zusammengetragen. In seinem abschließenden Beitrag "Gallium Oxide Materials and Devices" gibt Debdeep Jena von der Cornell University anhand persönlicher Erinnerungen einen Einblick in die inneren Zusammenhänge der Ga2O3-Forschung der zurückliegenden zwanzig Jahre. Und nebenbei gibt er dem Leser seine Motivation preis, einen Großteil seines Forscherlebens diesem Material zu widmen; er spricht über "die Entdeckungsfreude auf diesem aufstrebenden Gebiet, die ich durch mein Glück als Early Adopter erfahren habe" (Seite 753). Implizit macht Jena deutlich, dass der Erfolg in Forschung und Entwicklung generell, hier der Galliumoxid-Forschung im Speziellen, einerseits systematisch auf die internationale Zusammenarbeit in der Wissenschaft beruht – und andererseits auf den vertrauensvollen, zwanglosen Gedankenaustausch der Wissenschaftler untereinander, die "wie Freunde über Länder und Kontinente hinweg zusammenarbeiten, um auf einem Gebiet echte Fortschritte zu erzielen und neue Materialien und Phänomene zu entdecken … und neue Technologien aus nur wenigen Atomen in dem scheinbar riesigen Abgrund der Kombination von Elementen des Periodensystems aufzubauen."


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Background information for this content

2020 | OriginalPaper | Chapter

Introduction

Source:
Gallium Oxide

2020 | OriginalPaper | Chapter

Quantenmechanik

Source:
Grundlagen der Halbleiterphysik

2019 | OriginalPaper | Chapter

Halbleiter

Source:
Materialien der Elektronik und Energietechnik

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