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2018 | Book

Illusio Fachkräftemangel

Der Zwischenraum von Bildung und Wirtschaft in Deutschland und Nordkalifornien

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About this book

Jeremias Herberg problematisiert die Fachkräftemangeldebatte neu. Drei

Fallstudien über pädagogisch-ökonomische Kooperationsbemühungen entlarven

die steuerungsoptimistische Vorstellung von Zufluss und Abfluss

als wirkmächtigen Trugschluss: In der Wirtschaftsregion San Francisco, in

deutschen MINT-Regionen und in der ‚Zukunftswerkstatt Buchholz‘ wird

das vermeintliche Angebot-Nachfrage-Defizit aktuell zum Handlungsmotiv

für intermediäre Organisationen. Diese stellen Querverbindungen zwischen

Wirtschaftsregion und Bildungsarbeit her und bewirken so ‚transversale

Felder‘, welche hier feldtheoretisch konzipiert werden. Sie befördern aber

auch einen sozialräumlichen Ökonomisierungsprozess, der die Lösungsverantwortung

für Wirtschaftsprobleme auf regionale Bildungsarbeit abwälzt.

Nachfrageorientierte und mit Machtasymmetrien belastete Koordinationsversuche

sind folglich Ausdruck und Fortsetzung einer langfristigen Desintegration

von Wohlfahrt und Wirtschaftswachstum – die Fachkräftemangeldebatte ein

Nachhaltigkeitsproblem.

Table of Contents

Frontmatter
Kapitel 1. Einleitung
Zusammenfassung
Das Dazwischen von Bildung und Wirtschaft ist ein Politikum, das die meisten Leserinnen kennen werden. Immer wieder, wenn der eigene Werdegang Bildungs- und Wirtschaftssysteme durchquert, fragt man sich, wie sich diese Systeme zueinander verhalten. Beeinflussen Schulen die Integration am Arbeitsmarkt? Sind Universitäten Innovationstreiber? Lassen sich Curricula an eine digitalisierte Arbeitswelt anpassen? Diese Fragen schlagen sich in pädagogischen und ökonomischen Entscheidungen nieder und bestimmen Gespräche zwischen Kindern und Eltern, Arbeitgeberinnen und Lehrern, Wirtschaftsförderern und Bildungspolitikerinnen, Wirtschaftssoziologinnen und Bildungssoziologen. Wenn auch implizit, wird in diesen Gesprächen oft das Politische hinterfragt, das die pädagogisch-ökonomischen Verhältnisse bestimmt: Wer oder was nimmt Einfluss auf die Lebenswege zwischen Bildungs- und Wirtschaftssystemen, auf die Begegnung zwischen pädagogischen und ökonomischen Akteuren und auf die Abwägung zwischen Bildungs- und Wirtschaftszielen?
Jeremias Herberg
Kapitel 2. Fachkräftemangel – eine dreifache Illusio(n). Prämissen und Folgen einer regionalökonomischen Bildungslandschaft
Zusammenfassung
In der Diagnose eines Fachkräftemangels, dem vermeintlichen „Kernproblem der deutschen Unternehmen“ (siehe oben), verbinden sich bildungsökonomische, räumliche und die institutionelle Grundannahmen über das Verhältnis von Bildungsorganisation und Wirtschaftsregion: Eine Schieflage zwischen Bildungsangeboten und der regionalen Nachfrage nach qualifizierten Arbeitnehmern, die territoriale Eingrenzung von Wirtschaftsräumen und der abgeleitete Koordinationsbedarf führen derzeit sowohl in den USA als auch in Deutschland dazu, dass sich sektorübergreifende Initiativen um den Aufbau von regionalen Bildungsräumen bemühen. Es handelt sich im Fachkräftemangel, so ein Hauptargument dieser Arbeit, um eine politische Kopplungsästhetik, deren Prämissen in der Begründung von regionalökonomischen Bildungslandschaften wirksam werden.
Jeremias Herberg
Kapitel 3. Heterogene Landnahmen - Feldsoziologische Ansätze zur sozialräumlichen Ökonomisierung
Zusammenfassung
Erst wenn man sowohl die institutionelle als auch die räumliche Dimension des Fachkräftemangels erfasst, lassen sich die Prämissen und Folgen von regionalökonomischen Bildungsdebatten adäquat kritisieren. In Bezug auf die räumliche Dimension kann man Rosa Luxemburgs Landnahmebegriff heranziehen, der zunächst Ökonomisierungsprozesse bezeichnet (Dörre u.a. 2012), der wortwörtlich aber auch die sozialräumliche Entstehung von regionalökonomischen Landschaften beschreiben kann. In Bezug auf die institutionelle Dimension wiederum erarbeitet dieses Kapitel die im Angebot-Nachfrage-Schema angelegte Multikontextualität, also das in transaktionalen Ökonomisierungsprozessen angelegte Dazwischen.
Jeremias Herberg
Kapitel 4. Transversale Felder - Assemblagetheorie als Feldsoziologie
Zusammenfassung
In welche sozialräumliche Konstellationen münden Landnahmeprozesse? Das vorige Kapitel, in dem der Idee eines linearen Autonomieverlusts der Prozess der heterogenen Landnahme entgegengestellt wurde, lässt diese noch Frage offen. Im folgenden Kapitel lege ich eine mögliche Antwort vor und reagiere damit auch auf die zweite, in der Einleitung skizzierte Annahme: In der Fachkräftemangeldebatte kursiert die Vorstellung, dass ein ganzes Bündel an Städten, Gemeinden und Bildungsstätten als sozialräumlicher Mikrokosmos greifbar wird; dass sie sich zu Bildungslandschaften zusammenfügen.
Jeremias Herberg

FALLSTUDIE I: Region San Francisco

Frontmatter
Kapitel 5. Heterotopie des Humankapitals - Die Kopplung von Bildung und Technologiewirtschaft in der Region San Francisco
Zusammenfassung
Wenn die Vorstellung von regionalökonomischen Bildungslandschaften ein soziales Produkt ist, wie bereits herausgearbeitet wurde, dann aufgrund einer „doppelten Illusion“ (Lefebvre 1991, S. 27): abstrakte Bildungs- und Raumvorstellungen prägen die Raumerfahrung vor Ort, tun dies aber erst gemeinsam mit materiellen, oft von sozioökonomischen Krisenverhältnissen geprägten Bedingungen. So ließe sich eine Region auch in einer Untersuchung von Bildungslandschaften entweder als physischer Ort oder als Denkbild studieren. Entscheidend ist mit Lefebvre jedoch die Dopplung – „each side of which refers back to the other, reinforces the other, and hides behind the other“ (ebd.).
Jeremias Herberg
Kapitel 6. Zur Feldanalyse eines „Perfect Storm“ – Fragestellung und Vorgehen
Zusammenfassung
Die heterotopische Bildungslandschaft SF ist sowohl in ihrer politischen Imagination als auch in ihrer sozioökonomischen Komplexität von der ansässigen Technologiewirtschaft geprägt. Dabei handelt es sich um einen komplexen Problemkreis, ein Interviewpartner spricht sogar von einem „Perfect Storm“ (Interview-Zitat, C). Wie dieser „Perfect Storm“ steuerungspraktisch ausgelegt wird und den Zwischenraum von Bildung und Wirtschaft prägt, wird im Folgenden diskutiert.
Jeremias Herberg
Kapitel 7. Fruchtfeld und Kampffeld der Bildungsbroker - Das Angebot-Nachfrage-Schema als Illusio(n) und Steuerungspraxis
Zusammenfassung
Dieses Kapitel widmet sich der Fachkräftemangeldebatte als Fruchtfeld und Kampffeld. Ich bearbeite dementsprechend die Frage, welche Annahmen über das Verhältnis von Regionalwirtschaft und Bildung der Angebot-Nachfrage-Diagnostik unterliegen und wie diese Annahmen zur Grundlage für steuerungspraktische Auseinandersetzungen wird. Es geht in der Reihenfolge um die Kritik, die feldsoziologische Optik und die Steuerungspraktiken, die sich der Behauptung eines Fachkräftemangels anschließen.
Jeremias Herberg
Kapitel 8. Kraftfeld zwischen Bildung und Wirtschaft - Bildungsbrokering als reproduktive Kopplung
Zusammenfassung
In der Diskussion um den Fachkräftemangel zeigen sich vielfache Bezüge zu dem illustrierten, sozioökonomischen „Perfect Storm“ (Kap. 5). In dessen Zentrum, nämlich zwischen Bildungs- und Wirtschaftsfeldern, bemühen sich die Bildungsbroker um eine sektorübergreifende „Cross-Fertilization“ (A). Setzen sie sich selbst den Problemdynamiken aus?
Jeremias Herberg
Kapitel 9. Heterogene Landnahmen durch die Bildungsbroker
Zusammenfassung
Insgesamt hat Fallstudie I Folgendes gezeigt: Wie in Deutschland so problematisiert auch die amerikanische Fachkräftemangeldebatte das Verhältnisses von Angebot und Nachfrage zwischen Bildung und Beschäftigung. In Nordkalifornien lässt sich sogar eine wortgetreue Umgestaltung der Angebot-Nachfrage-Verhältnisse beobachten. So kämpfen unternehmerisch handelnde Akteure darum, den Zugang zu einer Vielzahl von Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten nach Maßgabe von Arbeitgeberanliegen neu zu gestalten.
Jeremias Herberg

FALLSTUDIE II: Bildungslandschaften in Deutschland

Frontmatter
Kapitel 10. Die Assemblage der Bildungslandschaften - Eine überregionale Genealogie von Bildungskatastrophen und Balancierungsversuchen
Zusammenfassung
In Deutschland ist die Idee von regionalökonomisch orientierten Bildungsorganisationen im naturwissenschaftlich-technischen Bereich zu einer veritablen „Gründungswelle“ herangewachsen, so eine Studie der KörberStiftung (Dittmer 2015, S. 6). So hat die Stiftung landesweit 79 Initiativen erfasst, von denen 85 % in den Jahren nach 2008 und 42 % in den Jahren 2009 und 2010 begründet worden sind. Dieses Kapitel zeigt, dass diese Idee auf eine überregionale, sehr lose Zusammensetzung mehrerer föderalistisch verfasster Bildungsdebatten zurückgeht.
Jeremias Herberg
Kapitel 11. „Strukturitis“ oder „Projektitis“? Die Internal Governance Units der Bildungslandschaften im Vergleich
Zusammenfassung
Die grundlegenden Motive der Debatte um Bildungslandschaften konnten sich in der frühen Bundesrepublik nicht vollends entfalten. Der Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen widmen sich aktuell bildungs- und regionalpolitischen Allianzen, von denen einige bereits zur Sprache kamen; sei es das zdi in NRW, die Körber-Stiftung in Hamburg oder die Kinder- und Jugendstiftung. In ihrer Position zwischen Bildungsorganisationen und Wirtschaftsregionen versuchen diese und andere Akteure, Bildungslandschaften gemäß ihrer jeweiligen Strukturvorstellungen hervorzubringen und sich selbst als koordinierende Schnittstellen zu positionieren.
Jeremias Herberg

FALLSTUDIE III: Zukunftswerkstatt Buchholz

Frontmatter
Kapitel 12. Lernende oder Politische Organisation? Sektorübergreifende Bildungsarbeit durch und trotz institutionelle(r) Komplexität
Zusammenfassung
Eine regionale Bildungsarbeit ist, gerade wenn sie aus ihren üblichen Institutionen und Professionen entlassen wird, eingebettet in die Reproduktionsprozesse regionaler politischer Ökonomien. Diese Einsicht aus den vorigen Fallstudien wirft ein Emanzipationsproblem auf: Nur schwerlich können Bildungsorganisationen die Gemengelage von gesellschaftspolitischen Umständen und (teils) inkompatiblen Interessen verändern, aus der sie selbst entstanden ist. Genau das wäre aber, der Idealvorstellung von regionalökonomischen Bildungslandschaften folgend, der Auftrag einer sektorübergreifenden Bildungsorganisation.
Jeremias Herberg
Kapitel 13. Vom Schulförderprojekt zum MINT-Standort - Ein transversales Fruchtfeld zwischen Fördersprachen und Förderkreisen
Zusammenfassung
Dieses Kapitel schildert das Entstehen der Idee der Zukunftswerkstatt in ihren Bedingungen und Folgen. Im Mittelpunkt steht dabei die sukzessive Formierung einer Organisation aus divergenten Umweltbeziehungen heraus. Es wird erläutert, welche Akteure, Strategien und Ressourcen bei der Aufbauarbeit zum Tragen kommen, in welcher Verbindung diese zur institutionellen Umwelt stehen und wie hier Stück für Stück die konstitutive Verbindung zwischen Bildungsorganisation und Regionalwirtschaft hergestellt wird. Wie und zu welchen Anlässen wird die Idee begründet, werden Legitimationsweisen gefunden, Finanzquellen aufgetan und eine formale Struktur beschlossen?
Jeremias Herberg
Kapitel 14. Von Regionalförderung zur Organisationswerdung - Ein transversales Kraftfeld zwischen divergenten Förderquellen
Zusammenfassung
In der bisherigen Entstehung der Zukunftswerkstatt spielte das Wechselspiel von lokalen Wirtschaftskreisen und landespolitischer Bildungspolitik eine wesentliche Rolle. Diese Verbindung läuft sowohl quer zu raumpolitischen Skalenniveaus als auch zu institutionellen Betätigungsfeldern. Sie lässt sich insofern, in der nun rekonstruierten diskursiven Verortung der Organisation, als transversale Wissenspolitik bezeichnet. Das folgende Kapitel folgt derselben querlaufenden Bewegung, diesmal mit Schwerpunkt auf die Konsolidierung der lancierten Fördermöglichkeiten.
Jeremias Herberg
Kapitel 15. Von Außendarstellung zum Organisationslernen - Ein transversales Kampffeld zwischen Ehrenamt, Festangestellten und Leitung
Zusammenfassung
Wie prägt die regionalökonomische Außenwelt das Innenleben der Organisation? Dass die Zukunftswerkstatt in der Position zwischen Regionalwirtschaft und Bildungspolitik auf fruchtbaren Boden fällt, birgt auch Herausforderungen für die Organisationspraxis und Bildungsarbeit. Die Organisation fungiert wissens- und ressourcenpolitisch als „Trading Zone“ (Galison 1997) – also durch die Verquickung von bildungs- und wirtschaftspolitischen Interessen, Kräfteverhältnissen und Logiken. Und in den beschriebenen Anpassungsbewegungen entsteht eine vielbezügliche Kontaktsprache (ebd.).
Jeremias Herberg
Kapitel 16. Zusammenfassung der Arbeit
Zusammenfassung
Abschließend will ich die Argumentationslinie über die Kapitel hinweg zusammenführen und mit den wesentlichen Konzepten auf die eingangs aufgeworfenen Fragen ausrichten. Die zentralen Erkenntnisse lassen sich in drei Begriffen fassen: Entkopplung, Landnahme und transversale Bildungsfelder. Und in Vorbereitung einer gesellschaftspolitischen Diskussion lässt sich weiterhin eine Unterscheidung treffen, die zwischen Prämissen, Praxisrealitäten und Folgen von regionalökonomischen Bildungslandschaften differenziert.
Jeremias Herberg
Kapitel 17. Die Fachkräftemangeldebatte als Nachhaltigkeitsproblem
Zusammenfassung
Was ist das zentrale politische Problem, das die Arbeit anspricht? Von Beginn an bestand das Ziel darin, den Zwischenraum von Bildung und Wirtschaft im Sinne einer politischen Soziologie zu politisieren. Sukzessive wurde in den Fallstudien deutlich, dass die Problemdefinition ‚Fachkräftemangel‘ fragwürdige Prämissen birgt; dass sie sogar die pädagogische Praxis überfordert und Ökonomisierungsprozesse nach sich zieht.
Jeremias Herberg
Backmatter
Metadata
Title
Illusio Fachkräftemangel
Author
Jeremias Herberg
Copyright Year
2018
Electronic ISBN
978-3-658-21423-4
Print ISBN
978-3-658-21422-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-21423-4