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16-12-2016 | Industrie 4.0 | Schwerpunkt | Article

Industrie 4.0 – Hype, Mode oder echte Revolution?

Author: Michaela Paefgen-Laß

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Sie kommt ein wenig schwer aus den Puschen, die so genannte 4. Industrielle Revolution. Ist die ganze Aufgeregtheit nicht sowieso übertrieben, fragt sich Springer-Autor Heiner Minssen und rät zum Durchatmen. 

Flexibel, flexibler am flexibelsten: In Zusammenhang mit der Industrie 4.0 lassen sich viele modische Adjektive zum Superlativ steigern. Smart wäre ein weiteres Beispiel. Aber ist der ganze Hype um ein Thema, das 2010 auf den Konferenztischen der Bundesregierung als Hightech-Strategie aus der Taufe gehoben wurde, um den Industriestandort Deutschland zu promoten nicht einfach nur ein politisches Projekt, ein Fall erfolgreicher Öffentlichkeitsarbeit? Als "Strukturbruch" will Heiner Minssen die Digitalisierung der Produktion in seinem gleichnamigen Buchkapitel jedenfalls nicht anerkennen. Er befürchtet aber die Risiken der digitalisierten Arbeit werden im Rausch um eine "Managementmode" übersehen, was ihn kritische Töne anschlagen lässt. 

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Industrie 4.0 schreitet langsam voran

Unternehmen nähern sich der Industrie 4.0 tatsächlich nur zögerlich an, was zunächst einmal recht handfeste Gründe hat: Die Investitionskosten sind hoch und der Markt an Fachkräften nahezu abgeräumt. Mehr als 700 Unternehmen gaben der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY) für die Studie "Industrie 4.0: Status Quo und Perspektiven in Deutschland" Auskunft. Dass die strategische Bedeutung von Industrie 4.0 für Unternehmen in den kommenden fünf Jahren zunehmen wird, davon sind die meisten Befragten zwar überzeugt, aber nur moderat: 57 Prozent entschieden sich für die Variante "eher zunehmen" und nur 23 Prozent für "stark zunehmen".

Zu teuer und das Personal fehlt

Während sich 68 Prozent der Unternehmen erhoffen, dass ihre Produktion flexibler wird, 59 Prozent schnellere Reaktionszeiten und 46 mehr Effektivität von der vernetzten Fabrik erwarten, glauben nur 33 an eine bessere Kundenunterstützung, 31 Prozent an die Entwicklung neuer Produkte, 24 Prozent an Kostenreduktion und 16 Prozent an die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Aktuell setzt jedes vierte Unternehmen Industrie-4.0-Anwendungen ein. Durchschnittlich 4,8 Prozent des Jahresumsatz investieren sie – und jene, die mit der Idee liebäugeln – in das Thema. Ausgebremst wird die Industrie 4.0 bei allen anderen durch die "großen Hindernisse": 

  • zu hoher Investitionsbedarf ( 66 Prozent)
  • zu wenig qualifiziertes Personal (61 Prozent)
  • Mangelnde Standarts (55 Prozent)
  • Sicherheitsbedenken (48 Prozent)
  • unklarerer wirtschaftlicher Nutzen (33 Prozent)
  • mangelndes IT-Know-how (32 Prozent)
  • unklare Geschäftsmodelle (31 Prozent)

Mehr Selbstorganisation in der Factory und beim Mitarbeiter

Durch Cyber‐Physical‐Systems, die den Kern der Industrie 4.0 bilden "entsteht eine Smart Factory, die sich in Echtzeit dezentral selbst organisiert", erklärt Springer-Autor Kai Zimmermann die "Digitalisierung der Produktion durch Industrie 4.0 und ihr Einfluss auf das Arbeiten von morgen" (Seite 55). Das birgt Chancen aber auch Risiken für die Mitarbeiter. Die digitalisierte Produktion wird die Arbeitsbedingungen und Qualifikationsanforderungen drastisch verändern. Die körperliche Arbeit wird automatisiert, wodurch sich der Tätigkeitsbereich von Mitarbeiter flexibilisiert und fachlich aufwertet. Arbeitsorte und die Einsatzzeiten passen sich an, und werden ebenfalls flexibler gestaltet. 

Die Kontrolle von Arbeitszeit und Freizeit wird nun aber zu einem weiteren Aufgabenbereich des von der Digitalisierung ohnehin stark herausgeforderten Mitarbeiters, es wird ein Plus an Selbstorganisation erwartet. "Die psychischen Beanspruchungen werden ebenso steigen wie die Anforderungen an berufliche Handlungskompetenz", folgert Heiner Minssen und meint, die Folgen der Industrie 4.0 seien bislang nur unscharf betrachtet worden (Seite 120). Die Industrie 4.0 bezeichne außerdem keine homogenen Technologie-, Organisations- und Rationalisierungskonzepte, weshalb es sich bei ihr eher um eine Leitidee als eine Industrielle Revolution handele. 

Die Empfehlungen sind, sofern es sie denn schon gibt, recht unpräzise, die Problemdiagnose knüpft an eine angesichts der Berichte über Google, Amazon und selbständig fahrende Autos weit verbreitete Problemsicht an und zugleich werden drohend die Konsequenzen an die Wand gemalt, wenn die Anforderungen durch das "Internet der Dinge" nicht bewältigt werden – alles also die üblichen Ingredienzen einer Managementmode, wobei hier zusätzlich unterstützend hinzu kommt, dass es sich um eine staatlich initiierte Managementmode handelt. (Seite 125)

Fazit: Minssen betrachtet die Industrie 4.0 als ein gelungenes Marketingkonzept mit den Beigaben "Vagheit, Vollmundigkeit, Betonung des Unabwendbaren" (Seite 130) und ruft deshalb alle Euphoriker zur Gelassenheit auf. Die mit ihr einhergehenden Flexibilisierungstendenzen von Arbeit allerdings machen es den Beschäftigten noch schwerer sich vom Job zu Entgrenzen. "Zu untersuchen, was dies im Einzelnen heißt und bedeutet – das wäre doch eine viel lohnendere Aufgabe der (sozialwissenschaftlichen) Arbeitsforschung als das Entwerfen visionärer Entwürfe eines "Internets der Dinge“ (Seite 131).

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