2008 | OriginalPaper | Chapter
Grenzverschiebungen. Das Verhältnis von Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik auf EU-Ebene und die Neubestimmungen des „Sozialen“
Author : PD Dr. Wolfram Lamping
Published in: Sozialpolitik
Publisher: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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Politische wie wissenschaftliche Debatten über das Verhältnis von Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik bleiben unvollständig, wenn sie nicht die EU-Ebene sowie die dort stattfindenden Auseinandersetzungen und Politikentwicklungen systematisch mit in Betracht ziehen. Der „Quellcode“ europäischer Sozialstaatlichkeit wird seit den 1990er Jahren maßgeblich auf europäischer Ebene verhandelt, wobei das Verhältnis von Sozial- und Wirtschaftspolitik auf europäischer Ebene neu ausbalanciert wird. Dabei werden die Interessen am Sozialstaat auf EU-Ebene neu definiert, wobei seit den 1990er Jahren ein Diskurs der Wettbewerbsfähigkeit und der Modernisierung dominant ist, innerhalb dessen Sozialpolitik sich einem erheblichen Rechtfertigungszwang v.a. in den Bereichen ausgesetzt sieht, die auf mitgliedstaatlicher Ebene in der Nachkriegszeit in unterschiedlicher Weise und in unterschiedlichem Umfang „entmarktlicht“ und in Sozialrecht gegossen worden sind. Als bewusste Abkehr von den „politics against markets“ (Esping-Andersen) geht der von der europäischer Ebene verfolgte Primat der „politics for markets“ (
van Kersbergen 2000, 27
) damit einher, dass den Mitgliedstaaten zugleich legitimativ (Lissabon-Strategie; Binnenmarktschaffung und -liberalisierung etc.) und faktisch (supranationale Selbstbindungen; restringierte sozialpolitische Entscheidungsspielräume auf EU-Ebene etc.) die klassischen sozialpolitischen Instrumente für eine Politik des sozialen Beschützens abhanden kommen — und zudem die Sozialabgaben, Arbeitspolitiken, Löhne und Steuern zu den wesentlichen Anpassungsvariablen gegenüber internen Herausforderungen und exogenen Schocks, wie dem regionalen und globalen Standortwettbewerb, aufgestiegen sind. Dieser Beitrag argumentiert, dass die neue europäische politische Ökonomie sich indes nicht allein als liberalistische „politics for markets“ verstehen lässt, sondern dass es sich im Kern zugleich um eine
politics with markets
handelt, die in den nationalen Wohlfahrtsstaaten zunehmend ihre Entsprechung findet.