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29-11-2022 | Gesundheitsprävention | Schwerpunkt | Article

Beschäftigte vor Klimaveränderungen schützen

Author: Michaela Paefgen-Laß

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Vielleicht war dieser Sommer der kälteste, an den wir uns einmal erinnern werden. Dann sind Rekordtemperaturen und Hitzestress auf jeden Fall ein Berufsrisiko, für das der Arbeitsschutz Maßnahmen braucht. Eine Übersichtsstudie zeigt erste Ansätze dafür.

Zugegeben, mit den gesunkenen Temperaturen im Herbst verklärt sich der Blick auf die vergangenen Sommertage. Deshalb hier zur Erinnerung: Dieser Sommer war nicht schön warm – er war heiß. Unerträglich heiß. Für mitteleuropäische Verhältnisse beängstigend heiß. Und das ist kein subjektives Gemäkel. Anfang September fasste der EU-Klimawandeldienst Copernikus (C3S) den Sommer 2022 so zusammen: "Europe has just gone through its hottest summer on record." Keine Frage, die Klimakrise beschäftigt die Wirtschaft und umgekehrt. Aber wer beschäftigt sich mit den Risiken derjenigen, die auf dem Bau, in der Industrie und auch im Büro ohne Hitzefrei ihrer Arbeit nachgehen?

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Arbeits- und Gesundheitsschutz

Die Gesundheit eines Menschen ist das höchste Gut. Wie an jedem Arbeitsplatz drohen auch Sicherheitsmitarbeitern vielfältige Gefahren bei der Ausübung ihres Dienstes. Daher hat der Gesetzgeber verpflichtende Regeln festgelegt, um die Gesundheit von Arbeitnehmern an ihrem Arbeitsplatz bestmöglich zu schützen.

Wenn die Hitze zur Belastung wird

In Zahlen ausgedrückt, war es über die Sommermonate durchschnittlich um 0,4 Grad wärmer als im Vorjahr. Im August sogar um 0,8 Grad. Weltweit lag die Durchschnittstemperatur im August um 0,3 Grad über dem Monatsdurchschnitt der Jahre 1991 bis 2020. Die ungewohnte Hitze vergrößert körperliche und psychische Belastungen am Arbeitsplatz. In einem Übersichtspapier hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) wissenschaftliche Arbeiten unterschiedlicher Akteure analysiert, den aktuellen Wissensstand zum Thema "Klimawandel und Arbeitsschutz" zusammengefasst und Handlungsbedarfe ausgesprochen. Die Studie wurde im Zuge der G7-Präsidentschaft Deutschlands vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) beauftragt. 

Können Menschen ihre Körper durch Schwitzen nicht abkühlen, weil die Umgebungstemperaturen schlichtweg zu heiß sind, droht ihnen der Hitzestress durch Überwärmung. Eine hohe Luftfeuchtigkeit oder Schutzkleidung verstärken das Risiko. In der Folge geraten das Herz-Kreislauf-System sowie die Organe in Gefahr, schlimmstenfalls droht der Hitzschlag. "Deswegen sollen grundsätzlich Körpertemperaturen von 38 °C nur kurzfristig, von 39 °C nicht überschritten werden", heißt es in der vom Ausschuss für Arbeitsmedizin (AfAMed) im Februar 2021 überarbeiteten Arbeitsmedizinischen Regel (AMR)13.1

Heuschnupfen und Hitzekollaps durch Klimawandel

Als extrem hitzebelastend beschreibt die AMR unter anderem Tätigkeiten, in denen der Körper über eine Vier-Stunden-Schicht Außentemperaturen von mehr als 30° C ausgesetzt ist. Arbeitgeber haben für diese Beschäftigten, die etwa im Baugewerbe oder den sogenannten grünen Berufen tätig sind, Pflichtvorsorge zu leisten. Auch Angestellte, die im Büro schwitzen und denen die Hitze Kopf und Beine schwer machen, haben ein Recht auf einen erträglichen Arbeitsplatz. 

Die Maßnahmen richten sich insbesondere nach dem in der Arbeitsstättenrichtlinie (ASR) A3.5. definierten Grenzwert für die Raumtemperatur von 26 °C. Nur, es sind ja nicht alleine die Hitzewellen, mit denen der Klimawandel auf die Gesundheit von Beschäftigten schlägt. Die BauA-Studie listet fünf für den Arbeitsschutz relevante Risikofaktoren mit Bezug zum Klimawandel:

Risikofaktor

Wirkung auf Beschäftigte (Beispiele)

Hitze

Beeinträchtigung geistiger und körperlicher Leistungsfähigkeit, Unfälle, Organschädigungen (Herz, Nieren, Gehirn)

Solare UV-Strahlung

Haut- und Augenschädigung, Hautkrebs, Katarakt, Immunsuppression

Infektionskrankheiten

Durch Stechmücken und Zecken, übertragene Infektionen (Lyme-Borreliose, Malaria)

Pflanzliche und tierische Allergene und Toxine

Heuschnupfen, Asthma, Kontakt-Dermatitis

Extremwetterereignisse

Unmittelbare Gefährdung durch mechanische Wirkungen des Windes, Ertrinken oder Blitzschlag

Was im Arbeitsschutz zu tun ist

Aus den Analysen und Expertengesprächen leiten die Autoren Handlungsempfehlungen für jeden der fünf Risikofaktoren ab. Zusammengefasst fordern sie: staatliche Anpassungsstrategien, verbesserte Schutzmaßnahmen, mehr Gesundheitsüberwachung von hoch-exponierten Beschäftigten, Monitoring, Aufklärungs- und Präventionskampagnen, Schulungen von medizinischem Personal und die Bekämpfung von gesundheitsgefährdenden invasiven Arten in Flora und Fauna. 

Der Status quo in Sachen Klimawandel und Arbeitsschutz offenbart deutliche Forschungslücken. So beanstandet die Untersuchung, dass sich Arbeiten zu den Auswirkungen von Hitze überwiegend auf die Zielgruppe "männlich, jung, leistungsfähig" fokussieren und weder altersdivers noch genderneutral durchgeführt wurden. Kognitive oder psychische Belastungen ausgelöst durch Extremtemperaturen sind ebenfalls kaum untersucht. 

Unter Klima versteht man die physikalischen Bedingungen am Arbeitsplatz, die durch die genannten vier Klimafaktoren Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftgeschwindigkeit und Wärmestrahlung repräsentiert werden. (Schlick, Bruder & Luczakauf, S. 331)

Überhitztes Klima findet nicht nur außen statt

Wie sich extreme Hitze als Umgebungseinfluss – auch verursacht durch Öfen oder feuerflüssige Massen – auf die Leistungsfähigkeit und Gesundheit von Beschäftigten auswirkt, haben die Springer-Autoren Christopher Schlick, Ralph Bruder und Holger Luczakauf in ihrem Buchkapitel "Arbeitsumgebung" untersucht. Den Schwellenwert von 26° C für das Raumklima bewerten sie als relativ und abhängig vom Behaglichkeitsempfinden und der Kleidung des Einzelnen. 

"Eine Raumlufttemperatur von 26 °C wird zum Beispiel an einem heißen Sommertag noch als angenehm kühl empfunden, die gleiche Temperatur würde jedoch an einem Wintertag als zu warm eingestuft" (Seite 339). Doch schon bei ersten Abweichungen von diesem Sollwert seien Beeinträchtigungen von Gesundheit und Arbeitsleistung zu erwarten. Verlässliche Variablen bei der Risikobewertung sind die Kleidung, die Wärmestrahlung und die Wärmeexpositionszeit.  

Wirkung anormaler Klimabedingungen auf den Menschen (Seite 337):

  • Minderung des Denkvermögens, der Aufmerksamkeit und des Reaktionsvermögens sowie der Arbeitsfreude,
  • Beeinträchtigung des Sicherheitsverhaltens,
  • höhere Arbeitsanstrengung,
  • häufigere Erkrankungen,
  • mögliche Dauerschäden.

Folgen anormaler Klimabedingungen für den laufenden Betrieb und das Unternehmen (ebd):

  • Minderung der Leistung nach Qualität und Quantität,
  • höhere Erholungszuschläge,
  • höhere Arbeitswerte,
  • mehr Fehlzeiten und Unfälle.

Dem Klimawandel fehlen die Standards

Zur Frage, wie sich Unternehmen an die Folgen des Klimawandels anpassen, stellt Springer-Autor Joachim Nibbe fest, dass das Thema bei der Normenentwicklung deutlich unterrepräsentiert sei. Von knapp 34.000 DIN-Normen adressierten nur elf Standards den Klimawandel explizit (Seite 361). Allerdings nehme angestoßen durch internationale Normierungsinitiativen die Auseinandersetzung auf dem Gebiet zu. 

Beispiele für Bereiche, in denen Normung und Standardisierung die Anpassung an den Klimawandel konkret unterstützen können, beziehen sich unter anderem auf (Seite 361):

  • den Schutz von Personen und Gütern durch klimaangepasstes Bauen,
  • die Reduzierung der Auswirkung von Hitzewellen durch angepasste Gebäudetechnik,
  • die verbesserte Hochwasservorsorge durch standardisierte Frühwarnansätze und -systeme,
  • die Berücksichtigung der Auswirkungen des Klimawandels auf Starkniederschläge (etwa Auslegung der Kanalisierung).

Und noch etwas: Hitze ist nicht nur ein Berufsrisiko. Hitze verschärft auch soziale Ungleichheiten. Das spiegelt sich wider in Berufen, in denen klimatisierte Büros die Ausnahme sind und in Berufen, in denen mit Hitze gearbeitet wird, wie die Studie "Heatwaves as an occupational hazard", von Claudia Narocki im Auftrag des Europäischen Gewerkschaftsinstituts (ETUI) diskutiert.

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