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2019 | Book

Illusio Fachkräftemangel

Der Zwischenraum von Bildung und Wirtschaft in Deutschland und Nordkalifornien

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About this book

Jeremias Herberg problematisiert die Fachkräftemangeldebatte in einer 2. korrigierten Auflage neu. Drei Fallstudien über pädagogisch-ökonomische Kooperationsbemühungen entlarven die steuerungsoptimistische Vorstellung von Zufluss und Abfluss als wirkmächtigen Trugschluss: In der Wirtschaftsregion San Francisco, in deutschen MINT-Regionen und in der ‚Zukunftswerkstatt Buchholz’ wird das vermeintliche Angebot-Nachfrage-Defizit aktuell zum Handlungsmotiv für intermediäre Organisationen. Diese stellen Querverbindungen zwischen Wirtschaftsregion und Bildungsarbeit her und bewirken so ‚transversale Felder‘, welche hier feldtheoretisch konzipiert werden. Sie befördern aber auch einen sozialräumlichen Ökonomisierungsprozess, der die Lösungsverantwortung für Wirtschaftsprobleme auf regionale Bildungsarbeit abwälzt. Kurzfristige und mit Machtasymmetrien belastete Koordinationsversuche sind folglich Ausdruck und Fortsetzung einer langfristigen Desintegration von Wohlfahrt und Wirtschaftswachstum – die Fachkräftemangeldebatte ein Nachhaltigkeitsproblem.

Table of Contents

Frontmatter
Kapitel 1. Einleitung
Zusammenfassung
Dieses Kapitel führt in die Zielstellung der vorliegenden Arbeit ein. Der empirische Gegenstand, die Fachkräftemangeldebatte, sowie die transdisziplinäre Position des Autors werden von einer gängigen Ökonomisierungskritik abgegrenzt. Im Zentrum der Untersuchungen steht, jenseits von einem linearen Fokus auf Wirtschaft und/oder Bildung, der Prozess der politischen Ordnungsbildung, der ihr Verhältnis bestimmt. Vorgelegt wird demgemäß eine politische Soziologie des Zwischenraums von Bildung und Wirtschaft.
Jeremias Herberg

Eine Politische Soziologie Des Zwischenraums

Frontmatter
Kapitel 2. Illusio(n) Fachkräftemangel? Prämissen und Folgen des regionalökonomischen Angebot-Nachfrage-Schemas
Zusammenfassung
Das vorliegende Buch trägt dazu bei, fragmentarische Ökonomisierungsprozesse im Bildungsbereich kritisieren zu können. Ein entsprechender Forschungszugang wird in diesem Kapitel angestoßen und die Fachkräftemangeldebatte wird als Forschungsanlass präsentiert. Charakteristisch für diese ist die Behauptung eines Koordinationsdefizits: Bildungsangebote seien stärker auf die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitnehmern auszurichten. In der institutionellen Umsetzung dieser Agenda, die bei näherer Betrachtung heterogen und illusorisch ist, entsteht ein Handlungsfeld zwischen Bildung und Wirtschaft; die Illusion von Angebot und Nachfrage wird, im Sinne von Pierre Bourdieus ‚Illusio‘-Konzept, zur sozialen Wirklichkeit.
Jeremias Herberg
Kapitel 3. Kybernetische Landnahmen? Zur Feldtheorie von sozialräumlichen Ökonomisierungsprozessen
Zusammenfassung
Dieses Kapitel verfolgt das Ziel, den pädagogisch-ökonomischen Zwischenraum als Arena von Ökonomisierungsprozessen zu erfassen. In drei Schritten wird der Perspektivwechsel von einer linearen Ökonomisierungskritik hin zu einem feldsoziologischen Ansatz vollzogen: (1) Gerade in Bezug auf die sozialräumliche Dimension kann man Rosa Luxemburgs Landnahmebegriff heranziehen. (2) Wie in der Fachkräftemangeldebatte kommt in Ökonomisierungsprozessen jedoch häufig eine kybernetische Motivik zum Tragen. Das Verhältnis von Bildungsorganisation und Wirtschaftsregion wird dabei als zyklischer Integrations-, Lern- und Steuerungsprozess stilisiert. (3) Um kybernetisch konfigurierte Landnahmen erfassen zu können, wird der pädagogisch-ökonomische Zwischenraum feldtheoretisch konzipiert.
Jeremias Herberg
Kapitel 4. Transversale Felder – Grundlagen einer assemblagetheoretischen Feldanalyse
Zusammenfassung
Dieses Kapitel wirft ein kritisches Licht auf die Vorstellung, dass Städte, Gemeinde und Bildungsstätten sich im Rahmen von Ökonomisierungsprozessen als sozialräumlicher Mikrokosmos zusammenfügen.
Ökonomisierungsprozesse können vielmehr auch auf Basis einer mehr oder weniger locker strukturierten Konstellation zwischen Bildung und Wirtschaft stattfinden. Als zentraler Theorievorschlag wird, auf Basis von assemblagetheoretischen Überlegungen, das Konzept der transversalen Felder vorgestellt.
Jeremias Herberg

Fallstudie I: Bildungslandschaft San Francisco

Frontmatter
Kapitel 5. Heterotopie des Humankapitals – Die Bucht von San Francisco als regionalökonomische Bildungslandschaft
Zusammenfassung
Dieses Kapitel macht den Auftakt zu einer Fallstudie über die Bildungslandschaft San Francisco. Charakteristisch für die Region sind nicht allein Wirtschaftsutopien, sondern ihre Verquickung mit Bildungskrisen. Diese können zwar auf die Umsetzung von technikoptimistischen Ökonomien zurückgeführt werden, in demselben Diskurszusammenhang werden Bildungskrisen aber ausgeblendet. Bildungspraktiker leiten ihre prekäre Verortung spiegelbildlich vom Humankapital ab – die Bildungslandschaft, eine Heterotopie des Humankapitals.
Jeremias Herberg
Kapitel 6. Im „perfekten Sturm“ – Zur Feldanalyse konvergenter Krisen
Zusammenfassung
Dieses Kapitel diskutiert, wie der technoökonomische Diskurs in San Francisco den institutionellen Zwischenraum von Bildung und Wirtschaft prägt. Regionalpolitische Initiativen, die als ‚Bildungsbroker‘ eingeführt werden, orientieren sich aktuell an der Fachkräftemangeldebatte. Sie bemühen sich, der Angebot-Nachfrage-Diagnostik folgend, um rationalisierte Transaktionsverhältnisse zwischen Bildung und Beschäftigung. Eine hier diskutierte Folge ist, dass technikoptimistische Wirtschaftsutopien noch direkter auf krisenbehaftete Bildungsverläufe einwirken. Im Ausblick werden zwei Entwicklungsszenarien entworfen.
Jeremias Herberg
Kapitel 7. Ein Trugbild als Spielregel – Das Angebot-Nachfrage-Schema in der Steuerungspraxis von Bildungsbrokern
Zusammenfassung
Dieses Kapitel zeigt, wie die Fachkräftemangeldebatte in Nordkalifornien handlungsorientierend auf die Vermittlung von Wirtschafts- und Bildungsanliegen einwirkt: Sozialunternehmer, Bildungsplattformen und Wirtschaftsförderer fassen die Fachkräftemangeldebatte als politische Gelegenheit auf. In ihrer Auseinandersetzung konkurrieren sie um ein Vermittlungsmonopol und manifestieren die Machasymmetrie zwischen Arbeitgebernachfragen und Bildungsangeboten. Der pädagogisch-ökonomische Zwischenraum wird, im Anschluss an die vorgeschlagenen Feldbegriffe, als Ackerfeld und Kampffeld nachgezeichnet.
Jeremias Herberg
Kapitel 8. In stiller Solidarität mit ‚Job Creators‘? Homologien in der Vermittlung von Bildungsangebot und -nachfrage
Zusammenfassung
Dieses Kapitel entschlüsselt den pädagogisch-ökonomischen Zwischenraum als Kräftespiel. Untersucht wird, wie sich die Bildungsbroker in Nordkalifornien den Zugang zu Bildungs- und Wirtschaftswelten verschaffen. Konzeptuell folgt das Kapitel der Arbeitshypothese einer Homologie und beschreibt die Akteure als ‚Internal Governance Units‘ (IGU) des Zwischenraums (Fligstein und McAdam 2012). Gezeigt wird folglich, dass es eine Übereinstimmung gibt zwischen den Machtverhältnisse im Zwischenraum und den Machtverhältnissen zwischen Wirtschafts- und Bildungsakteuren. In der wechselseitigen Konkurrenz können sich jene IGUs durchsetzen, die in größerer Nähe zu Wirtschaftspartnern operieren. Überraschenderweise setzen sich Wirtschaftsinteressen auch durch, indem eine fragmentarische Struktur des Zwischenraums verstetigt wird.
Jeremias Herberg
Kapitel 9. Kybernetische Landnahmen durch Bildungsbroker
Zusammenfassung
Dieses Kapitel fasst die Fallstudie über die nordkalifornische Fachkräftemangeldebatte zusammen. Gezeigt wurde, dass Vermittlungsallianzen, die sich zwischen Bildungsträgern und Unternehmen verorten, an einer wortgetreuen Umgestaltung dieses Angebot-Nachfrage-Verhältnisses arbeiten. In ihren Praktiken institutionalisiert sich ein regionalökonomischer Bildungsdiskurs: Die Region wird als Bildungscontainer gehandelt, Bildung als Entwicklungsdefizit, der Zwischenraum als Transaktionsraum und Wirtschaftskosten werden auf Bildungsträger abgewälzt.
Jeremias Herberg

Fallstudie II: Bildungslandschaften in Deutschland

Frontmatter
Kapitel 10. Von Balancierung zu Bilanzierung – Eine Geschichte der Bildungslandschaften zwischen Bildungsföderalismus und Wirtschaftsregionalismus
Zusammenfassung
Die Idee von regionalökonomisch orientierten Bildungsorganisationen im sogenannten MINT-Bereich ist zu einer veritablen „Gründungswelle“ herangewachsen (Dittmer 2015). Dieses Kapitel zeigt historisch, dass diese Idee auf föderalistisch verfasste Bildungsdebatten zurückgeht. Bildungsökonomische Zustände wurden dabei stets skandalisiert und die Fachkräftemangeldebatte reicht bis in kybernetische Steuerungsdiskurse der 1960er Jahre zurück. Zunehmend wurde aber von den Problemen eines föderalen Ausgleichs zwischen Wirtschaft und Bildung auf die Lösung durch ein regionales Bildungsmanagement geschlossen – aus Balancierung wurde Bilanzierung. Die pädagogisch-ökonomischen Spannungsverhältnisse kulminieren in einem intermediären Handlungsfeld.
Jeremias Herberg
Kapitel 11. „Strukturitis“ oder „Projektitis“? Internal Governance Units in deutschen Bildungslandschaften
Zusammenfassung
Dieses Kapitel zeigt, mit welchen Strukturvorstellungen sich bildungs- und regionalpolitische Allianzen darum bemühen, regionalökonomische Bildungslandschaften hervorzubringen. Sei es die Initiative „Zukunft durch Innovation“, die Körber-Stiftung oder die Kinder- und Jugendstiftung – in ihrer Position zwischen Bildungsorganisationen und Wirtschaftsregionen versuchen diese und andere Akteure sich in bundesdeutschen Bildungslandschaften als koordinierende Schnittstellen zu positionieren. Ähnlich wie in der amerikanischen Fallstudie lassen sich auch diese Akteursgruppen als Internal Governance Units (IGU) beschreiben (Fligstein und McAdam 2012). Auch hierzulande ist strittig, wie der als Kampf- und Kraftfeld beschriebene Zwischenraum strukturiert werden soll. Zwei Entwicklungsszenarien und ihre jeweiligen Befürworter werden dargestellt.
Jeremias Herberg

Fallstudie III: Zukunftswerkstatt Buchholz

Frontmatter
Kapitel 12. Lernende oder Politische Organisation? Sektorübergreifende Bildungsarbeit durch oder trotz institutionelle(r) Komplexität
Zusammenfassung
Gemeinnützige und besonders intermediäre Organisationen können nur schwerlich die Gemengelage verändern, aus der sie entstanden sind. Mit diesem Emanzipationsproblem beschäftigt sich die ethnografische Organisationsstudie, zu der dieses Kapitel den Auftakt macht. Am Beispiel der Entstehungsgeschichte einer Bildungsstätte wird diskutiert, inwiefern zivilgesellschaftliche Kooperationsinitiativen an regionalökonomische Politikziele gebunden sind. Im ersten Kapitel der Studie werden zwei idealtypische Verläufe nachgezeichnet und das methodische Vorgehen wird erläutert.
Jeremias Herberg
Kapitel 13. Zwischen heterogenen Fördersprachen – Die Vorgeschichte der Zukunftswerkstatt Buchholz als ‚MINT-Standort‘
Zusammenfassung
Dieses Kapitel schildert das Entstehen der Idee der Zukunftswerkstatt Buchholz in ihren Bedingungen und Folgen. Im Mittelpunkt steht dabei die sukzessive Formierung einer Organisation aus divergenten Umweltbeziehungen heraus. Es wird erläutert, welche Akteure, Strategien und Ressourcen bei der Aufbauarbeit zum Tragen kommen, in welcher Verbindung diese zur institutionellen Umwelt stehen und wie die konstitutive Verbindung zwischen Bildungsorganisation und Regionalwirtschaft hergestellt wird. In einer ersten ‚transversalen Kopplung‘ wird gezeigt, wie die Organisation heterogene Förderversprechen in eine stabile Ressourcengrundlage überführt hat.
Jeremias Herberg
Kapitel 14. Inmitten divergenter Förderquellen – Der Fachkräftemangel als Schlüssel für die Organisationswerdung im Zwischenraum
Zusammenfassung
Dieses Kapitel folgt der Entstehungsgeschichte der Zukunftswerkstatt Buchholz mit Schwerpunkt auf pädagogisch-ökonomische Fördermöglichkeiten. In einer übergeordneten Hinsicht geben die Schilderungen Aufschluss, inwieweit die strategische Außenanpassung auch in einer Organisationsform aufrechterhalten werden kann. Im Detail wird beschrieben, wie europa- und kommunalpolitische Förderstrukturen zur Konsolidierung einer regionalökonomischen Rahmung beitragen. In einer zweiten ‚transversalen Kopplung‘ wird gezeigt, wie lokale Wirtschafts- und Bildungspartner den Fachkräftemangel als Leitmotiv rationalisieren.
Jeremias Herberg
Kapitel 15. Ökonomische Außenwelt, pädagogische Innenwelt – Die Suche nach einer Kontaktsprache zwischen Ehrenamtlichen, Festangestellten und Leitung
Zusammenfassung
Dieses Kapitel beschreibt, wie die regionalökonomische Außenwelt das Innenleben der untersuchten Organisation prägt. Dass die Idee einer Bildungsstätte zwischen regionalen Wirtschafts- und Bildungspartnern auf fruchtbaren Boden fällt, birgt Herausforderungen für die Beziehung von festangestellten und ehrenamtlichen Mitarbeitern. Ihre wechselseitige Auseinandersetzung, die hier beschrieben wird, mündet schließlich in einer dritten ‚transversalen Kopplung‘: Ehrenamtliche identifizieren sich zunehmend mit der bislang strategisch eingesetzten Außendarstellung. Das Fachkräftemangelmotiv prägt die alltägliche Bildungsarbeit.
Jeremias Herberg

Zur Politisie-Rung Des Zwischenraums

Frontmatter
Kapitel 16. Zusammenfassung der Arbeit
Zusammenfassung
Dieses Kapitel fasst das Buch zusammen. Pädagogisch-ökonomische Aushandlungsprozesse orientieren sich in allen drei Fallstudien an einem übergreifenden Problembegriff, dem Fachkräftemangel. Dieser gründet auf einseitigen Deutungshoheiten, rahmt ungleiche Kooperationsbeziehungen und mündet in unhinterfragte Verantwortungsverteilungen. Für eine Neuproblematisierung wurde ein Perspektivwechsel vorgeschlagen. Wenn man den pädagogisch-ökonomischen Zwischenraum relational betrachtet, dann wird aus einer scheinbar sachlich-objektiven Frage eine politische Frage: Können Probleme, die im Zwischenraum liegen, auf kooperative Lösungsfindungsprozesse ausgerichtet werden?
Jeremias Herberg
Kapitel 17. Die Fachkräftemangeldebatte als Nachhaltigkeitsproblem
Zusammenfassung
Die Problemformulierung eines Fachkräftemangels ist Anlass für die vorliegende politische Soziologie des pädagogisch-ökonomischen Zwischenraums. In diesem Kapitel wird auf Basis einer Nachhaltigkeitsperspektive eine adäquatere Problemformulierung gesucht: Das erodierte Funktionsverhältnis von Wohlfahrt und Kapitalismus kommt in der Fachkräftemangeldebatte implizit zur Geltung. Das Kooperationsanliegen, Bildungs- und Wirtschaftsanliegen zu integrieren, ist in diesem Rahmen nachvollziehbar, aber riskant. Institutionelle Förderbedingungen für zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit und robuste Kooperationsformate sind erforderlich, um den Koordinationsdruck, einseitige Diskurshoheiten sowie unbeabsichtigte Ökonomisierungseffekte zu vermeiden. Gesellschaftspolitische und forschungsprogrammatische Implikationen werden abschließend resümiert.
Jeremias Herberg
Backmatter
Metadata
Title
Illusio Fachkräftemangel
Author
Jeremias Herberg
Copyright Year
2019
Electronic ISBN
978-3-658-24584-9
Print ISBN
978-3-658-24583-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-24584-9