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2019 | Book

Handbuch Musik und Medien

Interdisziplinärer Überblick über die Mediengeschichte der Musik

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About this book

Die Geschichte der Musik ist ohne die Mediengeschichte der Musik nicht denkbar, denn Konservierung und Reproduktion von Musik war stets auf Medien angewiesen. Musik spielt heutzutage in allen Medien – ob Tonträger, Radio, Film, Fernsehen, Zeitschriften oder Onlinemedien – eine große Rolle. Das Handbuch dokumentiert die Entwicklungsgeschichte der Musik in den verschiedenen Medien und nimmt neben der historischen auch technische, ökonomische, ästhetische, kulturelle und gesellschaftliche Perspektiven ein. Namhafte Autorinnen und Autoren aus der Medien-, Kommunikations-, Musik- und Kulturwissenschaft gewährleisten den interdisziplinären Charakter und Anspruch des Handbuchs.

Table of Contents

Frontmatter

Geschichte der Musik in auditiven und audio-visuellen Medien

Frontmatter
Der Tonträger als Medium der Musik
Zusammenfassung
Mit dem Tonträger beginnt ein neues Zeitalter der Musik, das reichlich ein Jahrhundert Musikgeschichte umfasst. Bis heute weisen die für den Tonträger produzierten Klanggebilde eine eigene klangtechnische Beschaffenheit auf. Sie besitzen durch ihre Bindung an die Tonträgerindustrie eine eigene Ökonomie, sie sind an eine institutionelle Infrastruktur eigener Art gebunden, die tief in sie hineinreicht, und sie unterliegen einem aktiven Marketing, das sie an immer komplexer gewordene Verwertungsketten bindet. Der Tonträger hat die Musikkultur unaufhaltsam in ein Produkt seiner selbst verwandelt. Die verschiedenen Tonträgerformate, die dem Medium im Verlauf seiner Geschichte Gestalt gegeben haben, sind dabei nicht nur ein äußeres Merkmal der Audio-Technologie. Sie haben gravierende klangtechnische Konsequenzen und erweisen sich als ein entscheidender Faktor der Verortung des Mediums auf dem sozial-kulturellen Terrain, seiner Bindung an bestimmte Ziel- und Nutzergruppen. Der wohl direkteste Einfluss auf die Musikentwicklung geht jedoch von dem mit dem Tonträger verbundenen Marketing aus, das ihn als Produkt auf dem kulturellen Terrain zu platzieren sucht. Künstlerische Inspiration, technisches Know-how und wirtschaftliche Kompetenz sind unlösbar zusammengewachsen und haben aus der Musik eine phonographischen Kunst werden lassen. Im Verlauf seiner rund einhundertjährigen Entwicklung ist der Tonträger in kultureller, wirtschaftlicher und ästhetischer Hinsicht zum normativen Paradigma der Musik geworden. Geblieben ist davon im Zeitalter der trägerlosen Verwertung von Musik die Aufnahme, die sich gegenüber ihrem materiellen Träger weitgehend verselbstständigt hat.
Peter Wicke
Musik im Radio
Zusammenfassung
Mit dem Radio erlangt Musik erstmals eine massenmediale Verbreitung in der ganzen Bevölkerung. Während in den USA das Radio schnell als Werbeplattform für Musiktonträger entdeckt wird und sich die Musikprogramme im freien Markt zielgruppenorientiert ausdifferenzieren, verläuft die Entwicklung in Deutschland zunächst zögerlich, unter staatlichem Einfluss und mit Blick auf die musikalische Gestaltung der Radioprogramme wenig kreativ. Während sich die 1920er- und 1930er-Jahre in den USA zum „Goldenen Zeitalter“ des Radios entwickeln, werden im Dritten Reich die Radioindustrie und somit auch die Musikprogramme gleichgeschaltet und für Propaganda genutzt. Ab den 1940er-Jahren erzwingt in den USA die neue mediale Konkurrenz – das Fernsehen – eine noch stärkere Formatierung sowie die Gestaltung von massenattraktiven Musikprogrammen. In Anlehnung an die Jukebox entsteht das Top-40-Format, das sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland – einhergehend mit Beatkultur und neuer Jugendbewegung – als Motor der Entwicklung neuer Musikformate im Radio erweisen wird. Mit Einführung des Dualen Rundfunksystems wird der freie Radiomarkt auch in Deutschland eingeläutet – und damit die Absicherung von Programmentscheidungen durch empirische Hörerforschung bzw. Musiktests, die seit mittlerweile 35 Jahren nahezu unverändert beibehalten werden. Die aktuelle Lage der Radiosender sowie die Konkurrenz durch Webradios und Streamingdienste erfordern nun ein Umdenken sowie eine kritische Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Musikformatierung im terrestrischen Radiobereich.
Holger Schramm
Musik im Hörspiel
Zusammenfassung
Während die Musik im Radio (quantitativ) immer eine größere Bedeutung als das Wort hatte, dominierte im lange rein öffentlich-rechtlichen Hörspiel (und in der Hörspielforschung) das Wort. Seit dem ersten Hörspiel 1924 wurde Musik zwar integriert, doch sie blieb vor allem Handlungsunterstützung, Hintergrund. Erst die technische Verbesserung der Übertragungswege (UKW), die Umgestaltung der Radiolandschaft unter (musikdominierten) Aspekten und die digitalen Produktionstechniken erhöhten den Stellenwert der Musik. Von der Klassik über Rock und Pop bis zur Rapmusik wurden alle ambitionierten und populären Musikformen auch vom Hörspiel genutzt. Das Hörspiel war für Komponisten und Musiker ein durchaus lukrativer, nicht unbedingt aber hochgeschätzter Markt. Seit den 1960er-Jahren wurden Komponisten bewusst als genreerweiternde Hörspielmacher ermuntert, in den 1970er-Jahren entstanden „Pop-Hörspiele“ und später „Hörspiel-Pop“, seit den 1990er-Jahren drängte die Radiokunst verstärkt auf die neuen CD-Märkte. Schwerer hatte es das (reine) Musikhörspiel etwa in der Tradition der Konkreten Musik. Die Digitalisierung (seit den 1990er-Jahren) und – dann (seit den 2000er-Jahren) – die Adaption filmischer Soundkonzepte wie „Braaam“ aus Hollywood verstärkten erneut den Stellenwert von Musik (und Geräuschen).
Hans-Jürgen Krug
Musik im Film
Zusammenfassung
Seit Beginn des Mediums Film Ende des 19. Jahrhunderts besteht eine kaum zu lösende Verbindung zwischen den sich bewegenden Bildern und Musik. Ist es, bezogen auf die Ära des Stummfilms, auch nicht gerade naheliegend, von Musik im Film zu sprechen, war sie doch genau genommen dort Musik zu einem Film, so war es schon für den Zuschauer damals möglich, sich die Musik als zur Szene gehörig vorzustellen. Selbst als die Bilder sprechen lernten, verlor dieser Aspekt nicht seine Gültigkeit. Die zu hörende Musik konnte als Teil der Filmhandlung oder als Begleitung zum Film erklingen. Dass mit der Einführung der Tonspur nun die Musik zum Film unveränderlich festgelegt werden konnte, war nur eine der radikalen Veränderungen des Tonfilms. Blieben auch die wesentlichen Eigenschaften von Filmmusik, wie etwa ihre fragmentarische und eklektische Form, bis heute bestehen, so beruht sie doch auf Codes und Regeln, die in einem ständigen Wandel immer wieder vom Zuschauer akzeptiert werden. Kompositorische Merkmale sind häufig mit einer Filmkomponistengeneration verbunden, wobei musikalische Zitate und Allusionen integraler Bestandteil der Filmmusik insgesamt sind. Filmkomponisten sind daher nicht zuletzt gute Arrangeure, wie es etwa in Hollywood seit den 1930er-Jahren üblich war. Vor allem liegt ihr Bestreben darin, eine Musik zu komponieren, die für den Film geschrieben ist und nur in Wechselwirkung mit den Bildern ihre Funktion erfüllt.
Saskia Jaszoltowski, Albrecht Riethmüller
Musikformate im Fernsehen
Zusammenfassung
Nur noch wenige Musiksendungen können sich aktuell noch im Quotengerangel zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehanbietern behaupten. Dennoch spielen diese Formate nach wie vor eine wichtige Rolle für die Wahrnehmung von Musik und Musikern. Während früher vor allem die Präsentation verkaufsfertiger Musikprodukte im Mittelpunkt der einzelnen Sendungen stand, steht heute die „authentische“ Künstlerpersönlichkeit im Fokus, um die herum eine eigene Erlebnis- und Konsumwelt konstruiert wird. Dies spiegelt auch die Entwicklungen des Musikmarkts wieder, der angesichts des rückläufigen Absatzes klassischer Tonträger neue Verwertungsmechanismen erschließen muss (vgl. Schramm et al. 2017). Derartige Entwicklungen sind keinesfalls neu: Ein Blick in die Geschichte der Musikformate im deutschen Fernsehen zeigt, wie sehr die Präsentation von Musik immer auch Veränderungen in unserer Gesellschaft reflektierte.
Irving Benoît Wolther
Musikfernsehsender
Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag widmet sich einer historischen wie systematischen Betrachtung des Phänomens Musikfernsehen unter Berücksichtigung der medialen Gattung Videoclip/Musikvideo am Beispiel des international operierenden Senders MTV. Hinzu kommt die Berücksichtigung historisch einmaliger Konstellationen, im vorliegenden Fall das Zusammentreffen der Kunst- bzw. Mediengattung „Musikvideo“ und der medienökonomischen bzw. -technischen Entwicklung von Musikspartenkanälen – als einer Art „Wahlverwandtschaft“ – sowie einer insgesamt mehr und mehr am Visuellen orientierten Pop(musik)kultur. So schien – mit Blick auf die Anfangsjahre – lange Zeit klar gewesen zu sein, was Musikfernsehen bedeutet; die seit längerem feststellbaren programmlichen Veränderungen der Musiktelevision nähren jedoch Zweifel, ob es das klassische Musikfernsehen heutzutage überhaupt noch gibt. Unter diesen veränderten Vorzeichen versucht der vorliegende Beitrag zunächst eine historisch informierte Begriffsbestimmung der Phänomene „Musikfernsehen“ und „Musikvideo“ zu geben. Daran anknüpfend soll deren historische Verschränkung und Entwicklung bis heute hinsichtlich Produktion (Medienökonomie, Distribution, Programmpolitik) und Produkt (Musikvideos als Programmelemente, Inhalte und Formate des Gesamtprogramms, Senderprofile) betrachtet werden. Abschließend wird auf Aspekte der Nutzung und Rezeption eingegangen.
Daniel Klug, Axel Schmidt
Musik in der Werbung
Zusammenfassung
Wann hat es die Musik in die Werbung geschafft? Und wann ist die Musik zu einem nicht mehr wegzudenkenden Element von Werbung in auditiven und audiovisuellen Medien geworden? Wie ist die Situation heute und in Zukunft? Welche Funktionen erfüllt Musik für die Werbung und welche Formen nimmt sie an? Diese Fragen werden in diesem Beitrag angegangen. Nicht alle lassen sich eindeutig oder erschöpfend beantworten: Wenngleich auch die Forschung zu Musik in der Werbung an Fahrt aufgenommen hat, ist das Feld immer noch unterdurchschnittlich beforscht und es bestehen noch große Lücken. Dieser Beitrag verfolgt zunächst die Entwicklung und Geschichte von Musik als funktionalem Bestandteil von Werbekommunikation. Weiter zeigt er auf, welche Funktionen Musik in der Werbung übernimmt, welche Wirkungserwartungen damit verknüpft sind, welche Wirkmechanismen angenommen werden und welche Wirkungen bis heute wissenschaftlich untersucht wurden. Auf der Basis der historischen Entwicklung von Werbung folgt daher eine Darstellung der Formen und Funktionen von Musik in der Werbung. Wir thematisieren sowohl intendierte Wirkungen als auch solche, die wissenschaftlich belegbar sind. Wir schließen mit einem Fazit und Ausblick auf die weitere Entwicklung dieses sich schnell weiterentwickelnden Feldes.
Benedikt Spangardt, Ann-Kristin Herget, Holger Schramm
Musik in Computerspielen
Zusammenfassung
Computerspiele sind als Unterhaltungsmedien ebenso wichtig geworden wie Fernsehen oder Musik hören. Entsprechend prägt die Musik in Computerspielen unsere Musikerfahrung und damit unseren Musikgeschmack wesentlich mit – und dies keineswegs nur beim Spielen. Denn Computerspielmusik begegnet uns auch in vielen anderen Kontexten – im Kino, im Konzert, in der Werbung oder im Club. Gerade zu Beginn der Spielemusik-Geschichte sahen sich die Programmierer/Komponisten auf unterschiedlichen Ebenen mit erheblichen Limitierungen konfrontiert, auf die sie mit kreativen Strategien reagierten. Heutzutage stehen den Komponisten alle Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, um geeignete musikalische Lösungen für unterschiedlichste Spielsituationen bereitzustellen. In diesem Zuge ist eine klangliche Annäherung der Spielemusik an die Filmmusik zu beobachten. Neben allen Parallelen zwischen Spiele- und Filmmusik zeigen sich aber auch Unterschiede: So gehört etwa zu den Spezifika der Musikgestaltung in Computerspielen die Möglichkeit, auf das individuelle Spielverhalten adäquat zu reagieren, indem etwa situationsbezogen auf modulare Kompositionsbausteine zurückgegriffen wird. Derartige non-lineare Kompositionsgebilde bergen erhebliches Innovationspotenzial. Denn wenn die Nutzer den Verlauf und Charakter der Musik spielerisch beeinflussen können, werden sie im besten Fall zu einer Art „Co-Arrangeur“ der Komposition. Eine solche Stellung dürfte die Einbindung in die Spielewelt – im Sinne von Involvement und Immersion – verstärken.
Peter Moormann
Musik auf Online- und Mobilmedien
Zusammenfassung
Seit das Internet existiert, hat es einen entscheidenden Einfluss auf unsere Musikkultur ausgeübt. Musik war immer ein zentraler Inhalt, über den bereits in den ersten Internetforen diskutiert wurde. Darüber hinaus gehörten Musikstücke schon immer zu den Objekten, die Internetnutzer*innen untereinander austauschten oder gemeinsam bearbeiteten. Mit der schnell voranschreitenden Entwicklung von internetfähigen mobilen Endgeräten haben sich die unterschiedlichsten Musiknutzungen zu mobil ausübbaren Tätigkeiten entwickelt. Wie sich der Umgang mit Musik auf Online- und Mobilmedien über die Jahre seit der Entstehung des Internets entwickelt hat, soll in dem vorliegenden Artikel aufgezeigt werden. Von der Entwicklung der MP3 und dem Einfluss dieses Dateiformats auf die Entstehung von Online-Tauschbörsen und der damit einhergehenden Verbreitung der Internetpiraterie, über das Aufkommen von legalen Geschäftsmodellen wie etwa den Musikstreamingservices, hin zu Konzertübertragungen und virtuellen Proben, die über das Internet durchgeführt werden, sollen entscheidende Aspekte dieser Musikgeschichte aufgezeigt werden. Im Zentrum stehen dabei die Auswirkungen, die sich für Hörer und Hörerinnen, Musikschaffende und Musikindustrie ergaben.
Nicolas Ruth

Geschichte der Musik in nicht-auditiven Medien

Frontmatter
Notation als mediale Darstellung von Musik
Zusammenfassung
Mit der Erfindung von Notationssystemen gelang es, Musik zu fixieren und zu überliefern. Notation ist so gesehen ein Medium für die Vermittlung und Reproduzierbarkeit von Musik. Erste einfache Formen von Notationen lagen in der Antike vor. Die Entwicklung der heutigen mitteleuropäischen Notenschrift war bereits Ende des 16. Jahrhunderts nahezu abgeschlossen. Notationen müssen bei aller Weiterentwicklung nützlich und handhabbar bleiben bzw. das für die Aufführungspraxis jeweils Notwendige anzeigen. Sie können daher dem erklingenden Musikstück nie ganzheitlich gerecht werden, da Musik stets komplexer ist als die notierten Informationen. Musik entsteht zudem in der individuellen Wahrnehmung eines Menschen und bleibt trotz Notation letztendlich doch etwas Flüchtiges. Notationen erfüllen unterschiedliche Funktionen: Sie dienen dem Komponisten und dem Musiker primär als Gedächtnisstütze, dienen der Kirche aber auch als Kontrollmittel, um liturgische Melodien und Texte vorzugeben. Musikwissenschaftler sprechen Musik bisweilen immer noch den Werkcharakter ab, wenn die Musik nicht notiert vorliegt, was auf den größten Teil der weltweiten Musik zutrifft. Auch beim Erlernen von Musikinstrumenten steht in unseren Kulturkreisen das Erlernen der Notationssysteme am Anfang und im Mittelpunkt. Notationen erlangen somit einen über die Hilfs- und Vermittlungsfunktion hinausgehenden Eigenwert, der in der westlichen Welt zu selten hinterfragt wird.
Herbert Bruhn
Musikjournalismus in Zeitung und Blogs
Zusammenfassung
In der Kunstberichten eigenen Dialektik von ästhetischer und sozialer Referenz legt der allgemein informierende Journalismus, anders als die Fachpublizistik, seit seinen Anfängen mehr Gewicht aufs Soziale. Er orientiert sich vor allem am Gesprächswert von Kunstereignissen. Der folgende historische Abriss zeichnet nach, wie sich das öffentliche Gespräch über Musik in der Zeitung seit der Aufklärung als „Musikpublizistik für alle“ durchsetzt und heute in Musikblogs Ergänzung und Fortsetzung findet. Ausgangspunkt bilden die Gelehrten Journale und Moralischen Wochenschriften des 18. Jahrhunderts, die bereits unterschiedliche journalistische Darstellungsweisen erproben und allmählich entdecken, dass sich auch unterhaltsam (zum Beispiel ironisch) über Musik und Musiker schreiben lässt. Eine weitere Quelle des modernen Musikjournalismus stellen die Musikmeldungen in der Avisen- und Zeitungspresse des 18. Jahrhunderts dar. Aufführungs- und Virtuosenberichte werden bald auch mit Wertungen angereichert. Um 1800, als das Musikleben aus der höfischen Begrenztheit endgültig herausdrängt, beginnt auch der Musikjournalismus der Tagespresse sich zu professionalisieren. Kulturzeitungen wie das „Morgenblatt für gebildete Stände“ stehen für den Siegeszug der musikalischen Tagesschriftstellerei. Sie wenden sich an ein interessiertes, aber künstlerisch nicht unbedingt gebildetes Publikum von Liebhabern und setzen dabei schon auf Nachrichtenfaktoren wie Prominenz, Nähe oder Kuriosität. Bis 1850 etabliert sich dann das Feuilleton der Tagespresse und bringt bedeutende Kritikerpersönlichkeiten hervor. Anderthalb Jahrhunderte bleibt E-Musikkritik unangefochten eine Domäne der Zeitungen, bis in jüngster Zeit Musikblogs als moderne Variante des Feuilletons in Erscheinung treten.
Gunter Reus
Musikzeitschriften
Zusammenfassung
Dieses Kapitel widmet sich der Mediengattung „Musikzeitschrift“. Es beschreibt die Entwicklung von Printpublikationen mit Musikschwerpunkt in Deutschland vom achtzehnten Jahrhundert bis zur gegenwärtigen Popzeitschrift. Die Darstellung zeigt eine Entwicklung von publizistischen Alleingängen hin zu einer gesellschaftlich akzeptierten Pressegattung. Das aktuelle Bild weist Gratisblätter und Kundenzeitschriften mit den höchsten Auflagen aus. Insgesamt verliert die Musikzeitschrift zunehmend ihre Rolle als Meinungsführer an partizipatorische Medien. Um einen Überblick über aktuelle Phänomene hinsichtlich Markt, Verbreitung und Inhalt von Musikzeitschriften zu liefern, nimmt dieses Kapitel eine Typologie der Publikationen vor.
Stefan Weinacht, Till Krause
Modellfälle von „Musik“ in der deutschsprachigen Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts
Zusammenfassung
Der Beitrag widmet sich dichterischen Bezugnahmen auf Musik, vorwiegend in der (neueren) Romanliteratur. Es wird dabei grundsätzlich zwischen Musik als literarischem Motiv und Musik als poetologischem Vorbild unterschieden. Das Aufkommen des Unsagbarkeitstops in der Literatur und die damit einhergehende Neubewertung der absoluten Instrumentalmusik lässt die Musik ab etwa 1790 zum Vorbild für die Dichtung werden – ein Gedanke, der bis ins 20. Jahrhundert hinein zyklisch immer wieder aufflammt. Seit der Wende zum 21. Jahrhundert erscheint der musikalisch-literarische Formentransfer zunehmend im Licht medientheoretischer Überlegungen. Grundfragen des folgenden Kapitels sind: Warum wird beschriebene „Musik“ in literarischen Texten eingesetzt? Welche Strukturmerkmale rücken einen Text in die Nähe „musikalischer“ Verfahrensweisen? Motivisch eingesetzt, wird „Musik“ zu einem dichterischen Zeichen, das den herausgehobenen Moment für den Leser im Text markiert. Der explizite Rekurs auf musikalische Formen etwa in dichterischen Titeln offenbart das Bewusstsein eines zumindest partiell empfundenen poetologischen Mangels. „Musikalisch“ wirkt eine Dichtung offenbar dort, wo das Material der Sprache in den Vordergrund tritt, etwa durch Wiederholung, Variantenbildung oder die Arbeit mit „Leitmotiven“. Im Lautgedicht nähert sich die Sprache durch partiellen oder vollständigen Verzicht auf semantische Entschlüsselbarkeit der Musik an.
Julia Cloot
Plattencover und Konzertplakate
Zusammenfassung
Plattencover und Konzertplakate sind nicht nur „Verpackungen“ oder Werbeträger, sondern prägen mit ihrer spezifischen Ästhetik das Selbstverständnis sowohl der Bands als auch das Lebensgefühl der Fans. Neben einer Unzahl von beliebig austauschbar wirkender Cover und Plakate gibt es maßgebliche „Leuchttürme“, bei denen das Artwork als Experimentierfeld für avantgardistische Designer wie auch Projektionsfläche für Sehnsüchte oder politische Statements in die Kulturlandschaft strahlt. Diese Zeitzeugen überdauern die jeweiligen Musik- oder Modeströmungen und beeinflussen nachfolgende Generationen. Im Artwork manifestiert und konserviert sich der Zeitgeschmack auch der jeweiligen Jugendkulturen und wird nicht selten zur Ressource für Retro-Trends. Als dokumentarische Archivalien der Zeitgeschichte und kulturhistorisch relevante Primärquellen lässt die Gestaltung authentische Rückschlüsse auf die Entwicklung der Popkultur zu, die mit der digitalen Revolution in eine neue Phase eingetreten ist. Im folgenden Beitrag werden einige Charakteristika und stilbildende Beispiele aus den ersten 50 Jahren Rock- und Popmusikgeschichte vorgestellt.
Roland Seim

Komposition und Produktion von Musik unter Einfluss von Medien

Frontmatter
Komposition und Produktion von populärer Musik
Zusammenfassung
Das Kapitel führt in wesentliche Bereiche und Aspekte der Produktion populärer Musik ein: Neben definitorischen Grundlagen und Einblicken in die Prozesse und Techniken werden anfangs historische sowie aktuelle Produktions- und Kompositionsansätze vorgestellt und anhand prototypischer Abläufe illustriert. Die Spannbreite zeigt sowohl etablierte Produktionsverfahren, als auch fundamentale Veränderungen der jüngeren Vergangenheit auf. Überblicke über Paradigmen und produktionsseitige sowie akustische und industrielle Standards sorgen für die weitere Orientierung, um so dem oder der Lesenden eine informierte(re) Kontextualisierung des Gehörten in diesem Umfeld zu ermöglichen.
Schließlich werden die in diesem Feld handelnden oder Einfluss nehmenden Personen, ihre Rollenbilder, Machtverhältnisse und Werkzeuge vorgestellt, um dann auf die jüngeren Entwicklungen durch ubiquitäre Online-Datenspeicher und Datennetze sowie unterschiedliche Gemeinschaften und Angebote in sozialen Medien einzugehen.
Michael Ahlers
Computermusik
Zusammenfassung
Dieses Kapitel thematisiert, was in einer Zeit, in der nahezu jeder Lebensbereich von Computern beherrscht wird, noch unter dem Begriff „Computermusik“ zu verstehen ist. Für diesen Zweck wird die musikalische Anwendung von Computern in den Bereichen Komposition, Klangerzeugung, Klangsteuerung und Klangspeicherung gegenüber gestellt. Dabei wird insbesondere der Bereich der Computerkomposition bzw. algorithmischen Komposition näher untersucht. Dieses Gebiet wird in seiner methodologischen Ausrichtung und historischen Kontinuität betrachtet. Die Beiträge wichtiger Komponisten, wie Lejaren A. Hiller und Iannis Xenakis, zur Entwicklung dieses Bereiches werden ebenso diskutiert wie die Rolle von Computern beim Komponieren mit elektronischen Mitteln im Studio, bei live-elektronischen Anwendungen sowie beim Komponieren für traditionelle Instrumente.
André Ruschkowski
Medienkonstellationen zeitgenössischer Musik- und Klangkunstformen
Zusammenfassung
Die Musik des 20. Jahrhunderts ist von dem Medienwandel geprägt, der mit der Erfindung der Tonträger und ihrer Begleitmedien im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts einsetzt. Mit diesem Wandel geht der Prozess einer medialen Ausdifferenzierung der Musik einher, der sich nicht allein in der Überschreitung der künstlerischen und musikalischen Gattungsgrenzen manifestiert, sondern darüber hinaus in der Erweiterung der Darbietungsformen. In dem Beitrag werden anhand vieler Beispiele Fragestellungen zur Mediensituation der musikalischen Gegenwartskultur diskutiert. Dabei wird die ästhetische Perspektive der Integration medialen Materials in den künstlerischen Prozess thematisiert. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Diskussion möglicher „Verbreitungsdefizite“ und „Verbreitungsmöglichkeiten“ neuer zeitgenössischer Musik- und Klangkunstformen.
Marion Saxer

Rahmenbedingungen der Gestaltung und Produktion von Musik in den Medien

Frontmatter
Kulturen und Ästhetiken von Popmusik und Medien
Authentizität, Kunst, Kommerz und Etablierung
Zusammenfassung
Über die Jahrhunderte und vor allem die letzten 70 Jahre der Professionalisierung und Institutionalisierung von Popmusik und Medien haben sich auf kulturell-ästhetischer Grundlage beobachtbare Konstanten der Evolution entwickelt: Diskurse, Zuschreibungen und Verhandlungen von Authentizität, Kunst, Kommerz und Etablierung. Diese lassen sich sowohl an einzelnen Phänomenen wie Bands, Gruppierungen, Moden oder Bewegungen ablesen als auch übergreifend auf allen Ebenen des popmusikalischen Kommunikationsprozesses von der Produktion über die Distribution, die Rezeption und Nutzung bis hin zur Weiterverarbeitung und Re-Produktion neuer Musik- und Medienangebote. Medien werden dabei verstanden als wechselwirksamer Zusammenhang aus Kommunikationsinstrumenten, Medien- und Musiktechnologien, sozialsystemischen Organisationen und konkreten Musik- und Medienangeboten. Geprägt werden diese von Kulturen als kollektiv abgeglichene und gleichzeitig subjektabhängige Interpretationen von Wirklichkeitsmodellen, von kosmopolitischen Hyperkulturen bis zu nationalistischen Kulturessentialismen. Formen des Erscheinens, Wahrnehmens und Verarbeitens werden hier als Ästhetiken populärer Musik und Medien aufgefasst, die sich nicht am aus klassischen Künsten entlehnten Schönen oder Erhabenen orientieren, sondern eine über den puren Gebrauchswert hinausgehende genüssliche, wenn nicht sogar vergnügliche Sinnhaftigkeit bedeuten. Der Beitrag liefert anhand zahlreicher Beispiele grundlegende Abrisse und Konzept-Überblicke zu den komplexen Begriffen, um so ein historisch hergeleitetes und systematisch ausformuliertes interdisziplinäres Verständnis zu leisten, welches von Nöten ist für die aktive, reflektierte Teilhabe an Geschichten und Diskursen über Popmusik und Medien.
Christoph Jacke
Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Produktion, Distribution und Rezeption von Musik
Zusammenfassung
Recht reguliert und überformt in mannigfaltiger Weise die medienspezifischen Rahmenbedingungen der Produktion, Distribution und Rezeption von Musik. Dieser Beitrag ist eine schlaglichthafte Einführung hierzu. Das Urheberrecht steht dabei im Zentrum, ergänzende Hinweise betreffen Nachbardisziplinen wie das Medienrecht. Prägende historische Entwicklungen und zentrale gegenwärtige Grundprinzipien dieser politisch-sozialen Ordnung sollen ebenso deutlich werden wie die Reichweite des Einflusses, den das Recht auf fast alle Aspekte des Musiklebens ausübt. Schwerpunkte dieser Einführung liegen dabei auf den Bereichen der Produktion von Musik für und Verwertung in auditiven und audio-visuellen Medien von Radio und Film bis Computer- und Videospielen, auf der Nutzung medialer Verfahren für den Produktionsprozess, hier insbesondere dem Sound Sampling, ferner auf der Musikberichterstattung in Medien, insbesondere unter den heutigen, wenigstens potenziell crossmedialen Musikberichtsbedingungen des Internets, und schließlich auf der stets zentralen Rolle von Medien wie Noten und Tonträgern für das Verhältnis von Musik und Recht.
Frédéric Döhl
Die ökonomischen Wechselwirkungen von Musikindustrie und Medien
Zusammenfassung
Der Beitrag zeigt im historischen Rückblick auf, wie sich Medienentwicklung und die musikindustrielle Verwertung von Musik gegenseitigen bedingen und beeinflussen. Im frühen Musikverlagswesen war die proto-industrielle Produktion und Verwertung von Musik bereits mit dem damals neuen Medium des Buchdrucks eng verknüpft und kulminierte dann im industriellen Produktionsverfahren der New Yorker Tin-Pan-Alley Ende des 19. Jahrhunderts. Mit der Etablierung der Tonträgerindustrie wurde das neue elektronische Medium Radio zuerst zu einem angefeindeten Konkurrenten, der dann später die Wertschöpfung in der Musikindustrie von den 1930er- bis 1950er-Jahren dominieren sollte. Film und TV wurden im Zeitalter der Tonträgerindustrie (von ca. 1955 bis 2000) zu wichtigen Promotionskanälen für Musik und brachten neue Vermarktungsformen wie das Musikfernsehen hervor. Der Prozess der Digitalisierung des Musik-Wertschöpfungsnetzwerks revolutionierte nach 2000 nicht nur die Produktion, Distribution und Rezeption von Musik, sondern ermöglichte auch völlig neue Wechselwirkungen zwischen der Musikindustrie und den Neuen Medien. In all diesen historischen Abschnitten änderten sich die urheberrechtlichen Rahmenbedingungen, die immer starken Einfluss auf die Musiknutzung in den Medien hatten.
Peter Tschmuck
Backmatter
Metadata
Title
Handbuch Musik und Medien
Editor
Prof. Dr. Holger Schramm
Copyright Year
2019
Electronic ISBN
978-3-658-21899-7
Print ISBN
978-3-658-21898-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-21899-7