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16-10-2019 | Geldpolitik | Schwerpunkt | Article

Auf die EZB und ihre neue Chefin warten große Aufgaben

Author: Angelika Breinich-Schilly

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Wenn Mario Draghi seinen Posten als EZB-Präsident aufgibt, hat er dem Institut seinen Stempel aufgedrückt und die Zentralbank für eine expansive Geldpolitik geöffnet. Fraglich bleibt, ob damit künftige Probleme gelöst werden.

"Vor nicht allzu langer Zeit galt die Europäische Zentralbank (EZB) als Prototyp einer politisch, personell und finanziell unabhängigen Institution, die in ihrem Selbstverständnis stark durch ordoliberale Ideen geprägt ist", beschreibt Mathis Heinrich die Ausgangslage für die Geldpolitik des Instituts im Buchkapitel "Das (un)heimliche Zentrum der Macht – Zum Wandel der Europäischen Zentralbank in der Krise" (Seite 61). 

Aufgabe der EZB war es, für Preisstabilität zu sorgen, "was sie vor allem durch eine Begrenzung der sich im Umlauf befindlichen Geldmenge zu erreichen versuchte", schreibt der Autor im Buch "Neue Segel, alter Kurs". Im Zuge der europäischen Krisendynamik habe sich jedoch nicht nur die Operationsweise der EZB mehrfach verändert, auch ihr Aufgabenbereich wurde deutlich erweitert, führt Heinrich aus.

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Zinssenkungen als Markenzeichen

Der Autor betont, dass die EZB im Zuge der Entwicklung der Subprime-Krise zu einer transatlantischen Wirtschafts- und Finanzkrise die restriktive geldpolitische Haltung aufgegeben habe. Den Engpässen im Interbankenmarkt habe das Institut durch "wiederholte Liquiditätsspritzen und Zinssenkungen entgegengewirkt". Auf Seite 62 schreibt er:

Um die Eurozone zu stabilisieren, hat sie zudem mehrfach die Funktion eines 'Lender of last resort' übernommen und sowohl den Banken nahezu unbegrenzt finanzielle Mittel und Sonderkredite zur Verfügung gestellt als auch die Zahlungsfähigkeit der hochverschuldeten Mitgliedstaaten durch einen kapitalmarktvermittelten Ankauf von Schuldpapieren unterstützt."

Der in wenigen Wochen scheidende EZB-Präsident Mario Draghi hatte sich 2012 mit dem Outright Monetary Transaction Programme für den Erhalt des Euros stark gemacht. Dieses gibt der Europäischen Zentralbank die Möglichkeit, grundsätzlich unbegrenzt europäische Staatsanleihen aufzukaufen. 

"Allein schon Draghis Ankündigung, hochverschuldeten Staaten unbegrenzte finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen, erwies sich in den Folgemonaten als sehr wirksam. Es mussten keine zusätzlichen staatlichen Anleihen gekauft werden, und dennoch konnten die Zinsraten allein durch das Signal ihrer Bereitschaft auf den Kapitalmärkten deutlich abgesenkt werden", resümiert Heinrich auf Seite 65.

Krisen wandelten die EZB

Den vor allem krisengetriebenen Wandel der EZB im vergangenen Jahrzehnt schreiben Branchenexperten nicht nur Draghi, sondern auch seinem Vorgänger Jean-Claude Trichet zu. Beide haben mit ihrer Person hinter der Entwicklung und vor allem der Öffnung des Zentralinstituts für neue Aufgaben gestanden. "Im Laufe der letzten Jahre sah es so aus, als würde diese Politik endlich greifen", schreibt Gerhard Illing, Professor und Leiter des Seminars für Makroökonomie am Institut für Volkswirtschaftslehre der Ludwig-Maximilians-Universität München. In seinem Leitartikel "Handlungsfähigkeit der EZB nach Draghi" der Zeitschrift Wirtschaftsdienst (Ausgabe 7/2019) erläutert er:

Die Wirtschaftsentwicklung schien auf gutem Weg zu sein. Im Euroraum zogen die Wachstumsraten an, ohne die Preisstabilität zu gefährden. Der Wirtschaftsboom in den USA verleitete die Fed endlich dazu, aus dem Programm quantitativer Lockerung auszusteigen und die Zinsen langsam anzuheben."

Handelskonflikte und Brexit fordern neue Strategien

Doch in jüngster Zeit hat sich das Bild Illing zufolge wieder eingetrübt: "Die Inversion der Zinsstrukturkurve in den USA deutet auf eine drohende Rezessionsgefahr. Viele Zentralbanken sehen sich derzeit veranlasst, eine Umkehr zu weiter sinkenden Zinsen anzudeuten." Auch im Euroraum verdüsterten sich derzeit die Konjunkturaussichten im Lichte zunehmender Handelskonflikte und verstärkten Protektionismus. "Deutschland scheint dabei besonders stark von einer einbrechenden Exportnachfrage betroffen zu sein", betont der Autor.

Mitte Juni hatte Draghi im Hinblick auf die dunklen Wolken am Konjunkturhimmel auf dem EZB-Notenbankforum im portugiesischen Sintra gesagt: "Wir werden alle Flexibilität innerhalb unseres Mandats nutzen, um unseren Auftrag zu erfüllen". Größte Treiber der Inflationsentwicklung seien konjunkturelle Unsicherheiten infolge der US-Handelskonflikte sowie die Unsicherheiten im Zuge des Brexit. Schon damals zeigte sich Draghi für eine weitere Senkung des Leitzinses offen, aber auch für eine Wiederaufnahme des Anleihekaufprogramms. 

Mitte September hatte die EZB schließlich entschieden, den Einlagezins von minus 0,4 Prozent auf minus 0,5 Prozent zu senken. Kritiker monierten, dass die erneute Zinssenkung und weitere Anleihekäufe den Druck auf Europas Banken erhöhe, überschüssiges Kapital zu verleihen, um Strafzinsen zu vermeiden. Harsche Kritik folgte vor allem von Seiten der großen Bankenverbände. 

EZB will weiterhin flexibel agieren 

Anders sieht es Ökonom Illing: "Im Grunde hat Draghi nur etwas Selbstverständliches ausgesprochen: Jeder Nachfolger muss Interesse daran haben, im Fall des Falls alle verfügbare Flexibilität voll ausnutzen zu können", kommentiert er die Aussage des scheidenden EZB-Präsidenten vom Juni. Der Autor schreibt:

Man sollte sich aber keinen Illusionen hingeben: Selbst höchste intellektuelle Kreativität kann nichts daran ändern, dass der Handlungsspielraum der EZB bei einem neuen Konjunktureinbruch begrenzt sein wird. Ein rascher gezielter Einsatz aktiver Stimulierungsmaßnahmen durch die Fiskalpolitik wird unverzichtbar sein, um die Geldpolitik zu entlasten."

Große Aufgaben für Nachfolgerin Lagarde

Das sind große Herausforderungen, der sich die designierte EZB-Chefin Christine Lagarde ab dem 1. November 2019 stellen muss. Da sie unter Branchenexperten als gute Kommunikatorin gilt, die nicht wie Mario Draghi Entscheidungen vorab im stillen Kämmerlein trifft, sprechen ihr nicht wenige gute Chance zu. Die Juristin Lagarde gilt eher als Teamplayer und lässt sich von Experten beraten. Genau das sieht mancher Branchenkenner aber auch als größte Gefahr. Denn als EZB-Präsidentin ohne Zentralbank-Erfahrung öffnet sie so die Entscheidungen des Instituts für mehr politische Einflüsse.

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