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30-06-2021 | Funktionswerkstoffe | Schwerpunkt | Article

Der steinige Weg zu biofunktionalisierten Kunststoffen

Author: Dieter Beste

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Forschern ist es jetzt gelungen, Enzyme in Kunststoffe einbauen, ohne dass die Enzyme dabei ihre Aktivität verlieren. So entstehende polymere Funktionswerkstoffe integrieren biologische Funktionen auf molekularer Ebene.

Lernen von der Natur – die Entwicklung bionischer Systeme ist ein immer stärker werdender Trend in der Technikentwicklung. So wird zum Beispiel die Verschmelzung von Biologie und Material am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung (IAP) neu gedacht: "Moderne Methoden der Molekularbiologie, der Biotechnologie, der Polymerchemie und der Materialwissenschaften ermöglichen in interdisziplinärer Forschung die Entwicklung innovativer funktioneller Materialien mit herausragenden Eigenschaften und Funktionen", schreibt Institutsdirektor Alexander Böker im Buchkapitel "Biopolymere – Funktionsträger in der Materialforschung". Hierfür, so Böker, werden Biomoleküle wie Proteine, Peptide oder Kohlenhydrate direkt in Polymere eingebaut und transformieren so ihre natürliche Funktion in ein Material. Und er fordert: "Kunststoffdesigner können nicht nur von der Natur lernen, sie müssen auch Kunststoffe entwickeln, die der Natur nutzen und die gezielt mit ihr interagieren – dies ist die nächste Evolutionsstufe der Polymermaterialien" (Seite 134).

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2019 | OriginalPaper | Chapter

Biopolymere – Funktionsträger in der Materialforschung

Polymere Materialien mit biologischen Funktionen und Biomaterialien für die Medizin

Bionische Systeme, die den Ansatz des „Lernens von der Natur“ verfolgen, sind schon seit vielen Jahren bekannt. Aktuell wird die Verschmelzung von Biologie und Material jedoch am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP völlig neu …

Tatsächlich sind Biomoleküle Träger vielfältiger, komplexer Funktionen; eingebracht in ein Material wandeln sie dies zu einem Funktionswerkstoff mit speziell angepassten physikalischen und biologischen Parametern. Allerdings ist deren Integration etwa in thermoplastische Kunststoffe in hohem Maße herausfordernd, ergänzen Ruben R. Rosencrantz und Jens Balko auf Seite 148. Den derzeit nicht gelösten Fragestellungen und ihrer technologischen Umsetzung stellt sich die Projektgruppe "BioPol", die mithilfe einer degressiven Anfinanzierung durch das Land Brandenburg vom Fraunhofer IAP an der BTU Cottbus-Senftenberg 2018 eingerichtet und in enger Kooperation mit den dortigen Biotechnologie-Professuren betrieben wird.

"Enzyme zur Erzeugung von (katalytisch) aktiven Materialien stellen die größte Herausforderung zur Integration in thermoplastische Kunststoffe dar", schreiben Rosencrantz und Balko. Zwar seien hitzestabile Enzyme, die Temperaturen nahe 100 °C standhielten, lange bekannt, jedoch sei die Mehrheit der Biokatalysatoren von Natur aus auf geringere Arbeitstemperaturen ausgelegt (Seite 149).

Materialien, die sich selbst reinigen, die Anti-Schimmel-Oberflächen besitzen oder sich sogar selbst abbauen können, umschreiben den Kosmos der Möglichkeiten, wenn es gelänge, aktive Enzyme in Kunststoffe einzubinden. Jetzt haben Wissenschaftler des IAP eine Lösung parat: Bei ihrer Suche danach, die Enzyme zu stabilisieren, erwogen die Wissenschaftler die Verwendung von anorganischen Trägern. Diese stellen eine Art Schutzrüstung für das Enzym dar, erklärt Rosencrantz, der am IAP die Abteilung "Biofunktionalisierte Materialien und (Glyko)Biotechnologie" leitet: "Wir verwenden beispielsweise anorganische Partikel, die sehr porös sind. Die Enzyme binden an diese Träger, indem sie sich in die Poren einlagern. Auch wenn dadurch die Beweglichkeit der Enzyme eingeschränkt ist, bleiben sie weiterhin aktiv und halten deutlich höheren Temperaturen stand." Der Springer-Autor betont jedoch, es gebe keinen allgemein gültigen Stabilisierungsprozess: "Jedes Enzym ist anders. Welcher Träger und welche Technologie für dessen Beladung am geeignetsten ist, bleibt enzymabhängig."

Stabilisierte Enzyme auch im Inneren von Kunststoffen

Die Forscher suchten bewusst nach einer Möglichkeit, die stabilisierten Enzyme nicht nur auf der Oberfläche des Polymerwerkstoffs aufzutragen, sondern sie direkt in den Kunststoff einzuarbeiten. "Dies ist zwar deutlich schwieriger, aber so können auch Abnutzungserscheinungen an der Materialoberfläche der Funktionalität der Kunststoffe nichts anhaben", sagt Thomas Büsse, der das IAP-Verarbeitungstechnikum für Biopolymere leitet, und erklärt das Vorgehen: Um im Weiterverarbeitungsprozess ein optimales Materialergebnis zu erhalten, müssen die stabilisierten Enzyme in der heißen Kunststoffschmelze, der sie beigemischt werden, schnellstmöglich verteilt werden, ohne dass dabei die Krafteinwirkung oder die Temperaturen zu hoch werden. Eine Gratwanderung: "Wir haben ein Verfahren entwickelt, das sich sowohl für Biokunststoffe als auch für die klassischen erdölbasierten Kunststoffe wie Polyethylen eignet. Zusätzlich zeigen unsere Untersuchungen, dass stabilisierte Enzyme nach der Einarbeitung in den Kunststoff nochmals höheren thermischen Belastungen gewachsen sind, als sie es vor der Verarbeitung waren. Dies erleichtert den Einsatz der Enzyme und sämtliche Prozessschritte in erheblichem Maße."

Selbstreinigende Kunststoffe sind erst der Anfang

Bisher haben sich die Wissenschaftler am IAP bei der Wahl des Enzyms vor allem mit Proteasen beschäftigt. Diese können andere Eiweiße spalten. Der mit ihnen funktionalisierte Kunststoff erhält dadurch eine selbstreinigende Wirkung. So könnten beispielsweise Rohre weniger leicht zuwachsen oder verstopfen. Aber auch andere Enzyme werden systematisch getestet. Die Kooperationspartner an der BTU Cottbus-Senftenberg setzen sich beispielsweise verstärkt mit Enzymen zum Kunststoffabbau und zum Abbau von giftigen Substanzen auseinander. Erste funktionalisierte Kunststoffgranulate, Folien und Spritzgusskörper wurden bereits hergestellt. Dass die darin eingearbeiteten Enzyme weiterhin aktiv sind, konnten die Forscher nach eigenen Angaben nachweisen. Im nächsten Schritt soll nun die Alltagstauglichkeit in verschiedenen Anwendungen getestet und weiter optimiert werden. Rosencrantz und Büsse sind optimistisch – und haben ihre Entwicklung zum Patent angemeldet.

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