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24-08-2020 | Innovationsmanagement | Schwerpunkt | Article

Innovationsstandort Deutschland im Dornröschenschlaf

Author: Annette Speck

4:30 min reading time

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Bei der Entwicklung wichtiger Zukunftstechnologien fällt Europa im globalen Wettbewerb zurück. Bislang halten die USA die meisten Weltklassepatente, doch Ostasien holt flott auf. Wie müssen die Weichen nun gestellt werden?

Deutschland gehört erneut zu den zehn innovativsten Nationen der Welt. So steht es im Global Innovation Index (GII) 2019, der gemeinsam von der Cornell University, Insead und der World Intellectual Property Organization erstellt wird. Das Top-Trio unter den 129 einbezogenen Ländern bilden die Schweiz (1), Schweden (2) und die USA (3). Deutschland rangiert wie im Vorjahr auf Platz neun.

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Innovationssysteme

Technologie, Institutionen und die Dynamik der Wettbewerbsfähigkeit

Der vorliegende Sammelband ist in drei thematische Blöcke gegliedert. Der erste Block enthält deutsche Übersetzungen von Grundlagentexten des Innovationssysteme-Ansatzes. Im zweiten Block werden einzelne theoretische Aspekte vertiefend analysiert.

Andere Länder dynamischer als Deutschland

Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung attestiert Deutschland zudem, bis dato die stärkste europäische Patentmacht zu sein. Das klingt erst einmal gut. Dennoch ist die Studie "Weltklassepatente in Zukunftstechnologien – Die Innovationskraft Ostasiens, Nordamerikas und Europas" eher ein Weckruf. Denn Deutschland hat bei sogenannten Weltklassepatenten in 58 untersuchten Zukunftstechnologien immer seltener die Nase vorn, so die Forscher.

Sie bestätigen damit, was auch die Springer-Autoren Ulrich Schmoch und Rainer Frietsch über die "Perspektiven des deutschen Innovationssystems" schreiben: "Die Erfahrung der letzten drei Dekaden zeigt, dass Länder mit einer stärkeren Orientierung auf Spitzentechnologie dynamischer wachsen als Deutschland mit seinem Fokus auf hochwertiger Technologie." (Seite 303)

Starker Rückgang deutscher Weltklassepatente

Der Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge hat sich die Zahl der Technologien, in denen Deutschland zu den drei Nationen mit den meisten Weltklassepatenten gehört, gegenüber 2010 mehr als halbiert: von 47 auf 22. Auch in traditionell starken Bereichen wie Industrie und Mobilität ist Deutschland zurückgefallen. Ein Lichtblick ist angesichts der Corona-Pandemie aber die hohe Innovationskraft im Gesundheitsbereich. Indessen prescht Ostasien bei Innovationen vor. Vor allem China und Südkorea haben laut der Analyse in den letzten Jahren in punkto Patentqualität stark zugelegt.

Die Studie der Bertelsmann-Stiftung basiert auf Analysen des Wirtschaftsforschungs- und Beratungsinstituts Econ Sight und hat Weltklassepatente in 58 Zukunftstechnologien unter die Lupe genommen. Diese lassen sich zehn Bereichen zuordnen und beinhalten beispielsweise 3D-Druck (Bereich: Industrie), Batterietechnik (Energie), Biozide (Ernährung) oder 5G (Infrastruktur).

China punktet im Ernährungs- und im Umweltsektor

Die Untersuchung belegt, dass die USA in den meisten dieser Technologien zwar weiter führend sind, jedoch rückte China 2019 deutlich auf. In 42 der 58 Zukunftstechnologien gehört es zu den drei Ländern mit den meisten Spitzenpatenten. In einigen Technologien in den Bereichen Ernährung und Umwelt liegt das Reich der Mitte bereits ganz vorn. Noch 2010 fand sich das Land in keiner einzigen Technologie unter den Top drei.

Darüber hinaus zeigen die Studienergebnisse, dass kein einzelnes europäisches Land in einer der 58 Technologien über die meisten Weltklassepatente verfügt. Als Ganzes erreicht die EU immerhin die Spitzenposition bei Windkraft sowie Functional Food. Den Anschluss droht Europa jedoch beispielsweise bei 5G oder der Blockchain-Technologie zu verlieren.

Gemeinsam stärker im globalen Wettbewerb

"Europa braucht ein klares politisches Engagement für eine gemeinsame Initiative", betont Brigitte Mohn, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung. Nötig sei eine gesamteuropäische Innovationsplattform in einem transnationalen Ökosystem, das von staatlichen Budgets und finanziellen Anreizsystemen unterstützt werde. Die Studie rät zu engeren internationalen Kooperationen, besserer Vernetzung von Forschung und Unternehmen sowie dazu, Start-up-Gründer stärker zu fördern und Innovation und gesellschaftlichen Fortschritt gezielter zu verbinden.

Ein Ansatz, der in diese Richtung zielt, sind Clusterinitiativen, die vielfach insbesondere auf regionaler Ebene existieren. Sie helfen dabei, dass Unternehmen voneinander lernen und bringen forschende Akteure in Kontakt miteinander. So stärken sie den Technologie- und Wissenstransfer, der Innovationsprozesse antreibt.

EU-Programme besser als Clusterinitiativen

Tom Brökel und Holger Graf, die in dem Buchkapitel "Innovationspolitik und Netzwerke" die Förderung von Forschungs- und Entwicklungskooperationen (F&E) sowie Wissensnetzwerken als Instrument der Innovationspolitik beleuchten, sehen die staatliche Clusterförderung allerdings skeptisch. Zum einen ließen sich hier meist keine eindeutigen Marktversagenstatbestände identifizieren, die durch eine staatliche Förderung behoben werden müssten. Zum anderen machten die geförderten Kooperationen kaum den Eindruck, als würden sie wirkliche Innovationen und Neuerungen hervorbringen, schreiben die Springer-Autoren auf Seite 392. Dagegen sind ihrer Analyse zufolge die EU-Forschungsrahmenprogramme aus Sicht des Proximity-Ansatzes besser ausgestaltet und "positiv zu bewerten, da sie wahrscheinliche Marktversagenstatbestände adressieren". (Seite 391) Dieser Ansatz geht davon aus, dass die geografische, soziale, kognitive, institutionelle und organisationale Nähe der Partner das Funktionieren von F&E-Kooperationen beeinflussen.

Innovationsleitbild braucht Identifikationsfiguren

Auch Timothy Kaufmann und Hans-Gerd Servatius heben die Bedeutung der EU für die Stärkung der Innovationskraft hervor. In ihrem Beitrag "Auf dem Weg zu einer Innovationspolitik 4.0" skizzieren sie vor dem Hintergrund des digitalen Wandels und globalen Wettbewerbs mögliche Bausteine für eine neue Innovationspolitik und bemängeln unter anderem das Fehlen von Identifikationsfiguren für ein europäisches Innovationsleitbild.

Es ist schwer vorstellbar, dass Menschen einem Leitbild folgen, wenn sie die handelnden Personen nicht kennen und für kompetent halten. Daher wäre es gut, wenn man ein europäisches Innovationsleitbild mit Personen verbindet. Dies ist eine Chance für die neue EU-Kommissionspäsidentin Ursula von der Leyen und ihre drei Vizepräsidenten Margarethe Vestager, Frans Timmermans und Valdis Dombrovskis, der sich um die Euro-Zone kümmert." (Timothy Kaufmann, Hans-Gerd Servatius, Seite 208)

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