3.4.1.1 Schwache Objektivierungswirkung durch eine griffweise Schätzung
Das Vermögenswertprinzip in seiner Allgemeinheit und auch die notwendige weite Auslegung der Greifbarkeit können den Begriff des Vermögensgegenstands nicht hinreichend einschränken, sodass es eines restriktiveren Kriteriums bedarf. Nach ständiger Rechtsprechung
311 und herrschender Literaturmeinung
312 ist das aus dem Einzelbewertungsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB)
313 folgende Prinzip der selbständigen Bewertbarkeit für eine weitergehende Konkretisierung zwingend heranzuziehen. Die überwiegende Literaturmeinung sieht die selbständige Bewertbarkeit als ein von der Greifbarkeit unabhängiges Kriterium; Greifbarkeit und selbständige Bewertbarkeit bedingen sich grundsätzlich nicht gegenseitig,
314 sodass für die Konkretisierung eines Vermögensgegenstands auch bei Vorliegen der Greifbarkeit zwingend die selbständige Bewertbarkeit geprüft werden muss. Etwas anderes kann auch gerade bei rein wirtschaftlichen Werten nicht gelten.
315 Auch der teilweise vertretenen Ansicht, bei vorhandener Greifbarkeit im Sinne einer Einzelvollstreckbarkeit, Einzelveräußerbarkeit oder Einzelverwertbarkeit sei die selbständige Bewertbarkeit bereits implizit erfüllt,
316 kann nicht für alle denkbaren Fälle zugestimmt werden. So ist ein abstrakt einzelverwertbarer Vorteil nicht zwangsläufig auch selbständig bewertbar.
317
Die selbständige Bewertbarkeit verlangt die Abgrenzbarkeit des vermögenswerten Vorteils vom Geschäfts- oder Firmenwert der Höhe nach, d. h. dass er „nach der Verkehrsauffassung einer besonderen Bewertung zugänglich“ ist.
318 Ist ein vom Geschäfts- oder Firmenwert abgrenzbarer Wert nicht ermittelbar, geht der Vorteil in diesem auf.
319 Die Forderung nach Zugangs-, Folge- und Abgangswerten, also eine strenge Auslegung der selbständigen Bewertbarkeit,
320 ist schon vor dem Hintergrund nicht zweckmäßig, dass bspw. „Konzessionen, gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte“ ebenso wie der „Geschäfts- oder Firmenwert“ danach keiner selbständigen Bewertung zugänglich wären, obwohl sie explizit als Bilanzposten im Gliederungsschema des § 266 Abs. 2 HGB aufgeführt sind.
321 Die selbständige Bewertbarkeit ist bei einer gesonderten, externen Anschaffung unproblematisch.
322 Eine Abgrenzbarkeit der einzelnen Werte gestaltet sich bei einem Zugang durch einen Unternehmenskauf häufig schwierig. Die Rechtsprechung verlangt bei der Abgrenzung aber lediglich eine „griffweise[.] Schätzung[.]“
323, die im Bereich des Möglichen liegt, um den beigemessenen, „ermessensbeschränkte[n] Wert“
324 zu belegen und damit das Kriterium der selbständigen Bewertbarkeit zu erfüllen. Selbst wenn ein Vermögenswert nur gemeinsam mit anderen Vermögenswerten übertragen werden kann, ist er auch dann selbständig bewertbar, wenn sein Wert lediglich durch Residualbewertung, also durch Ermittlung eines Unterschiedsbetrags, ermittelbar ist.
325 So ist auch der Geschäfts- oder Firmenwert zu bemessen und erfüllt aus diesem Grund die Vermögensgegenstandskriterien.
326 Sofern die Nutzungsdauer des potenziellen Vermögensgegenstands geschätzt und im Zuge der Abschreibung ein Wert ermittelt werden kann, kann auch die Folgebewertung bejaht werden.
327 Aus diesem Grund ist auch für den Geschäfts- oder Firmenwert eine Folgebewertung möglich und damit das Prinzip der selbständigen Bewertbarkeit erfüllt.
328 Dass das Kriterium der selbständigen Bewertbarkeit stets in wirtschaftlicher Betrachtungsweise auszulegen ist, machte der BFH in einer Entscheidung über die bilanzielle Behandlung einer Kaufoption deutlich. So erfülle die am Ende eines Leasingvertrags an den Leasingnehmer eingeräumte, deutlich unter dem Verkehrswert liegende Kaufoption die Vermögensgegenstandseigenschaft; ein Erwerber des gesamten Unternehmens würde der Kaufoption im Rahmen des Gesamtpreises einen besonderen Wert beimessen.
329 Dieser weiten Auslegung des Kriteriums wohnt grundsätzlich eine schwache Objektivierung inne.
330 Lediglich „wenn es an jeglichem Anhaltspunkt für die Bemessung fehlt“
331, ist eine objektive Schätzung nicht möglich und folglich das Prinzip der selbständigen Bewertbarkeit nicht erfüllt.
Aber auch bei einzeln zugegangenen Gütern stellt sich die selbständige Bewertbarkeit teilweise strittig dar. Geht ein Gut durch eine Erbschaft, eine Schenkung oder einen Tausch auf ein anderes Unternehmen über, ist die selbständige Bewertbarkeit – insbesondere, wenn es sich um immaterielle Güter handelt – regelmäßig nicht hinreichend belegbar.
332 Bei einem Tausch ist es hinreichend, wenn dem hingegebenen oder dem erhaltenen Gut ein Wert beizumessen ist.
333 Wird also bspw. ein nicht bewertbarer Kundenstamm gegen einen bewertbaren Vermögensgegenstand getauscht, erfüllt auch der Kundenstamm, durch die Bewertbarkeit des getauschten Gutes, das Kriterium der selbständigen Bewertbarkeit. Die Aktivierung des eingetauschten Vermögensgegenstands geht in diesem Fall mit einer Umsatzrealisierung durch die Aufdeckung eines Teils des Geschäfts- oder Firmenwerts einher.
334 Die selbständige Bewertbarkeit unentgeltlich erworbener Güter kann nur dann bejaht werden, wenn – bspw. durch das Vorliegen eines aktiven Markts – ein Wert schätzbar ist. Aber auch wenn die Vermögensgegenstandseigenschaft eines unentgeltlich erworbenen Gutes belegt ist, sind in der Literatur unterschiedliche Meinungen zur bilanziellen Behandlung vertreten.
335 Teilweise wird ein handelsrechtliches Wahlrecht zwischen einer Aktivierung und Nichtaktivierung propagiert.
336 Zweckadäquat kann hingegen nur eine mit dem Vollständigkeitsgebot (§ 246 Abs. 1 HGB) begründete Ansatzpflicht sein.
337 Im Zweifel werden dann auch solche unentgeltlich erworbenen Vermögensgegenstände aktiviert, die beim Ersteller gemäß § 248 Abs. 2 S. 2 HGB einem Aktivierungsverbot unterlagen. Maßgeblich ist einzig die Erfüllung der Vermögensgegenstandskriterien.
Ebenso stellen erhaltene Zuschüsse der öffentlichen Hand, die insbesondere in Krisenzeiten von besonderer Relevanz sind und durch die bspw. Vermögensgegenstände unentgeltlich oder für einen geringen Betrag erworben werden können (sog. Investitionszuschüsse oder /-zulagen),
338 keine selbständig bewertbaren Vermögensgegenstände dar. In Rechtsprechung und Literatur gibt es kein einheitliches und gefestigtes Meinungsbild zur Bilanzierung derartiger Zuschüsse.
339 So wird die Minderung der Anschaffungs- und Herstellungskosten, der Ansatz eines passiven Sonderpostens und/oder die sofort ertragswirksame Erfassung diskutiert.
340 Zweckadäquat kann nur eine bilanzielle Behandlung sein, die in Abhängigkeit der konkreten Ausgestaltung des gewährten Zuschusses ermittelt wird.
341
3.4.1.2 Überkommene Bestätigung der Werthaltigkeit insbesondere rein wirtschaftlicher Güter durch den entgeltlichen Erwerb
Bis im Zuge des BilMoG unter anderem auch der § 248 Abs. 2 HGB a. F. unter zum Teil erheblicher Kritik des Schrifttums
342 abgeschafft wurde, waren aufgrund eben dieser gesetzlichen Grundlage nicht entgeltlich erworbene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens von der Aktivierung ausgeschlossen. Danach konnte ein selbst erstellter Vermögensgegenstand – der auch sonst die Vermögensgegenstandskriterien erfüllt – nur dann aktiviert werden, wenn eine Bestätigung der Werthaltigkeit des immateriellen Vermögensgegenstands am Markt in Form eines entgeltlichen Erwerbs stattgefunden hat. Dabei muss der immaterielle Vermögensgegenstand grundsätzlich „als solcher Gegenstand des Erwerbsvorganges sein“
343, d. h. der Vorteil darf nicht erst durch den Erwerb selbst konkretisiert werden.
344 Ausgenommen hiervon sind Rechte; da sie bereits aufgrund ihrer inhaltlichen Ausgestaltung objektiviert sind, genügt es, wenn sie durch den Erwerb selbst begründet werden.
345 Während bei rein wirtschaftlichen Gütern – insbesondere nach der älteren Rechtsprechung – ein entgeltlicher Erwerb im engeren Sinne, d. h. das Vorliegen eines synallagmatischen Austauschverhältnisses, gefordert wurde,
346 bestätigte der BFH das Vorliegen eines entgeltlichen Erwerbs in jüngeren Urteilen auch bei Zugrundelegung einer „weitere[n], wirtschaftliche[n] Betrachtung des Austauschverhältnisses“ im Sinne eines „Quasi-Synallagma[s].
347 So wurde der entgeltliche Erwerb eines Domain-Namens bejaht, obwohl kein Erwerb im zivilrechtlichen Sinn, sondern vielmehr ein „abgeleiteter Erwerb“ stattgefunden hatte. Dass der Erwerber – nach der Kündigung des Registrierungsvertrags durch den Verkäufer – mit der zuständigen Behörde einen neuen Vertrag abschließt und so den Domain-Namen neu begründet, stehe dem entgeltlichen (abgeleiteten) Erwerb nicht entgegen.
348 Auch im Fall einer vom aufnehmenden an den abgebenden Verein gezahlten Transferentschädigung für einen Fußballspieler liegt ein entgeltlicher Erwerb vor, obwohl auch hier eine Neuerteilung der notwendigen Spielerlaubnis durch den Deutschen Fußball-Bund (DFB) stattfindet. Aufgrund des „enge[n] Veranlassungszusammenhang[s]“ zwischen der gezahlten Transfersumme und der Erteilung der Spielerlaubnis, sei die Werthaltigkeit am Markt auch hier bestätigt worden.
349
Auch in dieser systemkonformen weiten Auslegung leistete das Prinzip des entgeltlichen Erwerbs als Ausdruck des Vorsichts- und Objektivierungsprinzips einen Beitrag zur Konkretisierung der handelsrechtlichen Aktivierung.
350 Insbesondere auch wegen seiner leichten Nachprüfbarkeit avancierte der entgeltliche Erwerb nicht nur gemäß zahlreicher Literaturmeinungen,
351 sondern insbesondere auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung von einer zusätzlichen Konkretisierung zu einem den Vermögensgegenstandskriterien vorgelagerten Prinzip; wurde bereits der entgeltliche Erwerb verneint, fand oftmals keine Prüfung der Vermögensgegenstandskriterien statt.
352 Eine Schärfung des Vermögensgegenstandsbegriffs wurde durch diese Vorgehensweise nicht erreicht.
353 Auch rein normativ betrachtet ersetzt das Vorliegen eines entgeltlichen Erwerbs die Prüfung der Vermögensgegenstandskriterien nicht; der entgeltliche Erwerb selbst stellt kein Vermögensgegenstandskriterium dar. Aussagen über die Werthaltigkeit in künftigen Perioden können allein durch einen entgeltlichen Erwerb nicht verlässlich getätigt werden.
354 Vielmehr kann der entgeltliche Erwerb – sofern ein greifbarer, selbständig bewertbarer Vermögensgegenstand vorliegt – einen Hinweis auf den wertmäßigen Ansatz in der Bilanz liefern.
355
Für die Konkretisierung rein faktisch abgesicherter wirtschaftlicher Güter wurde der Stellenwert des entgeltlichen Erwerbs, obwohl er als Vermögensgegenstandskriterium grundsätzlich abgelehnt wurde, jedoch in Teilen der Literatur abweichend beurteilt: Aufgrund der mangelnden Objektivierung durch die Prüfung der Vermögensgegenstandskriterien wurde der entgeltliche Erwerb bei diesen Gütern als „eine notwendige Konkretisierung zur Erfüllung der Vermögensgegenstandsprinzipien“ angesehen.
356 Hommel sieht die besondere Bedeutung des entgeltlichen Erwerbs auch durch die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Aktivierungsfähigkeit eines Kundenstamms bestätigt, da er nur dann als ein vom Geschäfts- oder Firmenwert getrennter Vermögensgegenstand zu aktivieren ist, wenn für ihn „ein besonderes Entgelt vereinbart und ein solches gezahlt“
357 wurde.
358 Insbesondere bei selbst erstellten immateriellen Vermögensgegenständen, die sich gerade dadurch auszeichnen, nicht entgeltlich erworben zu sein, läuft die Forderung nach einem entgeltlichen Erwerb seit der Abschaffung des § 248 Abs. 2 HGB a. F. im Zuge des BilMoG ins Leere. Hier bedarf es einer Konkretisierung der Vermögensgegenstandskriterien selbst, um einen hinreichenden Objektivierungsgrad zu erreichen.