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2014 | OriginalPaper | Chapter

9. Heuristisches Entscheiden

Author : Friedrich Thießen

Published in: Die Evolution von Gut und Böse in Marktwirtschaften

Publisher: Springer Berlin Heidelberg

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Zusammenfassung

Heuristiken sind ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis von gutem und insbesondere böswilligem Verhalten in modernen arbeitsteiligen Volkswirtschaften. Als Heuristiken bezeichnet man vereinfachte Entscheidungsverfahren. Menschliches Handeln hat eine inhärente Tendenz, Entscheidungen auf Basis einfacher Überlegungen unter Zugrundelegung von Gedächtnisinhalten und unter Ersparung von Informationssuchaktivitäten zu fällen. Die im Gedächtnis gesammelte Erfahrung ist ein zentraler Baustein des Entscheidens – nicht nur das logische, bewusste Überlegen.
Das heuristische Entscheiden zeichnet sich dadurch aus, dass nicht mehr alle eine Situation ausmachende Umstände betrachtet werden, sondern nur noch eine Auswahl. Dadurch sind Heuristiken grob und pauschal. Nicht mehr alle Unterschiede von Situationen können erkannt werden. Details entgehen dem Entscheider. Dies wird umso schlimmer, je geringer die Erfahrungen sind, die ein Entscheider hat. Umgekehrt wird die Qualität der Heuristiken umso besser, je mehr Erfahrungen vorliegen.
Die Vereinfachungen und Vergröberungen, die unser Gehirn vornimmt, erfolgen nicht zufällig, sondern sie folgen systematischen Prinzipien. Alle benutzen die gleichen Heuristiken. Die Schemata unterschiedlicher Personen gleichen sich und sind für aufmerksame Beobachter leicht erkennbar. In arbeitsteiligen Gesellschaften stehen sich Spezialisten und Nichtspezialisten gegenüber. Der Spezialist kann das stereotype Verhalten der Nichtspezialisten beobachten und ausbeuten. Er braucht dazu nur seine Erfahrung.

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Footnotes
1
Die Autoren erkennen dabei folgende immer wieder vorkommende Mechanismen: Ignoranz (gegenüber zu vielen Informationen), das Prinzip des Ein-Grund-Entscheiden (die Suche nach Informationen wird abgebrochen, sobald ein einziger Grund gefunden wird, eine Alternative herauszuheben), das Prinzip der Eliminierung (gefundene Informationen werden eine nach der anderen genutzt, Alternativen auszuschließen) das Prinzip des Satisficing (die Suche wird abgebrochen, sobald ein Anspruchsniveau erreicht ist).
 
2
Gigerenzer spricht vom „Less is more-Effekt“: wer zu viel weiß, entscheidet schlechter.
 
3
Rieskamp und Hoffrage glauben nicht, dass der Entscheider zunächst evaluiert, ob ein eher gründliches oder ein stark vereinfachtes Verfahren zu wählen sei, sondern dass der Entscheider in einer Entscheidungssituation aus Erfahrungswerten heraus „automatisch“ ein Verfahren wähle; s. S. 147.
 
4
„We consider limited time and limited knowledge as constraints under which people have already developed or learned their smart heuristics. This implies that an individual’s repertoire of strategies includes some that take the constraints into account“, Quelle: Rieskamp und Hoffrage (1999, S. 147).
 
5
Dies zeigt Gigerenzer anhand von Entscheidungen, welche die Gesundheit betreffen. Er zeigt, wie wenig Menschen in der Lage sind, Statistiken zu Unfällen, Gesundheitsrisiken, Heilungschancen von Krankheiten etc. fehlerfrei auszuwerten. Die Fehlurteile sind gravierend, wie Experimente zeigen. Die Erklärung: „The causes of statistical illiteracy should not be attributed to cognitive biases alone, but to the emotional nature of the patient-doctor relationship … The classical doctor-patient relation is based on paternalism and trust in authority, which effectively makes statistical literacy a nonissue.
 
6
Representativeness, Availability, Anchoring.
 
7
Er unterscheidet zwischen reasoning und intuitiv thinking. „Reasoning is done deliberately and effortfully, but intuitive thoughts seem to come spontaneously to mind, without conscious search or computation.“
 
8
In einem Experiment wurde die Sensitivität auf Variationen von Wahrscheinlichkeiten getestet. Diese nimmt ab, wenn Probanden „emotionally loaded“ Probleme zu lösen haben.
 
9
Es sei folgende persönliche Anmerkung erlaubt: mir scheint, als ob das „Aufsteigen“ bzw. das Zugänglichwerden nur weniger Attribute auch als eine Art „Substitution von Attributen“ aufgefasst werden kann: Die wahren Attribute werden durch diejenigen, die aus dem Gedächtnis „aufsteigen“ ersetzt. Accessibility und Substitution sind insgesamt Prozesse der Vereinfachung und Hinwendung zu solchen Merkmalen, die mit den verfügbaren Ressourcen „beurteilbar“ sind. Es scheint mir, dass Gerhard Roth den Grundmechanismus in seinem Bild vom Screening des Erfahrungsgedächtnisses nach bewerteten Vergleichssituationen hervorragend beschrieben hat. Ich nutze die Ergebnisse von Kahnemann, um mir konkreter vorzustellen, was bei der Gewinnung der Vergleichssituationen passiert – was in den Augen eines Biologen sicherlich als „schreckliche“ Heuristik eines Ökonomen angesehen werden muss.
 
10
Kahnemann ist der Ansicht, dass nicht einmal finanzielle Anreize in der Lage sind, diese Mechanismen aufzuheben. Finanzielle Anreize können zwar den Aufmerksamkeitsgrad steigern („attention“), was eine Bedingung dafür ist, intensivere kognitive Prozesse anzustoßen („effort“), Aber: „attention and effort by themselves do not purchase rationality“, weil auch die richtigen Attribute zugänglich werden müssen, bevor eine Entscheidung von hoher Qualität entstehen kann.
 
11
Es wurden Experimente durchgeführt, bei denen Probanden den Wert von Gütern schätzen mussten. Gab man den Probanden nur jeweils ein Gut, dann stellten sich überaus divergierende Werte ein: die Menschen ließen sich von ihren jeweiligen Heuristiken leiten, die teilweise weit in die Irre führten. Ließ man die Entscheider aber im Lauf der Zeit alle Güter kennenlernen, wurden die Schätzungen konsistenter: die Menschen erkannten Beziehungen zwischen den Gütern und damit Einflussfaktoren, die sie im ersten Moment übersehen hatten. Sie wandten dann Regeln an, welche konsistente Schätzwerte ermöglichen.
 
13
De facto liegt der Anteil der Impulskäufe im Einzelhandel bei 10–20 %.
 
14
Bei einer Umfrage bei Kapitalbeteiligungsunternehmen gaben die Befragten an, in der Vorprüfung den Businessplan „regelmäßig“ zu bearbeiten, „eigene Analysen“ gelegentlich anzufertigen.
 
15
„Es liegt die Vermutung nahe, dass … der hohe Aufwand zur Erstellung – respektive die Kosten der Beschaffung – von detaillierten Konkurrenz-, Beschaffungsmarkt- und Absatzmarktanalysen der vertieften Informationsbeschaffung entgegenstehen.“ Quelle: Bunzel (2002, S. 23).
 
16
Pichotta kritisierte die starke Orientierung der Finanzbranche an vergangenheitsorientierten Daten: „eine Beurteilung der gegenwärtigen und vor allem der zukünftigen Lage von dynamischen, innovativen Unternehmungen ist mit diesen Daten kaum möglich.“
 
17
Durch das pauschale Vorgehen kann verhindert werden, dass „das Bewertungsergebnis unter dem Mantel der modelltheoretischen Exaktheit in die eine oder andere Richtung“ verschoben wird.
 
18
Das Argument lautet, dass sich die jeweils negativ betroffene Partei gegen unzutreffende Pauschalierungen schützen kann. Denn Bewertungsfehler aus Pauschalierungen sind wie Optionen: Derjenige, der sie erkennt, wird in dem für ihn vorteilhaften Fall still schweigen. Entstehen ihm Nachteile, dann wird er auf die Fehler hinweisen und sich durch Lieferung der nicht berücksichtigten Informationen dagegen wehren. Auf diese Weise werden alle Beteiligten dafür Sorge tragen, dass nur die problemadäquaten Vereinfachungen übrig bleiben.
 
19
GIIPS: Griechenland, Italien, Irland, Portugal, Spanien.
 
20
An Universitäten erhält man über die Praktikumsberichte der Studierenden Einblick in die Kennzahlensysteme von Banken; diese können hier natürlich nicht veröffentlicht werden.
 
22
So wird den Schülern beigebracht, dass Amselkinder bereits auf zwei schwarze Pappscheiben (statt der richtigen Eltern ) reagieren und mit dem Betteln um Futter beginnen. Dass es bei Menschen auch Heuristiken gibt, wird nicht behandelt.
 
23
Er unterscheidet zwischen reasoning und intuitive thinking. „Reasoning is done deliberately and effortfully, but intuitive thoughts seem to come spontaneously to mind, without conscious search or computation.“
 
24
Kahnemann ist der Ansicht, dass nicht einmal finanzielle Anreize in der Lage sind, diese Mechanismen aufzuheben. Finanzielle Anreize können zwar den Aufmerksamkeitsgrad steigern („attention“), was eine Bedingung dafür ist, intensivere kognitive Prozesse anzustoßen („effort“), Aber: „attention and effort by themselves do not purchase rationality“, weil auch die richtigen Attribute zugänglich werden müssen, bevor eine Entscheidung von hoher Qualität entstehen kann.
 
Metadata
Title
Heuristisches Entscheiden
Author
Friedrich Thießen
Copyright Year
2014
Publisher
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-642-05060-2_9