Wenn humanoide Roboter menschliche Räume übernehmen
- 10-09-2025
- Humanoide Roboter
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Arbeiten bald mehr humanoide als maßgeschneiderte Industrieroboter? Die Potenziale sind theoretisch riesig – aber die technischen Herausforderungen nicht zu unterschätzen.
Testeinsatz bei Mercedes-Benz: Der Automobilhersteller testet einige humanoide Roboter des texanischen Unternehmens Apptronik in seinem Digital Factory Campus (DFC) in Berlin, Andere absolvieren Tests in Produktionswerken.
Mercedes-Benz
In Internetvideos ist zu sehen, wie sie Salti oder Rad schlagen, Breakdance vorführen, hinfallen und unglaublich schnell wieder aufstehen oder Patienten bei der Physiotherapie unterstützen. Deutlich "eckiger" sehen die Bewegungen in Szenen aus, die humanoide Roboter, also Maschinen mit zwei Beinen und zwei Armen, in realen Industrieumgebungen oder Logistikhallen zeigen.
Roboter in Menschenform, die nicht nur eine einzige Aufgabe immer und immer wieder ausführen, sondern sehr beweglich sind, die auf ihre Umwelt reagieren und in einem vorgegebenen Rahmen selbst entscheiden, wie sie sich verhalten. Diese Roboter werden ihren Platz finden. Was genau sie tun können und dürfen und in welchen Bereichen sie sich bewähren werden, ist noch offen. Es scheint allerdings, dass die enge Interaktion mit nicht dafür geschulten Menschen unter Sicherheitsaspekten die größte Herausforderung sein und daher erst am Ende der Entwicklung stehen dürfte.
Grundsätzlich kommt bei ihnen der große Vorteil der menschenähnlichen Bauform zum Tragen: "Der Mensch selbst hat seine Umgebung so geformt, dass er in ihr agieren kann", betont Dr. Sirko Straube vom Robotics Innovation Center der DFKI. "Humanoide Roboter können das universell nutzen im Gegensatz zu allen anderen Robotern – das ist ein unschlagbarer Vorteil der humanoiden Robotik." Gravierende Umbauten seien nicht nötig.
Vorteile in Brownfield-Anlagen
Ihre Vorteile könnten Humanoide im Industriebereich vor allem in Brownfield-Situationen ausspielen. Sie "können bei der Automatisierung von vorhandenen Produktionsanlagen entscheidend zum Erfolg beitragen", sagt Sebastian Jonas, Leiter Advanced Production Technology beim Automobil- und Industriezulieferer Schaeffler, der auch Bauteile und Produktionsanlagen für Roboter liefern will und sich mit 1,1 % am US-Roboterhersteller Agility Robotics beteiligt hat. Mit den richtigen Fähigkeiten ausgestattet, könnte ein humanoider Roboter also auch fast überall einspringen, wo ein Mangel an menschlichen Arbeitskräften herrscht.
Technologisch vermischen sich bei humanoiden Robotern zwei voneinander unabhängige Aspekte: der Formfaktor und KI. "Die Künstliche Intelligenz ist der wichtigste Enabler für humanoide Roboter. In diesem Feld sind große Durchbrüche schneller erzielt worden, als wir erwartet haben", erläutert Patrick Schwarzkopf, Geschäftsführer des VDMA-Fachverbands Robotik + Automation.
Bereits im Serieneinsatz: Die Roboter von Agility Robotics erledigen bereits Logistikaufgaben. Auffällig ist die Beinkonstruktion, die jenen von Vögeln ähnelt.
Agility Robotics
Auf der anderen Seite stehen Fortschritte bei der elektromechanischen Aktorik und deutliche Verbesserungen bei der Sensorik. Sie erlauben es, einen Körper zu bauen, der menschenähnlich bewegt werden kann. Ausgestattet sind die Maschinen mit Kameras, Lidarsystemen, Mikrofonen, Kraft-Drehmoment-Sensoren. Taktile Sensoren ermöglichen es zu erkennen, ob sie irgendwo anstoßen oder Menschen berühren.
Von deterministisch zu autonom
Die KI ist erstmal unabhängig von der Bauform. Sie wurde darauf trainiert, die ihr zur Verfügung stehenden Motoren und Sensoren im gegebenen Rahmen bestmöglich zu nutzen", erläutert Sirko Straube. Aber den aktuellen Stand der KI dürfe man auch nicht überschätzen. In einem Roboter müsse eine KI beispielsweise entscheiden: Gehe ich links oder rechts? Kann ich die Aufgabe erfüllen oder nicht? "Und allein diese vergleichsweise einfachen Entscheidungen können heutige Systeme nur in einem eng abgesteckten Rahmen treffen – auch wenn uns Internetvideos eine Scheinwelt voller selbstständiger Roboter vorgaukeln."
Und Experten der International Federation of Robotics (IFR) weisen in einem Positionspapier zu humanoiden Robotern darauf hin: "Schließlich gibt es zwar humanoide Roboter, die Mobilität und agile Bewegungen beherrschen, und andere, die kognitive und intellektuelle Herausforderungen bewältigen können, aber keiner kann bisher beides."
Patrick Schwarzkopf vom VDMA betont: "Die große Herausforderung liegt im Wandel von der deterministischen zur autonomen Robotik. Während bei klassischen Robotern deren Bewegungen bis ins kleinste Detail programmiert werden, sollen humanoide Roboter auch ihre Umwelt erkennen, analysieren und zumindest in gewissen Grenzen autonome Entscheidungen für ihr Handeln treffen."
Eine Wette auf die Zukunft
DFKI-Forscher Straube sieht durchaus große Potenziale – aber keine Erfolgsgarantie: "Durch die neue Generation von generativen KI-Modellen wird die Interaktionsmöglichkeit mit Robotern revolutioniert." Vielleicht liege darin auch ein Weg, um Robotern Weltmodelle mitzugeben, mit denen sie sich zurechtfinden und in der Welt agieren können. "Das ist im Moment aber noch eine Wette, die die großen Techfirmen eingegangen sind. Wenn die Wette aufgeht, dann sind humanoide Roboter sicherlich die besten Interaktionspartner für uns", so Straube.
Die getrennte Betrachtung von Form und "Hirn" bringt noch eine zweite Konsequenz: Was die KI in einem humanoiden Roboter kann, kann sie auch in anderen Formen der "Verkörperlichung" leisten. Gelegentlich bringen Experten die Parallele zu autonom fahrenden Autos ins Spiel. Für die Praxis bedeutet das: "Der Paradigmenwechsel von der deterministischen zur autonomen Robotik ist dann nicht auf humanoide Roboter beschränkt, sondern kann auch auf stationäre Roboter angewandt werden oder solche, die sich auf Rollen bewegen", betont Patrick Schwarzkopf.
Obwohl bislang nur eine Handvoll Produktiv-Anwendungen oder Tests in der Industrie bekanntgeworden sind, tummeln sich viele Unternehmen in diesem Feld. Die International Federation of Robotics listet weltweit 46 Unternehmen auf, die humanoide Roboter mit Beinen entwickelt haben. Acht davon in Nordamerika, 21 in China, sechs in Japan und Korea. Dazu kommen 38 weitere, die entweder "Oberkörper" auf Rollen oder als stationäres System haben.
Nur wenige Humanoide in Serieneinsätzen
Die Liste der Hersteller, die öffentlichkeitswirksam echte Humanoide, also solche mit Beinen, in Serieneinsätze oder Test- und Pilotanwendungen gebracht haben oder das angekündigt haben, ist überschaubar (ohne Garantie auf Vollständigkeit): Agility Robotics, Apptronik, Boston Dynamics, Chery, Figure, Sanctuary AI, UBtech, XPeng. Dabei sind es vor allem die Automobilindustrie und Unternehmen mit Logistikanwendungen, welche die Fähigkeiten testen. Mit Chery und XPeng sind sogar zwei Automobilhersteller unter den Roboterbauern.
Je stärker der direkte Umgang mit Menschen gefragt ist, umso sicherer müssen humanoide Robote sein. Daher rechnet der Hersteller Agility Robotics damit, dass etwa Altenpflege eines der letzten Felder sein wird, in denen Humanoide eingesetzt werden.
SpringerProfessional
"Agility Robotics ist Branchenführer mit dem ersten und einzigen humanoiden Roboter, der kommerziell in Lagerhäusern und Produktionsstätten eingesetzt wird", lobt sich das Unternehmen aus dem US-Bundesstaat Oregon selbst. Agility Robotics hat Mitte 2024 mit dem Logistikdienstleister GXO einen mehrjährigen Vertrag unterzeichnet. In diesem Rahmen werden die Roboter vom Typ Digit, die rund 16 kg heben können, im Werk eines Textilunternehmens im Rahmen eines Robots-as-a-Service-Vertrags eingesetzt. Ein Video dieser Anwendung zeigt, wie Digit Kisten aus Transportregalen nimmt und auf Transportbänder stellt. Ende 2024 verkündete Agility auch eine strategische Partnerschaft mit dem Spezialisten für Lagerlogistik Tompkins. Auch mit Amazon testet das Unternehmen seine Roboter. Schaeffler setzt eigenen Angaben zufolge ebenfalls "mehrere Humanoide in Pilotphasen innerhalb des globalen Produktionsnetzwerks ein", darunter auch mindestens einen von Agility Robotics.
Fähigkeiten entscheidend, nicht Form
Bemerkenswert dabei ist vielleicht, dass es mit Digit ausgerechnet jener Humanoide als erster in mehrere Serieneinsätze geschafft hat, dessen Beine am wenigsten menschlich aussehen, sondern eher Vogelfüßen ähneln. Tatsächlich spielt der Name Digit auf "digitigrade" (Zehengänger) an. Das Ziel liege nicht darin, Roboter zu bauen, die aussehen wie Menschen. Es gehe vielmehr darum, Roboter zu konstruieren, die optimal in für Menschen gemachten Umgebungen arbeiten können, so Jonathan Hurst, Chief Robot Officer & Co-Founder, auf der Agility-Robotics-Website.
Mercedes-Benz testet einige Humanoide des texanischen Unternehmens Apptronik in seinem Digital Factory Campus (DFC) in Berlin und in Produktionswerken. Der OEM hat sich im März im Rahmen einer 403 Mio. US-$ schweren Finanzierungsrunde mit einem "niedrigen zweistelligen Mio.-Betrag" an Apptronik beteiligt. Die Roboter vom Typ Apollo haben noch recht einfache Aufgaben: etwa Komponenten oder Module zur Produktionslinie transportieren oder erste Qualitätsprüfungen von Komponenten durchführen. Im DFC sollen die Roboter lernen, autonom zu agieren.
BMW testet in seinem US-Werk Spartanburg seit etwa einem Jahr humanoide Roboter des kalifornischen Unternehmens Figure. Die Maschinen vom Typ Figure 02 nehmen Blechteile aus einem Transportgestell und legen sie in eine Vorrichtung ein. Figure 02 ist etwa 70 kg schwer, circa 170 cm groß und hat eine Tragfähigkeit von 20 kg. Für die Apollo-Roboter bei Mercedes-Benz gelten ähnliche Eckdaten: etwa 1,72 m groß, 72 kg schwer und fähig, rund 25 kg zu tragen.
Automobilzulieferer als Partner
Das kanadische Unternehmen Sanctuary AI will im Rahmen einer Partnerschaft mit Magna humanoide Allzweckroboter für Fabriken des Automobilzulieferers entwickeln. Umgekehrt sollen Bauteile aus dem Magna-Portfolio dazu beitragen, die Roboter billiger und tauglich für die Massenproduktion zu machen. Magna ist seit 2021 an Sanctuary AI beteiligt. Auch der IT-Dienstleister und Berater Accenture hält eine Minderheitsbeteiligung.
Hyundai Motor hat im April bekanntgegeben, künftig auch humanoide Roboter seiner 80-%-Tochter Boston Dynamics in der Produktion einzusetzen. Schon jetzt nutzt Hyundai den vierbeinigen Roboter Spot von Boston Dynamics. In Hyundais "Metaplant America" soll Spot Qualitätskontrollen nach Schweißvorgängen ausführen. Künftig solle dort auch der humanoide Roboter Atlas von Boston Dynamics eingesetzt werden, hieß es.
"Unter 100.000 $ wird es interessant"
Der chinesische Automobilhersteller XPeng, an dem sich die Marke Volkswagen mit 4,99 % beteiligt hat, baut selbst humanoide Roboter. Einen eigenen Humanoiden hat übrigens auch der Autobauer Xiaomi vorgestellt. Der chinesische Roboterhersteller Ubtech Robotics zeigt auf seiner Website Bilder, die seine humanoiden Roboter in mehreren chinesischen Automobilwerken zeigen, wahrscheinlich bei Testeinsätzen. Der chinesische Automobilhersteller Chery setzt nach eigenen Angaben den selbst entwickelten Humanoiden Aimoga bei Chery-Händlern in Malaysia ein.
Neben den Fähigkeiten spielen natürlich auch die Kosten eine Rolle. Reuters zitiert Mercedes-Benz-Produktionsvorstand Jörg Burzer mit der Aussage: "Die Kosten werden entscheidend sein ... wenn sie einen zweistelligen Tausend-$-Betrag erreichen – was absolut möglich ist – wird es sehr interessant." Optimisten gehen von weit niedrigeren Kosten aus. Der deutsche Berater Nexery erwartet im Jahr 2030 einen durchschnittlichen Verkaufspreis von 55.000 US-$.
"Kognitive Robotik nächste Revolution"
Der einzige deutsche Player, der in diesem Feld größere Bekanntheit erlangt hat, ist Neura Robotics. Das 2019 gegründete Unternehmen in Metzingen bei Stuttgart stellt allerdings nicht die dem Menschen nachempfundene Bauform in den Vordergrund. Neura zeigte zwar jüngst bei der Messe Automatica die dritte Generation seines humanoiden Roboters 4NE1 ("For Anyone"). Der Fokus lag aber auf einem anderen Schlagwort: "kognitive Roboter". Von den fünf Robotern, die Neura Robotics im Programm hat, ist denn auch mit 4NE1 nur einer ein humanoider. Das Unternehmen zitiert seinen Gründer und CEO David Reger so: "Kognitive Robotik ist die nächste technologische Revolution." Software und KI sind für ihn zentrale Elemente.
Der 4NE1 könne ohne Schutzkäfig mit Menschen zusammenarbeiten. Technisch wäre er Unternehmensangaben zufolge anderen Modellen voraus: Er soll bei einem Eigengewicht von 80 kg bis zu 100 kg heben und 5 km/h schnell laufen.
Es ruhen also große Hoffnungen auf den Humanoiden. Aber klar ist auch, dass sie nicht für jede Aufgabe die beste Lösung bieten. Was in ihrer Konstruktionsidee begründet liegt. Die IFR konstatiert: "Für bestimmte Aufgaben ist der menschliche Körper nicht optimal. Deshalb werden auch menschenähnliche Roboter hier Schwächen haben. Spezialisierte Roboter, etwa Schweiß- oder Montageroboter, kommen mit viel weniger Gelenken aus, weshalb sie leichter zu steuern, schneller und zuverlässiger als humanoide Roboter arbeiten." Deshalb würden Industrieroboter weiter das Automatisierungs-Rückgrat bei Produktionsaufgaben bleiben, die hohes Tempo und hohe Präzision erfordern, prognostiziert der Verband.
Gelenke und Aktuatoren herausfordernd
Dabei sind Gelenke und Aktuatorik für Humanoide kein triviales Thema. Sieht man sich Videos an, zeigen die Roboter bei BMW oder Mercedes-Benz schon bemerkenswert menschenähnliche Bewegungen. Aber sie agieren noch erkennbar "hüftsteif". Das hat Gründe: Der Mensch hat 140 echte Gelenke. Mit den sogenannten unechten, wie etwa Bandscheiben, sind es 212. Der Roboter dagegen muss mit etwa 48 bis 68 Gelenken auskommen. Die große Spanne wird vor allem durch die Hände verursacht. Je nachdem, welche Fähigkeiten sie haben sollen, kann eine Hand mit etwa zehn Gelenken auskommen – oder auch rund 20 benötigen, wie David Kehr, Leiter des Humanoid-Bereichs bei Schaeffler, erläutert.
Sirko Straube weist auf weitere Herausforderungen hin: "Eine filigrane Motorik kann nicht gleichzeitig schwere Gewichte heben, das heißt, hier muss man sich bereits entscheiden. Höhere Kräfte bedeuten auch größere Baugruppen – eine Herausforderung für die Morphologie – und mehr Energie – eine Herausforderung für den Akku", so der DFKI-Forscher. "Ein ganz banales Problem ist beispielsweise, dass die Batterielaufzeit der Roboter noch nicht für eine ganze Schicht ausreicht", betont VDMA-Experte Patrick Schwarzkopf.
Gang auf zwei Beinen ist Stromfresser
Denn hier wird einer der Vorteile der menschlichen Form zum Nachteil: Stabil aufrecht zu stehen und zu gehen, ist energieaufwändig: Dafür ist enorme Rechenpower nötig, die entsprechend viel Energie verbraucht. Auch das Gehen auf zwei Beinen ist ineffizienter als das Rollen – wie schon der Vergleich zwischen Fußgänger und Radfahrer zeigt.
So betonte auch Etienne Lacroix, Gründer und CEO des Technologieunternehmens Vention in Kanada kürzlich im Interview mit springerprofessional.de: "Die Gestalt der Roboter wird sich jedoch voraussichtlich weiterentwickeln, da das aktuelle Zweibein-Design nicht besonders batterieeffizient ist. Zukünftige Versionen könnten Leistung und Ausdauer gegenüber der strikten Nachahmung menschlicher Bewegungen priorisieren."
Eine Studie des Beraters Nexery beziffert die Akkulaufzeit humanoider Roboter derzeit mit 2 bis 4 h. Die IFR sieht in der "Batterieleistung eine fundamentale Herausforderung für Humanoide". Nötig sei eine Verbesserung auf wenigstens 4 bis 5 h und Schnellladen innerhalb 1 h. Der Apollo von Apptronik liegt mit 4 h hier schon am oberen Ende. Gleichzeitig optimiert der Hersteller die Anwendung noch weiter, indem der leere Akku leicht gegen einen vollen getauscht werden kann.
Kürzlich hat Agility Robotics einen verbesserten Digit-Roboter vorgestellt, der einen auf bis zu 4 h verlängerten Akkubetrieb erlaubt. Danach schließt er sich selbst an die Ladestation an. Der jüngst auf der Messe Automatica vorgestellte Humanoide 4NE1 von Neura Robotics besitzt zwei austauschbare Akkus. Er kann selbst an eine Wechselstation gehen und dort einen fast leeren gegen einen frisch geladenen Akku tauschen. Es könne "im laufenden Betrieb ein Akku entfernt werden und der verbleibende Akku betreibt den Roboter vollumfänglich weiter", erläutert Neura-Gründer und CEO David Reger.
Besser mit vier Beinen?
Für die Entwickler und Anwender stellt sich auch immer wieder die Frage, ob ein Roboter wirklich mit zwei Beinen die beste Lösung ist oder vielleicht eher einer mit vieren. Es dürfte schließlich wenige Punkte geben, die ein Mensch erreichen kann – aber eine Katze oder ein Hund nicht. Tatsächlich sind vierbeinige Roboter bereits im Produktiveinsatz. Schon seit einiger Zeit tappt der Roboterhund "Spot" treppauf, treppab durch Werke von Audi und BMW. Die vom Roboterpionier Boston Dynamics entwickelte Maschine scannt unter anderem die Werke, um so digitale Werkszwillinge zu erstellen.
Vier Beine sind auch eine Alternative: Der deutsche Hersteller Neura Robotics kooperiert mit der koreanischen Schiffswerft HD Hyundai Samho und deren Schwesterunternehmen HD Hyundai Robotics. Sie wollen auf Basis der Neura-Technologie zwei- und vierbeinige Schweißroboter entwickeln und erproben.
Neura Robotics
In die gleiche Richtung geht eine strategische Kooperation von Neura Robotics mit der koreanischen Schiffswerft HD Hyundai Samho und deren Schwesterunternehmen HD Hyundai Robotics. Sie wollen auf Basis der Neura-Technologie zwei- und vierbeinige Schweißroboter entwickeln und erproben.
Auch Apptronik will seine Apollo-Roboter nicht nur in komplett humanoider Form anbieten. Schon mit Blick darauf, dass viele Anwendungen gar keinen Roboter mit zwei Beinen erfordern, hat das Unternehmen den Apollo modular konstruiert. Je nach Anwendungsfall kann der Kunde auch den Torso auf einem fahrbaren Untersatz mit Rädern bekommen oder montiert auf einer festen Basis.
Sicherheit als größte Hürde
Patrick Schwarzkopf erläutert eine weitere Herausforderung: "Es gibt auch noch ungelöste Fragen bei der Sicherheit von humanoiden Robotern. Wenn ein Roboter auf zwei Beinen unterwegs ist, muss eine verlässliche Steuerung die Balance sicherstellen. Fällt die Steuerung aus, ist dies nicht mehr gewährleistet und der Roboter kann umstürzen und dabei Menschen in seiner Nähe verletzen", so der VDMA-Experte.
"Sicherheit hat überragende Bedeutung und stellt die größte Hürde für den Masseneinsatz dar", schreibt auch Jonathan Hurst von Agility Robotics. Sicherheitserwägungen sieht er auch als Grund dafür, dass humanoide Roboter erst im letzten Entwicklungsschritt in Privathaushalte und die Pflege alter Menschen Einzug halten dürften. Hurst zitiert in einem Blog einen Experten so: "So lange sie nicht beweisen können, dass ein humanoider Roboter niemals auf ein Baby fallen wird, wird er auch nicht im Haushalt arbeiten." Ein Roboter dürfe auch niemals heißen Tee auf einen Menschen gießen und auch nicht die Katze übersehen, die es sich vielleicht im Wäschetrockner bequem gemacht hat."
Bei Agility Robotics betont man auch: Sicherheitsstandards "für dynamisch stabile industrielle mobile Roboter wie Digit, die Stabilität und Gleichgewicht erfordern, befinden sich noch in der Entwicklungsphase". Dem Roboterverband IFR zufolge hat die Internationale Normungsorganisation ISO ein Komitee eingesetzt, das Regeln für die Sicherheit entwickeln soll.
Peggy Johnson, Agility-Robotics-CEO, sagte aber im Frühjahr: "Ich bin zuversichtlich, dass Agility in den nächsten 24 Monaten als erstes Unternehmen einen sicheren humanoiden Roboter auf den Markt bringen wird, der in der Lage ist, mit Menschen zusammenzuarbeiten."
China und die USA klar in Führung
Klar in Führung sehen Marktbeobachter die USA und China. "Dass die großen Fortschritte bei humanoiden Robotern vor allem aus China und den USA gemeldet werden, ist auch den speziellen Rahmenbedingungen dort geschuldet", erklärt Patrick Schwarzkopf. "In China hat die Regierung schon vor Jahren klare Ziele für die Entwicklung in diesem Bereich vorgegeben und unterstützt die Industrie. In den USA sind es riesige Summen an Wagniskapital, die in entsprechende Robotik-Startups fließen", so der Geschäftsführer des VDMA-Fachverbands Robotik. In den USA bestehe "darüber hinaus großes Interesse an ihrem Einsatz für militärische und Sicherheitszwecke, was zu erheblichen Finanzmitteln seitens der DARPA und des US-Verteidigungsministeriums führt", erläutert die IFR. Die DARPA ist eine Behörde des Verteidigungsministeriums, die für Forschungsprojekte zuständig ist.
Dabei schreibt der VDMA die heimischen Unternehmen noch nicht ab. "Ich glaube, wir werden auf diesem Feld noch einiges von deutschen Herstellern sehen, zumal wir hervorragende Forschungsinstitute haben, die sich mit humanoider Robotik und Künstlicher Intelligenz beschäftigen. Aber es ist an der Zeit, dass Deutschland hier Fahrt aufnimmt und die Aktivitäten verstärkt", so Patrick Schwarzkopf.
Mehr humanoide Roboter als Menschen?
Über das Marktpotenzial humanoider Roboter gehen die Einschätzungen weit auseinander. Die ambitionierteste Prognose kommt vom vermutlich reichsten Menschen der Welt: Die New York Post zitiert Tesla-Chef Elon Musk mit der Aussage, 2040 werde es 10 Mrd. humanoide Roboter auf der Welt geben, also mehr als jene 9,2 Mrd. Menschen, die UN-Prognosen zufolge 2040 auf der Erde leben werden. Tesla arbeitet selbst an humanoiden Robotern.
Der deutsche Berater Nexery geht davon aus, dass bis 2030 rund 20 Mio. humanoide Industrie- und Serviceroboter im Wert von 1 Bio. US-$ verkauft werden. Dabei wird aber gleichzeitig betont: Komplett autonome humanoide Roboter seien nicht vor 2030 zu erwarten. Mittelfristig könnten mehr als 40 % der manuellen Tätigkeiten in produzierenden Unternehmen von humanoiden Robotern übernommen werden. Man erwarte anfangs Amortisationszeiten von 1,4 Jahren, die auf unter 0,56 Jahre sinken sollen. Zudem ergäben sich signifikante Qualitäts- und Effizienzverbesserungen.
Zum Vergleich: 2023 wurden der IFR zufolge weltweit 541.000 Industrieroboter neu installiert. Damit wuchs der Gesamtbestand auf 4,3 Mio.
Markt doppelt so groß wie Autoindustrie?
Morgan Stanley Research meint, dass der Markt für humanoide Roboter "in den nächsten Dekaden" doppelt so groß wie die Automobilindustrie werden könnte. Bis 2050 werde der Markt voraussichtlich "ein Volumen von 5 Bio. US-$ erreichen, zuzüglich der damit verbundenen Lieferketten sowie Reparatur-, Wartungs- und Supportleistungen".
Bis 2050 könnten mehr als 1 Mrd. Humanoide im Einsatz sein, über 90 % davon für repetitive, einfache und strukturierte Arbeiten, vor allem für industrielle und gewerbliche Zwecke, weniger als 10 % in Haushalten, schreiben die Investmentbanker. Die Einführung humanoider Roboter dürfte nach ihrer Einschätzung bis Mitte der 2030er-Jahre relativ langsam verlaufen und sich Ende der 2030er und in den 2040er-Jahren beschleunigen.
Große Spreizung: Je nach Entwicklung der Rahmenbedingungen prognostiziert Goldman Sachs Research sehr unterschiedliche Absatzzahlen für humanoide Roboter. Bei der Verteilung zwischen Industrierobotern und Haushaltsrobotern widersprechen diese Prognosen stark jenen von Morgan Stanley und Agility Robotics. Morgan Stanley geht selbst für 2050 noch von mehr als 90 Prozent Industrierobotern aus.
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Goldman Sachs prognostizierte Anfang 2024 für das Jahr 2035 ein Marktvolumen von 28 Mrd. US-$ – sechsmal so viel wie einer vorherigen Schätzung. Vor allem überraschend schnelle Fortschritte in der KI wurden als Grund für die Anhebung genannt. Dabei schätzt Goldman Sachs die Bedeutung privat genutzter humanoider Roboter aber völlig anders als Morgan Stanley und andere Roboterexperten ein. Je nach Szenario soll deren Anteil an den Verkäufen schon bis 2035 auf 44 bis 84 % steigen (siehe Grafik).
Deutlich zurückhaltender sind die Marktbeobachter von Research Insights. Sie gehen davon aus, dass 2025 rund 1,8 Mrd. US-$ mit humanoiden Robotern umgesetzt werden und 2030 rund 4 Mrd. US-$.
Breite Anwendung in fünf bis zehn Jahren
Einen kurzfristigen Durchbruch hält die International Federation of Robotics aus wirtschaftlichen Gründen für unwahrscheinlich. In ihrem aktuellen Positionspapier schreibt sie, teure Materialien und Bauteile sowie die Komplexität des Designs und der Programmierung seien Hürden für einen großflächigen Einsatz. Aktuell wäre ihr Einsatz nicht rentabel. Eine breitere Anwendung in der Industrie sei in fünf bis zehn Jahren zu erwarten. Um die Kosten zu senken, müssten höhere Stückzahlen produziert werden.
Nur einer unter anderen: Der humanoide Roboter 4NE1 ist zwar das spektakulärste Produkt von Neura Robotics. Aber das Unternehmen sieht nicht die Bauform, sondern die auch in den anderen Robotern eingesetzte "kognitive Robotik" als entscheidendes Element an.
Neura Robotics
Einige Fragezeichen sieht Dr. Sirko Straube vom Robotics Innovation Center des DFKI hinter den Prognosen: Sollte es gelingen, alltagstaugliche und -fähige humanoide Roboter in Serie zu fertigen, dann würden diese Systeme nach und nach in allen möglichen Lebensbereichen eingesetzt werden. "Dann würde ich auch zustimmen, dass diese Entwicklung das Potenzial hat, die Bedeutung des Automobils zu übertreffen", so Straube. "Was dabei aber heruntergespielt wird, sind die technischen Herausforderungen, die abseits von Tech-Demos auf Konferenzen immer noch bestehen und viele Bereiche der Robotik durchdringen – dabei geht es um Robustheit, Resilienz, Energieversorgung, Motorik, Künstliche Intelligenz und vieles andere." Eine weitere Unsicherheit liege in der Frage, was die Gesellschaften letztlich der Technologie "erlauben" wollen und was nicht und welchen Rahmen sie ihr setzen.
Mit einer Prognose tut Straube sich schwer. "Das Problem ist, dass ein Großteil dieser Entwicklungen innerhalb von Tech-Firmen unter unglaublichen Investitionen stattfindet, die öffentliche Investitionen bei Weitem in den Schatten stellen." Damit gebe es keine Transparenz mehr – "und man kann sich jetzt auf die Seite der Marketing-Ankündigungen stellen oder eben skeptisch sein".
Erste Serienfertigungen
Derweil konkretisieren erste Hersteller Pläne zur Serienfertigung ihrer Humanoiden. Figure hat vor einigen Monaten angekündigt, eine Roboterfertigung aufzubauen, in der humanoide Roboter humanoide Roboter produzieren. Noch in diesem Jahr werde es soweit sein. Zum SOP werde die Kapazität bei 12.000 Robotern pro Jahr liegen.
Apptronik ist eine Partnerschaft mit dem Auftragsfertiger Jabil aus Florida eingegangen, der auch Apple zu seinen Kunden zählt und nun auch weltweit die Roboter fertigen soll. Die Roboter selbst habe Apptronik im Lauf der Entwicklung immer stärker auf Massenproduktionstauglichkeit getrimmt. Die Kooperation soll letztlich auch hier den Weg dafür ebnen, dass Roboter neue Roboter bauen.