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2024 | Book

Handbuch Globale Kompetenz

Grundlagen - Herausforderungen - Krisen

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About this book

Ziel des Handbuches ist es, den wissenschaftlichen Forschungsstand zum Thema ‚Globale Kompetenz‘ praxisorientiert darzustellen. Globale Kompetenz beschreibt die Fähigkeit einer Person, weltweit effektiv und positiv mit seinen Mitmenschen umgehen sowie Krisen und Herausforderungen bewältigen zu können. Global kompetente Personen sind offen gegenüber kulturellen Normen und akzeptieren hierdurch geprägte Erwartungen, zum Beispiel hinsichtlich der Sprache, Gestik, Verhaltens- und Umgangsformen, Höflichkeit und Werten.

Die Themen orientieren sich an den drei Säulen der Globalen Kompetenz: Nachhaltigkeit, interkulturelle Kompetenz und soziale Verantwortung in einer multi- und interdisziplinären Perspektive aus Psychologie, Soziologie, Politikwissenschaft und den Wirtschaftswissenschaften.

Table of Contents

Frontmatter

Begriffliche Klärung

Frontmatter
Globale Kompetenz: Begriff und Definitionen

Zunehmende technologische Weiterentwicklung, wirtschaftliche Vernetzung, Migration und interkultureller Austausch sind kennzeichnende Merkmale der Globalisierung. Mit diesen Prozessen gehen tiefgreifende Veränderungen auf individueller, gruppenbezogener, nationaler und globaler Ebene einher, die zu einer Zunahme gegenseitiger Abhängigkeiten führen. Diese Interdependenzen implizieren in vielen Bereichen eine Zunahme von Unsicherheiten und Risiken, sie bergen jedoch auch Chancen für Entwicklungen hin zu gerechteren und integrativeren Strukturen. Auf der Suche nach angemessenen Antworten auf Chancen und Risiken von Globalisierungsdynamiken gewinnt globale Kompetenz in mehreren Lebensbereichen an Bedeutung. In der Wirtschaft wird eine effektive Interaktion über kulturelle Grenzen hinweg erwartet. Auf gesellschaftlicher und globaler Ebene wiederum ist gegenseitige Verständigung ebenso essenziell wie Verantwortungsbewusstsein für die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung. Die für diese Herausforderungen benötigten Fähigkeiten werden hier unter den Begriff der globalen Kompetenz gefasst. Aus diesen Anforderungen ergeben sich als wesentliche Kompetenten einer globalen Kompetenz: interkulturelle Kompetenz, soziale Verantwortung und Nachhaltigkeitsziele. Diese und benachbarte Konzepte sowie deren Implikationen werden im vorliegenden Kapitel thematisiert und in Beziehung zueinander gesetzt. Zusätzlich werden unterschiedliche methodische (einschließlich statistischer) Herangehensweisen bei der Messung globaler Kompetenz diskutiert. Leitmotiv des Kapitels ist dabei, mit Blick auf weltumspannende Probleme zu untersuchen, welche Kompetenzen hilfreich sein können, um gemeinsame Anstrengungen zur Verständigung, Effektivitätssteigerung und nachhaltigen Entwicklung über Grenzen hinweg zu ermöglichen.

Petia Genkova, Christoph Daniel Schaefer
Global Competence – ein Konzept für eine globale zukunftsfähige Bildung?

Die OECD hat sich in PISA 2018 erstmalig dazu entschieden, mit „Global Competence“ eine Kompetenz zu testen, in deren Zentrum (auch) Normen und Werte stehen. Der Versuch der Messung eines solchen Konstrukts in einer international vergleichenden Studie durch eine Organisation wie die OECD birgt Chancen, aber auch große Herausforderungen. In diesem Kapitel wird beschrieben, wie das Konstrukt Global Competence im Rahmen der PISA Studie konzeptualisiert wurde und wie die einzelnen Aspekte konkret erfasst wurden. Anschließend werden die Herausforderungen diskutiert, die mit der Erhebung eines Konstrukts wie Global Competence im Rahmen einer international angelegten Studie wie PISA von einer Organisation wie der OECD verbunden sind und welche Konsequenzen sich für eine (globale) Bildung für nachhaltige Entwicklung auf internationaler Ebene ergeben können.

Nina Roczen, Lydia Kater-Wettstädt
Globale Kompetenz aus der Perspektive der Soziologie

Auf der Grundlage soziologischer Globalisierungstheorien wird im vorliegenden Beitrag problematisiert, von welchen Grundannahmen über die Strukturen und Dynamiken der Weltgesellschaft Konzepte globaler Kompetenz ausgehen. Akzentuiert wird dabei die historische und systematische Verschränkung von Globalisierungsprozessen in unterschiedlichen Teilbereichen der Gesellschaft mit Machtasymmetrien und sozialen Ungleichheiten. Kritisch hinterfragt wird weiter, von welchen Annahmen über kulturelle Unterschiede zwischen nationalstaatlich verfassten Gesellschaften sinnvoll auszugehen ist, wenn globale Kompetenz als Fähigkeit zu einem angemessenen Umgang mit Interkulturalität und Diversität gefasst wird. In Zusammenhang mit diesen gesellschaftstheoretischen Gesichtspunkten wird weiter gefragt, an welche gesellschaftlichen Gruppen sich Programmatiken der Förderung globaler Kompetenz richten sowie durch welche impliziten Vorannahmen und Blindstellen diese gekennzeichnet sind. Argumentiert wird, dass eine vor allem auf den Qualifikationsbedarf globaler wirtschaftlicher und politischer Eliten ausgerichtete Programmatik unzureichend ist sowie deshalb nach der Bedeutung historischer, menschenrechtlicher und politischer Bildung für die Förderung globaler Kompetenz zu fragen ist.

Albert Scherr
Globale Kompetenz aus der Perspektive der beruflichen Praxis

Die Vernetzungen rund um den Globus verdichten sich immer rascher. Es bedarf daher globaler Kompetenzen, die auf den konstruktiven Kontakt mit anderen Kulturen vorbereiten. Für international agierende Unternehmen ist es unerlässlich, dass ihre Mitarbeitenden diese Fähigkeiten beherrschen. Der vorliegende Beitrag ist aus Sicht der Geschäftswelt verfasst, mit umfänglichem Bezug zur Praxis. Er behandelt die Komplexität der hierbei wesentlichen Fähigkeiten – gipfelnd in globaler Kompetenz. Einen besonderen Stellenwert nehmen die positive Wirkung und die daraus entspringenden Chancen und Vorteile ein, die sich durch erfolgreiche Interaktionen zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Kulturen entwickeln. Die Berufspraxis bietet eine Fülle nachhaltiger Lernformen zur bestmöglichen Förderung von Lern- und Entwicklungspotenzialen. Auch globale Herausforderungen, wie Pandemien oder Klimakrisen, sollten zunehmend unter dem Blickwinkel der globalen Kompetenz betrachtet werden – für neue gemeinsame Lösungsansätze mit bestmöglichen Ergebnissen.

Rita Rizk-Antonious
Globale Kompetenz aus der Perspektive der Politikwissenschaft

Den folgenden Ausführungen liegt die Fragstellung zu Grunde, inwieweit das Fach ‚Politikwissenschaft‘ Absolventinnen und Absolventen Kompetenzen vermittelt, welche diese befähigen, in einem internationalen und globalen Umfeld zu agieren. Hierzu wird zunächst die Entstehung und die Institutionalisierung der Politikwissenschaft in der deutschen Hochschullandschaft dargelegt. Ausgehend davon werden Studienabschlüsse und berufliche Einsatzmöglichkeiten aufgezeigt, um diese in Hinblick auf die Vermittlungen von Kompetenzen insb. globaler Kompetenz zu reflektieren.

Guido Pöllmann
Glokale Kompetenz in der Sozialen Arbeit

Die globale Verflechtung von Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Technologie und Politik hat direkte Auswirkungen auf die individuellen Lebenslagen von Menschen in ihren jeweiligen sozialen Umwelten. Das betrifft auch die Profession und Disziplin der Sozialen Arbeit, da viele ihrer Handlungsfelder von global kontextualisierten Herausforderungen geprägt sind. Nach einer Thematisierung grundlegender Begriffe aus der Perspektive der Wissenschaft Soziale Arbeit benennt das vorliegende Kapitel Wissens-, Haltungs- und Handlungskompetenzen, die für ein professionelles Handeln von Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagogen in der globalisierten Welt erforderlich sind. Dabei wird das Konzept der Glokalität – also die Verbindung globaler Rahmenbedingungen mit lokalen Handlungsstrategien – fokussiert.

Milena Feldmann, Josef Freise

Methodische Probleme – Globale Studien und Konstrukte

Frontmatter
Das GLOBE-Projekt – Kultur und Führung im globalen Kontext

Das GLOBE (Global Leadership and Organizational Behavior Effectiveness) – Projekt zum Einfluss der Kultur auf Führung und Management von Organisationen ist das hinsichtlich der beteiligten Länder bisher größte Projekt im Bereich des interkulturellen und kulturvergleichenden Managements. Der theoretische Ansatz zur Nationalkultur ist zugleich neben den Arbeiten von Hofstede auch das aktuell einflussreichste Konzept in diesem Bereich. Im Projekt wurden und werden in drei größeren Studien und mehreren Teilstudien Wandel und Einfluss kultureller Werte und kultureller Praktiken auf Führungserwartungen, Führungsverhalten, Führungseffektivität sowie auf interpersonelles Vertrauen untersucht. Aktuell arbeiten in dem Anfang der 1990er-Jahre gestarteten Projekt mehr als 500 Forscher aus über 150 Ländern zusammen.

Rainhart Lang, Thomas Steger
Streben nach Glück als globale Vorstellung und Kompetenz
World Database of Happiness

Das folgende Kapitel widmet sich aus einer psychologischen Perspektive der kulturvergleichenden Betrachtung des Begriffs „Glück“ (Synonyme: Wohlbefinden, Zufriedenheit) als Bestandteil der Vorstellung einer globalen Kompetenz. Die World Health Organization (WHO) betrachtet Glück als wichtigen Bestandteil physischer und psychischer Gesundheit. Der Begriff Glück beschreibt eine positive Bewertung des eigenen Lebens. Über diese allgemeine Beschreibung hinaus ist die Definition und Operationalisierung von Glück allerdings kontrovers. Das Verständnis von Glück sowie dessen Ausprägung und Konnotation variieren darüber hinaus zwischen Kulturen. In diesem Kapitel wird daher zunächst ein Überblick über die unterschiedlichen theoretischen Perspektiven auf Glück in der Psychologie gegeben, es werden unterschiedliche Aspekte von Glück dargelegt und verwandte Konstrukte erläutert. Der anschließende Abschnitt stellt eine globale Perspektive auf Glück vor, beschreibt Zusammenhänge zwischen kulturellen Variablen und Glück, globale Kompetenz als Kompetenz zum Glück sowie kulturspezifische Aspekte und methodische Herausforderungen der Erforschung von Glück. Indem sowohl grundlegende Perspektiven, einflussreiche Theorien als auch empirische Ergebnisse vorgestellt und diskutiert werden, liefert dieses Kapitel einen einführenden Überblick über das Thema Glück und Kultur aus psychologischer Perspektive.

Petia Genkova, Henrik Schreiber
Glück und Glückskompetenz

Viele Menschen streben nach einem glücklichen Leben und verstehen darunter etwas ganz Unterschiedliches. Um das subjektive Glückserleben besser einordnen zu können, ist es daher von Bedeutung, folgende grundlegende Fragestellungen zu beantworten: Was ist Glück? Was macht Menschen glücklich? Was bewirkt Glück? Wie lässt sich das Glück fördern? In diesem Beitrag geht es darüber hinaus um die individuelle Glückskompetenz, die es ermöglicht, Glücksmomente wahrzunehmen, zu genießen und in den Lebenslauf einzuordnen. Er greift auf Befunde der psychologischen, ökonomischen und soziologischen Glücksforschung zurück.

Günther Vedder
Konstruktiver Umgang mit VUCA in Arbeitskontexten
Die Rolle interkultureller Kompetenz am Beispiel bikultureller Entrepreneure

Die VUCA-Welt (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität) stellt große Herausforderungen an international arbeitende Personen. Um in ihr zu bestehen, müssen sie ihre verfügbaren Ressourcen in einem konstruktiven Verständnis nutzen. Dynamiken in der VUCA-Welt finden sich in vielen Elementen der Interkulturalitätsforschung. Insbesondere interkulturelle Kompetenz hat als wichtige Ressource seit Jahrzehnten einen hohen Stellenwert. Unsere These ist, dass interkulturelle Kompetenz es Individuen ermöglicht, den Herausforderungen der VUCA-Welt zielführend zu begegnen. Dies illustrieren wir exemplarisch anhand eines bikulturellen Unternehmers, Elon Musk, und eines bikulturellen Unternehmer-Paars, Uğur Şahin und Özlem Türeci. Der konstruktive Umgang mit dem VUCA-Phänomen wird dabei aus der interdisziplinären Sicht der interkulturellen Managementforschung betrachtet.

Christoph Barmeyer, Constanze Ruesga Rath
Messen interkultureller psychischer Aspekte

Interkulturelle Kompetenz wurde in den letzten Jahren zu einem Kernthema der öffentlichen Diskussionen. Besonders kontrovers stellt sich die Messung Interkultureller Kompetenz dar. Im folgenden Kapitel wird eine Übersicht über das Thema Messung Interkultureller Kompetenz aus einer psychologischen Perspektive gegeben. Um einen einführenden Überblick zu ermöglichen werden sowohl grundlegende theoretische Konzepte und empirische Ergebnisse vorgestellt, als auch praktische Implikationen für die Beurteilung und Entwicklung von Messinstrumenten für Interkulturelle Kompetenz gegeben. Der erste Teil des Kapitels geht dazu auf die Einordnung und Abgrenzung der psychologischen Forschung zu Interkultureller Kompetenz ein. Im Anschluss werden Definitionen und Ansätze zur Modellierung und Messung Interkultureller Kompetenz erläutert und im Hinblick auf ihre Vor- und Nachteile diskutiert. Abschließend werden aktuell etablierte Messinstrumente Interkultureller Kompetenz vorgestellt und diskutiert. Ein weiterer Schwerpunkt liegt dabei auf dem Cult-Euro-1 Test, welcher auf dem neuesten Stand der Forschung aufbaut und methodische und konzeptionelle Schwächen bisheriger Instrumente überwindet.

Petia Genkova, Henrik Schreiber
Global Competence in der PISA-Studie: Konzeption des Konstrukts und ausgewählte Ergebnisse in PISA 2018

In einer sich schnell verändernden, diversen und vernetzten Welt ist es essenziell, dass Jugendliche lernen, sich in interkulturellen Kontexten zurechtzufinden und daran teilzuhaben. Jugendliche von heute benötigen daher eine global ausgerichtete Bildung und müssen die weltweite Zirkulation von Ideen, Produkten, Medien, Ideologien und Menschen begreifen, um für das globale Zeitalter vorbereitet zu sein. Außerdem müssen sie darauf vorbereitet werden, allgegenwärtige Probleme wie den Klimawandel, Armut, die Ausbreitung von Krankheiten und menschliche Konflikte in Angriff zu nehmen (Boix Mansilla und Jackson 2011). Um die Chancen der heutigen komplexen Kontexte zu nutzen und gleichzeitig mit deren Herausforderungen angemessen umgehen zu können, benötigen Jugendliche sowohl Wissen über globale, lokale und interkulturelle Themen wie beispielsweise Verteilungsungerechtigkeiten, Klimawandel und den Verlust von Biodiversität als auch interkulturelle Fertigkeiten und positive Einstellungen gegenüber globalen und interkulturellen Themen wie beispielsweise gegenüber Menschen aus anderen Kulturen (Weis et al. 2020). Diese Aspekte wurden in der PISA-Erhebung im Jahr 2018 unter der Bezeichnung Global Competence als innovative Domäne erfasst. Zudem wurde untersucht inwiefern globales und interkulturelles Lernen Teil des bestehenden Lehrplans ist und inwieweit Lehrkräfte ausgebildet wurden, diese Themen in ihren Unterricht zu integrieren (OECD 2020). Im vorliegenden Beitrag werden die theoretische Konzeption des Konstrukts Global Competence bei PISA sowie dessen Erfassung erläutert, die Entwicklung der innovativen Domäne beschrieben und ausgewählte Ergebnisse der Global Competence in PISA 2018 vorgestellt. Dabei wird Global Competence aus der interdisziplinären Perspektive der empirischen Bildungsforschung betrachtet. Außerdem werden die Konzeption sowie die Ergebnisse in einem abschließenden Unterkapitel diskutiert.

Mirjam Weis, Julia Mang, Jennifer Diedrich, Anja Schiepe-Tiska

Globalisierung – Konzepte

Frontmatter
Globalisierung – Tendenzen, Ursachen und Konzepte

Der Beitrag unternimmt eine Einordnung der gegenwärtigen Krise der Globalisierung. Hierzu wird zunächst eine Differenzierung zwischen generischer und realexistierender Globalisierung, also zwischen theoretischem Modell und konkreter Umsetzung in der Gegenwartsgesellschaft, eingeführt. Nachfolgend wird historischen und zukünftigen Tendenzen der Globalisierung nachgegangen. Insbesondere wird der Blick auf zivilisatorische, post-koloniale und post-humane Problemlagen und Konzepte gerichtet. Es wird u. a. argumentiert, dass die Hyperglobalisierung zu Beginn des neuen Millenniums Extreme in sozialräumlicher Mobilität, sozialstruktureller Polarisierung, sozialkultureller Hybridisierung und extraktiver Ressourcennutzung hervorbrachte, die zu einer Erschöpfung des Globalisierungsprojekts der modernen Gesellschaften führte. Der Beitrag schließt mit einer in Richtung Ausgleich und Pluriversalität zielenden Diagnose der Gegenwartsgesellschaft. Dies impliziert, dass die Suche nach nachhaltige(re)n Formen der Globalisierung neben sozialstrukturellem Ausgleich auch einen Einstellungswandel braucht. Die Herausbildung einer Umgangskultur, welche die konkreten Bedingungen von Dignität und Verantwortung für alle planetaren Existenzformen als Orientierung nimmt, und damit über einen abstrakten Universalismus hinausgeht, ist zentral für diesen Mentalitätswandel. Dies Kapitel blickt aus soziologischer Perspektive auf Globalisierung, nimmt aber auch Bezug auf Argumentationen der Kulturanthropologie, der Philosophischen Anthropologie und der Politischen Ökonomie.

Jörg Dürrschmidt
Konzepte der Globalisierung

Die verschiedenen Konzepte der wirtschaftlichen Globalisierung seit der Mitte des 20. Jahrhunderts lassen sich in zwei Gruppen mit jeweils zahlreichen Varianten zusammenfassen: eine eher affirmativ-liberale Ausrichtung und eine eher kritisch-interventionistische. Nach den liberalen Konzepten steigern nur offene, wettbewerbliche Weltmärkte den Wohlstand, und zwar in allen Ländern, unabhängig von ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau. Nach den interventionistischen Konzepten wirkt sich ein freier Wirtschaftsverkehr ebenfalls positiv auf den globalen Wohlstand aus, auf den der wenig und unterentwickelten allerdings nur dann, wenn diesen die Möglichkeit einer selbst bestimmten Entwicklung ermöglicht wird, was vorübergehend ein gewisses Maß an Protektionismus voraussetzt. Daneben gibt es Konzepte, die den Sinn und Zweck der Globalisierung grundsätzlich hinterfragen

Gerold Ambrosius
Kompetenzen bei globalen psychologischen Bedrohungen
Krisen lösen – gemeinsam und aktiv

Die heutige Zeit ist geprägt von globalen Krisen wie der Covid-19 Pandemie, dem Klimawandel, oder dem Krieg in der Ukraine. Solche globalen Krisen lösen multiple psychologische Bedrohungen aus, wie die Erinnerung an die eigene Sterblichkeit oder das Erleben von Unsicherheit, Hilflosigkeit und Kontrollverlust. Die Konfrontation mit solchen Bedrohungen führt typischerweise zu einem negativen emotionalen Zustand, sowie zu Abwehrreaktionen. Diese münden oft in problematischen Verhaltensweisen, wie der Verteidigung der Gruppe, der man sich zugehörig fühlt oder der Abwertung Anderer. Solche Bedrohungsreaktionen behindern die Zusammenarbeit und Koordination von Maßnahmen, welche gerade zur Bewältigung existenzieller, globaler Bedrohungen zentral sind. Auch wenn globale Bedrohungen oft nicht vollständig lösbar sind, können indirekte Lösungen einen Teil lösen und zur konstruktiven Zusammenarbeit und Problemlösung beitragen. Wir schlagen daher eine kollektive Strategie der Handlungssteuerung vor, um indirekte, lösungsorientierte Verhaltensweisen zu fördern: Wir-Wenn-Dann Pläne (Collective Implementation Intentions). Basierend auf aktueller Forschung argumentieren wir, dass diese Pläne Personen bei der kollektiven Bewältigung globaler Bedrohungen in Gruppen und Teams unterstützen und dabei die Emotionsregulation von Bedrohungen verbessern können, um effektive Kommunikation und Koordination untereinander aufrecht zu erhalten.

Chiara Annika Jutzi, Lukas Thürmer, Eva Jonas
Konzepte, Grundlagen und Herausforderungen im Management globaler Wertschöpfungsketten

Die Globalisierung erhöht die Komplexität heutiger Wertschöpfungsnetzwerke zunehmend und erschwert dadurch dessen Management. Dieser Beitrag beschäftigt sich daher mit den grundlegenden Konzepten, Strategien und zukünftigen Handlungsfeldern im Kontext der Globalisierung. Dabei wird insbesondere auf die Unterteilung und das Management globaler Supply Chains, Herausforderungen durch die Globalisierung sowie Globalisierungsstrategien eingegangen und deren Vor- und Nachteile diskutiert. Darüber hinaus wird der Einfluss von Technologien wie dem Internet of Things, Big Data Analytics und Künstlicher Intelligenz, sowie zukünftige Entwicklungen im Rahmen der Nachhaltigkeit aufgezeigt. Denn in Zukunft werden Unternehmen nicht ökonomisch, sondern auch ökologisch und sozial agieren müssen und sich selbst und ihre Mitarbeitenden darauf vorbereiten.

Hendrik Birkel, Evi Hartmann
Globale Werte

Die Komplexität der Probleme, die heute Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung auf der Welt gefährden, können nur durch Zusammenarbeit aller Menschen guten Willens auf einer gemeinsam anerkannten Wertearchitektur gelöst werden. Die Grundpfeiler einer solchen Wertearchitektur sind seit Menschengedenken bekannt und von allen großen ethischen und religiösen Traditionen anerkannt: Ehrfurcht vor dem Leben, Menschlichkeit und Anerkennung der Würde aller Menschen, Freiheit, Gegenseitigkeit, Gerechtigkeit, Solidarität, Wahrhaftigkeit, Frieden und Nachhaltigkeit. Die Umsetzung dieser Werte in gelebte Praxis ermöglicht ein Leben in Würde und Freiheit der heute und in der Zukunft lebenden Menschen.

Klaus Leisinger
Globale Kompetenz messen: Vermessen?

Angesichts großer gesellschaftlicher Herausforderungen wie Klimawandel, Armut, Migration oder Ressourcenknappheit sind Gesellschaften heute besonders in der Pflicht, mit diesen so umzugehen, dass Menschen global miteinander in Frieden und nachhaltig leben können. Eine sogenannte Globale Kompetenz kann bei der Bewältigung dieser gemeinschaftlichen Aufgaben helfen. Der Beitrag verfolgt aus bildungswissenschaftlicher Perspektive das Ziel, aktuelle methodische Herausforderungen bei der Messung Globaler Kompetenz aufzuzeigen. Es wird deutlich, dass Globale Kompetenz nur insoweit gemessen und ihre Ausprägung beschrieben werden kann, als eine leitende Fragestellung formuliert und dazu passende Instrumente und Ansätze zur Messung gewählt werden. Der Diskurs darüber, was Globale Kompetenz ist und welche Teildimensionen sie umfassen soll, wird angesichts der Dynamik globaler Entwicklungen weitergehen (müssen), das Konstrukt sich entsprechend verändern und weiterhin in Abhängigkeit von der gewählten Forschungsfrage erfasst werden.

Christine Sälzer

Globale Krisen

Frontmatter
Reflexive Kompetenz im Kontext von Flucht als globale Krise

Flucht ist ein internationales Phänomen, das aus Kriegen, bewaffneten Konflikten und ökologischen Krisen sowie damit zusammenhängenden Faktoren wie Armut, politischer Verfolgung und gewaltsamen Verhältnissen resultiert. Laut UNHCR hat 2022 aufgrund des Kriegs in der Ukraine die Zahl derer, die durch Kriege, Krisen und Konflikte gezwungen waren, aus ihrer Heimat zu fliehen, die 100-Millionen Marke überschritten. Deutschland war im Jahr 2021 das fünftwichtigste Aufnahmeland für Geflüchtete. In diesem Beitrag werden aus sozialwissenschaftlicher Perspektive grundlegende Wissensbestände, Schlüsselthemen und Herausforderungen globaler Kompetenz in der psychosozialen Arbeit mit Geflüchteten benannt. Über das Aufzeigen von Spannungsfeldern aus der Arbeitspraxis wird das Konzept einer Reflexiven Kompetenz eingeführt.

Cinur Ghaderi, Monique Kaulertz, Veronika Wolf
Epidemien und Pandemien: die historische Perspektive

Jede historische Epoche hat ihre charakteristische Epidemie. Im Mittelalter starb bis zu ein Drittel der damaligen europäischen Bevölkerung an der Pest. Später versetzten die Cholera, die Spanische Grippe und Aids die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Jede Epidemie löste gesellschaftliche Veränderungen aus und wirkte wie ein Katalysator für bereits angelegte Entwicklungen. Neben den häufig katastrophalen Auswirkungen auf Leben und Gesundheit bergen Epidemien und Pandemien durchaus Potenzial für Innovationen. So führte der Schwarze Tod, die Pestpandemie von 1346–1353, langfristig durchaus zu einem steigenden Lebensstandard und soll sogar die Entwicklung des Buchdrucks beschleunigt haben; die Cholera im 19. Jahrhundert gilt als Motor für sanitäre Reformen wie zentrale Trinkwasserversorgung und Kanalisation. Die derzeitige SARS-CoV-2-Pandemie zeigt deutlich, dass Epidemien auch aktuell als Pandemie global auftreten können und nicht nur, wie lange geglaubt, auf die heutzutage weniger entwickelten Länder beschränkt sind.

Jörg Vögele, Katharina Schuler

Nachhaltigkeit - Umwelt

Frontmatter
Nachhaltigkeit als Gegenstand der Soziologie

Die Soziologie trägt zur Nachhaltigkeitsdebatte auf vielfältige Weise bei. Seit den 1970er-Jahren erfolgt dies durch Forschung zu konkreten nachhaltigkeitsbezogenen Themen. Soziologische Perspektiven gingen ein in sich neu formierende nachhaltigkeitsbezogene Forschungsfelder. Inzwischen ist Nachhaltigkeit zudem selbst soziologischer Untersuchungsgegenstand. Die Soziologie ermöglicht, Ursachen für Nicht-Nachhaltigkeit, Widersprüchlichkeiten von Nachhaltigkeit und den gesellschaftlichen Kontext nachhaltiger Entwicklung besser zu verstehen und zu erklären.

Anna Henkel
Nachhaltige Entwicklung für alle

Das etablierte Leitbild Nachhaltiger Entwicklung stellt bislang den Gerechtigkeitsaspekt im Hinblick auf die Bedürfnisse heute und in Zukunft lebender Menschen in den Fokus. Die gesamte nicht-menschliche Natur, die durch den menschengemachten Klimawandel oder die Zerstörung von Lebensräumen negativ beeinflusst wird, spielt dabei nur eine indirekte Rolle, meist im Sinne begrenzter Ressourcen. Dieser Beitrag übt Kritik am anthropozentrischen Nachhaltigkeits-Konzept und plädiert mit umweltethischen Argumenten für eine inklusive nachhaltige Entwicklung.

Ariane Kropp
Nachhaltigkeit in Unternehmen

Die Wirtschaft befindet sich in einem Transformationsprozess, in dem Nachhaltigkeit zunehmend in den Mittelpunkt rückt. Das globale Leitbild der nachhaltigen Entwicklung ist nur unter Mitwirkung der Unternehmen zu erreichen. Doch die Operationalisierung des Begriffs in greifbare Ziele sowie die Umsetzung dieser normativen Vorgaben über Strategien in operatives Handeln in Form eines Managementansatzes sind in der Praxis oft nicht einfach. Dieser Beitrag fasst die Grundlagen des Nachhaltigkeitsmanagements zusammen – von den wichtigsten Treibern über den Managementprozess bis hin zu den Herausforderungen und Lösungsansätzen.

Marina Jentsch, Regina Osranek, Tino Baudach
Zur Rolle und Bedeutung von Kompetenzen in und für die Praxis von Citizen Science

Bürgerwissenschaftliche Vorhaben, auch als Citizen Science bezeichnet, umfassen kooperative Forschungsaktivitäten, bei denen Forschende und Mitforschende gemeinsam Forschungsprozesse umsetzen. Die Rolle und Bedeutung von Schlüsselkompetenzen für eine Teilnahme und Teilhabe an Citizen Science bei den Forschenden und Mitforschenden wurde bisher im Forschungsbereich – Science about Citizen Science – noch nicht betrachtet. Auf der Basis eines entwickelten konzeptionellen Rahmens, der sich auf den Kompetenzfeldern a) bürgerschaftliche Kompetenzen, b) Wissenschaftskompetenzen, c) digitale Kompetenzen und deren Schnittmengen sowie d) interpersonelle Kompetenzen aufbaut, werden Schlüsselkompetenzen in und für die Praxis von Citizen Science vorgestellt. Eine Projektanalyse von Citizen Science-Vorhaben und eine ExpertInnenbefragung wurden durchgeführt, um die herausgearbeiteten Schlüsselkompetenzen zu überprüfen.

Anett Richter, Bea Bardusch, Manina Herden, Laura Ferschinger
Kollektives nachhaltiges Handeln und Psychologie

In Zeiten globaler ökologischer Krisen sind globale Kompetenz und nachhaltiges, das heißt umwelt- und sozial gerechtes, Handeln zwangsläufig miteinander verknüpft. Dieses Kapitel stellt nachhaltiges Handeln als eine Vielfalt von privaten, indirekten, bürgerschaftlichen und aktivistischen Verhaltensweisen vor, die sich in den Konzepten des sozial-ökologischen Fußabdrucks und Handabdrucks widerspiegeln. Psychologische Erklärungsansätze für nachhaltiges Handeln untersuchen bisher vorrangig individuelle Verhaltensdeterminanten. Kollektive Faktoren, wie etwa die Überzeugung, gemeinsam etwas bewirken zu können, finden dagegen vergleichsweise wenig Beachtung. Dieses Kapitel legt daher den Fokus auf relevante psychologische Theorien des kollektiven, nachhaltigen Handelns und die Möglichkeiten, diese anzuwenden, um nachhaltiges Handeln als Bestandteil globaler Kompetenz zu fördern.

Karen Hamann, Torsten Masson
Nachhaltiger Konsum

Verschiedene Einflussfaktoren wirken aus sozialwissenschaftlicher Perspektive auf den nachhaltigen Konsum: von intrapersonalen Faktoren wie persönlichen, auch kulturell geprägten, Werthaltungen über interpersonale Faktoren wie soziale Normen bis hin zu externen Faktoren wie der Verkehrs-Infrastruktur. Das Verhalten der Konsumentinnen und Konsumenten beeinflusst die nachhaltige Entwicklung in verschiedenen Phasen des Konsums: von der Entscheidung, ob ein Bedürfnis befriedigt wird, über die Wahl von Konsumgütern bis hin zur Frage wie mit den Gütern nach dem Konsum umgegangen wird. Dabei wählen Konsumentinnen und Konsumenten verschiedene Strategien wie verzichtorientierte Suffizienzstrategien, Effizienzstrategien mit verringertem Ressourcenverbrauch bei gleichbleibendem Konsumniveau oder das Ersetzen von nicht erneuerbaren Ressourcen durch erneuerbare Ressourcen in Konsistenzstrategien. Nachhaltige Entwicklung ist eine globale Notwendigkeit und ist unter anderem durch kulturell unterschiedlich geprägte Perspektiven auf Nachhaltigkeit bestimmt.

Carsten Herbes
Trends und Entwicklungen – Nachhaltigkeit

Die Transformation zu einer nachhaltigen Entwicklung ist die dringendste Aufgabe des aktuellen Jahrzehnts und die wichtigste Aufgabe des Jahrhunderts. Sie erfordert Veränderungen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Dieser Artikel beschreibt die wichtigsten Grundlagen der nachhaltigen Entwicklung und geht auf besonders dringende und wichtige Probleme ein. Wir nehmen ein wissenschaftliche Perspektive aus der Integration von Natur-, Kultur- und Systemwissenschaften ein. Unter diesem Blickwinkel betrachten wir die Verantwortung von Unternehmen verschiedener Wirtschaftszweige im Bereich Nachhaltigkeit, die Umsetzung der Bildung für nachhaltige Entwicklung in vielfältigen Kontexten und die Querschnittsaufgabe der Geschlechtergerechtgkeit.

Ulrich Holzbaur, Annika Beifuss
Soziologie und Nachhaltigkeit am Beispiel Arbeit und Organisation

Der folgende Beitrag thematisiert Nachhaltigkeit in der Soziologie und fokussiert Organisation und Arbeit. Auf der makrosoziologischen Ebene werden gesellschaftspolitische Diskurse zu Nachhaltigkeit diskutiert und diese mit den Themen „Natur und Arbeit“ sowie „Nachhaltigkeit und Arbeit“ verknüpft. Das besondere Naturverständnis wird dabei sowohl als dialektisches Herrschaftsverhältnis wie auch harmonisches Konstrukt sichtbar.

Stefanie Ernst, Janina Evers
Nachhaltigkeit

Dieses Kapitel hat zum Ziel, wesentliche Aspekte aus der Nachhaltigkeitsthematik hervorzuheben, die aufgrund ihrer komplexen, multidisziplinären Natur aus verschiedenen Perspektiven diskutiert und kontextualisiert werden kann und muss. Im Folgenden wird aus einer nachhaltigkeitswissenschaftlichen Perspektive mit soziologischem Hintergrund argumentiert. Der Fokus des Kapitels liegt zuerst auf den gesellschaftlichen und ökologischen Umständen, welche die Voraussetzungen für eine Perspektive der Nachhaltigkeit geschaffen haben, wobei zwischen einem vormodernen und einem modernen Verständnis von Nachhaltigkeit unterschieden wird. Im Anschluss daran wird die Arbeit der Brundtland-Kommission und damit die ihr entstammende und bis heute prägende Nachhaltigkeitsdefinition der ersten Stunde diskutiert. Dabei werden deren Ziele, Resultate und Anwendungsgrenzen besprochen, bevor anschließend nachfolgende Entwicklungen wie z. B. die Doughnut-Ökonomie oder die Millenium bzw. Sustainable Development Goals skizziert werden. Des Weiteren werden die drei für ressourcenbasierte Systeme zentrale Nachhaltigkeitsstrategien vorgestellt und als Abschluss das Thema der unternehmerischen Nachhaltigkeit kritisch beleuchtet.

Yvonne M. Scherrer, Jan T. Frecè

Interkulturelle Kompetenz

Frontmatter
Interkulturelle Handlungskompetenz
Eine Schlüsselqualifikation für das Leben und Arbeiten in einer multikulturellen Gesellschaft

Die Internationalisierung und Globalisierung aller Lebensbereiche entwickelt schon seit Jahrzehnten eine beachtliche Dynamik. Der Wohlstand in den industrialisierten Gesellschaften weltweit ist ohne diese Dynamik nicht denkbar. Die in den verschiedenen Ländern gelebten unterschiedlichen Kulturen zu verstehen stellt uns jedoch immer wieder vor Herausforderungen. Die jeweiligen Kulturen beeinflussen in erheblichem Maße das Wahrnehmen, Denken, Empfinden und Handeln der Menschen. Wenn Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft einander begegnen, für einander bedeutsam werden und miteinander kooperieren, entstehen deshalb oft kritische Interaktionssituationen, weil Erwartungen der jeweiligen Partnerinnen und Partner nicht übereinstimmen und keine Erklärung für diese Diskrepanzen zur Verfügung stehen. Um diese unerwarteten Reaktionen zu verstehen und eine reibungslose und zufriedenstellende Zusammenarbeit zu ermöglichen, bedarf es einer spezifischen Fähigkeit, nämlich interkultureller Handlungskompetenz. Wie interkulturelle Handlungskompetenz erworben werden kann, welche Funktionen sie erfüllt und wie sie im Sinne der gewünschten Zielerreichung wirksam werden kann, wird in diesem Beitrag aufgezeigt.

Alexander Thomas
Interkulturelle Kompetenz als kontextabhängiges Konzept

Interkulturelle Kompetenz ist zwar ein allgegenwärtiges aber noch immer umstrittenes und unklares Konstrukt. In diesem Beitrag wird aus der Perspektive des Fachs Interkulturelle Kommunikation davon ausgegangen, dass es nicht die interkulturelle Kompetenz geben kann, sondern dass interkulturelle Kompetenz je nach kontextuellen Bedingungen unterschiedlich konzeptualisiert werden muss. So wird erstens festgestellt, dass interkulturelle Kompetenz für Angehörige von Minderheiten anders gefasst werden muss als für Angehörige der gesellschaftlichen Mehrheit. Zweitens wird argumentiert, dass in multinationalen Organisationen gänzlich andere Anforderungen an interkulturelle Kompetenz zu stellen sind als im Handlungsrahmen multikulturelle Gesellschaft, und zum Dritten wird danach unterschieden, ob interkulturelle Kompetenzentwicklung die Effektivierung von Kommunikation oder die Ermöglichung und Verbesserung von Bildung zum Ziel hat. Ausgehend von den idealtypisch unterschiedenen Kontextbedingungen werden die spezifischen Anforderungen diskutiert, die an das Konzept interkulturelle Kompetenz zu stellen sind.

Alois Moosmüller
Die Förderung und Entwicklung interkultureller Kompetenz – eine interdisziplinäre Perspektive

Die Förderung und Entwicklung interkultureller Kompetenz wird spätestens seit den 1990er-Jahren in Deutschland in verschiedenen Disziplinen diskutiert, z. B. in der Psychologie (u. a. in der Psychologie interkulturellen Handelns), der Pädagogik (interkulturelle Pädagogik) sowie in den Sprachwissenschaften (z. B. in der Germanistik, Anglistik, Romanistik und hier vor allem jeweils in den Fremdsprachendidaktiken sowie in den literatur- und kulturwissenschaftlichen Bereichen). Darin zeigt sich, dass bei der Diskussion um interkulturelle Kompetenz sowie deren Förderung viele unterschiedliche disziplinäre Perspektiven fruchtbar gemacht werden (können) bzw. damit viele verschiedene Handlungsfelder verbunden sind. In dem vorliegenden Beitrag sollen – im Anschluss an eine knappe Skizze der zahlreichen Dimensionen und Komponenten interkultureller Kompetenz – drei bislang zu wenig berücksichtigte theoretische Perspektiven für die Diskussion um die Förderung und Entwicklung interkultureller Kompetenz sichtbar gemacht werden. Es wird dafür argumentiert, dass ein erweiterter theoretischer Zugang, der handlungs- und kulturpsychologische, postkolonial-machtkritische und sprachpragmatische Perspektiven im Rahmen interkultureller Qualifizierung stärker berücksichtigt, für die Entwicklung einer interdisziplinär inspirierten und stärker reflexiv ausgerichteten Praxis interkulturellen Lehrens sinnvoll und notwendig ist. Eine solche Betrachtungsweise ermöglicht es unter anderem, diversitätssensible Lehrkonzepte kulturtheoretisch anschlussfähig zu machen.

Steffi Nothnagel
Globalität verstärkt die Wichtigkeit der interkulturellen Kompetenz

Unsere global interdependente Welt erfordert, mit kultureller Vielfalt konstruktiv umzugehen. Im Zentrum der Diskussion um Interkulturalität und Kultur steht der Mensch. Das menschliche Kulturmodell zeigt einerseits auf, wie Kultur jeden Einzelnen tief prägt und wie sie sich im Alltag auf das Verhalten, die Denkweise, die Wahrnehmung und die Kommunikation auswirkt. Andererseits veranschaulicht es die Dynamik einer interkulturellen Interaktion. In der Interkulturalität liegt das Potenzial für eine wirksame Zusammenarbeit. Um dieses zu nutzen, braucht es interkulturelle Kompetenz. Diese zu entwickeln ist ein lebenslanger Lernprozess. Zur interkulturellen Kompetenz bestehen weltweit etliche Konzepte, aber nichts Einheitliches. Diese Vielfalt der Konstrukte widerspiegelt die kulturelle Diversität und damit die Schönheit dieser Welt, mit der es umzugehen gilt. Ein allgemeingültiger Ansatz widerspricht dem und ist unter dem Aspekt der interkulturellen Kommunikation paradox. Im westlichen Kontext wird vorwiegend auf das Zusammenspiel zwischen Wissen, Einstellungen und Fähigkeiten fokussiert. Das wird dem Menschen in seiner Gesamtheit kaum gerecht. Gefühle, Gedanken, Körperreaktionen und Sinne werden meist weder in der Entwicklung interkultureller Kompetenz noch in ihrer Konzeptionalisierung miteinbezogen. Ein nächster Schritt im globalen Kontext würde einen holistischen Ansatz interkultureller Kompetenz erfordern: Eine Synthese zwischen Erkenntnissen aus der Wissenschaft, der Praxis, unterschiedlichen Disziplinen und Weltanschauungen. Dieser Beitrag berücksichtigt Quellen aus verschiedenen Fachrichtungen und verfolgt damit bewusst einen transdisziplinären Ansatz.

Christa Uehlinger
Interkulturelle Kompetenz in der Lehre

Wie wird effektives Handeln in kulturell diversen Kontexten möglich? Die Antwort liegt in der gezielten Entwicklung Kultureller Intelligenz (CQ) als Lernziel bereits für Studierende, aber auch für Lehrende und Mitarbeitende und damit der Verankerung von CQ als Bestandteil der Lehr- bzw. Arbeitssituation. Eine Orientierung aus psychologischer Perspektive bietet ein Prozessmodell, das durch die vier Schritte konkrete Erfahrung, reflektierende Beobachtung, abstrakte Konzeptualisierung und aktives Experimentieren alle Dimensionen der CQ in einem selbstverstärkenden Kreislauf anspricht und steigert. Ein Fallbeispiel aus dem Hochschulbereich illustriert das Vorgehen.

Katrin Hansen
Interkulturelle Kompetenz in der internationalen Personalselektion und -entwicklung
Eine Betrachtung von Expatriates und ihren Familien

Das mehrdimensionale Konstrukt Interkulturelle Kompetenz, das kognitive, emotionale und behaviorale Fähigkeiten umfasst, stellt eine Schlüsselkompetenz für Expatriates dar. Dabei ist ein signifikantes Zusammenwirken zwischen der Interkulturellen Kompetenz des Entsendeten und seiner Familie zu beobachten. Die soziale Bindung der Familie kann Expatriates im positiven Falle im Sinne einer Ressource stärken, wohingegen sie im ungünstigen Fall, z. B. bei Problemen innerhalb der Familie, die Anpassung und Leistungsfähigkeit derjenigen oder desjenigen schwächt. Eine multimodale Personalsektion, die bestenfalls Informationen durch Selbstauskunft, informationsbasierter sowie leistungsbasierter Messung umfasst sowie ein langfristiges Personalentwicklungskonzept zur Erfassung und Entwicklung von Interkultureller Kompetenz für Auslandsdelegierte und für die begleitende Familie werden vorgestellt.

Andrea Graf
Kultur und interkulturelle Kompetenz in der Betriebswirtschaftslehre
Überblick, Einblick und Ausblick

Kultur wird in der Betriebswirtschaftslehre im Rahmen von sog. Kontingenzansätzen als Teil der externen Unternehmensumwelt konzeptualisiert, die es insbesondere bei grenzüberschreitenden Unternehmensaktivitäten zu beachten gilt. Die hiermit verknüpften, komplexen Prozesse betreffen den internationalen Austausch von Güter- und Dienstleistungen sowie Informations-, Kommunikations- und Interaktionsprozesse zwischen kulturell unterschiedlich sozialisierten Akteuren. In den davon betroffenen betriebswirtschaftlichen Funktionsfeldern erfordert dies neben den fachlichen auch kulturbezogene Kompetenzen der Beteiligten. Der hier vorliegende Beitrag beschreibt aktuelle sowie ergänzungsfähige Anwendungen kulturbezogener Kompetenz in Bezug auf die hier angeschnittenen betriebswirtschaftlichen Funktionsbereiche (Abschn. 2, 3, 4, 5, 6 und 7), die anschließend zusammenfassend reflektiert werden (Abschn. 8).

Minu Pooria
Interkulturelle Kompetenz in Bildungskontexten

Interkulturelle Kompetenz in Bildungskontexten wird insbesondere in den Erziehungswissenschaften sowie in psychologischer Forschung behandelt, wobei sich zwischen diesen große Kontroversen auftun. Der vorliegende Beitrag widmet sich diesen Kontroversen. Dazu wird zunächst auf die unterschiedliche Genese des Themas in den jeweiligen Disziplinen sowie auf damit einhergehende unterschiedliche Begriffsverständnisse eingegangen. Im Anschluss werden Überlegungen angestellt, wie die skizzierten Kontroversen überwunden werden könnten. Dazu werden auch die Zielgruppen sowie mögliche Lernziele und Inhalte interkultureller Kompetenzangebote adressiert. Am Ende wird anhand eines Beispiels aufgezeigt, wie interkulturelles Lernen anhand der Analyse kritischer Interaktionssituationen angestoßen werden könnte.

Astrid Utler
Von der globalen zur interkulturellen Kompetenz
Entwicklungslinien und Konzepte zur Verortung interkultureller Kompetenz in der Betriebswirtschaftslehre

Der folgende Überblick zeigt zunächst historische Positionen auf, die das Verständnis von kulturbezogenen Themen in der Betriebswirtschaftslehre bis heute dominant geprägt haben (Abschn. 1). Zwar sind Kultur und interkulturelle Kompetenz keine klassischen Themen der Betriebswirtschaftslehre. Im Rahmen der sog. Kontingenzansätze jedoch, wird Kultur als Teil der externen Unternehmensumwelt thematisiert, die insbesondere in internationalen Aktivitäten von Unternehmen zu beachten ist. Zur näheren Betrachtung kultureller Einflussfaktoren bedient sich die Betriebswirtschaftslehre häufig anderer Disziplinen, wie beispielsweise der Anthropologie oder der Sozialpsychologie, die sich originär mit kulturellen Faktoren auseinandersetzen. Abschn. 2 gibt einen Überblick über diese in der Betriebswirtschaft verwendeten Definitionen von Kultur und interkultureller Kompetenz, die häufig im Zusammenhang mit Themen der internationalen Geschäftstätigkeit verwendet werden (Abschn. 3 und 4). Aus dem derzeitigen Status Quo von Kultur und interkultureller Kompetenz in der Betriebswirtschaftslehre lassen sich neben zusammenfassenden Erkenntnisgewinnen auch Anregungen zu weiteren anschlussfähigen Konzepten ableiten (Abschn. 5).

Minu Pooria
Interkulturalität aus Psychologischer Perspektive

Interkulturalität, die Interaktion von Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund, ist ein integraler Bestandteil des Lebens in Deutschland und darüber hinaus. Kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten, sowie die Einstellungen dazu, zeigen sich im Arbeits- und im Privatleben und stellen Herausforderungen für die Politik, das Bildungswesen und die Wirtschaft dar. In diesem Kapitel wird eine einleitende Darstellung zu den Themen Kultur, Interkulturalität und Akkulturation gegeben. Auf Grundlage einer Definition des Begriffs Kultur werden die Konzepte der kulturellen Universalien und Kulturdimensionen vorgestellt. Im Anschluss daran werden die Perspektiven und Paradigmen kulturvergleichender und interkultureller Psychologie und deren Implikationen diskutiert. Darüber hinaus wird das Thema Interkulturalität behandelt sowie interkulturelle Kommunikation, die damit einhergeht. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem Phänomen der Akkulturation, dem Prozess der Anpassung von Individuen oder Gruppen an neue kulturelle Orientierungssysteme. Das Kapitel liefert somit grundlegende Definitionen, Theorien und Modelle für Wissenschaft und Praxis, die anschaulich erklärt und anhand zeitgemäßer Beispiele erörtert werden.

Petia Genkova, Henrik Schreiber

Diversity

Frontmatter
Diversity und Inklusion als Führungsaufgabe

Globale Trends führen zu einer zunehmend vielfältigen Belegschaft in Bezug auf verschiedene Dimensionen, wie Alter, Geschlecht oder Herkunft. Diversity-gerechte Führung ist essenziell, um das Potenzial der entstehenden Diversity in Organisationen optimal zu nutzen und Risiken zu minimieren. Dieser Beitrag beleuchtet die Thematik des Diversity-Managements aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive. Ziel der D&I-Führung sind Veränderungen auf einer kulturellen und strukturellen Ebene der Organisation, die durch eine Veränderung in Verhaltens- und Denkmustern ergänzt werden, um Inklusion nachhaltig zu fördern. Das Kapitel zeigt auf, wie D&I-Maßnahmen erfolgreich eingesetzt werden, indem entsprechende Führungsansätze auf der bewussten und unbewussten Ebene, sowie Methoden für ein transparentes D&I-Reporting erläutert werden.

Gudrun Sander, Nora Keller, Ines Hartmann, Lena Rudat
Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität im Arbeitskontext

Dieses Kapitel gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Organisations- und Managementforschung zu sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität. Während die arbeitsplatzbezogene Forschung zur sexuellen Orientierung bereits ein etablierteres Forschungsfeld zu werden beginnt, steht die betriebswirtschaftliche Forschung zur Geschlechtsidentität gerade erst am Anfang. In Bezug auf die Diversity-Dimension sexuelle Orientierung konzentriert sich dieses Kapitel auf die Minderheitsausprägungen Bisexualität und Homosexualität. Dabei wird deutlich, dass die unterschiedlichen arbeitsplatzbezogenen Aspekte in Bezug auf bisexuelle, schwule und lesbische Beschäftigte auf der individuellen, der organisationalen und der gesellschaftlichen Ebene eng miteinander verbunden sind. In Bezug auf die Diversity-Dimension Geschlechtsidentität wird gezeigt, dass organisationale Diversity- und Inklusionsinitiativen zur Dimension Geschlecht fast ausschließlich auf cisgender Frauen und Männer ausgerichtet sind. Vor diesem Hintergrund wird diskutiert, welche Maßnahmen Organisationen ergreifen können, um die Inklusion von transgender Beschäftigten zu verbessern. Um Maßnahmen entwickeln und bewerten zu können, mit denen Organisationen nicht-heterosexuelle und transgender Beschäftigte unterstützen können, ist es allerdings wichtig, die spezifischen Barrieren und Widerstände besser zu verstehen, mit denen diese Beschäftigtengruppen am Arbeitsplatz konfrontiert sind. Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, so bleibt zu hoffen, können so gemeinsam dazu beitragen, Heteronormativität und Cisnormativität im Arbeitsalltag erkennbar, und damit auch reduzier- bzw. überwindbar, zu machen.

Thomas Köllen
Die Rolle von Führung im Management von Diversität

Auf Grund gestiegener Diversität und anhaltender Bemühungen, diese auf allen Unternehmensebenen zu erhöhen und zu nutzen, ist das effektive Management von Diversität stark in den Fokus von Organisationen gerückt. Diversität bezeichnet neben Unterschieden in demografischen und aufgabenbezogenen Merkmalen auch Unterschiedlichkeit in nicht unmittelbar ersichtlichen, tieferliegenden Merkmalen wie Werten, Einstellungen und Persönlichkeit. Trotz des Potenzials für eine höhere Kreativität, Innovation und Leistung sind positive Effekte von Diversität keineswegs selbstverständlich, weshalb ein aktives Management von Diversität unabdingbar ist. In diesem Kapitel beleuchte ich auf Basis theoretischer Ansätze und wissenschaftlicher Erkenntnisse im Bereich Sozial- und Organisationspsychologie, Organizational Behavior und Management die Rolle von Diversity Leadership – erfolgreicher Führung im Kontext von Diversität. So zeige ich bedeutsame direkte Ansätze des Diversity Leadership auf und erörtere zudem, wie Führungskräfte indirekt Einfluss nehmen können, indem sie die Wirksamkeit anderer diversitätsbezogener Maßnahmen wie Diversity Training erhöhen. Diversity Leadership ist somit ein bedeutsamer Stellhebel im Management von Diversität in Organisationen.

Claudia Buengeler
Diversity im Kontext des digitalen Transformationsprozesses
Herausforderungen und Chancen des digitalen und kulturellen Wandels im IT-Bereich erfolgreich gestalten

Kaum ein Thema wird in der Gesellschaft, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft so intensiv und kontrovers diskutiert wie die Digitalisierung. Die einen verbinden mit ihr über den technischen Fortschritt ein globales wirtschaftliches Wachstum und ungeahnte Chancen und Entfaltungsmöglichkeiten sowie eine bessere und menschenfreundlichere Arbeitswelt. Andere hingegen fürchten nicht nur im Hinblick auf Big Data immer mehr zum gläsernen Menschen zu werden, der manipuliert, bewertet und kontrolliert wird, sondern auch, dass bspw. Arbeitsplätze durch Robotik und die Künstliche Intelligenz (KI) substituiert werden. Einen neuen Schub erfährt die Digitalisierung aktuell durch die COVID-19-Pandemie und gewinnt damit weltweit an Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft.Der folgende Beitrag greift das Thema Fachkräftesicherung im Kontext des digitalen Transformationsprozesses auf. Dabei soll der Blick über die primär im industriellen Bereich zu beobachtenden Trends und Entwicklungen hinaus, den Aspekt Diversity (Das Verständnis von Diversity konzentriert sich auf die personelle Vielfalt. Diversity steht hier einerseits als Ausdruck für die Wertschätzung, die Anerkennung, den Respekt und die Förderung von personelle(r) Vielfalt (vgl. Stuber 2014) und andererseits wird in diesem Rahmen die Vielfalt von Menschen thematisiert und differenziert betrachtet, die sich aufgrund einer Menge an äußeren aber auch inneren Einflussfaktoren ergeben.) im IT-Bereich, insbesondere im Hinblick auf Geschlecht bzw. Geschlechtergerechtigkeit (Den Aspekt ‚Geschlecht‘ bzw. ‚Gender‘ unter dem „Dach von Diversity“ zu thematisieren, ist eine Möglichkeit, Gender in viel breiteren Kontexten zu diskutieren und damit auch zu fördern (vgl. Krell 2008). Diese Sichtweise ist wichtig, da hierüber deutlich wird, wenn von Gender bzw. Geschlecht die Rede ist und zumindest von Frauen und Männern ausgegangen wird, dass diese in sich keine homogenen Gruppen darstellen. Mit dem Verständnis von Vielfalt in diesem Beitrag, sind sowohl die Gemeinsamkeiten innerhalb einer Gruppe aber auch zu anderen Gruppen zu finden, die sich zum Beispiel auf den sozialen Status, Familienstand, Denk- und Arbeitsweisen etc. beziehen können.) reichen.

Ina Tripp
Diversity und Diversity-Management

Diversity und Diversity-Management wurden im Verlauf des letzten Jahrzehnts zu Kernthemen gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Auseinandersetzungen. Im folgenden Kapitel wird eine einführende Übersicht über das Thema Diversity-Management aus einer psychologischen Perspektive gegeben. Dazu werden grundlegende theoretische Konzepte und Definitionen vorgestellt, empirische Ergebnisse anwendungsgerecht zusammengefasst und praktische Implikationen präsentiert, wie Organisationen und Individuen mit den Herausforderungen durch Diversität umgehen können. Der Schwerpunkt des Kapitels liegt auf den Themen Diversität, kulturelle Vielfalt und Diversität in Organisationen. Um einen umfassenden Überblick über diese Themen zu bieten, geht der erste Teil auf Definitionen und Theorien ein, die der psychologischen Diversity-Forschung zugrunde liegen; sowie auf den Social-Identity-Ansatz. Im Anschluss werden zentrale Konzepte des Diversity-Managements erläutert, darunter das Categorization-Elaboration Modell, Pro-Diversity Beliefs und die Betrachtung von Diversity-Management als Top-Down Prozess. Abschließend werden aktuelle empirische Befunde zu den präsentierten Theorien sowie praxisorientierte Implikationen vorgestellt, insbesondere im Hinblick auf die Vermittlung von Diversity-Kompetenzen bei Führungskräften und Mitarbeitenden.

Petia Genkova, Henrik Schreiber
Diversity Management in Organisationen

Die zunehmende Heterogenität von Mitarbeitenden stellt Organisationen vor die Herausforderung, diese Vielfalt gewinnbringend zu managen. Das Diversity Management (DiM) ist ein unternehmerischer Ansatz zur gezielten Steuerung und Nutzung des vielfältigen Humankapitals. Dieses Kapitel bietet eine begriffliche Klärung des DiM Konzepts aus organisationspsychologischer Perspektive sowie eine Übersicht der Motive zur Einführung von DiM. Außerdem werden zwei Ansätze zum Umgang mit DiM vor dem Hintergrund aktueller Forschungsergebnisse kritisch reflektiert. Das Kapitel schließt mit Empfehlungen zur erfolgreichen Gestaltung des DiMs in Organisationen.

Fabiola H. Gerpott
Migrationssoziologie

Grundbedingung von Globalisierung ist die Mobilität von Menschen, Gütern, aber auch von Produkten, Ideen u. v. m. Mit Blick auf die Entwicklung der Migrationsforschung werden Konzepte vorgestellt, die in besonderer Weise transnationale und globale Verflechtungen beschreiben. In ihnen wird auf Bedeutungszusammenhänge von Mobilität, Identität und Zugehörigkeiten eingegangen, die sich nicht zuletzt für die deutsche Migrationsgesellschaft und den von ihnen bereitgestellten Dienstleistungen im Bildungs-, Arbeits- und Gesundheitssystem sowie im Bereich der Sozialen Arbeit als relevant erweisen.

Rebecca Hofmann
Stereotype und Vorurteile, der Social Identity Approach und Intergruppenkontakt

Im vorliegenden Kapitel werden die Themen Stereotype und Vorurteile sowie der Social Identity Approach und Intergruppenkontakt aus einer sozialpsychologischen Perspektive behandelt. Wir zeigen, dass Stereotype, Vorurteile und Diskriminierung aus psychologischer Sicht drei klar abzugrenzende Konstrukte darstellen, obwohl diese häufig synonym verwendet werden. Wir erläutern, wie Personen sich einen ersten Eindruck bilden und bauen dabei auf den Big Two Persönlichkeitsdimensionen (d. h., agency und communion) und dem Stereotype Content Model auf. Danach stellen wir die soziale Kategorisierung vor, welche dazu dient, die Wahrnehmung und Interpretation von Verhalten zu erleichtern. Diese wird als Grundlage für das Verhalten in und zwischen Gruppen gesehen. Der Social Identity Approach stellt hier eine zentrale Theorie zur Erklärung sozialer Kategorisierung dar. Bestehend aus der Self-Categorization Theory und der Social Identity Theory beschreibt dieser Ansatz was uns als Individuum (personale Identität) und Gruppenmitglied (soziale Identität) ausmacht. Wir beschreiben einige Konsequenzen sozialer Identität und gehen dabei insbesondere auf die Folgen für die Ingroup als auch für die Outgroup ein und zeigen die Relevanz sozialer Kategorisierung im Arbeitskontext. Wir schließen mit einer Diskussion der Chancen und Gefahren in Bezug auf Stereotype und Vorurteile sowie der sozialen Identifikation im interkulturellen Kontext und geben Hilfestellungen für einen positiven Umgang mit sozialer Kategorisierung.

Nina M. Junker, Alina S. Hernandez Bark, Julia Heimrich
Nicht-elitäres Talentmanagement

Betriebliches Talentmanagement als Rekrutierungsstrategie wird in der jüngeren Literatur (auch) unter ethischen Gesichtspunkten kritisch diskutiert. Ich suche daher nach soziologisch und wirtschaftswissenschaftlich fundierten Konzepten für ein nicht-elitäres, inkludierendes Talentmanagement, das auch der sozialen Verantwortung von Unternehmen und Bildungseinrichtungen gerecht wird. Dazu wird der „Capability-Ansatz“ herangezogen, und es werden die Beziehungen zwischen (nicht-elitärem) Talentmanagement und Diversity-Management (DiM) dargelegt. Ein Praxisfall aus der Hochschullandschaft wird präsentiert und aus Sicht der Entwicklung von „Capabilities“ untersucht.

Katrin Hansen

Soziale Verantwortung

Frontmatter
Was ist soziale Verantwortung?

In diesem Kapitel wird das Thema der sozialen Verantwortung aus der Sicht der Sozialpsychologie behandelt. Nach einer Einführung in die Begriffsbestimmung der sozialen Verantwortung wird dargestellt, wie die Norm der sozialen Verantwortung das Verhalten von Gruppenmitgliedern beeinflusst. Das betrifft den Zusammenhang mit prosozialem Verhalten, aber auch Faktoren, die eine Hemmung der Norm hervorrufen. Im Weiteren steht die Verantwortungsübernahme als Persönlichkeitsmerkmal im Mittelpunkt. Nachdem die inhaltlichen Facetten dieses Persönlichkeitsmerkmals dargestellt worden sind, wird zwischen zwei Dimensionen der Verantwortungsübernahme unterschieden: Befolgung der sozialen Spielregeln und Erfüllung der berechtigten Erwartungen anderer. Jede dieser Dimensionen steht mit zentralen Merkmalen des sozialen Verhaltens in Zusammenhang, einerseits mit dem Gerechte-Welt-Glaube und andererseits mit Empathie. In dem abschließenden Fazit wird die Förderung der Verantwortungsübernahme durch Vorbilder, Schulen und Organisationen betont.

Hans-Werner Bierhoff, Elke Rohmann
Soziale Verantwortung in der Politik – globale Kompetenz des Staates?

In diesem Kapitel wird aus der Perspektive der politischen Soziologie der Frage nachgegangen, ob der Staat eine soziale Verantwortung trägt und inwieweit vom Staat globale Kompetenzen eingefordert werden können. In den westlichen Staaten wurden spätestens seit dem 16. Jahrhundert aufgrund des Wandels des Gesellschaftsmodells von der feudalen Herrschaft zur bürgerlichen, industrialisierten Gesellschaft schrittweise staatliche Instrumente implementiert, welche die Schwächeren der Gesellschaft gegen verschiedene soziale Risiken absicherten. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte der umfassende Ausbau dieser Instrumente zur Entwicklung von Wohlfahrtsstaaten. Der Staat hat somit nun eine umfassende, also „globale“ Kompetenz. Gleichzeitig muss sich der Staat aufgrund der sich immer weiter ausdifferenzierenden Gesellschaft der Wohlfahrtsstaat auch „globale Kompetenzen“ aneignen, denn er soll die verschiedenen Bevölkerungsgruppen integrieren. Schließlich stellt sich die Frage, diesmal „global“ als weltumspannend verstanden, ob diese soziale Verantwortlichkeit des Staates ein globales Phänomen ist. In den westlichen Ländern genießt der Wohlfahrtsstaat eine hohe Akzeptanz und die Bevölkerung erwartet, dass der Staat umfassend Risiken absichert. Während in westlichen Ländern die Sicherung sozialer Risiken die Legitimität des Staates fördert (es genießen also diejenigen westlichen Länder eine höhere Legitimität, die eine umfassende soziale Sicherung garantieren, als jene westlichen Länder, die das nicht tun), ist dies insbesondere in nicht-christlich geprägten Ländern nicht der Fall (ob nicht-christliche Länder eine soziale Sicherung bieten oder nicht, beeinflusst deren Legitimität nicht). Was in den Aufgabenbereich des Staates gehört und ob dem Staat eine globale Kompetenz zugemessen oder gar abverlangt wird, ist also kulturell und gesellschaftlich geprägt.

Michael Ochsner
Soziale Verantwortung in der Personalauswahl

Im vorliegenden Kapitel wird aus der Perspektive der Psychologie heraus zunächst der Frage nachgegangen, was unter dem Begriff einer sozial verantwortlichen Personalauswahl zu verstehen ist. Im Zentrum steht dabei der Abgleich zwischen den Anforderungen eines Arbeitsplatzes und den Merkmalen von Bewerberinnen und Bewerbern. In einem zweiten Schritt werden mögliche Gefahren für eine sozial verantwortliche Personalauswahl dargestellt. Sie liegen insbesondere in der mangelnden Professionalität der alltäglichen Auswahlpraxis. Im dritten Schritt werden Lösungsansätze diskutiert, die sich aus der Forschung ableiten lassen.

Uwe Peter Kanning
Die Schlüsselrolle von Diversity bei sozialer Nachhaltigkeit

Mit Corporate-Responsibility-Programmen (CR) leisten Unternehmen einen freiwilligen Beitrag bei der nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung und Stärkung von Vielfalt und Zusammenhalt. Ihr Engagement geht über die gesetzlichen Anforderungen hinaus und verbindet wirtschaftlichen Erfolg mit der Stärkung von Werten wie sozialer Gerechtigkeit, Gesundheit oder Umweltschutz: Unternehmen treffen ihre ökonomischen Entscheidungen im Einklang mit ethischen Grundsätzen, die sie für sich definieren, betriebsintern praktizieren und nach außen auch propagieren. Der folgende praxisorientierte Beitrag fasst zusammen, welche Bedeutung die Übernahme sozialer Verantwortung für Unternehmen mittlerweile gewonnen hat und wie sie systematisches Diversity Management nutzen, damit ihr Engagement optimal wirkt.

Hans W. Jablonski
Globalisierungsdebatte, Verantwortung und konkrete Humanität

Nach einem Überblick zum Stand der internationalen Globalisierungsdebatte der letzten Dekade werden Begriffe, Strukturen und Typen der Verantwortung vorgestellt und auf Entscheidungs- und Verteilungsprobleme konkretisiert. Globalisierung ist nicht rein naturwissenschaftlich oder ökologisch zu fassen, sondern auch politisch, gesellschaftlich und ökonomisch. Deshalb muss sie verantwortlich gestaltet werden. Dies sollte allerdings auch ökologisch vertretbar sein – und unter Gesichtspunkten einer Ethik der „konkreten Humanität“ stehen. Dieses sozial-ethische Konzept wird historisch eingeführt und in Thesen differenziert, die auch globale Probleme wie z. B. Nachhaltigkeit, Generationengerechtigkeit, Subsidiarität und Verteilungsfairness betreffen. Die dabei aktivierten Verantwortlichkeiten werden nach Typen und (Meta-)Ebenen differenziert und auf sozial-ethische Fragen bezogen, wie u. a. moralische Verantwortungskonflikte bei Ingenieurinnen, Medizinern, Wissenschaftlerinnen und Politikern.

Hans Lenk
Corporate Social Responsibility: Die neue Art der Wertschöpfung?

Wir befinden uns inmitten einer Revolution – der Nachhaltigkeitsrevolution. Das Gelingen dieses Transformationsprozesses hängt maßgeblich von der Art und Weise ab, wie wir wirtschaften. Corporate Social Responsibility (CSR) – also die unternehmerische Verantwortung – steht dabei für die neue Rolle von Unternehmen in der Gesellschaft. Unternehmen werden vermehrt zum Anbieter von Lösungen für globale Herausforderungen. Dieses Umdenken wird ermöglicht durch ein systemisches Wirtschaftsverständnis, Nachhaltigkeitskompetenzen und eine neue Managementlehre.

Monika Kolb, Angelika Salmen
Konsequenzen sozioökonomischer Ungleichheit für Individuum und Gesellschaft
Zur Rolle von sozialer Anerkennung und ihrer Verinnerlichung

Global kompetent zu handeln bedeutet unter anderem, soziale Verantwortung zu übernehmen und Anerkennungserfahrungen für Menschen zu ermöglichen. Im folgenden Kapitel beleuchten wir aus einer (sozial)psychologischen, soziologischen und philosophischen Perspektive, zu welchen Herausforderungen die weltweit zunehmende sozioökonomische Ungleichheit führt und welche Konsequenzen dies für Anerkennung und in der Folge für die Gesundheit von Menschen hat. Dabei gehen wir davon aus, dass sozioökonomische (Un)Gleichheit aus mindestens zwei Perspektiven betrachtet werden kann: Zum einen können der sozioökonomische Status des Individuums – also das Einkommen, Vermögen und die Bildung einer Person – und vorhandene Variationen zwischen Individuen betrachtet werden. Die Forschung in diesem Bereich zeigt konsistent, dass ein niedriger sozioökonomischer Status negative Auswirkungen auf die physische und mentale Gesundheit von Menschen hat. Auf diesen Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und Gesundheit gehen wir im ersten Teil des Kapitels ein. Zum anderen kann Ungleichheit auf gesellschaftlicher Ebene betrachtet werden. Dort beschreibt sie, wie (un)gleich Ressourcen, Einkommen und Vermögen in Gesellschaften verteilt sind und ermöglicht auch Vergleiche zwischen Gesellschaften. Den aus dieser ökonomischen Ungleichheit auf gesellschaftlicher Ebene resultierenden gesundheitlichen und sozialen Problemen widmen wir uns im zweiten Teil des vorliegenden Kapitels. Nach einem kurzen Überblick über die vorhandene Forschung zu möglichen zugrundliegenden Mechanismen, diskutieren wir die Rolle von sozialer Anerkennung und deren Verinnerlichung. Dabei werden zunächst drei Formen sozialer Anerkennungserfahrungen (bedürfnisbasierte Zuwendung, soziale Wertschätzung und gleichheitsbasierter Respekt) und deren Verinnerlichung in (jeweils) Selbstvertrauen, Selbstwert und Selbstrespekt vorgestellt. Anschließend wird dargestellt, wie sich sowohl ein niedriger sozioökonomischer Status des Individuums als auch Ungleichheit innerhalb von Gesellschaften negativ hinsichtlich aller drei Anerkennungserfahrungen auswirken können. Im letzten Teil des Kapitels diskutieren wir, warum insbesondere Respekterfahrungen und deren Verinnerlichung als Selbstrespekt eine zentrale, bisher wenig betrachtete, Größe darstellen und inwieweit Respekterfahrungen als Erklärungsansätze für den vielmals berichteten Zusammenhang zwischen individueller bzw. gesellschaftlicher Ungleichheit und (mentaler) Gesundheit dienen können. Abschließend geben wir einen Ausblick auf zukünftige Forschung und thematisieren kurz mögliche gesellschaftliche Interventionen.

Sarah E. Martiny, Daniela Renger
Globalisierung und soziale Ungleichheit

Dieser soziologische Beitrag beschäftigt sich mit der Veränderung sozialer Ungleichheitsmuster in modernen Gesellschaften im Zuge der Globalisierung. Im Mittelpunkt stehen die mit dem Globalisierungsprozess verbundenen wachsenden ökonomischen und gesellschaftlichen Unsicherheiten in globalen Gesellschaften, die sich in einer zunehmenden Flexibilisierung von Berufskarrieren niederschlagen. Der Beitrag stützt sich auf die konzeptionellen Arbeiten des GLOBALIFE-Projekts und stellt ausgewählte empirische Ergebnisse dieses Projekts vor. Er zeigt, dass der Globalisierungsprozess die sozialen Ungleichheiten der Menschen in verschiedenen Phasen ihres Lebenslaufs in sehr unterschiedlicher Weise beeinflusst: Während sich die Erwerbsverläufe von Männern in der Mitte ihrer Karriere in den meisten modernen Ländern als weitgehend stabil erwiesen haben, sahen sich vor allem junge Erwachsene und Frauen in der Mitte ihres Lebens mit einer starken Flexibilisierung ihrer Beschäftigungsverhältnisse konfrontiert. Die Globalisierung hat auch den Übergang in den Ruhestand verändert, insbesondere für Arbeitnehmer im Vorruhestandsalter. Der Einfluss des Globalisierungsprozesses wird auf nationaler Ebene durch unterschiedliche, fest verankerte institutionelle Strukturen „gefiltert“. In den skandinavischen Ländern gelang es dabei, die Verschärfung sozialer Ungleichheiten im Globalisierungsprozess durch umfangreiche wohlfahrtsstaatliche Absicherungen einzudämmen. In anderen Wohlfahrtsregimen hingegen führte die Globalisierung zu einer Verschärfung sozialer Ungleichheiten vor allem zwischen Insidern und Outsidern des Arbeitsmarktes (beispielsweise in den konservativen Wohlfahrtsstaaten wie Deutschland und in den südeuropäischen Wohlfahrtsstaaten wie Spanien oder Italien). Die Ungleichheiten zwischen den Arbeitnehmenden mit unterschiedlichen individuellen Ressourcen (z. B. formalen Qualifikationen oder Berufserfahrungen) haben sich insbesondere in liberalen Wohlfahrtsstaaten (wie in den USA und dem Vereinigten Königreich) stark vergrößert.

Hans-Peter Blossfeld, Gwendolin J. Blossfeld
Gerechtigkeitserleben

Nach einem Abriss über die Psychologie der Gerechtigkeit mit ihren Gerechtigkeitsdimensionen wird das emotionale Erleben von Ungerechtigkeit in den Fokus gerückt. Dieses Erleben wird durch moralbezogene Emotionen mit Empörung als emotionalem Leitindikator angezeigt, durch Gerechtigkeitsdispositionen beeinflusst und durch den Scope of Justice begrenzt. Dabei beschreibt der Scope of Justice die individuellen Grenzen der Gültigkeit von Gerechtigkeitsansprüchen, -normen und ‐überzeugungen, die wir wie ein imaginäres Band um bestimmte Entitäten ziehen. Ungerechtigkeitserleben ist eine wichtige Triebfeder menschlichen Handelns und bildet zugleich den Kern vieler Konflikte. Der reflexive Umgang mit erlebter Ungerechtigkeit dient daher der Konfliktlösung. Dazu ist im jeweiligen Einzelfall zu klären, auf welchen individuellen Annahmen und Urteilen das Ungerechtigkeitserleben basiert. Dies ist eine zentrale Komponente für die Konfliktlösung und ist zugleich eine zentrale Kompetenz, um Empörung zu dämpfen und Verständnis füreinander zu stärken. Wissen aus der empirischen Gerechtigkeitsforschung bietet dazu die notwendige Grundlage.

Elisabeth Kals, Isabel Theresia Strubel, Jürgen Maes

Soziales Engagement

Frontmatter
Freiwilliges Engagement aus soziologischer Perspektive

Freiwilliges Engagement als gemeinwohlorientiertes Handeln im öffentlichen Raum ist essenzieller Bestandteil einer aktiven Zivilgesellschaft und vieler Organisationen des dritten Sektors. Dabei ist das Engagement in Deutschland qualitativ vielfältig und quantitativ weit verbreitet, jedoch zugleich sozialselektiv, da sich ressourcenstarke Milieus überproportional häufig freiwillig engagieren. Der Beitrag gibt einen Überblick über die Funktionen, konzeptionellen Grundlagen, die empirische Verbreitung sowie den anhaltenden Strukturwandel des freiwilligen Engagements. Dabei wird die Ambivalenz freiwilligen Engagements als substanzielle Stütze der Bürgergesellschaft und des Sozialstaats einerseits und als potenzieller Lückenbüßer für einen schlanken Staat andererseits diskutiert. Der Beitrag thematisiert zudem die soziale Ungleichheit im Engagement, beleuchtet aktuelle Flexibilisierungstrends im Zuge des digitalen Strukturwandels und schließt mit einer Diskussion der aktuellen Herausforderungen der Zivilgesellschaft durch die Corona-Pandemie.

Fabian Beckmann, Anna-Lena Schönauer
Soziale Engagements

Soziale Engagements sind eine zentrale Säule der Zivilgesellschaft. Sie dienen gleichermaßen der Kompetenzentwicklung des Einzelnen sowie einer Förderung des „Reifegrads“ der Zivilgesellschaft. Das vorliegende Kapitel nähert sich sozialen Engagements aus der Perspektive der Psychologie. In seinem Zentrum steht die Beantwortung der Fragen, wie soziale Engagements definiert und motiviert sind, um auf dieser Grundlage die gelingende Gestaltung und Förderung sozialer Engagements in den Blick zu nehmen. Wir fassen unter dem Begriff des sozialen Engagements Handlungen, die Aktivitäten erfordern, welche mit einer inneren Bindung einhergehen und gemeinnützig sind, ohne dass dies eigenen Nutzen ausschließen muss. Solche Engagements sind vielfältig und individuell unterschiedlich motiviert, was sich in einem integrativen Erklärungsmodell widerspiegelt. Für ihre gelingende Gestaltung sollten die individuellen Motivlagen berücksichtigt und Erkenntnisse der Arbeits- und Organisationspsychologie genutzt werden. Engagierte erwerben dabei vielfältige Kompetenzen, die auch Facetten der globalen Kompetenz einschließen.

Isabel Theresia Strubel, Svenja Christina Schütt, Elisabeth Kals
Corporate Citizenship
Soziales Engagement von Unternehmen

Das Verständnis des sozialen Engagements von Unternehmen hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt, weg von der reinen Wohltätigkeit durch Spenden, hin zu einer stärkeren Ausrichtung auf das eigene Geschäft und der Nutzung von Ressourcen und Fachwissen. Engagement allein macht das Unternehmen nicht zu einem verantwortungsbewussten Corporate Citizen. Was bedeutet ein erfolgreiches soziales Engagement von Unternehmen und was sind die wichtigsten Merkmale? Ich stelle ein praktisches Rahmenwerk vor, das zur Bewertung bestehender Aktivitäten oder zur Unterstützung bei der Entwicklung erfolgreicher sozialer Engagementaktivitäten verwendet werden kann. Der Rahmen basiert auf drei Aspekten: 1 Strategische Ausrichtung, 2 Inspiration und Engagement und 3 Messbare Ergebnisse und Auswirkungen.

Asuka Ashida-Löbermann
Ehrenamt und Freiwilligenarbeit

Nach einer Einführung in die Begriffsklärung von Freiwilligenarbeit und Ehrenamt, werden in Übereinstimmung mit dem psychologischen Forschungsansatz die wichtigsten Beweggründe der Freiwilligenarbeit dargestellt. Die Grundlage der ehrenamtlichen Tätigkeit sind Einstellungen, die sich als Einstellungsfunktionen der Freiwilligenarbeit kennzeichnen lassen und die sehr vielfältig sind, da sie von selbstdienlichen Bedürfnissen wie Förderung der eigenen Karriere bis zu prosozialen Bedürfnissen wie Verantwortungsübernahme reichen. Einstellungen sind ein wichtiges Forschungsgebiet der Sozialpsychologie. Interessanterweise unterscheiden sich die Einstellungen von Mitarbeitenden in unterschiedlichen Organisationen in vielfältiger Weise. Außerdem kann nach den Einstellungsfunktionen in Abhängigkeit davon differenziert werden, ob hauptamtliche oder ehrenamtliche Mitarbeitende von Hilfsorganisationen befragt werden. In diesem Zusammenhang wird das Auftreten möglicher Konflikte zwischen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeitenden diskutiert. Abschließend gehen wir auf die Bedeutung von Werten für soziale Einstellungen ein und betonen Kultureinflüsse auf die Einstellungsfunktionen. Soziale Werte liefern die Grundlage für die Bildung der Einstellungen, die der Freiwilligenarbeit zugrunde liegen.

Elke Rohmann, Hans-Werner Bierhoff
Soziales Engagement und soziale Ungleichheit

Soziale Ungleichheiten beeinflussen in hohem Maße die Formen und Ausprägungen des sozialen Engagements. Erkennbar ist, dass sich mit verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auch die Formen und Motive für soziales Engagements wandeln. Der vorliegende Beitrag zeigt mit Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen, wie soziales Engagement durch gesellschaftliche Krisen beeinflusst wird und welche Faktoren und Rahmenbedingungen hierbei erkennbar werden. Im Ausblick des Beitrages werden Ableitungen für Unterstützungsmechanismen getroffen, die zivilgesellschaftlichem Engagement mehr Nachhaltigkeit verleihen könnten. Dem Beitrag liegt dabei ein weites Engagementverständnis zugrunde. Engagement wird dabei nicht nur allgemeingültig begriffen und eingeordnet. Denn es zeigt sich, dass neue Formen des Engagements oft in Passung zu den Lebenslagen gestaltet werden und dabei auch eigensinniger und vielfältiger geworden sind. Hierdurch geraten auch die Engagementbereiche außerhalb von gewählten Ämtern mit in den Blick. Dieses „weite“ Verständnis hat eine interdisziplinäre Anschlussfähigkeit und wird auch von zentralen Monitoring-Einheiten zur Engagement-Berichterstattung vertreten.

Claudia Rahnfeld, Andreas Kotter
Soziales Engagement – Katalysator sozialer Inklusion? Potentiale freiwilligen Engagements zur Förderung sozialer Verantwortung

Soziales Engagement ist seit jeher ein unverzichtbares Phänomen für das produktive Zusammenleben von Menschen gewesen. Gerade in der heutigen Zeit kann die Förderung sozialen Engagements die Chance bieten, dass Menschen aus verschiedenen Lebenslagen sich mit ihren Kompetenzen, kulturellen Prägungen und Welt- bzw. Wertvorstellungen an der Ausgestaltung einer inklusiven Gesellschaft beteiligen können. Der vorliegende Beitrag präsentiert überblicksartig die historischen Entwicklungslinien des sozialen Engagements aus sozialwissenschaftlicher Perspektive, stellt anhand eines theoretischen Modells den aktuellen Stand der Forschung dar und expliziert auf Grundlage einer empirischen Studie aus der verbandlichen Jugendarbeit Herausforderungen und Grenzen an der Schnittstelle zwischen sozialem Engagement und sozialer Inklusion. Das Ziel besteht darin, herauszuarbeiten, inwiefern soziales Engagement als Katalysator sozialer Inklusion betrachtet werden kann. Insofern werden die voraussetzungsvollen Potenziale eines freiwilligen Engagements zur Förderung sozialer Verantwortung diskutiert.

Anna Schiller, Germo Zimmermann

Anwendungsbezogene Felder

Frontmatter
Unternehmertum und Innovation

Wirtschaftlicher Wandel wird von technologischen Innovationen angetrieben. Die Durchsetzung dieser neuen Produktionsprozesse und Produkte wird von unternehmerischen Akteuren betrieben. In Schumpeters Entwicklungstheorie wird der Unternehmer als Führungsfigur im innovationsgetriebenen Prozess kreativer Zerstörung vorgestellt. Ansätze der Österreichischen Schule und der evolutorischen Ökonomik dagegen thematisieren stärker die Koordinationsfunktion des Unternehmertums. Systemisch angelegte Debatten nutzen diese Perspektiven für die Erforschung des Zusammenhangs von Unternehmertum und Innovation im Prozess wirtschaftlichen Wandels.

Alexander Ebner
Work-Life Balance im globalen Kontext: Kulturunterschiede, Kompetenzen und Interventionen

Eine zufriedenstellende Balance zwischen Beruf und Familie zu erreichen, stellt für viele Erwerbstätige eine große Herausforderung dar. Eine wachsende Zahl von national wie international agierenden Unternehmen setzt sich seit einigen Jahren gezielt mit diesem Thema auseinander und versucht, ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dabei zu unterstützen. Sowohl die individuellen Vorstellungen einer ausgewogenen Balance zwischen den verschiedenen Lebensbereichen als auch die Wirksamkeit von organisatorischen Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben unterliegen verschiedenen kulturellen Einflussfaktoren. Das vorliegende Kapitel fasst den aktuellen Forschungsstand aus arbeitspsychologischer und kulturvergleichender Perspektive über den Einfluss von kulturellen Normen und Werten auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zusammen und präsentiert individuelle, familiäre/partnerschaftliche und organisatorische Ansätze zur Steigerung der Work-Life Balance (WLB) im globalen Kontext.

Barbara Beham, Caroline Straub
Identity Leadership als universelles Tool für effektive Führung

Führung findet nicht in einem Vakuum statt, sondern Führungskräfte sind immer auch Teil des Teams oder der Organisation, deren Mitglieder sie führen. Das Social Identity Model of Leadership beschreibt, dass Führung umso effektiver ist, je besser die Führungskraft die Gruppe repräsentiert, also proto-typisch für die Gruppe ist. Im Identity Leadership Inventory werden drei weitere Dimensionen von identitätsbasierter Führung beschrieben: Advancement, Entrepreneurship und Impressarioship. In diesem Beitrag werden aus sozialpsychologischer Perspektive die theoretischen Grundlagen und empirischen Belege für das Social Identity Model beschrieben mit Fokus auf die Ergebnisse einer internationalen Studie, die zeigt, dass Identity Leadership eine globale Kompetenz darstellt, die überall auf der Welt effektiv ist.

Rolf van Dick, Louisa Fink, Berrit L. Cordes
Digitale Kompetenzen im Kontext von Leadership

Die digitale Transformation führt nicht nur zu einer Neuausrichtung von Unternehmensstrategien und Geschäftsprozessen. Auch die Entscheidungsqualität von Führungskräften kann datenbasiert steigen. Jedoch stellen die damit einhergehenden Anforderungen auch eine erhebliche Herausforderung für Führungskräfte dar. Im Rahmen dieses Beitrags werden wesentliche Anforderungen aufgezeigt und vor dem Hintergrund digitaler Kompetenzmodelle für Führungskräfte diskutiert. Ebenso wird die Diskussion um digitale Kompetenzen kritisch reflektiert, weiterer Forschungsbedarf aufgezeigt als auch praktische Handlungsempfehlungen abgeleitet.

Stephan Weinert, Klaus P. Stulle
Diversity-Kompetenz in Organisationen der Sozialen Arbeit

Globale Entwicklungen wie Flucht, Migration, die Zunahme sozialer Ungleichheit oder Individualisierung stellen Träger und Einrichtungen der Sozialen Arbeit vor die Herausforderung, sich mit einer zunehmenden Vielfalt ihrer Beschäftigten und Adressat*innen auseinandersetzen und diese angemessen zu bearbeiten. Dazu braucht es spezifische Kompetenzen sowohl auf der individuellen als auch auf der organisationalen Ebene, um den Umgang mit Vielfalt in der Einrichtung zu fördern und mögliche Konfliktpotenziale zu reduzieren. Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie Diversity-Kompetenz als Teilbereich von globaler Kompetenz in Organisationen der Sozialen Arbeit sowohl auf personeller als auch organisationaler Ebene gefördert werden kann und welche Rolle die Personalentwicklung dabei spielen kann. Im Fokus steht die Verankerung eines macht- und herrschaftskritischen Verständnisses von Diversität in Einrichtungen der Sozialen Arbeit. Danach sollen Organisationsmitglieder in die Lage versetzt werden, Diversität als Ergebnis sozialer Praktiken zu erkennen, Stereotype zu hinterfragen und eine reflexive Haltung gegenüber ihren eigenen Beurteilungsmaßstäben zu entwickeln. An verschiedenen Praxisbeispielen wird gezeigt, wie Diversity-Kompetenz durch die Personalentwicklung systematisch gefördert werden kann.

Susanne Dreas
Ausgleich zwischen den Generationen am Arbeitsplatz im Nachhaltigkeitskontext

Als interdisziplinäres Konzept verknüpft Generationen-Management Wirtschaftswissenschaften und Soziologie, um Orientierung beim Management von Mehr-Generationen-Belegschaften zu geben und den Ausgleich zwischen den Altersgruppen im Betrieb zu unterstützen. Dabei werden organisationale Rahmenbedingungen und Strukturen derart geschaffen, dass Beschäftigte jeglichen Alters fähig und bereit sind, ihren vollen Einsatz zu bringen. Der Beitrag vermittelt die Bedeutung von Generationen-Management im Kanon der betrieblichen Bemühungen um (soziale) Nachhaltigkeit und Erhalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und skizziert wesentliche Handlungsfelder sowie ausgewählte Maßnahmen für das gezielte Management von Generationen-Vielfalt am Arbeitsplatz.

Martin Klaffke
Metadata
Title
Handbuch Globale Kompetenz
Editor
Petia Genkova
Copyright Year
2024
Electronic ISBN
978-3-658-30555-0
Print ISBN
978-3-658-30554-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-30555-0

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