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22-11-2021 | Funktionswerkstoffe | Schwerpunkt | Article

Metamaterialien drängen in die Anwendung

Author: Dieter Beste

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Ob 6G-Terahertz-Mobilfunk oder Lärm- und Schwingungsminderung im Leichtbau: Wie von Zauberhand ermöglichen Metamaterialien mit ihren fantastischen physikalischen Eigenschaften völlig neuartige technische Lösungen.

Aus einer Kombination des griechischen Wortes μετά (meta), das "jenseits" bedeutet, und dem lateinischen Wort materia, das für "Materie" oder "Material" steht, bezieht sich der Begriff "Metamaterialien" auf Materialien, die so mikrostrukturiert sind, dass ihre effektiven Eigenschaften in erster Linie durch diese in das Material eingebrachten Geometrien und nicht durch die Zusammensetzung des Grundwerkstoff gesteuert werden. Der Begriff Metamaterial wurde 1999 von Rodger M. Walser von der University of Texas in Austin geprägt und ursprünglich definiert als "makroskopische Zusammensetzungen mit einer synthetischen, dreidimensionalen, periodischen zellularen Architektur, die eine optimierte, in der Natur nicht vorhandene Kombination von zwei oder mehr Reaktionen auf eine bestimmte Anregung erzeugen", berichten Tie Jun Cui, Ruopeng Liu und David R. Smith im Buchkapitel "Introduction to Metamaterials". Das Wirkprinzip der Metamaterialien beruht auf einer Wechselwirkung zwischen Material und Struktur. Diese Wechselwirkung kann auf verschiedenen Längenskalen, wie der Mikro-, Meso- oder Makroskala stattfinden. Allerdings, darauf weisen Vladimir I. Erofeev und Igor S. Pavlov in ihrer Einleitung zu "Structural Modeling of Metamaterials" hin, steht am Anfang ein Schritt, ohne den es extrem schwierig ist, Metamaterialien herzustellen – die Entwicklung geeigneter mathematische Modelle.

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Das Konzept der Metamaterialien hat in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten zunächst auf dem Gebiet der elektromagnetischen Metamaterialien Karriere gemacht, zu denen auch die photonischen oder optischen Metamaterialien gehören: Wenn die sich wiederholenden Muster der Materialien kleiner sind als die auftreffenden Wellenlängen, rufen sie außergewöhnliche Reaktionen hervor, wie z. B. einen negativen Brechungsindex, künstlichen Magnetismus oder induzierte Transparenzeffekte. Schon in den ersten Jahren der Technologieentwicklung sorgten Tarnkappen-Effekte für Aufsehen. Allerdings, so die Autoren des Zeitschriftenbeitrags "Metasurfaces for Stealth Applications: A Comprehensive Review", sind etwa die zu strukturierenden Materialvolumina und die Komplexität der Herstellung noch recht einschränkende Faktoren für eine breite Anwendung einer an Zauberei grenzenden Technologie, Gegenstände "unsichtbar" zu machen. 

Metamaterialien eilen von Erfolg zu Erfolg. Zum Beispiel gelang es Jan-Christoph Deinert und Sergey Kovalev vom Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) zusammen mit anderen ein Materialsystem zu entwickelt, mit dem sich Terahertz-Pulse deutlich effektiver erzeugen lassen als bisher. Ihr Metamaterial basiert auf Graphen, also superflachem Kohlenstoff, das sie mit einer metallischen Lamellenstruktur beschichteten. Ihre Forschungsergebnisse stellte die Arbeitsgruppe Anfang dieses Jahres im Fachmagazin ACS Nano vor. "Im Vergleich zu unbehandeltem Graphen genügten deutlich schwächere Eingangssignale, um ein starkes frequenzvervielfachtes Signal zu erzeugen", berichtet Kovalev. Bereits ein Zehntel der ursprünglich benötigten Feldstärke habe ausgereicht, um eine Verdreifachung der Frequenz zu beobachten. Und bei technisch relevanten kleinen Feldstärken sei die Leistung der konvertierten Terahertz-Pulse dank des neuen Materialsystems sogar mehr als tausendmal höher. Je breiter dabei die einzelnen Lamellen und je kleiner die freibleibenden Graphen-Flächen waren, umso ausgeprägter habe sich das Phänomen gezeigt. 

Der Clou: "Unser Graphen-basiertes Metamaterial wäre durchaus kompatibel mit der gängigen Halbleiter-Technologie", wirft Erstautor Jan-Christoph Deinert einen Blick in die Zukunft. "Im Prinzip ließe es sich auf gewöhnlichen Chips integrieren." Da Terahertz-Wellen höhere Frequenzen haben als die heute verwendeten Gigahertz-Mobilfunkfrequenzen, könnten auf diese Weise deutlich mehr Daten drahtlos übertragen werden – aus 5G würde 6G. Aber auch für viele andere Anwendungen ist der Terahertz-Bereich interessant, sind die Helmholtz-Forscher überzeugt und weisen auf Qualitätskontrolle in der Industrie oder Sicherheits-Scanner an Flughäfen hin. 

Inzwischen machen auch Metamaterialien Furore, deren mechanische Eigenschaften absolut ungewöhnlich sind. "So sind mechanische Metamaterialien bei bestimmten Verformungsarten extrem steif, während sie bei anderen Verformungsarten extrem weich sind. Eine geeignete Steuerung der Mikro- und Nanoarchitektur kann einzigartige Materialeigenschaften wie ultraleichtes, hochsteifes und hochfestes Material, negative Poissonzahl, negative Steifigkeit und negativen Wärmeausdehnungskoeffizienten ermöglichen", schreibt Xingcun Colin Tong im Buchkapitel "Mechanical Metamaterials and Metadevices". Der Erfolg, solche mikrostrukturierten mechanischen Metamaterialien jetzt herstellen und technisch nutzen zu können, beruhe entscheidend auf den Fortschritten in der additiven Fertigung, Materialien mit beliebig komplexen Mikro- und Nanoarchitekturen ausstatten zu können, konstatiert Teik-Cheng Lim in seiner Einführung zu "Mechanics of Metamaterials with Negative Parameter"

Lim ist fasziniert von Metamaterialien mit negativen Parametern, weil sie nicht nur in der Lage sind, "bestimmte Leistungen zu erbringen, die von herkömmlichen Materialien nicht erreicht werden können", sondern deren "kontraintuitives" Verhalten auch Möglichkeiten für die Entwicklung von Materialien und Strukturen mit bahnbrechenden Neuerungen eröffne und zu Erfindungen inspiriere. Solche Denkanstöße könnten etwa von auxetischen Materialien ausgehen, die – charakterisiert durch eine negative Poissonzahl – sich bei einer Streckung quer zur Streckrichtung ausdehnen, von Metamaterialien mit negativer Wärmeausdehnung oder von solchen mit negativer Kompressibilität. 

Vibro-akustische Metamaterialien

Akustische Metamaterialien sind schon weit verbreitet, um als Absorber zu fungieren, nennen Vladimir I. Erofeev und Igor S. Pavlov eine Anwendung. Vibro-akustische Metamaterialien bestehen aus einer regelmäßigen, räumlichen Anordnung identischer, sehr kleiner, mechanischer Resonatoren. Durch diese Struktur können sie in einem vorbestimmten Frequenzbereich Schwingungen stark reduzieren. Ambitionierte Akteure in diesem Thema sind hierzulande Forscher des Verbundprojekts "viaMeta" mit den beteiligten Partnern Mercedes-Benz AG, BOGE Elastmetall GmbH, Novicos GmbH, Institut für Kraftfahrzeuge RWTH Aachen University (ika) und Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit (LBF). 

Ziel von viaMeta ist es, technische Hürden auf neue Art zu überwinden. So erfolge etwa nach aktuellem Stand des Strukturleichtbaus die Schwingungsübertragung und Schallabstrahlung in einem Auto maßgeblich durch flächige Strukturen und Transmissionspfade über Hilfsrahmen, Kopplungselemente und Karosserie, konstatieren die Forschungspartner. Wolle man nun Vibrationen mindern, müssten die Bauteile überdimensioniert und mit breitbandig wirksamen Dämmmaterialien oder punktuellen Tilgern mit hoher Masse ausgestattet werden. Alternativ dazu könnten sie zur Versteifung mit Stützstrukturen versehen werden – was ebenfalls mit einem unerwünschten Gewichtzuwachs verbunden sei. Demgegenüber, so die viaMeta-Partner, gelinge es mit vibro-akustischen Metamaterialien – unter Inkaufnahme einer vergleichsweise geringen zusätzlichen Gewichtsbelastung – Schwingungen in einem vorbestimmten Frequenzbereich stark zu reduzieren und damit den Zielkonflikt zwischen sehr schlanken Leichtbaustrukturen und optimalem Komfort aufzulösen. 

Trägerraketen mit optimiertem Schwingungsverhalten

Bald könnten solche vibro-akustischen Metamaterialien auch im Weltraum auf die Probe gestellt werden. So will die Europäische Weltraumorganisation (ESA) bis 2025 eine Raketen-Oberstufe komplett aus Kohlefaserverbundwerkstoff für die neue Generation der Ariane 6 entwickeln, mit dem Ziel, die Nutzlastkapazität um zwei Tonnen zu erhöhen. Obwohl Oberstufen aus Verbundwerkstoffen im Vergleich zu metallischen Materialien ein höheres Steifigkeits-Masse-Verhältnis aufweisen, können bei bestimmten Frequenzen höhere Schwingungsamplituden auftreten, die insbesondere in der Startphase kritisch sind. Auf der Messe "Space Tech Expo Europe", die Mitte November in Bremen stattfand, präsentierten Wissenschaftler des LBF ihr Konzept, wie es mit vibro-akustischen Metamaterialien gelingen könnte, hier Schwingungsreduktionen von bis zu 30 dB im Frequenzbereich zwischen 150 Hz und 200 Hz zu erreichen.


 

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